Himmel lacht und goldene Höh'n. Und immer weiter wird der Blick, und wie der Schleier wogend tief und tiefer sinkt, steigen rauschende Wälder auf, grüne Wie¬ sen mit ihrem Blumenschmelz, trauliche Gärten mit laubigen Schatten, Häuser mit glücklichen Menschen. O es war eine Welt von Glück, von Lachen und Wei¬ nen vor Glück, die aus den Thränen stieg, jede färbte sie regenbogenglänzender, jede rief: sie war dein, und die letzte jammerte: und sie ist dir gestohlen! Die Blume war von ihr; er trug sie auf seiner Brust in Sehnsucht, Hoffen und Fürchten, bis die des Bruders war, deren er dabei gedachte. Dann warf er sie, die Botin des Glückes, dem geschiedenen nach. Er war so brav, daß er für Sünde hielt, die arme Blume dem vorzuenthalten, der ihm die Geberin gestohlen. Und an solchem Manne hätte sie hängen dürfen, mit allen Pulsen sich in ihn drängen, ihn mit tausend Armen der Sehnsucht umschlingen zum Nimmerwiederfahrenlassen! Sie hätte es gekonnt, gedurft, gesollt! es wär' nicht Sünde gewesen, wenn sie es that; es wäre Sünde gewesen, that sie es nicht. Und nun wär's Sünde, weil der sie und ihn betrogen, der sie nun quälte um das, was er zur Sünde gemacht? Der sie zur Sünde zwang; denn er zwang sie, ihn zu hassen; und auch das war Sünde, und durch seine Schuld. Der sie zwang -- er zwang sie zu mehr, zu Gedanken, die mit Gott im Himmel hadern wollten, zu Gedanken,
Himmel lacht und goldene Höh'n. Und immer weiter wird der Blick, und wie der Schleier wogend tief und tiefer ſinkt, ſteigen rauſchende Wälder auf, grüne Wie¬ ſen mit ihrem Blumenſchmelz, trauliche Gärten mit laubigen Schatten, Häuſer mit glücklichen Menſchen. O es war eine Welt von Glück, von Lachen und Wei¬ nen vor Glück, die aus den Thränen ſtieg, jede färbte ſie regenbogenglänzender, jede rief: ſie war dein, und die letzte jammerte: und ſie iſt dir geſtohlen! Die Blume war von ihr; er trug ſie auf ſeiner Bruſt in Sehnſucht, Hoffen und Fürchten, bis die des Bruders war, deren er dabei gedachte. Dann warf er ſie, die Botin des Glückes, dem geſchiedenen nach. Er war ſo brav, daß er für Sünde hielt, die arme Blume dem vorzuenthalten, der ihm die Geberin geſtohlen. Und an ſolchem Manne hätte ſie hängen dürfen, mit allen Pulſen ſich in ihn drängen, ihn mit tauſend Armen der Sehnſucht umſchlingen zum Nimmerwiederfahrenlaſſen! Sie hätte es gekonnt, gedurft, geſollt! es wär' nicht Sünde geweſen, wenn ſie es that; es wäre Sünde geweſen, that ſie es nicht. Und nun wär's Sünde, weil der ſie und ihn betrogen, der ſie nun quälte um das, was er zur Sünde gemacht? Der ſie zur Sünde zwang; denn er zwang ſie, ihn zu haſſen; und auch das war Sünde, und durch ſeine Schuld. Der ſie zwang — er zwang ſie zu mehr, zu Gedanken, die mit Gott im Himmel hadern wollten, zu Gedanken,
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Himmel lacht und goldene Höh'n. Und immer weiter
wird der Blick, und wie der Schleier wogend tief und
tiefer ſinkt, ſteigen rauſchende Wälder auf, grüne Wie¬
ſen mit ihrem Blumenſchmelz, trauliche Gärten mit
laubigen Schatten, Häuſer mit glücklichen Menſchen.
O es war eine Welt von Glück, von Lachen und Wei¬
nen vor Glück, die aus den Thränen ſtieg, jede färbte
ſie regenbogenglänzender, jede rief: ſie war dein, und
die letzte jammerte: und ſie iſt dir geſtohlen! Die
Blume war von ihr; er trug ſie auf ſeiner Bruſt in
Sehnſucht, Hoffen und Fürchten, bis die des Bruders
war, deren er dabei gedachte. Dann warf er ſie, die
Botin des Glückes, dem geſchiedenen nach. Er war
ſo brav, daß er für Sünde hielt, die arme Blume dem
vorzuenthalten, der ihm die Geberin geſtohlen. Und
an ſolchem Manne hätte ſie hängen dürfen, mit allen
Pulſen ſich in ihn drängen, ihn mit tauſend Armen der
Sehnſucht umſchlingen zum Nimmerwiederfahrenlaſſen!
Sie hätte es gekonnt, gedurft, geſollt! es wär' nicht
Sünde geweſen, wenn ſie es that; es wäre Sünde
geweſen, that ſie es nicht. Und nun wär's Sünde,
weil der ſie und ihn betrogen, der ſie nun quälte um
das, was er zur Sünde gemacht? Der ſie zur Sünde
zwang; denn er zwang ſie, ihn zu haſſen; und auch
das war Sünde, und durch ſeine Schuld. Der ſie
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/134>, abgerufen am 25.11.2024.
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