wir verlassen. Er ist hochgewachsen wie dieser, aber nicht so stark. Er trägt die braunen Haare wie der Alte, am Hinterkopfe kurz geschoren, über der weißen hohen Stirn in eine sogenannte Schraube künstlich ge¬ dreht. Auf seinem Gesicht erscheint noch nicht die Strenge des Alten, und dem gutmüthigen Ausdrucke ist die Narbe getragenen Seelenschmerzes noch nicht eingeprägt. Keineswegs aber hat er die leichtsinnige Unbekümmert¬ heit, die sonst seinem Alter eigen, und auch nicht das bequeme, nachlässige Wesen, das dem fahrenden Hand¬ werksburschen so leicht zur Gewohnheit wird. Noch führt ihn die hohe Straße durch dichten Wald, aber die Klänge der Sankt Georgenglocken aus der tief unten liegenden Stadt steigen herauf an der waldigen Höhe und dringen durch Baum und Busch unhemmbar wie eine Mutter, die dem kommenden Liebling entgegenfliegt. Heimath! Was liegt in diesen zwei kleinen Sylben! Was alles steht auf im Menschenherzen, wenn die Stimme der Heimath, der Glockenton, dem aus der Fremde Kehrenden Willkommen ruft, der Ton, der das Kind in die Kirche, den Knaben zur Konfirmation und zum ersten Genusse des heiligen Males rief, der jede Viertelstunde zu ihm sprach! Im Gedanken Heimath umarmen sich all unsre guten Engel.
Unserm jungen Wanderer drangen Thränen aus den ernsten und doch so freundlichen Augen. Schämt' er sich nicht vor sich selbst, er hätte laut geweint. Er kam sich vor,
wir verlaſſen. Er iſt hochgewachſen wie dieſer, aber nicht ſo ſtark. Er trägt die braunen Haare wie der Alte, am Hinterkopfe kurz geſchoren, über der weißen hohen Stirn in eine ſogenannte Schraube künſtlich ge¬ dreht. Auf ſeinem Geſicht erſcheint noch nicht die Strenge des Alten, und dem gutmüthigen Ausdrucke iſt die Narbe getragenen Seelenſchmerzes noch nicht eingeprägt. Keineswegs aber hat er die leichtſinnige Unbekümmert¬ heit, die ſonſt ſeinem Alter eigen, und auch nicht das bequeme, nachläſſige Weſen, das dem fahrenden Hand¬ werksburſchen ſo leicht zur Gewohnheit wird. Noch führt ihn die hohe Straße durch dichten Wald, aber die Klänge der Sankt Georgenglocken aus der tief unten liegenden Stadt ſteigen herauf an der waldigen Höhe und dringen durch Baum und Buſch unhemmbar wie eine Mutter, die dem kommenden Liebling entgegenfliegt. Heimath! Was liegt in dieſen zwei kleinen Sylben! Was alles ſteht auf im Menſchenherzen, wenn die Stimme der Heimath, der Glockenton, dem aus der Fremde Kehrenden Willkommen ruft, der Ton, der das Kind in die Kirche, den Knaben zur Konfirmation und zum erſten Genuſſe des heiligen Males rief, der jede Viertelſtunde zu ihm ſprach! Im Gedanken Heimath umarmen ſich all unſre guten Engel.
Unſerm jungen Wanderer drangen Thränen aus den ernſten und doch ſo freundlichen Augen. Schämt' er ſich nicht vor ſich ſelbſt, er hätte laut geweint. Er kam ſich vor,
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wir verlaſſen. Er iſt hochgewachſen wie dieſer, aber
nicht ſo ſtark. Er trägt die braunen Haare wie der
Alte, am Hinterkopfe kurz geſchoren, über der weißen
hohen Stirn in eine ſogenannte Schraube künſtlich ge¬
dreht. Auf ſeinem Geſicht erſcheint noch nicht die Strenge
des Alten, und dem gutmüthigen Ausdrucke iſt die
Narbe getragenen Seelenſchmerzes noch nicht eingeprägt.
Keineswegs aber hat er die leichtſinnige Unbekümmert¬
heit, die ſonſt ſeinem Alter eigen, und auch nicht das
bequeme, nachläſſige Weſen, das dem fahrenden Hand¬
werksburſchen ſo leicht zur Gewohnheit wird. Noch
führt ihn die hohe Straße durch dichten Wald, aber
die Klänge der Sankt Georgenglocken aus der tief unten
liegenden Stadt ſteigen herauf an der waldigen Höhe
und dringen durch Baum und Buſch unhemmbar wie
eine Mutter, die dem kommenden Liebling entgegenfliegt.
Heimath! Was liegt in dieſen zwei kleinen Sylben!
Was alles ſteht auf im Menſchenherzen, wenn die
Stimme der Heimath, der Glockenton, dem aus der
Fremde Kehrenden Willkommen ruft, der Ton, der das
Kind in die Kirche, den Knaben zur Konfirmation und
zum erſten Genuſſe des heiligen Males rief, der jede
Viertelſtunde zu ihm ſprach! Im Gedanken Heimath
umarmen ſich all unſre guten Engel.
Unſerm jungen Wanderer drangen Thränen aus den
ernſten und doch ſo freundlichen Augen. Schämt' er ſich
nicht vor ſich ſelbſt, er hätte laut geweint. Er kam ſich vor,
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/19>, abgerufen am 21.11.2024.
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