Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Kapitel.

6. In Bezug auf den ersten Punkt ist dem Gesagten
wenig hinzuzufügen. Newton fasst alle bewegungsbe-
stimmenden
Umstände, nicht allein die Erdschwere,
sondern auch die Anziehung der Planeten, die Wirkung
des Magneten u. s. w. als beschleunigungsbestim-
mend
auf. Hierbei bemerkt er ausdrücklich, dass er mit
den Worten Attraction u. s. w. keine Vorstellung über
die Ursache oder Art der Wechselwirkung ausdrücken,
sondern nur das in den Bewegungsvorgängen sicht hat-
sächlich Aussprechende bezeichnen wolle. Die wieder-
holte ausdrückliche Versicherung Newton's, dass es ihm
nicht um Speculationen über die verborgenen Ursachen
der Erscheinungen, sondern um Untersuchung und Con-
statirung des Thatsächlichen zu thun sei, die Gedanken-
richtung, welche sich deutlich und kurz in seinen
Worten "hypotheses non fingo" ausspricht, charakteri-
sirt ihn als einen Philosophen von eminenter Be-
deutung. Er ist nicht begierig, sich durch seine eigenen
Einfälle in Erstaunen zu versetzen, überraschen und
imponiren zu lassen, er will die Natur erkennen.1

1 Dies zeigt sich in vorzüglicher Weise durch die Regeln
zur Erforschung der Natur, welche sich Newton gebildet hat:
"1. Regel. An Ursachen zur Erklärung natürlicher
Dinge nicht mehr zuzulassen, als wahr sind und zur Er-
klärung jener Erscheinungen ausreichen.
"2. Regel. Man muss daher, soweit es angeht, gleich-
artigen Wirkungen dieselben Ursachen zuschreiben. So dem
Athem der Menschen und der Thiere, dem Fall der Steine
in Europa und Amerika, dem Licht des Küchenfeuers und
der Sonne, der Zurückwerfung des Lichtes auf der Erde und
den Planeten.
"3. Regel. Diejenigen Eigenschaften der Körper, welche
weder verstärkt noch vermindert werden können und welche
allen Körpern zukommen, an denen man Versuche anstellen
kann, muss man für Eigenschaften aller Körper halten.
(Nun folgt die Aufzählung der allgemeinen Eigenschaften,
welche in alle Lehrbücher übergegangen ist.)
"Sind endlich alle Körper in der Umgebung der Erde gegen
diese schwer, und zwar im Verhältniss der Menge von Materie
in jedem; ist der Mond gegen die Erde nach Verhältniss
Zweites Kapitel.

6. In Bezug auf den ersten Punkt ist dem Gesagten
wenig hinzuzufügen. Newton fasst alle bewegungsbe-
stimmenden
Umstände, nicht allein die Erdschwere,
sondern auch die Anziehung der Planeten, die Wirkung
des Magneten u. s. w. als beschleunigungsbestim-
mend
auf. Hierbei bemerkt er ausdrücklich, dass er mit
den Worten Attraction u. s. w. keine Vorstellung über
die Ursache oder Art der Wechselwirkung ausdrücken,
sondern nur das in den Bewegungsvorgängen sicht hat-
sächlich Aussprechende bezeichnen wolle. Die wieder-
holte ausdrückliche Versicherung Newton’s, dass es ihm
nicht um Speculationen über die verborgenen Ursachen
der Erscheinungen, sondern um Untersuchung und Con-
statirung des Thatsächlichen zu thun sei, die Gedanken-
richtung, welche sich deutlich und kurz in seinen
Worten „hypotheses non fingo‟ ausspricht, charakteri-
sirt ihn als einen Philosophen von eminenter Be-
deutung. Er ist nicht begierig, sich durch seine eigenen
Einfälle in Erstaunen zu versetzen, überraschen und
imponiren zu lassen, er will die Natur erkennen.1

