Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

Abgrund versuncken, alle Menschen aber die noch leben, als wie im
Sonnenschein wandlen, weil ihnen die Gnaden-Thür noch offen
stehe, er habe es versaumet, und werde am jüngsten Gericht allen
Heiligen, sonderlich die ihne gekannt, und viel auf ihne gehalten,
zum Fingerzeig und stinckenden Scheusal werden, über den sie aus-
fahren werden, sagende: Jst das der, den wir etwan für einen eif-
rigen Bekenner und bekehrten Mit-Christen hielten? Wie ist er nun
gerechnet unter die Kinder des Teufels, und sein Erb ist unter den
Heuchlern und Verdammten! O wie theur und auserwählt ist ihme
da JEsus und seine Gemeinschafft, aber da denckt er, was wäre der
Verlust von zehen tausend Welten und aller ihrer Herrlichkeit,
Schönheit und Gütern, gegen dem was du hie verschertzet; O mich
elendesten Narren! JEsum, dessen heiligen Namen ich so offt im
Munde geführt, und so vieles von ihme gehört, gelesen und geredet,
dessen lebendige Einwohnung und innere Erkanntnuß habe ich ver-
wahrloset durch meine Hinläßigkeit, und den Schatten für das We-
sen, Heuchelschein an statt des lebendigen Christi ergriffen; Ach!
wer will mir den Schaden ersetzen? Wehe mir in Ewigkeit! Hier
gläntzet der geringste Christ heller in seinen Augen als tausend Son-
nen, ja schöner als Cherubim und Seraphim, wie brennen ihn da
die lieblose Nachreden über sie, da gedenckt er, wie er sich werde
schämen und zittern müssen vor ihrer schnee-weissen Majestät, da ih-
nen dann alle seine Tücke und Falschheit bekannt seyn, und gleichsam
an seiner Stirn gelesen werden.

Umsehen
und Ver-
langen
nach JE-
SU.

§. 3. Hier wendet sich der Mensch allenthalben hin, und versteck-
te sich gern vor GOttes Heiligkeit, nicht nur unter Felsen und Ber-
gen, sondern gar in den tieffsten Abgrund der Höllen vor Scham und
Zittern, wann er nur könnte, aber da ist kein Ort noch Stätte,
weder auf Erden, noch in der Höllen, dahin er sich verkriechen und aus
GOttes Augen wegschleichen könnte. Da gedenckt er wieder an den,
so in die Welt kommen, die Sünder seelig zu machen, und haltet
dafür, es wäre das sicherste, wann er zu denen entlauffen und ent-
rinnen könnte; Ach! spricht er bey sich selbst, wäre der Mann, so
JESUS heisset, noch auf Erden anzutreffen, ich wollte (so es
nicht anders seyn könnte) eher auf Nadel-Spitzen zu ihm hinkriechen,

und

Abgrund verſuncken, alle Menſchen aber die noch leben, als wie im
Sonnenſchein wandlen, weil ihnen die Gnaden-Thuͤr noch offen
ſtehe, er habe es verſaumet, und werde am juͤngſten Gericht allen
Heiligen, ſonderlich die ihne gekannt, und viel auf ihne gehalten,
zum Fingerzeig und ſtinckenden Scheuſal werden, uͤber den ſie aus-
fahren werden, ſagende: Jſt das der, den wir etwan fuͤr einen eif-
rigen Bekenner und bekehrten Mit-Chriſten hielten? Wie iſt er nun
gerechnet unter die Kinder des Teufels, und ſein Erb iſt unter den
Heuchlern und Verdammten! O wie theur und auserwaͤhlt iſt ihme
da JEſus und ſeine Gemeinſchafft, aber da denckt er, was waͤre der
Verluſt von zehen tauſend Welten und aller ihrer Herrlichkeit,
Schoͤnheit und Guͤtern, gegen dem was du hie verſchertzet; O mich
elendeſten Narren! JEſum, deſſen heiligen Namen ich ſo offt im
Munde gefuͤhrt, und ſo vieles von ihme gehoͤrt, geleſen und geredet,
deſſen lebendige Einwohnung und innere Erkanntnuß habe ich ver-
wahrloſet durch meine Hinlaͤßigkeit, und den Schatten fuͤr das We-
ſen, Heuchelſchein an ſtatt des lebendigen Chriſti ergriffen; Ach!
wer will mir den Schaden erſetzen? Wehe mir in Ewigkeit! Hier
glaͤntzet der geringſte Chriſt heller in ſeinen Augen als tauſend Son-
nen, ja ſchoͤner als Cherubim und Seraphim, wie brennen ihn da
die liebloſe Nachreden uͤber ſie, da gedenckt er, wie er ſich werde
ſchaͤmen und zittern muͤſſen vor ihrer ſchnee-weiſſen Majeſtaͤt, da ih-
nen dann alle ſeine Tuͤcke und Falſchheit bekannt ſeyn, und gleichſam
an ſeiner Stirn geleſen werden.

