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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Erstes Kapitel.
Man darf beide aber nicht miteinander vermengen. Man
kann nicht mathematisch beweisen, dass die Natur so
sein müsse, wie sie ist. Man kann aber beweisen, dass
die beobachteten Eigenschaften eine Reihe anderer, oft
nicht direct sichtbarer, mit bestimmen.

Schliesslich sei bemerkt, dass das Princip der vir-
tuellen Verschiebungen, wie jedes allgemeinere Princip,
durch die Einsicht, die es gewährt, enttäuschend und
aufklärend zugleich wirkt. Enttäuschend wirkt es,
insofern wir in demselben nur längst bekannte und
instinctiv erkannte Thatsachen, wenngleich schärfer und
bestimmter wiedererkennen. Aufklärend wirkt es, in-
dem es uns gestattet, überall dieselben einfachen That-
sachen durch die complicirtesten Verhältnisse hindurch
zu sehen.

5. Rückblick auf die Entwickelung der Statik.

1. Nachdem wir die Principien der Statik einzeln in
Augenschein genommen haben, können wir die ganze
Entwickelung der Statik noch einmal kurz überblicken.
Die Statik, als der ältesten Periode der Mechanik an-
gehörend, welche im griechischen Alterthum beginnt
und schon in der Zeit des Aufschwunges der modernen
Mechanik durch Galilei und dessen jüngere Zeitgenossen
ihren Abschluss findet, erläutert vorzüglich den Bildungs-
process der Wissenschaft. Hier liegen alle Anschauun-
gen, alle Methoden in der einfachsten Form, in ihrer
Kindheit vor. Diese Anfänge weisen deutlich auf ihren
Ursprung aus den Erfahrungen des Handwerkes hin. Dem
Bedürfniss, diese Erfahrungen in mittheilbare Form
zu bringen, und dieselben über die Grenzen des Standes
und des Handwerkes hinaus zu verbreiten, verdankt die
Wissenschaft ihren Ursprung. Dem Sammler solcher
Erfahrungen, der dieselben schriftlich aufzubewahren
sucht, liegen viele verschiedene oder für verschieden
gehaltene Erfahrungen vor. Er ist in der Lage, die-
selben öfter, in wechselnder Ordnung und unbefangener

Erstes Kapitel.
Man darf beide aber nicht miteinander vermengen. Man
kann nicht mathematisch beweisen, dass die Natur so
sein müsse, wie sie ist. Man kann aber beweisen, dass
die beobachteten Eigenschaften eine Reihe anderer, oft
nicht direct sichtbarer, mit bestimmen.

Schliesslich sei bemerkt, dass das Princip der vir-
tuellen Verschiebungen, wie jedes allgemeinere Princip,
durch die Einsicht, die es gewährt, enttäuschend und
aufklärend zugleich wirkt. Enttäuschend wirkt es,
insofern wir in demselben nur längst bekannte und
instinctiv erkannte Thatsachen, wenngleich schärfer und
bestimmter wiedererkennen. Aufklärend wirkt es, in-
dem es uns gestattet, überall dieselben einfachen That-
sachen durch die complicirtesten Verhältnisse hindurch
zu sehen.

5. Rückblick auf die Entwickelung der Statik.

1. Nachdem wir die Principien der Statik einzeln in
Augenschein genommen haben, können wir die ganze
Entwickelung der Statik noch einmal kurz überblicken.
Die Statik, als der ältesten Periode der Mechanik an-
gehörend, welche im griechischen Alterthum beginnt
und schon in der Zeit des Aufschwunges der modernen
Mechanik durch Galilei und dessen jüngere Zeitgenossen
ihren Abschluss findet, erläutert vorzüglich den Bildungs-
process der Wissenschaft. Hier liegen alle Anschauun-
gen, alle Methoden in der einfachsten Form, in ihrer
Kindheit vor. Diese Anfänge weisen deutlich auf ihren
Ursprung aus den Erfahrungen des Handwerkes hin. Dem
Bedürfniss, diese Erfahrungen in mittheilbare Form
zu bringen, und dieselben über die Grenzen des Standes
und des Handwerkes hinaus zu verbreiten, verdankt die
Wissenschaft ihren Ursprung. Dem Sammler solcher
Erfahrungen, der dieselben schriftlich aufzubewahren
sucht, liegen viele verschiedene oder für verschieden
gehaltene Erfahrungen vor. Er ist in der Lage, die-
selben öfter, in wechselnder Ordnung und unbefangener

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[72/0084] Erstes Kapitel. Man darf beide aber nicht miteinander vermengen. Man kann nicht mathematisch beweisen, dass die Natur so sein müsse, wie sie ist. Man kann aber beweisen, dass die beobachteten Eigenschaften eine Reihe anderer, oft nicht direct sichtbarer, mit bestimmen. Schliesslich sei bemerkt, dass das Princip der vir- tuellen Verschiebungen, wie jedes allgemeinere Princip, durch die Einsicht, die es gewährt, enttäuschend und aufklärend zugleich wirkt. Enttäuschend wirkt es, insofern wir in demselben nur längst bekannte und instinctiv erkannte Thatsachen, wenngleich schärfer und bestimmter wiedererkennen. Aufklärend wirkt es, in- dem es uns gestattet, überall dieselben einfachen That- sachen durch die complicirtesten Verhältnisse hindurch zu sehen. 5. Rückblick auf die Entwickelung der Statik. 1. Nachdem wir die Principien der Statik einzeln in Augenschein genommen haben, können wir die ganze Entwickelung der Statik noch einmal kurz überblicken. Die Statik, als der ältesten Periode der Mechanik an- gehörend, welche im griechischen Alterthum beginnt und schon in der Zeit des Aufschwunges der modernen Mechanik durch Galilei und dessen jüngere Zeitgenossen ihren Abschluss findet, erläutert vorzüglich den Bildungs- process der Wissenschaft. Hier liegen alle Anschauun- gen, alle Methoden in der einfachsten Form, in ihrer Kindheit vor. Diese Anfänge weisen deutlich auf ihren Ursprung aus den Erfahrungen des Handwerkes hin. Dem Bedürfniss, diese Erfahrungen in mittheilbare Form zu bringen, und dieselben über die Grenzen des Standes und des Handwerkes hinaus zu verbreiten, verdankt die Wissenschaft ihren Ursprung. Dem Sammler solcher Erfahrungen, der dieselben schriftlich aufzubewahren sucht, liegen viele verschiedene oder für verschieden gehaltene Erfahrungen vor. Er ist in der Lage, die- selben öfter, in wechselnder Ordnung und unbefangener

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/84>, abgerufen am 28.04.2024.