Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.Die weibliche Ehre. Wenn du, o Gott, meine Ehrbegierde billi- Nein, o Gott, die Ehre meines Standes ist Ehre G 3
Die weibliche Ehre. Wenn du, o Gott, meine Ehrbegierde billi- Nein, o Gott, die Ehre meines Standes iſt Ehre G 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0113" n="101"/> <fw place="top" type="header">Die weibliche Ehre.</fw><lb/> <p>Wenn du, o Gott, meine Ehrbegierde billi-<lb/> gen ſollſt, wenn meine Anſprüche auf die Achtung an-<lb/> derer gegründet ſeyn ſollen, ſo darf ich freylich meine<lb/> weibliche Ehre nicht in kleinen, unbedeutenden Din-<lb/> gen, oder wohl gar in ſolchen ſuchen, die der ver-<lb/> nünftige und gutdenkende Menſch verachten und ver-<lb/> abſcheuen muß. Wenn ich nach wahrer Ehre und<lb/> nach keinem täuſchenden Schattenbilde tingen will, ſo<lb/> darf es meiner Aufmerkſamkeit nicht entgehen, daß<lb/> Stolz und Eitelkeit, die ſo viele meines Geſchlechts<lb/> beherrſchen, nicht der Weg ſind, der zur Ehre führet.<lb/> Die eifrigſte Vertheidigerin der Mode zu ſeyn, alle<lb/> neuen Erfindungen derſelben zuerſt zu empfehlen und<lb/> in Umlauf zu bringen, allen Luſtbarkeiten und Zer-<lb/> ſtreuungen im größten Glanze beyzuwohnen, mich<lb/> von Thoren und Schmeichlern gelobt und bewundert<lb/> zu hören, dieß bringt mir in den meiſten Fällen mehr<lb/> Schande als Ruhm, dieß erniedriget mich mehr als<lb/> es mich erhebt, wenn ich dieſe Dinge mit einem durch<lb/> das Chriſtenthum aufgeklärten Verſtande betrachte<lb/> und ſie für das halte, was ſie in der That ſind.</p><lb/> <p>Nein, o Gott, die Ehre meines Standes iſt<lb/> auf keine leichtere Art zu erwerben, als die Ehre des<lb/> Menſchen und des Chriſten überhaupt. Ohne eine<lb/> hinlänglich aufgeklärte Vernunft, ohne Kenntniſſe,<lb/> die meinen Fähigkeiten und Kräften angemeſſen und<lb/> mir in meinen Verhältniſſen unentbehrlich ſind, ohne<lb/> ein gutes, dir ergebenes und menſchenliebendes Herz,<lb/> ohne Fleiß und Treue in meinem Berufe, ohne häus-<lb/> liche und gemeinnützige Tugend bin ich der wahren<lb/> <fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Ehre</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0113]
Die weibliche Ehre.
Wenn du, o Gott, meine Ehrbegierde billi-
gen ſollſt, wenn meine Anſprüche auf die Achtung an-
derer gegründet ſeyn ſollen, ſo darf ich freylich meine
weibliche Ehre nicht in kleinen, unbedeutenden Din-
gen, oder wohl gar in ſolchen ſuchen, die der ver-
nünftige und gutdenkende Menſch verachten und ver-
abſcheuen muß. Wenn ich nach wahrer Ehre und
nach keinem täuſchenden Schattenbilde tingen will, ſo
darf es meiner Aufmerkſamkeit nicht entgehen, daß
Stolz und Eitelkeit, die ſo viele meines Geſchlechts
beherrſchen, nicht der Weg ſind, der zur Ehre führet.
Die eifrigſte Vertheidigerin der Mode zu ſeyn, alle
neuen Erfindungen derſelben zuerſt zu empfehlen und
in Umlauf zu bringen, allen Luſtbarkeiten und Zer-
ſtreuungen im größten Glanze beyzuwohnen, mich
von Thoren und Schmeichlern gelobt und bewundert
zu hören, dieß bringt mir in den meiſten Fällen mehr
Schande als Ruhm, dieß erniedriget mich mehr als
es mich erhebt, wenn ich dieſe Dinge mit einem durch
das Chriſtenthum aufgeklärten Verſtande betrachte
und ſie für das halte, was ſie in der That ſind.
Nein, o Gott, die Ehre meines Standes iſt
auf keine leichtere Art zu erwerben, als die Ehre des
Menſchen und des Chriſten überhaupt. Ohne eine
hinlänglich aufgeklärte Vernunft, ohne Kenntniſſe,
die meinen Fähigkeiten und Kräften angemeſſen und
mir in meinen Verhältniſſen unentbehrlich ſind, ohne
ein gutes, dir ergebenes und menſchenliebendes Herz,
ohne Fleiß und Treue in meinem Berufe, ohne häus-
liche und gemeinnützige Tugend bin ich der wahren
Ehre
G 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |