"großmüthigem Mitleiden beweinten sie ihren betrübten und elen- "den Zustand, daß auch die Heydnische Welt darüber erstaunete, "und nun bereit ware diejenige vor Engel anzusehen, welche sie kurtz "zuvor vor Teufel gehalten hatte.
"Jtem, zanckte ein Nachbar mit dem anderen, daß sie darüber "in Streit und Feindschafft geriethen, so wurden sie so lang von "denen Gebetts-Versammlungen ausgeschlossen, biß sie sich hertzlich "miteinander wieder vereiniget hatten; diß wurde dazumahl vor ein "grosse und schwehre Straff gehalten, und den Leuten war so wehe "bey dieser Absönderung, daß die Forcht vor derselbigen ihnen allen "Grimm vertriebe, und sie sich lieber Unrecht thun, als zu solcher "Kirchen-Zucht kommen liessen. Wann sie geschlagen wurden, "schlugen sie nicht wieder, betrog sie jemand, so betrogen sie nicht "wieder; eine unrechtmäßige Verläumdung nahmen sie vor ein "Stück der Marter an, und ertrugen sie deßhalben gantz ge- "lassen".
Solle ei- nem Lust machen ih- nen in der Liebe der Feinden gleich zu kommen.
§. 6. Mein lieber Leser! Macht dir das nicht Lust auch ein solcher und einer von diesen alten rechtschaffenen Christen zu werden? So must du dann auch wie sie dich deß Todes Christi fleißig erinneren, und sein Creutz viel köstlicher achten als die schönsten Edel-Gestein; Pein, Marter, Schand und Verachtung must du deinem Hertzen angenehm, gemein und bekannt machen, und die Trübsalen des ge- genwärtigen Lebens betrachten als Hebammen, welche deine neue Geburt beförderen als die besten Gefährten deines Glaubens und die treueste Säugammen deiner Hoffnung. Jch ware auf eine Zeit in meinem Hertzen sehr bewegt über der Bildnuß eines andächtigen Manns, zu welchem eine Stimm vom Himmel kame, sprechende: Johannes quid vis pro laboribus? Was willt du, daß ich dir thun soll? Worauf er geantwortet; Domine pati & contemni pro- pter te; nichts HERR! Als daß ich um deinetwillen leiden könne und verschmähet werde.
Veracht, verlassen stehn, viel Leiden in der Zeit, Nichts haben, können, seyn, sey meine Herrlichkeit!
Niemahls ist die Seele näher bey denen grundlosen Reichthüm- mern der Göttlichen Verheissungen, als im Leiden, da gehet sie in
den
Der unter den Stech-Diſteln
„großmuͤthigem Mitleiden beweinten ſie ihren betruͤbten und elen- „den Zuſtand, daß auch die Heydniſche Welt daruͤber erſtaunete, „und nun bereit ware diejenige vor Engel anzuſehen, welche ſie kurtz „zuvor vor Teufel gehalten hatte.
„Jtem, zanckte ein Nachbar mit dem anderen, daß ſie daruͤber „in Streit und Feindſchafft geriethen, ſo wurden ſie ſo lang von „denen Gebetts-Verſammlungen ausgeſchloſſen, biß ſie ſich hertzlich „miteinander wieder vereiniget hatten; diß wurde dazumahl vor ein „groſſe und ſchwehre Straff gehalten, und den Leuten war ſo wehe „bey dieſer Abſoͤnderung, daß die Forcht vor derſelbigen ihnen allen „Grimm vertriebe, und ſie ſich lieber Unrecht thun, als zu ſolcher „Kirchen-Zucht kommen lieſſen. Wann ſie geſchlagen wurden, „ſchlugen ſie nicht wieder, betrog ſie jemand, ſo betrogen ſie nicht „wieder; eine unrechtmaͤßige Verlaͤumdung nahmen ſie vor ein „Stuͤck der Marter an, und ertrugen ſie deßhalben gantz ge- „laſſen„.
Solle ei- nem Luſt machen ih- nen in der Liebe der Feinden gleich zu kommen.
