Einrichtung, welche du getroffen hast und verfehle meine Absicht. Wenn ich Ansprüche auf solche Vor- züge mache, die mir in meiner Lage nie zu Theil wer- den können, weil ich die dazu gehörigen Eigenschaf- ten nicht besitze, so ist dieß die größte Unbescheidenheit mit Leichtsinn und Mangel des Nachdenkens verbun- den. Wie wichtig und heilsam ist es daher für mich, daß ich bey Zeiten mit den wahren Verhältnissen und den gegründeten Ansprüchen meines Geschlechts be- kannt werde, daß ich in meinen gegenwärtigen Jah- ren die allein wirksamen Mittel kennen lerne, wo- durch ich diese gegründeten Ansprüche geltend machen kann und muß!
Nichts ist der Ausbildung meines Charakters mehr entgegen, nichts streitet mehr mit meiner weib- lichen Bestimmung, als wenn ich, unzufrieden mit dem, was du mir angewiesen hast, nach andern und höhern Dingen strebe, die ich nicht besitzen kann und soll. Da verabsäume ich die Pflichten, die mir wirk- lich obliegen, und lege mir andere, unnützliche Verbind- lichkeiten auf, die niemand von mir fordert. Da liebe und thue ich nicht das, was ich in meiner Verbin- dung mit der Welt thun und lieben soll, sondern da richte ich meine ganze Aufmerksamkeit nur auf solche Gegenstände, wodurch ich weder mir noch andern ir- gend einen Nutzen verschaffen kann. Da schlage ich tausend kleine, aber wahre Vortheile aus, die mir meine Stelle anbietet, und jage solchen nach, die ich nie zu erreichen im Stande bin. Dieß ist die Quelle des Stolzes, der Eitelkeit, des Neides und mehrerer
hän-
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Die Beſcheidenheit bey den Anſprüchen ꝛc.
Einrichtung, welche du getroffen haſt und verfehle meine Abſicht. Wenn ich Anſprüche auf ſolche Vor- züge mache, die mir in meiner Lage nie zu Theil wer- den können, weil ich die dazu gehörigen Eigenſchaf- ten nicht beſitze, ſo iſt dieß die größte Unbeſcheidenheit mit Leichtſinn und Mangel des Nachdenkens verbun- den. Wie wichtig und heilſam iſt es daher für mich, daß ich bey Zeiten mit den wahren Verhältniſſen und den gegründeten Anſprüchen meines Geſchlechts be- kannt werde, daß ich in meinen gegenwärtigen Jah- ren die allein wirkſamen Mittel kennen lerne, wo- durch ich dieſe gegründeten Anſprüche geltend machen kann und muß!
Nichts iſt der Ausbildung meines Charakters mehr entgegen, nichts ſtreitet mehr mit meiner weib- lichen Beſtimmung, als wenn ich, unzufrieden mit dem, was du mir angewieſen haſt, nach andern und höhern Dingen ſtrebe, die ich nicht beſitzen kann und ſoll. Da verabſäume ich die Pflichten, die mir wirk- lich obliegen, und lege mir andere, unnützliche Verbind- lichkeiten auf, die niemand von mir fordert. Da liebe und thue ich nicht das, was ich in meiner Verbin- dung mit der Welt thun und lieben ſoll, ſondern da richte ich meine ganze Aufmerkſamkeit nur auf ſolche Gegenſtände, wodurch ich weder mir noch andern ir- gend einen Nutzen verſchaffen kann. Da ſchlage ich tauſend kleine, aber wahre Vortheile aus, die mir meine Stelle anbietet, und jage ſolchen nach, die ich nie zu erreichen im Stande bin. Dieß iſt die Quelle des Stolzes, der Eitelkeit, des Neides und mehrerer
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Die Beſcheidenheit bey den Anſprüchen ꝛc.
Einrichtung, welche du getroffen haſt und verfehle
meine Abſicht. Wenn ich Anſprüche auf ſolche Vor-
züge mache, die mir in meiner Lage nie zu Theil wer-
den können, weil ich die dazu gehörigen Eigenſchaf-
ten nicht beſitze, ſo iſt dieß die größte Unbeſcheidenheit
mit Leichtſinn und Mangel des Nachdenkens verbun-
den. Wie wichtig und heilſam iſt es daher für mich,
daß ich bey Zeiten mit den wahren Verhältniſſen und
den gegründeten Anſprüchen meines Geſchlechts be-
kannt werde, daß ich in meinen gegenwärtigen Jah-
ren die allein wirkſamen Mittel kennen lerne, wo-
durch ich dieſe gegründeten Anſprüche geltend machen
kann und muß!
Nichts iſt der Ausbildung meines Charakters
mehr entgegen, nichts ſtreitet mehr mit meiner weib-
lichen Beſtimmung, als wenn ich, unzufrieden mit
dem, was du mir angewieſen haſt, nach andern und
höhern Dingen ſtrebe, die ich nicht beſitzen kann und
ſoll. Da verabſäume ich die Pflichten, die mir wirk-
lich obliegen, und lege mir andere, unnützliche Verbind-
lichkeiten auf, die niemand von mir fordert. Da
liebe und thue ich nicht das, was ich in meiner Verbin-
dung mit der Welt thun und lieben ſoll, ſondern da
richte ich meine ganze Aufmerkſamkeit nur auf ſolche
Gegenſtände, wodurch ich weder mir noch andern ir-
gend einen Nutzen verſchaffen kann. Da ſchlage ich
tauſend kleine, aber wahre Vortheile aus, die mir
meine Stelle anbietet, und jage ſolchen nach, die ich
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/127>, abgerufen am 23.06.2024.
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