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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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Apollonius durch Zeit und redliches Müh'n, die ge¬
kränkte Ehrsucht des Bruders durch äußere Unterord¬
nung zu versöhnen. War kein weiteres Hinderniß
vorhanden, durfte er hoffen, die Aufgabe, so schwer
sie schien, zu lösen. Aber was zwischen ihm und dem
Bruder stand, war ein Anderes, ein ganz Anderes, als
er meinte. Und daß er es nicht kannte, machte es nur
gefährlicher. Es war ein Argwohn, aus dem Bewußt¬
sein einer Schuld geboren, Was er that, die vermein¬
ten Hindernisse aus dem Weg zu räumen, mußte das
wirkliche nur wachsen machen. Wär er nicht zurück¬
gekommen! hätt' er dem Vater nicht gehorcht! wär' er
draußen geblieben in der Fremde!

An der Thurmspitze hängt das Fahrzeug; nun
wird es auch auf dem Kirchdach lebendig. Rüstige
Hände hämmern den Seilhacken in die Verschalung
und schleifen mit starkem Tau den Dachstuhl daran.
Er besteht in zwei Dreiecken, aus festen Bohlen zusam¬
mengezimmert. Der Neigungswinkel des Daches hat
das Verhältniß seiner Seiten bestimmt. Denn unten
liegt er strohumwunden in ganzer Breite auf der Dach¬
fläche auf, während er oben die queer übergelegten
Bretter wagrecht emporhält. Darauf steht oder kniet
der hämmernde Schieferdecker; neben ihm handrecht
hängt der Kasten für Nägel und Schieferplatten, mit
seiner Hackenspitze in die Verschalung eingetrieben.

Apollonius durch Zeit und redliches Müh'n, die ge¬
kränkte Ehrſucht des Bruders durch äußere Unterord¬
nung zu verſöhnen. War kein weiteres Hinderniß
vorhanden, durfte er hoffen, die Aufgabe, ſo ſchwer
ſie ſchien, zu löſen. Aber was zwiſchen ihm und dem
Bruder ſtand, war ein Anderes, ein ganz Anderes, als
er meinte. Und daß er es nicht kannte, machte es nur
gefährlicher. Es war ein Argwohn, aus dem Bewußt¬
ſein einer Schuld geboren, Was er that, die vermein¬
ten Hinderniſſe aus dem Weg zu räumen, mußte das
wirkliche nur wachſen machen. Wär er nicht zurück¬
gekommen! hätt' er dem Vater nicht gehorcht! wär' er
draußen geblieben in der Fremde!

An der Thurmſpitze hängt das Fahrzeug; nun
wird es auch auf dem Kirchdach lebendig. Rüſtige
Hände hämmern den Seilhacken in die Verſchalung
und ſchleifen mit ſtarkem Tau den Dachſtuhl daran.
Er beſteht in zwei Dreiecken, aus feſten Bohlen zuſam¬
mengezimmert. Der Neigungswinkel des Daches hat
das Verhältniß ſeiner Seiten beſtimmt. Denn unten
liegt er ſtrohumwunden in ganzer Breite auf der Dach¬
fläche auf, während er oben die queer übergelegten
Bretter wagrecht emporhält. Darauf ſteht oder kniet
der hämmernde Schieferdecker; neben ihm handrecht
hängt der Kaſten für Nägel und Schieferplatten, mit
ſeiner Hackenſpitze in die Verſchalung eingetrieben.

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[76/0085] Apollonius durch Zeit und redliches Müh'n, die ge¬ kränkte Ehrſucht des Bruders durch äußere Unterord¬ nung zu verſöhnen. War kein weiteres Hinderniß vorhanden, durfte er hoffen, die Aufgabe, ſo ſchwer ſie ſchien, zu löſen. Aber was zwiſchen ihm und dem Bruder ſtand, war ein Anderes, ein ganz Anderes, als er meinte. Und daß er es nicht kannte, machte es nur gefährlicher. Es war ein Argwohn, aus dem Bewußt¬ ſein einer Schuld geboren, Was er that, die vermein¬ ten Hinderniſſe aus dem Weg zu räumen, mußte das wirkliche nur wachſen machen. Wär er nicht zurück¬ gekommen! hätt' er dem Vater nicht gehorcht! wär' er draußen geblieben in der Fremde! An der Thurmſpitze hängt das Fahrzeug; nun wird es auch auf dem Kirchdach lebendig. Rüſtige Hände hämmern den Seilhacken in die Verſchalung und ſchleifen mit ſtarkem Tau den Dachſtuhl daran. Er beſteht in zwei Dreiecken, aus feſten Bohlen zuſam¬ mengezimmert. Der Neigungswinkel des Daches hat das Verhältniß ſeiner Seiten beſtimmt. Denn unten liegt er ſtrohumwunden in ganzer Breite auf der Dach¬ fläche auf, während er oben die queer übergelegten Bretter wagrecht emporhält. Darauf ſteht oder kniet der hämmernde Schieferdecker; neben ihm handrecht hängt der Kaſten für Nägel und Schieferplatten, mit ſeiner Hackenſpitze in die Verſchalung eingetrieben.

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/85>, abgerufen am 19.05.2024.