als hätt' er seinen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬ träumt und könne sich, nun er erwacht, auf den Traum kaum mehr besinnen. Als hätt' er nur geträumt, er sei ein Mann geworden in der Fremde. Als sei's ihm immer schon im Traum gekommen, er träume nur in der Fremde, um, wenn er daheim erwacht sei, davon erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei alledem in diesem Augenblicke der Aufregung seines ganzen Innern den Spinnenfaden nicht übersah, den die grüßende Luft von der Heimath her gegen seinen Rockkragen wehte, daß er die Thränen vorsichtig ab¬ trocknete, damit sie nicht auf das Halstuch fallen möchten und mit der eigensinnigsten Ausdauer erst die letzten, kleinsten Reste des Silberfadens entfernte, eh' er sich mit ganzer Seele seinem Heimathsgefühle überließ. Aber auch sein Hängen an der Heimath war ja zum Theile nur ein Ausfluß jenes eigensinnigen Sauberkeitsbedürf¬ nisses, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte, als Verunreinigung ansah; und wiederum entsprang jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu seiner Per¬ sönlichkeit stand. Das Kleid auf seinem Leibe war ihm ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten mußte.
Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬ rücken, der vorhin die Aussicht verengt hatte, blieb zur Seite liegen, und über jungem Wuchs stieg eine Thurm¬
als hätt' er ſeinen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬ träumt und könne ſich, nun er erwacht, auf den Traum kaum mehr beſinnen. Als hätt' er nur geträumt, er ſei ein Mann geworden in der Fremde. Als ſei's ihm immer ſchon im Traum gekommen, er träume nur in der Fremde, um, wenn er daheim erwacht ſei, davon erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei alledem in dieſem Augenblicke der Aufregung ſeines ganzen Innern den Spinnenfaden nicht überſah, den die grüßende Luft von der Heimath her gegen ſeinen Rockkragen wehte, daß er die Thränen vorſichtig ab¬ trocknete, damit ſie nicht auf das Halstuch fallen möchten und mit der eigenſinnigſten Ausdauer erſt die letzten, kleinſten Reſte des Silberfadens entfernte, eh' er ſich mit ganzer Seele ſeinem Heimathsgefühle überließ. Aber auch ſein Hängen an der Heimath war ja zum Theile nur ein Ausfluß jenes eigenſinnigen Sauberkeitsbedürf¬ niſſes, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte, als Verunreinigung anſah; und wiederum entſprang jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu ſeiner Per¬ ſönlichkeit ſtand. Das Kleid auf ſeinem Leibe war ihm ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten mußte.
Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬ rücken, der vorhin die Ausſicht verengt hatte, blieb zur Seite liegen, und über jungem Wuchs ſtieg eine Thurm¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0020"n="11"/>
als hätt' er ſeinen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬<lb/>
träumt und könne ſich, nun er erwacht, auf den Traum<lb/>
kaum mehr beſinnen. Als hätt' er nur geträumt, er<lb/>ſei ein Mann geworden in der Fremde. Als ſei's ihm<lb/>
immer ſchon im Traum gekommen, er träume nur in<lb/>
der Fremde, um, wenn er daheim erwacht ſei, davon<lb/>
erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei<lb/>
alledem in dieſem Augenblicke der Aufregung ſeines<lb/>
ganzen Innern den Spinnenfaden nicht überſah, den<lb/>
die grüßende Luft von der Heimath her gegen ſeinen<lb/>
Rockkragen wehte, daß er die Thränen vorſichtig ab¬<lb/>
trocknete, damit ſie nicht auf das Halstuch fallen möchten<lb/>
und mit der eigenſinnigſten Ausdauer erſt die letzten,<lb/>
kleinſten Reſte des Silberfadens entfernte, eh' er ſich<lb/>
mit ganzer Seele ſeinem Heimathsgefühle überließ. Aber<lb/>
auch ſein Hängen an der Heimath war ja zum Theile<lb/>
nur ein Ausfluß jenes eigenſinnigen Sauberkeitsbedürf¬<lb/>
niſſes, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte,<lb/>
als Verunreinigung anſah; und wiederum entſprang<lb/>
jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er<lb/>
Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu ſeiner Per¬<lb/>ſönlichkeit ſtand. Das Kleid auf ſeinem Leibe war ihm<lb/>
ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten<lb/>
mußte.</p><lb/><p>Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬<lb/>
rücken, der vorhin die Ausſicht verengt hatte, blieb zur<lb/>
Seite liegen, und über jungem Wuchs ſtieg eine Thurm¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[11/0020]
als hätt' er ſeinen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬
träumt und könne ſich, nun er erwacht, auf den Traum
kaum mehr beſinnen. Als hätt' er nur geträumt, er
ſei ein Mann geworden in der Fremde. Als ſei's ihm
immer ſchon im Traum gekommen, er träume nur in
der Fremde, um, wenn er daheim erwacht ſei, davon
erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei
alledem in dieſem Augenblicke der Aufregung ſeines
ganzen Innern den Spinnenfaden nicht überſah, den
die grüßende Luft von der Heimath her gegen ſeinen
Rockkragen wehte, daß er die Thränen vorſichtig ab¬
trocknete, damit ſie nicht auf das Halstuch fallen möchten
und mit der eigenſinnigſten Ausdauer erſt die letzten,
kleinſten Reſte des Silberfadens entfernte, eh' er ſich
mit ganzer Seele ſeinem Heimathsgefühle überließ. Aber
auch ſein Hängen an der Heimath war ja zum Theile
nur ein Ausfluß jenes eigenſinnigen Sauberkeitsbedürf¬
niſſes, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte,
als Verunreinigung anſah; und wiederum entſprang
jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er
Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu ſeiner Per¬
ſönlichkeit ſtand. Das Kleid auf ſeinem Leibe war ihm
ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten
mußte.
Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬
rücken, der vorhin die Ausſicht verengt hatte, blieb zur
Seite liegen, und über jungem Wuchs ſtieg eine Thurm¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/20>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.