Tadelsucht über andere, (welches bey denen Apostolischen Christen nicht ware, indem sie vielmehr einen Heyden mit tausend liebes Thränen überschütteten, und die harteste Hertzen zur Busse einschmeltz- ten) verbindet JESUM die Seele zu verlassen, wann er je seine Ehre behaupten will, daß ers allein seye, der Leben, Fried und Heyl schencke; Und da isset die Seele vom Baum der Erkanntnuß des Guten und Bösen; des Guten, (sage ich,) das sie verlohren und nicht wieder haben kan, und des Bösen, so sich wieder mäch- tig in ihr reget; Da sie hingegen in der Demuth immer vom Baum des Lebens JESU gegessen hatte. So ists manchem Heiligen er- gangen; GOTT will Armuth und Kleinheit von uns haben, Hoch- muth, und Geringachtung des Nächsten kan und mag er gantz und gar nicht leiden.
Geistliche Gaben hingegen müssen nicht nur empfan- gen, son- dern auch anderen mitgethei- let wer- den.
§. 8. Ein Glaubiger ist einer Brunn-Röhren gleich, die gar leicht verstopfft werden kan von einem Stein der Hartigkeit, vom Koth irrdischer Begierden, vom Schleim eiteler selbst-liebiger Ge- dancken, oder von dem groben Holtz des Unglaubens; Derowegen muß niemand sich des Wassers in Eigenheit anmassen, noch auch bey sich behalten wollen, sondern immer von sich ausgiessen, dann also bleibt sie immer feucht, und geneußt stets ewiges Leben, da hingegen, wo sie das Wasser nicht wollte lassen von sich ausfliessen aus närrischer Beysorg, die Quell möchte sich etwann nicht allezeit wollen mittheilen, so würde sich das Wasser zuruck ziehen nach der Quell, und die Röhr trocken lassen, welche endlich als unnütz gar zerbrochen würde; Ach! Wie lang gehets, ehe uns JESUS nach seinem Sinn hat, daß wir in seinem Königreich recht brauch- bar und nutzlich seyen, ehe wir in dem Tigel, vom Feuer mancher- ley Versuchungen geläuteret, geschmoltzen, stille wie ein Stern- gläntzendes Gold seyen, darinn die Perl leuchten, wohnen und würcken könne, in sanffter Sabbaths-Ruhe.
Das
Betrachtungen
Tadelſucht uͤber andere, (welches bey denen Apoſtoliſchen Chriſten nicht ware, indem ſie vielmehr einen Heyden mit tauſend liebes Thraͤnen uͤberſchuͤtteten, und die harteſte Hertzen zur Buſſe einſchmeltz- ten) verbindet JESUM die Seele zu verlaſſen, wann er je ſeine Ehre behaupten will, daß ers allein ſeye, der Leben, Fried und Heyl ſchencke; Und da iſſet die Seele vom Baum der Erkanntnuß des Guten und Boͤſen; des Guten, (ſage ich,) das ſie verlohren und nicht wieder haben kan, und des Boͤſen, ſo ſich wieder maͤch- tig in ihr reget; Da ſie hingegen in der Demuth immer vom Baum des Lebens JESU gegeſſen hatte. So iſts manchem Heiligen er- gangen; GOTT will Armuth und Kleinheit von uns haben, Hoch- muth, und Geringachtung des Naͤchſten kan und mag er gantz und gar nicht leiden.
Geiſtliche Gaben hingegen muͤſſen nicht nur empfan- gen, ſon- dern auch anderen mitgethei- let wer- den.
§. 8. Ein Glaubiger iſt einer Brunn-Roͤhren gleich, die gar leicht verſtopfft werden kan von einem Stein der Hartigkeit, vom Koth irrdiſcher Begierden, vom Schleim eiteler ſelbſt-liebiger Ge- dancken, oder von dem groben Holtz des Unglaubens; Derowegen muß niemand ſich des Waſſers in Eigenheit anmaſſen, noch auch bey ſich behalten wollen, ſondern immer von ſich ausgieſſen, dann alſo bleibt ſie immer feucht, und geneußt ſtets ewiges Leben, da hingegen, wo ſie das Waſſer nicht wollte laſſen von ſich ausflieſſen aus naͤrriſcher Beyſorg, die Quell moͤchte ſich etwann nicht allezeit wollen mittheilen, ſo wuͤrde ſich das Waſſer zuruck ziehen nach der Quell, und die Roͤhr trocken laſſen, welche endlich als unnuͤtz gar zerbrochen wuͤrde; Ach! Wie lang gehets, ehe uns JESUS nach ſeinem Sinn hat, daß wir in ſeinem Koͤnigreich recht brauch- bar und nutzlich ſeyen, ehe wir in dem Tigel, vom Feuer mancher- ley Verſuchungen gelaͤuteret, geſchmoltzen, ſtille wie ein Stern- glaͤntzendes Gold ſeyen, darinn die Perl leuchten, wohnen und wuͤrcken koͤnne, in ſanffter Sabbaths-Ruhe.
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Betrachtungen
Tadelſucht uͤber andere, (welches bey denen Apoſtoliſchen Chriſten
nicht ware, indem ſie vielmehr einen Heyden mit tauſend liebes
Thraͤnen uͤberſchuͤtteten, und die harteſte Hertzen zur Buſſe einſchmeltz-
ten) verbindet JESUM die Seele zu verlaſſen, wann er je ſeine
Ehre behaupten will, daß ers allein ſeye, der Leben, Fried und Heyl
ſchencke; Und da iſſet die Seele vom Baum der Erkanntnuß des
Guten und Boͤſen; des Guten, (ſage ich,) das ſie verlohren
und nicht wieder haben kan, und des Boͤſen, ſo ſich wieder maͤch-
tig in ihr reget; Da ſie hingegen in der Demuth immer vom Baum
des Lebens JESU gegeſſen hatte. So iſts manchem Heiligen er-
gangen; GOTT will Armuth und Kleinheit von uns haben, Hoch-
muth, und Geringachtung des Naͤchſten kan und mag er gantz und
gar nicht leiden.
§. 8. Ein Glaubiger iſt einer Brunn-Roͤhren gleich, die gar
leicht verſtopfft werden kan von einem Stein der Hartigkeit, vom
Koth irrdiſcher Begierden, vom Schleim eiteler ſelbſt-liebiger Ge-
dancken, oder von dem groben Holtz des Unglaubens; Derowegen
muß niemand ſich des Waſſers in Eigenheit anmaſſen, noch auch
bey ſich behalten wollen, ſondern immer von ſich ausgieſſen, dann
alſo bleibt ſie immer feucht, und geneußt ſtets ewiges Leben, da
hingegen, wo ſie das Waſſer nicht wollte laſſen von ſich ausflieſſen
aus naͤrriſcher Beyſorg, die Quell moͤchte ſich etwann nicht allezeit
wollen mittheilen, ſo wuͤrde ſich das Waſſer zuruck ziehen nach der
Quell, und die Roͤhr trocken laſſen, welche endlich als unnuͤtz gar
zerbrochen wuͤrde; Ach! Wie lang gehets, ehe uns JESUS
nach ſeinem Sinn hat, daß wir in ſeinem Koͤnigreich recht brauch-
bar und nutzlich ſeyen, ehe wir in dem Tigel, vom Feuer mancher-
ley Verſuchungen gelaͤuteret, geſchmoltzen, ſtille wie ein Stern-
glaͤntzendes Gold ſeyen, darinn die Perl leuchten, wohnen und
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 888. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/984>, abgerufen am 21.11.2024.
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