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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Die Unschuld.
genblick auf ewig zernichtet hat. Ich kann meinen
Fehltritt bereuen und beweinen; aber keine Reue,
keine Thräne ist vermögend, mir die einmal verscherzte
Unschuld wieder zu geben. Mein Stand, mein
Reichthum, meine übrigen Vorzüge, meine Freunde-
und Verwandte können vielleicht manche schreckliche
Folgen von mir abhalten, die sonst gewöhnlicher
Weise den Verlust der Unschuld begleiten; aber die
erste und natürlichste Folge davon, die Vorwürfe mei-
nes eigenen Herzens, diese werden und müssen mich
treffen, und keine Schätze der Welt sind hinreichend,
ein verwundetes Gewissen zu heilen. Mein reuevol-
les Herz, meine aufrichtige Liebe zur Tugend, meine
Rückkehr auf den Weg der Pflicht können mich wohl
vor mehrern und nachfolgenden Vergehungen schützen;
aber das Geschehene können sie nicht ungeschehen ma-
chen, und das Andenken an dasselbe ist und bleibt
mir ewig unvertilgbar. Ich habe nur Eine Unschuld,
ich kann sie nur Einmal verlieren: aber nie, nie wie-
der herstellen.

Und wie viel gehet nicht mit derselben verloren!
Welche schöne Aussichten, welche reizende Hoffnungen
verschwinden, wenn die edle Blume der Unschuld von
dem Hauche des Lasters vergiftet dahin gewelkt ist!
Mit ihr verschwindet der edle, erhabene, sanftrüh-
rende Ausdruck des Auges. Mit ihr verlieren sich
bey einer empfindungsvollen Seele jugendliche Heiter-
keit und froher Sinn. Mit ihr wird zugleich die hol-
de Schaam, die treueste Freundin meines Geschlechts,
getödtet. Mit ihr fliehen Freude und Zufriedenheit,

und

Die Unſchuld.
genblick auf ewig zernichtet hat. Ich kann meinen
Fehltritt bereuen und beweinen; aber keine Reue,
keine Thräne iſt vermögend, mir die einmal verſcherzte
Unſchuld wieder zu geben. Mein Stand, mein
Reichthum, meine übrigen Vorzüge, meine Freunde-
und Verwandte können vielleicht manche ſchreckliche
Folgen von mir abhalten, die ſonſt gewöhnlicher
Weiſe den Verluſt der Unſchuld begleiten; aber die
erſte und natürlichſte Folge davon, die Vorwürfe mei-
nes eigenen Herzens, dieſe werden und müſſen mich
treffen, und keine Schätze der Welt ſind hinreichend,
ein verwundetes Gewiſſen zu heilen. Mein reuevol-
les Herz, meine aufrichtige Liebe zur Tugend, meine
Rückkehr auf den Weg der Pflicht können mich wohl
vor mehrern und nachfolgenden Vergehungen ſchützen;
aber das Geſchehene können ſie nicht ungeſchehen ma-
chen, und das Andenken an daſſelbe iſt und bleibt
mir ewig unvertilgbar. Ich habe nur Eine Unſchuld,
ich kann ſie nur Einmal verlieren: aber nie, nie wie-
der herſtellen.

Und wie viel gehet nicht mit derſelben verloren!
Welche ſchöne Ausſichten, welche reizende Hoffnungen
verſchwinden, wenn die edle Blume der Unſchuld von
dem Hauche des Laſters vergiftet dahin gewelkt iſt!
Mit ihr verſchwindet der edle, erhabene, ſanftrüh-
rende Ausdruck des Auges. Mit ihr verlieren ſich
bey einer empfindungsvollen Seele jugendliche Heiter-
keit und froher Sinn. Mit ihr wird zugleich die hol-
de Schaam, die treueſte Freundin meines Geſchlechts,
getödtet. Mit ihr fliehen Freude und Zufriedenheit,

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[96/0108] Die Unſchuld. genblick auf ewig zernichtet hat. Ich kann meinen Fehltritt bereuen und beweinen; aber keine Reue, keine Thräne iſt vermögend, mir die einmal verſcherzte Unſchuld wieder zu geben. Mein Stand, mein Reichthum, meine übrigen Vorzüge, meine Freunde- und Verwandte können vielleicht manche ſchreckliche Folgen von mir abhalten, die ſonſt gewöhnlicher Weiſe den Verluſt der Unſchuld begleiten; aber die erſte und natürlichſte Folge davon, die Vorwürfe mei- nes eigenen Herzens, dieſe werden und müſſen mich treffen, und keine Schätze der Welt ſind hinreichend, ein verwundetes Gewiſſen zu heilen. Mein reuevol- les Herz, meine aufrichtige Liebe zur Tugend, meine Rückkehr auf den Weg der Pflicht können mich wohl vor mehrern und nachfolgenden Vergehungen ſchützen; aber das Geſchehene können ſie nicht ungeſchehen ma- chen, und das Andenken an daſſelbe iſt und bleibt mir ewig unvertilgbar. Ich habe nur Eine Unſchuld, ich kann ſie nur Einmal verlieren: aber nie, nie wie- der herſtellen. Und wie viel gehet nicht mit derſelben verloren! Welche ſchöne Ausſichten, welche reizende Hoffnungen verſchwinden, wenn die edle Blume der Unſchuld von dem Hauche des Laſters vergiftet dahin gewelkt iſt! Mit ihr verſchwindet der edle, erhabene, ſanftrüh- rende Ausdruck des Auges. Mit ihr verlieren ſich bey einer empfindungsvollen Seele jugendliche Heiter- keit und froher Sinn. Mit ihr wird zugleich die hol- de Schaam, die treueſte Freundin meines Geſchlechts, getödtet. Mit ihr fliehen Freude und Zufriedenheit, und

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/108>, abgerufen am 24.11.2024.