Umſehen
und Ver-
langen
nach JE-
SU.

§. 3. Hier wendet ſich der Menſch allenthalben hin, und verſteck-
te ſich gern vor GOttes Heiligkeit, nicht nur unter Felſen und Ber-
gen, ſondern gar in den tieffſten Abgrund der Hoͤllen vor Scham und
Zittern, wann er nur koͤnnte, aber da iſt kein Ort noch Staͤtte,
weder auf Erden, noch in der Hoͤllen, dahin er ſich verkriechen und aus
GOttes Augen wegſchleichen koͤnnte. Da gedenckt er wieder an den,
ſo in die Welt kommen, die Suͤnder ſeelig zu machen, und haltet
dafuͤr, es waͤre das ſicherſte, wann er zu denen entlauffen und ent-
rinnen koͤnnte; Ach! ſpricht er bey ſich ſelbſt, waͤre der Mann, ſo
JESUS heiſſet, noch auf Erden anzutreffen, ich wollte (ſo es
nicht anders ſeyn koͤnnte) eher auf Nadel-Spitzen zu ihm hinkriechen,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0076" n="20"/>
Abgrund ver&#x017F;uncken, alle Men&#x017F;chen aber die noch leben, als wie im<lb/>
Sonnen&#x017F;chein wandlen, weil ihnen die Gnaden-Thu&#x0364;r noch offen<lb/>
&#x017F;tehe, er habe es ver&#x017F;aumet, und werde am ju&#x0364;ng&#x017F;ten Gericht allen<lb/>
Heiligen, &#x017F;onderlich die ihne gekannt, und viel auf ihne gehalten,<lb/>
zum Fingerzeig und &#x017F;tinckenden Scheu&#x017F;al werden, u&#x0364;ber den &#x017F;ie aus-<lb/>
fahren werden, &#x017F;agende: J&#x017F;t das der, den wir etwan fu&#x0364;r einen eif-<lb/>
rigen Bekenner und bekehrten Mit-Chri&#x017F;ten hielten? Wie i&#x017F;t er nun<lb/>
gerechnet unter die Kinder des Teufels, und &#x017F;ein Erb i&#x017F;t unter den<lb/>
Heuchlern und Verdammten! O wie theur und auserwa&#x0364;hlt i&#x017F;t ihme<lb/>
da JE&#x017F;us und &#x017F;eine Gemein&#x017F;chafft, aber da denckt er, was wa&#x0364;re der<lb/>
Verlu&#x017F;t von zehen tau&#x017F;end Welten und aller ihrer Herrlichkeit,<lb/>
Scho&#x0364;nheit und Gu&#x0364;tern, gegen dem was du hie ver&#x017F;chertzet; O mich<lb/>
elende&#x017F;ten Narren! JE&#x017F;um, de&#x017F;&#x017F;en heiligen Namen ich &#x017F;o offt im<lb/>
Munde gefu&#x0364;hrt, und &#x017F;o vieles von ihme geho&#x0364;rt, gele&#x017F;en und geredet,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en lebendige Einwohnung und innere Erkanntnuß habe ich ver-<lb/>
wahrlo&#x017F;et durch meine Hinla&#x0364;ßigkeit, und den Schatten fu&#x0364;r das We-<lb/>
&#x017F;en, Heuchel&#x017F;chein an &#x017F;tatt des lebendigen Chri&#x017F;ti ergriffen; Ach!<lb/>
wer will mir den Schaden er&#x017F;etzen? Wehe mir in Ewigkeit! Hier<lb/>
gla&#x0364;ntzet der gering&#x017F;te Chri&#x017F;t heller in &#x017F;einen Augen als tau&#x017F;end Son-<lb/>
nen, ja &#x017F;cho&#x0364;ner als Cherubim und Seraphim, wie brennen ihn da<lb/>
