zu wirken wünschte. Er war immer freundlich und voll ritterlicher Achtung gegen sie. Das beruhigte sie wenigstens über die Furcht, die ihr bei seinem Sich¬ zurückziehn vor ihr am nächsten lag. Wie sie alle Tugenden, die sie kannte, in ihn hineingestellt wie in einen Heiligenschrein, hatte sie, die ihr die erste von allen war, die Wahrhaftigkeit nicht vergessen. Und so wußte sie, er zwang sich nicht, ihr Achtung zu zeigen, wenn er sie nicht empfand. Er scherzte selbst zuweilen, besonders, sah er ihren Blick ängstlich auf seinem immer bleichern Gesichte haften; aber sie merkte, daß trotzdem ihre Gesellschaft ihn nicht heiterer, nicht ge¬ sunder machte. Sie hätte ihn gern gefragt, was ihm fehle. Wenn er vor ihr stand, wagte sie es nicht. Wenn sie allein war, dann fragte sie ihn. Ganze Nächte sann sie auf Worte, ihm das Geständniß abzu¬ locken, und sprach mit ihm. Gewiß! hätte er sie weinen gehört, gehört, wie immer süßer und inniger sie schmeichelte und bat, die süßen Namen gehört, die sie gab, er hätte sagen müssen, was ihm fehlte. Ihr ganzes Leben war dann auf dem Wege zwischen Herz und Mund; trat es ihr einmal in's Ohr, hörte sie, was sie sprach, dann erröthete sie und flüchtete ihr Erröthen vor sich selbst und der lauschenden Nacht tief unter ihre Decke.
Dem alten braven Bauherrn vertraute sie ihre Sorge an. "Ist's ein Wunder," sagte der eifrig;
Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 18
zu wirken wünſchte. Er war immer freundlich und voll ritterlicher Achtung gegen ſie. Das beruhigte ſie wenigſtens über die Furcht, die ihr bei ſeinem Sich¬ zurückziehn vor ihr am nächſten lag. Wie ſie alle Tugenden, die ſie kannte, in ihn hineingeſtellt wie in einen Heiligenſchrein, hatte ſie, die ihr die erſte von allen war, die Wahrhaftigkeit nicht vergeſſen. Und ſo wußte ſie, er zwang ſich nicht, ihr Achtung zu zeigen, wenn er ſie nicht empfand. Er ſcherzte ſelbſt zuweilen, beſonders, ſah er ihren Blick ängſtlich auf ſeinem immer bleichern Geſichte haften; aber ſie merkte, daß trotzdem ihre Geſellſchaft ihn nicht heiterer, nicht ge¬ ſunder machte. Sie hätte ihn gern gefragt, was ihm fehle. Wenn er vor ihr ſtand, wagte ſie es nicht. Wenn ſie allein war, dann fragte ſie ihn. Ganze Nächte ſann ſie auf Worte, ihm das Geſtändniß abzu¬ locken, und ſprach mit ihm. Gewiß! hätte er ſie weinen gehört, gehört, wie immer ſüßer und inniger ſie ſchmeichelte und bat, die ſüßen Namen gehört, die ſie gab, er hätte ſagen müſſen, was ihm fehlte. Ihr ganzes Leben war dann auf dem Wege zwiſchen Herz und Mund; trat es ihr einmal in's Ohr, hörte ſie, was ſie ſprach, dann erröthete ſie und flüchtete ihr Erröthen vor ſich ſelbſt und der lauſchenden Nacht tief unter ihre Decke.
Dem alten braven Bauherrn vertraute ſie ihre Sorge an. „Iſt's ein Wunder,“ ſagte der eifrig;
Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 18
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zu wirken wünſchte. Er war immer freundlich und
voll ritterlicher Achtung gegen ſie. Das beruhigte ſie
wenigſtens über die Furcht, die ihr bei ſeinem Sich¬
zurückziehn vor ihr am nächſten lag. Wie ſie alle
Tugenden, die ſie kannte, in ihn hineingeſtellt wie in
einen Heiligenſchrein, hatte ſie, die ihr die erſte von
allen war, die Wahrhaftigkeit nicht vergeſſen. Und ſo
wußte ſie, er zwang ſich nicht, ihr Achtung zu zeigen,
wenn er ſie nicht empfand. Er ſcherzte ſelbſt zuweilen,
beſonders, ſah er ihren Blick ängſtlich auf ſeinem
immer bleichern Geſichte haften; aber ſie merkte, daß
trotzdem ihre Geſellſchaft ihn nicht heiterer, nicht ge¬
ſunder machte. Sie hätte ihn gern gefragt, was ihm
fehle. Wenn er vor ihr ſtand, wagte ſie es nicht.
Wenn ſie allein war, dann fragte ſie ihn. Ganze
Nächte ſann ſie auf Worte, ihm das Geſtändniß abzu¬
locken, und ſprach mit ihm. Gewiß! hätte er ſie weinen
gehört, gehört, wie immer ſüßer und inniger ſie ſchmeichelte
und bat, die ſüßen Namen gehört, die ſie gab, er hätte
ſagen müſſen, was ihm fehlte. Ihr ganzes Leben war
dann auf dem Wege zwiſchen Herz und Mund; trat
es ihr einmal in's Ohr, hörte ſie, was ſie ſprach, dann
erröthete ſie und flüchtete ihr Erröthen vor ſich ſelbſt
und der lauſchenden Nacht tief unter ihre Decke.
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Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 18
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/282>, abgerufen am 26.11.2024.
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