ich hab' schon keinen Verstand mehr! Ich glaub' schon Alles, was ihr mir sagt!"
Fritz Nettenmair war in der Vergeßlichkeit der Lei¬ denschaft überzeugt, die Beiden hatten das Märchen von der Abneigung erfunden.
Apollonius stand erschrocken. Er mußte sich sagen, was er nicht glauben wollte. Der Bruder las in sei¬ nem Gesichte Schrecken über ein aufdämmerndes Licht, Unwille und Schmerz über Verkennung. Und es war Alles so wahr, was er sah, daß selbst er es glauben mußte. Er verstummte vor den Gedanken, die wie Blitze ihm durch das Hirn schlugen. So war's doch noch zu verhindern gewesen! noch aufzuhalten, was kommen mußte! Und wieder war er selbst -- Aber Apollonius -- das sah er trotz seiner Verwirrung -- zweifelte noch und konnte nicht glauben. So war sein Wahnsinn wohl noch gut zu machen, so war's viel¬ leicht noch zu verhindern, war noch aufzuhalten, was kommen mußte, und wenn auch nur für heut und mor¬ gen noch. Aber wie? wenn er einen wilden Scherz daraus machte? Dergleichen Scherze fielen an ihm nicht auf, und Apollonius war ihm ja schon wieder der Träumer geworden, der Alles glaubte, was man ihm sagte. Und er selber wieder einer, der das Leben kennt, der mit Träumern umzugehen weiß. Er mußte es we¬ nigstens versuchen. Aber schnell, eh' Apollonius die Fremdheit des Gedankens überwunden, mit dem er
ich hab' ſchon keinen Verſtand mehr! Ich glaub' ſchon Alles, was ihr mir ſagt!“
Fritz Nettenmair war in der Vergeßlichkeit der Lei¬ denſchaft überzeugt, die Beiden hatten das Märchen von der Abneigung erfunden.
Apollonius ſtand erſchrocken. Er mußte ſich ſagen, was er nicht glauben wollte. Der Bruder las in ſei¬ nem Geſichte Schrecken über ein aufdämmerndes Licht, Unwille und Schmerz über Verkennung. Und es war Alles ſo wahr, was er ſah, daß ſelbſt er es glauben mußte. Er verſtummte vor den Gedanken, die wie Blitze ihm durch das Hirn ſchlugen. So war's doch noch zu verhindern geweſen! noch aufzuhalten, was kommen mußte! Und wieder war er ſelbſt — Aber Apollonius — das ſah er trotz ſeiner Verwirrung — zweifelte noch und konnte nicht glauben. So war ſein Wahnſinn wohl noch gut zu machen, ſo war's viel¬ leicht noch zu verhindern, war noch aufzuhalten, was kommen mußte, und wenn auch nur für heut und mor¬ gen noch. Aber wie? wenn er einen wilden Scherz daraus machte? Dergleichen Scherze fielen an ihm nicht auf, und Apollonius war ihm ja ſchon wieder der Träumer geworden, der Alles glaubte, was man ihm ſagte. Und er ſelber wieder einer, der das Leben kennt, der mit Träumern umzugehen weiß. Er mußte es we¬ nigſtens verſuchen. Aber ſchnell, eh' Apollonius die Fremdheit des Gedankens überwunden, mit dem er
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ich hab' ſchon keinen Verſtand mehr! Ich glaub' ſchon
Alles, was ihr mir ſagt!“
Fritz Nettenmair war in der Vergeßlichkeit der Lei¬
denſchaft überzeugt, die Beiden hatten das Märchen
von der Abneigung erfunden.
Apollonius ſtand erſchrocken. Er mußte ſich ſagen,
was er nicht glauben wollte. Der Bruder las in ſei¬
nem Geſichte Schrecken über ein aufdämmerndes Licht,
Unwille und Schmerz über Verkennung. Und es war
Alles ſo wahr, was er ſah, daß ſelbſt er es glauben
mußte. Er verſtummte vor den Gedanken, die wie
Blitze ihm durch das Hirn ſchlugen. So war's doch
noch zu verhindern geweſen! noch aufzuhalten, was
kommen mußte! Und wieder war er ſelbſt — Aber
Apollonius — das ſah er trotz ſeiner Verwirrung —
zweifelte noch und konnte nicht glauben. So war ſein
Wahnſinn wohl noch gut zu machen, ſo war's viel¬
leicht noch zu verhindern, war noch aufzuhalten, was
kommen mußte, und wenn auch nur für heut und mor¬
gen noch. Aber wie? wenn er einen wilden Scherz
daraus machte? Dergleichen Scherze fielen an ihm
nicht auf, und Apollonius war ihm ja ſchon wieder der
Träumer geworden, der Alles glaubte, was man ihm
ſagte. Und er ſelber wieder einer, der das Leben kennt,
der mit Träumern umzugehen weiß. Er mußte es we¬
nigſtens verſuchen. Aber ſchnell, eh' Apollonius die
Fremdheit des Gedankens überwunden, mit dem er
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/160>, abgerufen am 04.12.2024.
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