4. Die Rückwirkung der neu gewonnenen physika- lischen Reichthümer auf die Mechanik konnte nicht aus- bleiben. Die sehr verschiedene Beschleunigung, welche derselbe Körper je nach seiner Lage im Weltraum nach der neuen Anschauung darbot, legte sofort den Gedan- ken eines variablen Gewichtes nahe, wobei man doch ein Merkmal des Körpers als unveränderlich erkannte. Es trennten sich hierdurch zuerst klar die Begriffe Masse und Gewicht. Die erkannte Veränderlichkeit der Beschleunigung veranlasste Newton durch besondere Versuche die Unabhängigkeit der Schwerebeschleunigung von der chemischen Beschaffenheit zu constatiren, wo- durch neue Anhaltspunkte zur Klarlegung des Verhält- nisses von Masse und Gewicht gewonnen wurden, wie wir eingehender zeigen werden. Endlich wurde durch Newton's Leistungen die allgemeine Anwendbarkeit des Galilei'schen Kraftbegriffes stärker fühlbar ge- macht, als dies je zuvor geschehen war. Man konnte nicht mehr glauben, dass dieser Begriff auf das Fallphänomen und die nächstliegenden Vorgänge allein anwendbar sei. Die Verallgemeinerung vollzog sich nun wie von selbst, und ohne ein besonderes Aufsehen zu erregen.
5. Besprechen wir nun eingehender die Leistungen Newton's in Bezug auf die Principien der Mechanik. Wir wollen uns hierbei zunächst den Anschauungen Newton's hingeben, dieselben dem Gefühl des Lesers nahe zu bringen suchen, und nur ganz vorbereitende kritische Bemerkungen machen, die eingehende Kritik für eine spätere Stelle versparend. Als Hauptfort- schritte gegen Galilei und Huyghens fallen uns beim Durchblättern seines Werkes (Philos. natural. princip. mathemat. Londini 1687) sofort folgende Punkte auf:
1) Die Verallgemeinerung des Kraftbegriffes.
2) Die Aufstellung des Begriffes Masse.
3) Die deutliche und allgemeine Formulirung des Satzes vom Kräftenparallelogramm.
4) Die Aufstellung des Princips der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung.
12 *
Die Entwickelung der Principien der Dynamik.
4. Die Rückwirkung der neu gewonnenen physika- lischen Reichthümer auf die Mechanik konnte nicht aus- bleiben. Die sehr verschiedene Beschleunigung, welche derselbe Körper je nach seiner Lage im Weltraum nach der neuen Anschauung darbot, legte sofort den Gedan- ken eines variablen Gewichtes nahe, wobei man doch ein Merkmal des Körpers als unveränderlich erkannte. Es trennten sich hierdurch zuerst klar die Begriffe Masse und Gewicht. Die erkannte Veränderlichkeit der Beschleunigung veranlasste Newton durch besondere Versuche die Unabhängigkeit der Schwerebeschleunigung von der chemischen Beschaffenheit zu constatiren, wo- durch neue Anhaltspunkte zur Klarlegung des Verhält- nisses von Masse und Gewicht gewonnen wurden, wie wir eingehender zeigen werden. Endlich wurde durch Newton’s Leistungen die allgemeine Anwendbarkeit des Galilei’schen Kraftbegriffes stärker fühlbar ge- macht, als dies je zuvor geschehen war. Man konnte nicht mehr glauben, dass dieser Begriff auf das Fallphänomen und die nächstliegenden Vorgänge allein anwendbar sei. Die Verallgemeinerung vollzog sich nun wie von selbst, und ohne ein besonderes Aufsehen zu erregen.
5. Besprechen wir nun eingehender die Leistungen Newton’s in Bezug auf die Principien der Mechanik. Wir wollen uns hierbei zunächst den Anschauungen Newton’s hingeben, dieselben dem Gefühl des Lesers nahe zu bringen suchen, und nur ganz vorbereitende kritische Bemerkungen machen, die eingehende Kritik für eine spätere Stelle versparend. Als Hauptfort- schritte gegen Galilei und Huyghens fallen uns beim Durchblättern seines Werkes (Philos. natural. princip. mathemat. Londini 1687) sofort folgende Punkte auf:
1) Die Verallgemeinerung des Kraftbegriffes.
2) Die Aufstellung des Begriffes Masse.
3) Die deutliche und allgemeine Formulirung des Satzes vom Kräftenparallelogramm.
4) Die Aufstellung des Princips der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung.
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Die Entwickelung der Principien der Dynamik.
4. Die Rückwirkung der neu gewonnenen physika-
lischen Reichthümer auf die Mechanik konnte nicht aus-
bleiben. Die sehr verschiedene Beschleunigung, welche
derselbe Körper je nach seiner Lage im Weltraum nach
der neuen Anschauung darbot, legte sofort den Gedan-
ken eines variablen Gewichtes nahe, wobei man doch
ein Merkmal des Körpers als unveränderlich erkannte.
Es trennten sich hierdurch zuerst klar die Begriffe
Masse und Gewicht. Die erkannte Veränderlichkeit
der Beschleunigung veranlasste Newton durch besondere
Versuche die Unabhängigkeit der Schwerebeschleunigung
von der chemischen Beschaffenheit zu constatiren, wo-
durch neue Anhaltspunkte zur Klarlegung des Verhält-
nisses von Masse und Gewicht gewonnen wurden, wie
wir eingehender zeigen werden. Endlich wurde durch
Newton’s Leistungen die allgemeine Anwendbarkeit
des Galilei’schen Kraftbegriffes stärker fühlbar ge-
macht, als dies je zuvor geschehen war. Man konnte nicht
mehr glauben, dass dieser Begriff auf das Fallphänomen
und die nächstliegenden Vorgänge allein anwendbar sei.
Die Verallgemeinerung vollzog sich nun wie von selbst,
und ohne ein besonderes Aufsehen zu erregen.
5. Besprechen wir nun eingehender die Leistungen
Newton’s in Bezug auf die Principien der Mechanik.
Wir wollen uns hierbei zunächst den Anschauungen
Newton’s hingeben, dieselben dem Gefühl des Lesers
nahe zu bringen suchen, und nur ganz vorbereitende
kritische Bemerkungen machen, die eingehende Kritik
für eine spätere Stelle versparend. Als Hauptfort-
schritte gegen Galilei und Huyghens fallen uns beim
Durchblättern seines Werkes (Philos. natural. princip.
mathemat. Londini 1687) sofort folgende Punkte auf:
1) Die Verallgemeinerung des Kraftbegriffes.
2) Die Aufstellung des Begriffes Masse.
3) Die deutliche und allgemeine Formulirung des
Satzes vom Kräftenparallelogramm.
4) Die Aufstellung des Princips der Gleichheit von
Wirkung und Gegenwirkung.
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/191>, abgerufen am 24.11.2024.
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