die aus der Liebe und dem Hasse, die Gott verbot, ein Recht machen wollten, zu schrecklich klugen, verfüh¬ rerisch flüsternden, wilden, heißen, verbrecherischen Ge¬ danken. Und wies sie diese schaudernd von sich, dann sah sie unabsichtliche Sünde unabwendbar droh'n. Mit entsetzlich süßem Bangen wußte sie den Mann so nah, der ihr fremd sein sollte, der ihr nicht fremd war, vor dem sie in der Angst ihrer Schwäche keine Rettung sah. Sie floh vor ihm, vor sich selbst, in die Kammer, wo ihre Kinder schliefen, wo ihre Mutter gestorben war. Dorthin, wo ihr so heilig wurde, hörte sie das leise Regen der unschuldig schlummernden Leben, zu deren Hüterin sie Gott gesezt; die ruhigen Hauche hinflüstern durch die stille, dunkle Nacht. Jeder Hauch ein sorg¬ los süß aufgelöstes Sichbefehlen an die unbekannte Macht, die das All in ihren Mutterarmen trägt. Sie ging von Bett zu Bett, und lag knieend regungslos davor, und legte die Stirn an die scharfen Brettkanten. Vom Sankt Georgenthurme her klangen die Glocken, wie sie der Schritt der Zeit berührte; und er hielt nicht an im Wandern. Es schlug Viertel, Halb, Dreiviertel, Ganz, und wieder Viertel, und wieder Halb. Das leise Weh'n der schlummernden Kinderseelen zitterte um sie. Sie lag, die heißen Hände gefalten, lange, lang. Da stieg's empor aus dem leisen Weben, silbern wie ein Ostermorgenglockenklang. Was fürchtest du dich vor ihm? Und sie sah all' ihre Engel um sich knieen,
die aus der Liebe und dem Haſſe, die Gott verbot, ein Recht machen wollten, zu ſchrecklich klugen, verfüh¬ reriſch flüſternden, wilden, heißen, verbrecheriſchen Ge¬ danken. Und wies ſie dieſe ſchaudernd von ſich, dann ſah ſie unabſichtliche Sünde unabwendbar droh'n. Mit entſetzlich ſüßem Bangen wußte ſie den Mann ſo nah, der ihr fremd ſein ſollte, der ihr nicht fremd war, vor dem ſie in der Angſt ihrer Schwäche keine Rettung ſah. Sie floh vor ihm, vor ſich ſelbſt, in die Kammer, wo ihre Kinder ſchliefen, wo ihre Mutter geſtorben war. Dorthin, wo ihr ſo heilig wurde, hörte ſie das leiſe Regen der unſchuldig ſchlummernden Leben, zu deren Hüterin ſie Gott geſezt; die ruhigen Hauche hinflüſtern durch die ſtille, dunkle Nacht. Jeder Hauch ein ſorg¬ los ſüß aufgelöſtes Sichbefehlen an die unbekannte Macht, die das All in ihren Mutterarmen trägt. Sie ging von Bett zu Bett, und lag knieend regungslos davor, und legte die Stirn an die ſcharfen Brettkanten. Vom Sankt Georgenthurme her klangen die Glocken, wie ſie der Schritt der Zeit berührte; und er hielt nicht an im Wandern. Es ſchlug Viertel, Halb, Dreiviertel, Ganz, und wieder Viertel, und wieder Halb. Das leiſe Weh'n der ſchlummernden Kinderſeelen zitterte um ſie. Sie lag, die heißen Hände gefalten, lange, lang. Da ſtieg's empor aus dem leiſen Weben, ſilbern wie ein Oſtermorgenglockenklang. Was fürchteſt du dich vor ihm? Und ſie ſah all' ihre Engel um ſich knieen,
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die aus der Liebe und dem Haſſe, die Gott verbot, ein
Recht machen wollten, zu ſchrecklich klugen, verfüh¬
reriſch flüſternden, wilden, heißen, verbrecheriſchen Ge¬
danken. Und wies ſie dieſe ſchaudernd von ſich, dann
ſah ſie unabſichtliche Sünde unabwendbar droh'n. Mit
entſetzlich ſüßem Bangen wußte ſie den Mann ſo nah,
der ihr fremd ſein ſollte, der ihr nicht fremd war, vor
dem ſie in der Angſt ihrer Schwäche keine Rettung
ſah. Sie floh vor ihm, vor ſich ſelbſt, in die Kammer,
wo ihre Kinder ſchliefen, wo ihre Mutter geſtorben war.
Dorthin, wo ihr ſo heilig wurde, hörte ſie das leiſe
Regen der unſchuldig ſchlummernden Leben, zu deren
Hüterin ſie Gott geſezt; die ruhigen Hauche hinflüſtern
durch die ſtille, dunkle Nacht. Jeder Hauch ein ſorg¬
los ſüß aufgelöſtes Sichbefehlen an die unbekannte
Macht, die das All in ihren Mutterarmen trägt. Sie
ging von Bett zu Bett, und lag knieend regungslos
davor, und legte die Stirn an die ſcharfen Brettkanten.
Vom Sankt Georgenthurme her klangen die Glocken,
wie ſie der Schritt der Zeit berührte; und er hielt nicht
an im Wandern. Es ſchlug Viertel, Halb, Dreiviertel,
Ganz, und wieder Viertel, und wieder Halb. Das
leiſe Weh'n der ſchlummernden Kinderſeelen zitterte um
ſie. Sie lag, die heißen Hände gefalten, lange, lang.
Da ſtieg's empor aus dem leiſen Weben, ſilbern wie
ein Oſtermorgenglockenklang. Was fürchteſt du dich
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/135>, abgerufen am 22.11.2024.
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