4. So wie an den Rollensystemen und an der schiefen Ebene lässt sich die Gültigkeit des Princips der vir- tuellen Verschiebungen leicht auch an andern Maschinen, z. B. dem Hebel, dem Wellrad u. s. w. nachweisen. Am Wellrade z. B. mit den Radien R, r und den zugehö- rigen Lasten P, Q besteht bekanntlich Gleichgewicht, wenn PR=Qr. Dreht man das Wellrad um den Winkel [a], so sinkt etwa P um R[a], und es steigt Q um r[a]. Nach Stevin's und Galilei's Auffassung ist im Gleichgewichtsfall
[Formel 1]
, welche Gleichung dasselbe besagt wie die obige.
5. Wenn wir ein System von schweren Körpern, an welchem Bewegung auftritt, vergleichen mit einem ähn- lichen im Gleichgewicht befindlichen System, so drängt sich uns die Frage auf: Was ist das Unterscheidende beider Fälle? Worin liegt das Bewegungsbestimmende (Gleichgewichtstörende), welches in dem einen Falle vorhanden ist, in dem andern aber fehlt. Indem Galilei sich diese Frage stellte, erkannte er als bewegungs- bestimmend nicht nur die Gewichte, sondern auch deren Falltiefen (deren verticale Verschiebungsgrössen). Nennen wir P, P', P" .... die Gewichte eines Systems schwerer Körper, und h, h', h" .... die zugehörigen verticalen, gleichzeitig möglichen Verschiebungsgrössen, wobei Verschiebungen abwärts positiv, Verschiebungen aufwärts negativ gerechnet werden. Galilei findet nun, dass in der Erfüllung der Bedingung Ph+P'h'+ P"h"+...=0 das Merkmal des Gleichgewichtsfalles liegt. Die Summe Ph+P'h'+P"h"+... ist das Gleichgewichtstörende, das Bewegungsbestimmende. Man hat diese Summe ihrer Wichtigkeit wegen in neuerer Zeit mit dem besondern Namen Arbeit bezeichnet.
6. Während die ältern Forscher bei Vergleichung von Gleichgewichts- und Bewegungsfällen ihre Aufmerk- samkeit auf die Gewichte und deren Abstände von der Drehaxe richteten, und die statischen Momente als maassgebend erkannten, beachtet Galilei die Gewichte und die Falltiefen und erkennt die Arbeit als
Mach. 4
Entwickelung der Principien der Statik.
4. So wie an den Rollensystemen und an der schiefen Ebene lässt sich die Gültigkeit des Princips der vir- tuellen Verschiebungen leicht auch an andern Maschinen, z. B. dem Hebel, dem Wellrad u. s. w. nachweisen. Am Wellrade z. B. mit den Radien R, r und den zugehö- rigen Lasten P, Q besteht bekanntlich Gleichgewicht, wenn PR=Qr. Dreht man das Wellrad um den Winkel [α], so sinkt etwa P um R[α], und es steigt Q um r[α]. Nach Stevin’s und Galilei’s Auffassung ist im Gleichgewichtsfall
[Formel 1]
, welche Gleichung dasselbe besagt wie die obige.
5. Wenn wir ein System von schweren Körpern, an welchem Bewegung auftritt, vergleichen mit einem ähn- lichen im Gleichgewicht befindlichen System, so drängt sich uns die Frage auf: Was ist das Unterscheidende beider Fälle? Worin liegt das Bewegungsbestimmende (Gleichgewichtstörende), welches in dem einen Falle vorhanden ist, in dem andern aber fehlt. Indem Galilei sich diese Frage stellte, erkannte er als bewegungs- bestimmend nicht nur die Gewichte, sondern auch deren Falltiefen (deren verticale Verschiebungsgrössen). Nennen wir P, P′, P″ .... die Gewichte eines Systems schwerer Körper, und h, h′, h″ .... die zugehörigen verticalen, gleichzeitig möglichen Verschiebungsgrössen, wobei Verschiebungen abwärts positiv, Verschiebungen aufwärts negativ gerechnet werden. Galilei findet nun, dass in der Erfüllung der Bedingung Ph+P′h′+ P″h″+…=0 das Merkmal des Gleichgewichtsfalles liegt. Die Summe Ph+P′h′+P″h″+… ist das Gleichgewichtstörende, das Bewegungsbestimmende. Man hat diese Summe ihrer Wichtigkeit wegen in neuerer Zeit mit dem besondern Namen Arbeit bezeichnet.
6. Während die ältern Forscher bei Vergleichung von Gleichgewichts- und Bewegungsfällen ihre Aufmerk- samkeit auf die Gewichte und deren Abstände von der Drehaxe richteten, und die statischen Momente als maassgebend erkannten, beachtet Galilei die Gewichte und die Falltiefen und erkennt die Arbeit als
Mach. 4
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Entwickelung der Principien der Statik.
4. So wie an den Rollensystemen und an der schiefen
Ebene lässt sich die Gültigkeit des Princips der vir-
tuellen Verschiebungen leicht auch an andern Maschinen,
z. B. dem Hebel, dem Wellrad u. s. w. nachweisen. Am
Wellrade z. B. mit den Radien R, r und den zugehö-
rigen Lasten P, Q besteht bekanntlich Gleichgewicht,
wenn PR=Qr. Dreht man das Wellrad um den
Winkel α, so sinkt etwa P um Rα, und es steigt Q
um rα. Nach Stevin’s und Galilei’s Auffassung ist im
Gleichgewichtsfall [FORMEL], welche Gleichung
dasselbe besagt wie die obige.
5. Wenn wir ein System von schweren Körpern, an
welchem Bewegung auftritt, vergleichen mit einem ähn-
lichen im Gleichgewicht befindlichen System, so drängt
sich uns die Frage auf: Was ist das Unterscheidende
beider Fälle? Worin liegt das Bewegungsbestimmende
(Gleichgewichtstörende), welches in dem einen Falle
vorhanden ist, in dem andern aber fehlt. Indem Galilei
sich diese Frage stellte, erkannte er als bewegungs-
bestimmend nicht nur die Gewichte, sondern auch deren
Falltiefen (deren verticale Verschiebungsgrössen).
Nennen wir P, P′, P″ .... die Gewichte eines Systems
schwerer Körper, und h, h′, h″ .... die zugehörigen
verticalen, gleichzeitig möglichen Verschiebungsgrössen,
wobei Verschiebungen abwärts positiv, Verschiebungen
aufwärts negativ gerechnet werden. Galilei findet nun,
dass in der Erfüllung der Bedingung Ph+P′h′+
P″h″+…=0 das Merkmal des Gleichgewichtsfalles
liegt. Die Summe Ph+P′h′+P″h″+… ist das
Gleichgewichtstörende, das Bewegungsbestimmende. Man
hat diese Summe ihrer Wichtigkeit wegen in neuerer
Zeit mit dem besondern Namen Arbeit bezeichnet.
6. Während die ältern Forscher bei Vergleichung
von Gleichgewichts- und Bewegungsfällen ihre Aufmerk-
samkeit auf die Gewichte und deren Abstände von der
Drehaxe richteten, und die statischen Momente als
maassgebend erkannten, beachtet Galilei die Gewichte
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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