1 Dies zeigt sich in vorzüglicher Weise durch die Regeln
zur Erforschung der Natur, welche sich Newton gebildet hat:
„1. Regel. An Ursachen zur Erklärung natürlicher
Dinge nicht mehr zuzulassen, als wahr sind und zur Er-
klärung jener Erscheinungen ausreichen.
„2. Regel. Man muss daher, soweit es angeht, gleich-
artigen Wirkungen dieselben Ursachen zuschreiben. So dem
Athem der Menschen und der Thiere, dem Fall der Steine
in Europa und Amerika, dem Licht des Küchenfeuers und
der Sonne, der Zurückwerfung des Lichtes auf der Erde und
den Planeten.
„3. Regel. Diejenigen Eigenschaften der Körper, welche
weder verstärkt noch vermindert werden können und welche
allen Körpern zukommen, an denen man Versuche anstellen
kann, muss man für Eigenschaften aller Körper halten.
(Nun folgt die Aufzählung der allgemeinen Eigenschaften,
welche in alle Lehrbücher übergegangen ist.)
„Sind endlich alle Körper in der Umgebung der Erde gegen
diese schwer, und zwar im Verhältniss der Menge von Materie
in jedem; ist der Mond gegen die Erde nach Verhältniss
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0192" n="180"/>
          <fw place="top" type="header">Zweites Kapitel.</fw><lb/>
          <p>6. In Bezug auf den ersten Punkt ist dem Gesagten<lb/>
wenig hinzuzufügen. Newton fasst alle <hi rendition="#g">bewegungsbe-<lb/>
stimmenden</hi> Umstände, nicht allein die Erdschwere,<lb/>
sondern auch die Anziehung der Planeten, die Wirkung<lb/>
des Magneten u. s. w. als <hi rendition="#g">beschleunigungsbestim-<lb/>
mend</hi> auf. Hierbei bemerkt er ausdrücklich, dass er mit<lb/>
den Worten Attraction u. s. w. keine Vorstellung über<lb/>
die Ursache oder Art der Wechselwirkung ausdrücken,<lb/>
sondern nur das in den Bewegungsvorgängen sicht hat-<lb/>
sächlich Aussprechende bezeichnen wolle. Die wieder-<lb/>
holte ausdrückliche Versicherung Newton&#x2019;s, dass es ihm<lb/>
nicht um Speculationen über die verborgenen Ursachen<lb/>
der Erscheinungen, sondern um Untersuchung und Con-<lb/>
statirung des <hi rendition="#g">Thatsächlichen</hi> zu thun sei, die Gedanken-<lb/>
richtung, welche sich deutlich und kurz in seinen<lb/>
Worten &#x201E;hypotheses non fingo&#x201F; ausspricht, charakteri-<lb/>
sirt ihn als einen <hi rendition="#g">Philosophen</hi> von <hi rendition="#g">eminenter</hi> Be-<lb/>
deutung. Er ist nicht begierig, sich durch seine eigenen<lb/>
Einfälle in Erstaunen zu versetzen, überraschen und<lb/>
imponiren zu lassen, er will die <hi rendition="#g">Natur</hi> erkennen.<note xml:id="a192" next="#b192" place="foot" n="1">Dies zeigt sich in vorzüglicher Weise durch die Regeln<lb/>
zur Erforschung der Natur, welche sich Newton gebildet hat:<lb/>
&#x201E;1. <hi rendition="#g">Regel.</hi> An Ursachen zur Erklärung natürlicher<lb/>
Dinge nicht mehr zuzulassen, als <hi rendition="#g">wahr</hi> sind und zur Er-<lb/>
klärung jener Erscheinungen ausreichen.<lb/>
&#x201E;2. <hi rendition="#g">Regel.</hi> Man muss daher, soweit es angeht, gleich-<lb/>
artigen Wirkungen dieselben Ursachen zuschreiben. So dem<lb/>
Athem der Menschen und der Thiere, dem Fall der Steine<lb/>
in Europa und Amerika, dem Licht des Küchenfeuers und<lb/>
der Sonne, der Zurückwerfung des Lichtes auf der Erde und<lb/>
den Planeten.<lb/>
&#x201E;3. <hi rendition="#g">Regel.</hi> Diejenigen Eigenschaften der Körper, welche<lb/>
weder verstärkt noch vermindert werden können und welche<lb/>
allen Körpern zukommen, an denen man Versuche anstellen<lb/>
kann, muss man für Eigenschaften aller Körper halten.<lb/>
(Nun folgt die Aufzählung der allgemeinen Eigenschaften,<lb/>
welche in alle Lehrbücher übergegangen ist.)<lb/>
&#x201E;Sind endlich alle Körper in der Umgebung der Erde gegen<lb/>
diese schwer, und zwar im Verhältniss der Menge von Materie<lb/>
in jedem; ist der Mond gegen die Erde nach Verhältniss</note></p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0192] Zweites Kapitel. 6. In Bezug auf den ersten Punkt ist dem Gesagten wenig hinzuzufügen. Newton fasst alle bewegungsbe- stimmenden Umstände, nicht allein die Erdschwere, sondern auch die Anziehung der Planeten, die Wirkung des Magneten u. s. w. als beschleunigungsbestim- mend auf. Hierbei bemerkt er ausdrücklich, dass er mit den Worten Attraction u. s. w. keine Vorstellung über die Ursache oder Art der Wechselwirkung ausdrücken, sondern nur das in den Bewegungsvorgängen sicht hat- sächlich Aussprechende bezeichnen wolle. Die wieder- holte ausdrückliche Versicherung Newton’s, dass es ihm nicht um Speculationen über die verborgenen Ursachen der Erscheinungen, sondern um Untersuchung und Con- statirung des Thatsächlichen zu thun sei, die Gedanken- richtung, welche sich deutlich und kurz in seinen Worten „hypotheses non fingo‟ ausspricht, charakteri- sirt ihn als einen Philosophen von eminenter Be- deutung. Er ist nicht begierig, sich durch seine eigenen Einfälle in Erstaunen zu versetzen, überraschen und imponiren zu lassen, er will die Natur erkennen. 1 1 Dies zeigt sich in vorzüglicher Weise durch die Regeln zur Erforschung der Natur, welche sich Newton gebildet hat: „1. Regel. An Ursachen zur Erklärung natürlicher Dinge nicht mehr zuzulassen, als wahr sind und zur Er- klärung jener Erscheinungen ausreichen. „2. Regel. Man muss daher, soweit es angeht, gleich- artigen Wirkungen dieselben Ursachen zuschreiben. So dem Athem der Menschen und der Thiere, dem Fall der Steine in Europa und Amerika, dem Licht des Küchenfeuers und der Sonne, der Zurückwerfung des Lichtes auf der Erde und den Planeten. „3. Regel. Diejenigen Eigenschaften der Körper, welche weder verstärkt noch vermindert werden können und welche allen Körpern zukommen, an denen man Versuche anstellen kann, muss man für Eigenschaften aller Körper halten. (Nun folgt die Aufzählung der allgemeinen Eigenschaften, welche in alle Lehrbücher übergegangen ist.) „Sind endlich alle Körper in der Umgebung der Erde gegen diese schwer, und zwar im Verhältniss der Menge von Materie in jedem; ist der Mond gegen die Erde nach Verhältniss

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/192
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/192>, abgerufen am 24.11.2024.