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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Entwickelung der Principien der Statik.
nochmals betrachten, und hierbei je nach Bequemlich-
keit verschiedene Gesichtspunkte verwenden.

Die durch die Erfahrung gegebene Grundeigenschaft
der Flüssigkeit besteht in der Verschiebbarkeit ihrer
Theile durch die geringsten Druckkräfte. Stellen wir
uns ein Volumelement der Flüssigkeit vor, von deren
Schwere wir absehen, etwa ein kleines Würfelchen.
Wenn auf eine der Würfelflächen der geringste Ueber-
druck ausgeübt wird, weicht die Flüssigkeit und tritt
nach allen Richtungen durch die übrigen fünf Würfel-
flächen aus. Ein starres Würfelchen kann etwa auf
die obere und untere Fläche einen andern Druck er-
fahren als auf die Seitenflächen. Ein flüssiges Würfel-
chen kann hingegen nur bestehen, wenn normal auf alle
Seitenflächen derselbe Druck ausgeübt wird. Eine ähn-
liche Ueberlegung lässt sich für jedes andere Polyeder
anstellen. In dieser geometrisch geklärten Vorstellung
liegt nichts als die rohe Erfahrung, dass die Theilchen
der Flüssigkeit dem kleinsten Druck nachgeben, und
dass sie diese Eigenschaft im Innern der Flüssigkeit auch
behalten, wenn diese unter einem hohen Druck steht,
indem z. B. kleine schwere Körperchen noch immer in
derselben untersinken u. s. w.

Mit der Verschiebbarkeit der Theilchen verbinden die
Flüssigkeiten noch eine andere Eigenschaft, die wir
jetzt betrachten wollen. Die Flüssigkeiten erfahren
durch Druck eine Volumsverminderung, welche dem auf
die Oberflächeneinheit ausgeübten Druck proportional ist.
Jede Druckänderung führt eine proportionale Volums-
und Dichtenänderung der Flüssigkeit mit sich. Nimmt
der Druck ab, so wird das Volum wieder grösser, die
Dichte wieder kleiner. Das Flüssigkeitsvolum verklei-
nert sich also bei Druckzuwachs so weit, bis durch
die geweckte Elasticität diesem Druckzuwachs das
Gleichgewicht gehalten wird.

8. Die ältern Forscher, wie z. B. jene der florentiner
Akademie, waren der Meinung, dass die Flüssigkeiten
überhaupt incompressibel seien. Erst John Canton be-

Entwickelung der Principien der Statik.
nochmals betrachten, und hierbei je nach Bequemlich-
keit verschiedene Gesichtspunkte verwenden.

Die durch die Erfahrung gegebene Grundeigenschaft
der Flüssigkeit besteht in der Verschiebbarkeit ihrer
Theile durch die geringsten Druckkräfte. Stellen wir
uns ein Volumelement der Flüssigkeit vor, von deren
Schwere wir absehen, etwa ein kleines Würfelchen.
Wenn auf eine der Würfelflächen der geringste Ueber-
druck ausgeübt wird, weicht die Flüssigkeit und tritt
nach allen Richtungen durch die übrigen fünf Würfel-
flächen aus. Ein starres Würfelchen kann etwa auf
die obere und untere Fläche einen andern Druck er-
fahren als auf die Seitenflächen. Ein flüssiges Würfel-
chen kann hingegen nur bestehen, wenn normal auf alle
Seitenflächen derselbe Druck ausgeübt wird. Eine ähn-
liche Ueberlegung lässt sich für jedes andere Polyëder
anstellen. In dieser geometrisch geklärten Vorstellung
liegt nichts als die rohe Erfahrung, dass die Theilchen
der Flüssigkeit dem kleinsten Druck nachgeben, und
dass sie diese Eigenschaft im Innern der Flüssigkeit auch
behalten, wenn diese unter einem hohen Druck steht,
indem z. B. kleine schwere Körperchen noch immer in
derselben untersinken u. s. w.

Mit der Verschiebbarkeit der Theilchen verbinden die
Flüssigkeiten noch eine andere Eigenschaft, die wir
jetzt betrachten wollen. Die Flüssigkeiten erfahren
durch Druck eine Volumsverminderung, welche dem auf
die Oberflächeneinheit ausgeübten Druck proportional ist.
Jede Druckänderung führt eine proportionale Volums-
und Dichtenänderung der Flüssigkeit mit sich. Nimmt
der Druck ab, so wird das Volum wieder grösser, die
Dichte wieder kleiner. Das Flüssigkeitsvolum verklei-
nert sich also bei Druckzuwachs so weit, bis durch
die geweckte Elasticität diesem Druckzuwachs das
Gleichgewicht gehalten wird.

8. Die ältern Forscher, wie z. B. jene der florentiner
Akademie, waren der Meinung, dass die Flüssigkeiten
überhaupt incompressibel seien. Erst John Canton be-

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[85/0097] Entwickelung der Principien der Statik. nochmals betrachten, und hierbei je nach Bequemlich- keit verschiedene Gesichtspunkte verwenden. Die durch die Erfahrung gegebene Grundeigenschaft der Flüssigkeit besteht in der Verschiebbarkeit ihrer Theile durch die geringsten Druckkräfte. Stellen wir uns ein Volumelement der Flüssigkeit vor, von deren Schwere wir absehen, etwa ein kleines Würfelchen. Wenn auf eine der Würfelflächen der geringste Ueber- druck ausgeübt wird, weicht die Flüssigkeit und tritt nach allen Richtungen durch die übrigen fünf Würfel- flächen aus. Ein starres Würfelchen kann etwa auf die obere und untere Fläche einen andern Druck er- fahren als auf die Seitenflächen. Ein flüssiges Würfel- chen kann hingegen nur bestehen, wenn normal auf alle Seitenflächen derselbe Druck ausgeübt wird. Eine ähn- liche Ueberlegung lässt sich für jedes andere Polyëder anstellen. In dieser geometrisch geklärten Vorstellung liegt nichts als die rohe Erfahrung, dass die Theilchen der Flüssigkeit dem kleinsten Druck nachgeben, und dass sie diese Eigenschaft im Innern der Flüssigkeit auch behalten, wenn diese unter einem hohen Druck steht, indem z. B. kleine schwere Körperchen noch immer in derselben untersinken u. s. w. Mit der Verschiebbarkeit der Theilchen verbinden die Flüssigkeiten noch eine andere Eigenschaft, die wir jetzt betrachten wollen. Die Flüssigkeiten erfahren durch Druck eine Volumsverminderung, welche dem auf die Oberflächeneinheit ausgeübten Druck proportional ist. Jede Druckänderung führt eine proportionale Volums- und Dichtenänderung der Flüssigkeit mit sich. Nimmt der Druck ab, so wird das Volum wieder grösser, die Dichte wieder kleiner. Das Flüssigkeitsvolum verklei- nert sich also bei Druckzuwachs so weit, bis durch die geweckte Elasticität diesem Druckzuwachs das Gleichgewicht gehalten wird. 8. Die ältern Forscher, wie z. B. jene der florentiner Akademie, waren der Meinung, dass die Flüssigkeiten überhaupt incompressibel seien. Erst John Canton be-

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/97>, abgerufen am 28.04.2024.