§. 6. Mein lieber Leſer! Macht dir das nicht Luſt auch ein ſolcher und einer von dieſen alten rechtſchaffenen Chriſten zu werden? So muſt du dann auch wie ſie dich deß Todes Chriſti fleißig erinneren, und ſein Creutz viel koͤſtlicher achten als die ſchoͤnſten Edel-Geſtein; Pein, Marter, Schand und Verachtung muſt du deinem Hertzen angenehm, gemein und bekannt machen, und die Truͤbſalen des ge- genwaͤrtigen Lebens betrachten als Hebammen, welche deine neue Geburt befoͤrderen als die beſten Gefaͤhrten deines Glaubens und die treueſte Saͤugammen deiner Hoffnung. Jch ware auf eine Zeit in meinem Hertzen ſehr bewegt uͤber der Bildnuß eines andaͤchtigen Manns, zu welchem eine Stimm vom Himmel kame, ſprechende: Johannes quid vis pro laboribus? Was willt du, daß ich dir thun ſoll? Worauf er geantwortet; Domine pati & contemni pro- pter te; nichts HERR! Als daß ich um deinetwillen leiden koͤnne und verſchmaͤhet werde.
Veracht, verlaſſen ſtehn, viel Leiden in der Zeit, Nichts haben, koͤnnen, ſeyn, ſey meine Herrlichkeit!
Niemahls iſt die Seele naͤher bey denen grundloſen Reichthuͤm- mern der Goͤttlichen Verheiſſungen, als im Leiden, da gehet ſie in
den
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Der unter den Stech-Diſteln
„großmuͤthigem Mitleiden beweinten ſie ihren betruͤbten und elen-
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„und nun bereit ware diejenige vor Engel anzuſehen, welche ſie kurtz
„zuvor vor Teufel gehalten hatte.
„Jtem, zanckte ein Nachbar mit dem anderen, daß ſie daruͤber
„in Streit und Feindſchafft geriethen, ſo wurden ſie ſo lang von
„denen Gebetts-Verſammlungen ausgeſchloſſen, biß ſie ſich hertzlich
„miteinander wieder vereiniget hatten; diß wurde dazumahl vor ein
„groſſe und ſchwehre Straff gehalten, und den Leuten war ſo wehe
„bey dieſer Abſoͤnderung, daß die Forcht vor derſelbigen ihnen allen
„Grimm vertriebe, und ſie ſich lieber Unrecht thun, als zu ſolcher
„Kirchen-Zucht kommen lieſſen. Wann ſie geſchlagen wurden,
„ſchlugen ſie nicht wieder, betrog ſie jemand, ſo betrogen ſie nicht
„wieder; eine unrechtmaͤßige Verlaͤumdung nahmen ſie vor ein
„Stuͤck der Marter an, und ertrugen ſie deßhalben gantz ge-
„laſſen„.
§. 6. Mein lieber Leſer! Macht dir das nicht Luſt auch ein ſolcher
und einer von dieſen alten rechtſchaffenen Chriſten zu werden? So
muſt du dann auch wie ſie dich deß Todes Chriſti fleißig erinneren,
und ſein Creutz viel koͤſtlicher achten als die ſchoͤnſten Edel-Geſtein;
Pein, Marter, Schand und Verachtung muſt du deinem Hertzen
angenehm, gemein und bekannt machen, und die Truͤbſalen des ge-
genwaͤrtigen Lebens betrachten als Hebammen, welche deine neue
Geburt befoͤrderen als die beſten Gefaͤhrten deines Glaubens und
die treueſte Saͤugammen deiner Hoffnung. Jch ware auf eine Zeit
in meinem Hertzen ſehr bewegt uͤber der Bildnuß eines andaͤchtigen
Manns, zu welchem eine Stimm vom Himmel kame, ſprechende:
Johannes quid vis pro laboribus? Was willt du, daß ich dir
thun ſoll? Worauf er geantwortet; Domine pati & contemni pro-
pter te; nichts HERR! Als daß ich um deinetwillen leiden koͤnne
und verſchmaͤhet werde.
Veracht, verlaſſen ſtehn, viel Leiden in der Zeit,
Nichts haben, koͤnnen, ſeyn, ſey meine Herrlichkeit!
Niemahls iſt die Seele naͤher bey denen grundloſen Reichthuͤm-
mern der Goͤttlichen Verheiſſungen, als im Leiden, da gehet ſie in
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/824>, abgerufen am 23.11.2024.
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