werde an das Bett treten und zu dem Kinde sprechen, wie sie, und durch das Kind mit ihr. Wie sie von ihm denken mochte, das Kind war doch sein Kind, und es war krank. Der Mann schwieg und blieb ruhig auf seinem Stuhle sitzen. Ein halb Vaterunser lang hörte man nichts, als das Ticken der Uhr. Und das wurde immer schneller, wie das Klopfen eines Men¬ schenherzens, das Schlimmes kommen ahnt. Die Flamme des Lichtes zuckte wie vor Furcht. Valentin stand auf von seinem Stuhle, um das Licht zu putzen. Die Brust des Kindes röchelte; es wollte sprechen, es konnte nicht. Es wollte mit den Händchen nach dem Vater langen; es konnte nicht. Es konnte nichts, als die Arme seiner Seele nach dem Vater ausstrecken. Aber des Vaters Seele sah die flehenden nicht. In ihren Händen hielt sie krampfhaft ihren Groll und hatte keine Hand frei für das Kind. Er hört das Röcheln, aber er weiß, das Kind ist abgerichtet von seinen Feinden. Es hat kein kindlich Herz gegen ihn; und wär's wirklich krank, so wär es absichtlich krank geworden, um ihn betrügen zu helfen. Und stürb's, so würde sein Sterben noch ein Kupplerdienst sein, den es seinen Feinden thut. Wär' sein Auge nicht selber so krank, daß es ihm außen nur immer das Eine zeigt, über dem seine Seele innen unablässig brütet, er müßte es am Gesichte der Mutter sehn, an dem Ton ihrer Stimme hören, sie verstellt sich nicht, das Kind ist
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werde an das Bett treten und zu dem Kinde ſprechen, wie ſie, und durch das Kind mit ihr. Wie ſie von ihm denken mochte, das Kind war doch ſein Kind, und es war krank. Der Mann ſchwieg und blieb ruhig auf ſeinem Stuhle ſitzen. Ein halb Vaterunſer lang hörte man nichts, als das Ticken der Uhr. Und das wurde immer ſchneller, wie das Klopfen eines Men¬ ſchenherzens, das Schlimmes kommen ahnt. Die Flamme des Lichtes zuckte wie vor Furcht. Valentin ſtand auf von ſeinem Stuhle, um das Licht zu putzen. Die Bruſt des Kindes röchelte; es wollte ſprechen, es konnte nicht. Es wollte mit den Händchen nach dem Vater langen; es konnte nicht. Es konnte nichts, als die Arme ſeiner Seele nach dem Vater ausſtrecken. Aber des Vaters Seele ſah die flehenden nicht. In ihren Händen hielt ſie krampfhaft ihren Groll und hatte keine Hand frei für das Kind. Er hört das Röcheln, aber er weiß, das Kind iſt abgerichtet von ſeinen Feinden. Es hat kein kindlich Herz gegen ihn; und wär's wirklich krank, ſo wär es abſichtlich krank geworden, um ihn betrügen zu helfen. Und ſtürb's, ſo würde ſein Sterben noch ein Kupplerdienſt ſein, den es ſeinen Feinden thut. Wär' ſein Auge nicht ſelber ſo krank, daß es ihm außen nur immer das Eine zeigt, über dem ſeine Seele innen unabläſſig brütet, er müßte es am Geſichte der Mutter ſehn, an dem Ton ihrer Stimme hören, ſie verſtellt ſich nicht, das Kind iſt
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werde an das Bett treten und zu dem Kinde ſprechen,
wie ſie, und durch das Kind mit ihr. Wie ſie von
ihm denken mochte, das Kind war doch ſein Kind, und
es war krank. Der Mann ſchwieg und blieb ruhig
auf ſeinem Stuhle ſitzen. Ein halb Vaterunſer lang
hörte man nichts, als das Ticken der Uhr. Und das
wurde immer ſchneller, wie das Klopfen eines Men¬
ſchenherzens, das Schlimmes kommen ahnt. Die
Flamme des Lichtes zuckte wie vor Furcht. Valentin
ſtand auf von ſeinem Stuhle, um das Licht zu putzen.
Die Bruſt des Kindes röchelte; es wollte ſprechen, es
konnte nicht. Es wollte mit den Händchen nach dem
Vater langen; es konnte nicht. Es konnte nichts, als
die Arme ſeiner Seele nach dem Vater ausſtrecken.
Aber des Vaters Seele ſah die flehenden nicht. In
ihren Händen hielt ſie krampfhaft ihren Groll und
hatte keine Hand frei für das Kind. Er hört das
Röcheln, aber er weiß, das Kind iſt abgerichtet von
ſeinen Feinden. Es hat kein kindlich Herz gegen ihn;
und wär's wirklich krank, ſo wär es abſichtlich krank
geworden, um ihn betrügen zu helfen. Und ſtürb's,
ſo würde ſein Sterben noch ein Kupplerdienſt ſein, den
es ſeinen Feinden thut. Wär' ſein Auge nicht ſelber
ſo krank, daß es ihm außen nur immer das Eine zeigt,
über dem ſeine Seele innen unabläſſig brütet, er müßte
es am Geſichte der Mutter ſehn, an dem Ton ihrer
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/172>, abgerufen am 04.12.2024.
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