spitze auf. Es war die Spitze des Sankt Georgen¬ thurms. Der junge Wanderer hielt den Schritt an. So natürlich es war, daß das höchste Gebäude der Stadt ihm zuerst und vor den übrigen sichtbar werden mußte, seine Sinnigkeit vergaß das über der innigen Bedeutung, die sie in den Umstand legte. Das Schiefer¬ dach der Kirche und des Thurms bedurfte einer Repa¬ ratur. Diese war seinem Vater übertragen worden und sie war der Grund, wenigstens der Vorwand, warum der Vater ihn früher aus der Fremde zurückrief, als er bei des Sohnes Abreise gewillt gewesen. Vielleicht morgen schon begann er seinen Theil Arbeit. Dort, senkrecht über dem weiten Bogen, durch den er die Glocken sich bewegen sah, war die Aussteigthüre an¬ gebracht. Dort sollten die beiden Balken sich heraus¬ schieben, um die Leiter zu tragen, auf der er empor¬ klimmte bis zur Helmstange, das Tau seines Fahrzeugs daran anzuknüpfen für die luftige Fahrt um das Dach. Und wie es seine Natur war, sich an die Gegenstände, mit denen er in Arbeitsberührung kommen sollte, mit festen Herzensfäden anzuspinnen, sah er in dem Auf¬ tauchen der Thurmspitze einen Gruß und griff unwill¬ kührlich in die Luft nach dem Grüßenden hin, als gält' es, eine freundlich dargebotene Hand zu drücken. Dann beschleunigte der Gedanke an die Arbeit seinen Schritt, bis ein Aushau im Walde und die Ankunft auf der
ſpitze auf. Es war die Spitze des Sankt Georgen¬ thurms. Der junge Wanderer hielt den Schritt an. So natürlich es war, daß das höchſte Gebäude der Stadt ihm zuerſt und vor den übrigen ſichtbar werden mußte, ſeine Sinnigkeit vergaß das über der innigen Bedeutung, die ſie in den Umſtand legte. Das Schiefer¬ dach der Kirche und des Thurms bedurfte einer Repa¬ ratur. Dieſe war ſeinem Vater übertragen worden und ſie war der Grund, wenigſtens der Vorwand, warum der Vater ihn früher aus der Fremde zurückrief, als er bei des Sohnes Abreiſe gewillt geweſen. Vielleicht morgen ſchon begann er ſeinen Theil Arbeit. Dort, ſenkrecht über dem weiten Bogen, durch den er die Glocken ſich bewegen ſah, war die Ausſteigthüre an¬ gebracht. Dort ſollten die beiden Balken ſich heraus¬ ſchieben, um die Leiter zu tragen, auf der er empor¬ klimmte bis zur Helmſtange, das Tau ſeines Fahrzeugs daran anzuknüpfen für die luftige Fahrt um das Dach. Und wie es ſeine Natur war, ſich an die Gegenſtände, mit denen er in Arbeitsberührung kommen ſollte, mit feſten Herzensfäden anzuſpinnen, ſah er in dem Auf¬ tauchen der Thurmſpitze einen Gruß und griff unwill¬ kührlich in die Luft nach dem Grüßenden hin, als gält' es, eine freundlich dargebotene Hand zu drücken. Dann beſchleunigte der Gedanke an die Arbeit ſeinen Schritt, bis ein Aushau im Walde und die Ankunft auf der
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ſpitze auf. Es war die Spitze des Sankt Georgen¬
thurms. Der junge Wanderer hielt den Schritt an.
So natürlich es war, daß das höchſte Gebäude der
Stadt ihm zuerſt und vor den übrigen ſichtbar werden
mußte, ſeine Sinnigkeit vergaß das über der innigen
Bedeutung, die ſie in den Umſtand legte. Das Schiefer¬
dach der Kirche und des Thurms bedurfte einer Repa¬
ratur. Dieſe war ſeinem Vater übertragen worden und
ſie war der Grund, wenigſtens der Vorwand, warum
der Vater ihn früher aus der Fremde zurückrief, als er
bei des Sohnes Abreiſe gewillt geweſen. Vielleicht
morgen ſchon begann er ſeinen Theil Arbeit. Dort,
ſenkrecht über dem weiten Bogen, durch den er die
Glocken ſich bewegen ſah, war die Ausſteigthüre an¬
gebracht. Dort ſollten die beiden Balken ſich heraus¬
ſchieben, um die Leiter zu tragen, auf der er empor¬
klimmte bis zur Helmſtange, das Tau ſeines Fahrzeugs
daran anzuknüpfen für die luftige Fahrt um das Dach.
Und wie es ſeine Natur war, ſich an die Gegenſtände,
mit denen er in Arbeitsberührung kommen ſollte, mit
feſten Herzensfäden anzuſpinnen, ſah er in dem Auf¬
tauchen der Thurmſpitze einen Gruß und griff unwill¬
kührlich in die Luft nach dem Grüßenden hin, als gält'
es, eine freundlich dargebotene Hand zu drücken. Dann
beſchleunigte der Gedanke an die Arbeit ſeinen Schritt,
bis ein Aushau im Walde und die Ankunft auf der
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/21>, abgerufen am 22.11.2024.
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