wirklich krank und sehr krank. Aber ihre Weichheit, ihre Angst ist ihm nur die Angst ihres Gewissens, die Angst vor seiner Strafe, die sie verdient fühlt und doch entwaffnen will. Valentin tritt von dem Lichte weg und geht hinaus, um sich draußen auszuweinen. Der Mann steht auf und nähert sich leise der Frau, ohne daß sie ihn bemerkt. Er will sie überraschen und das gelingt ihm. Sie erschrickt, wie sie plötzlich über dem Bette jäh vor sich ein entstelltes Menschenantlitz sieht. Sie erschrickt, und er preßt durch die Zähne: "Du erschrickst? Weißt du warum?" Sie hat ihm selber sagen wollen, daß Apollonius in der Stube gewesen ist, aber noch hat sie es nicht gekonnt. Vor dem Bette des kranken Kindes durfte sie's nicht; weil sie weiß, er wird auffahren. Den Anblick seiner Rohheit hat sie dem Kinde erspart, als es noch gesund war, wenn sie es vermochte; jetzt konnte der Schreck dem kranken Kinde den Tod bringen. Sie antwortet ihm nicht, aber sie sieht ihn flehend an und zeigt mit einem Augenwinke auf das Kind. "Er war da! War er nicht da?" fragte er; nicht um zu erfahren, wonach er fragt, sondern um zu zeigen, daß er's nicht erst zu er¬ fahren braucht. Und seine Faust hebt sich geballt. Aennchen kämpft, sich aufzurichten. Er sieht es nicht. Die Frau sieht es; ihre Angst wächst. Sie schlägt die Hände zusammen. Sie sieht ihn mit einem Blicke an, in dem Alles steht, was ein Weib versprechen, was
wirklich krank und ſehr krank. Aber ihre Weichheit, ihre Angſt iſt ihm nur die Angſt ihres Gewiſſens, die Angſt vor ſeiner Strafe, die ſie verdient fühlt und doch entwaffnen will. Valentin tritt von dem Lichte weg und geht hinaus, um ſich draußen auszuweinen. Der Mann ſteht auf und nähert ſich leiſe der Frau, ohne daß ſie ihn bemerkt. Er will ſie überraſchen und das gelingt ihm. Sie erſchrickt, wie ſie plötzlich über dem Bette jäh vor ſich ein entſtelltes Menſchenantlitz ſieht. Sie erſchrickt, und er preßt durch die Zähne: „Du erſchrickſt? Weißt du warum?“ Sie hat ihm ſelber ſagen wollen, daß Apollonius in der Stube geweſen iſt, aber noch hat ſie es nicht gekonnt. Vor dem Bette des kranken Kindes durfte ſie's nicht; weil ſie weiß, er wird auffahren. Den Anblick ſeiner Rohheit hat ſie dem Kinde erſpart, als es noch geſund war, wenn ſie es vermochte; jetzt konnte der Schreck dem kranken Kinde den Tod bringen. Sie antwortet ihm nicht, aber ſie ſieht ihn flehend an und zeigt mit einem Augenwinke auf das Kind. „Er war da! War er nicht da?“ fragte er; nicht um zu erfahren, wonach er fragt, ſondern um zu zeigen, daß er's nicht erſt zu er¬ fahren braucht. Und ſeine Fauſt hebt ſich geballt. Aennchen kämpft, ſich aufzurichten. Er ſieht es nicht. Die Frau ſieht es; ihre Angſt wächſt. Sie ſchlägt die Hände zuſammen. Sie ſieht ihn mit einem Blicke an, in dem Alles ſteht, was ein Weib verſprechen, was
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ihre Angſt iſt ihm nur die Angſt ihres Gewiſſens, die
Angſt vor ſeiner Strafe, die ſie verdient fühlt und doch
entwaffnen will. Valentin tritt von dem Lichte weg
und geht hinaus, um ſich draußen auszuweinen. Der
Mann ſteht auf und nähert ſich leiſe der Frau, ohne
daß ſie ihn bemerkt. Er will ſie überraſchen und das
gelingt ihm. Sie erſchrickt, wie ſie plötzlich über dem
Bette jäh vor ſich ein entſtelltes Menſchenantlitz ſieht.
Sie erſchrickt, und er preßt durch die Zähne: „Du
erſchrickſt? Weißt du warum?“ Sie hat ihm ſelber
ſagen wollen, daß Apollonius in der Stube geweſen
iſt, aber noch hat ſie es nicht gekonnt. Vor dem
Bette des kranken Kindes durfte ſie's nicht; weil ſie
weiß, er wird auffahren. Den Anblick ſeiner Rohheit
hat ſie dem Kinde erſpart, als es noch geſund war,
wenn ſie es vermochte; jetzt konnte der Schreck dem
kranken Kinde den Tod bringen. Sie antwortet ihm
nicht, aber ſie ſieht ihn flehend an und zeigt mit einem
Augenwinke auf das Kind. „Er war da! War er
nicht da?“ fragte er; nicht um zu erfahren, wonach er
fragt, ſondern um zu zeigen, daß er's nicht erſt zu er¬
fahren braucht. Und ſeine Fauſt hebt ſich geballt.
Aennchen kämpft, ſich aufzurichten. Er ſieht es nicht.
Die Frau ſieht es; ihre Angſt wächſt. Sie ſchlägt
die Hände zuſammen. Sie ſieht ihn mit einem Blicke
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/173>, abgerufen am 04.12.2024.
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