die lieblo&#x017F;e Nachreden u&#x0364;ber &#x017F;ie, da gedenckt er, wie er &#x017F;ich werde<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;men und zittern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en vor ihrer &#x017F;chnee-wei&#x017F;&#x017F;en Maje&#x017F;ta&#x0364;t, da ih-<lb/>
nen dann alle &#x017F;eine Tu&#x0364;cke und Fal&#x017F;chheit bekannt &#x017F;eyn, und gleich&#x017F;am<lb/>
an &#x017F;einer Stirn gele&#x017F;en werden.</p><lb/>
          <note place="left">Um&#x017F;ehen<lb/>
und Ver-<lb/>
langen<lb/>
nach JE-<lb/>
SU.</note>
          <p><hi rendition="#i">§.</hi> 3. Hier wendet &#x017F;ich der Men&#x017F;ch allenthalben hin, und ver&#x017F;teck-<lb/>
te &#x017F;ich gern vor GOttes Heiligkeit, nicht nur unter Fel&#x017F;en und Ber-<lb/>
gen, &#x017F;ondern gar in den tieff&#x017F;ten Abgrund der Ho&#x0364;llen vor Scham und<lb/>
Zittern, wann er nur ko&#x0364;nnte, aber da i&#x017F;t kein Ort noch Sta&#x0364;tte,<lb/>
weder auf Erden, noch in der Ho&#x0364;llen, dahin er &#x017F;ich verkriechen und aus<lb/>
GOttes Augen weg&#x017F;chleichen ko&#x0364;nnte. Da gedenckt er wieder an den,<lb/>
&#x017F;o in die Welt kommen, die Su&#x0364;nder &#x017F;eelig zu machen, und haltet<lb/>
dafu&#x0364;r, es wa&#x0364;re das &#x017F;icher&#x017F;te, wann er zu denen entlauffen und ent-<lb/>
rinnen ko&#x0364;nnte; Ach! &#x017F;pricht er bey &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, wa&#x0364;re der Mann, &#x017F;o<lb/>
JESUS hei&#x017F;&#x017F;et, noch auf Erden anzutreffen, ich wollte (&#x017F;o es<lb/>
nicht anders &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte) eher auf Nadel-Spitzen zu ihm hinkriechen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0076] Abgrund verſuncken, alle Menſchen aber die noch leben, als wie im Sonnenſchein wandlen, weil ihnen die Gnaden-Thuͤr noch offen ſtehe, er habe es verſaumet, und werde am juͤngſten Gericht allen Heiligen, ſonderlich die ihne gekannt, und viel auf ihne gehalten, zum Fingerzeig und ſtinckenden Scheuſal werden, uͤber den ſie aus- fahren werden, ſagende: Jſt das der, den wir etwan fuͤr einen eif- rigen Bekenner und bekehrten Mit-Chriſten hielten? Wie iſt er nun gerechnet unter die Kinder des Teufels, und ſein Erb iſt unter den Heuchlern und Verdammten! O wie theur und auserwaͤhlt iſt ihme da JEſus und ſeine Gemeinſchafft, aber da denckt er, was waͤre der Verluſt von zehen tauſend Welten und aller ihrer Herrlichkeit, Schoͤnheit und Guͤtern, gegen dem was du hie verſchertzet; O mich elendeſten Narren! JEſum, deſſen heiligen Namen ich ſo offt im Munde gefuͤhrt, und ſo vieles von ihme gehoͤrt, geleſen und geredet, deſſen lebendige Einwohnung und innere Erkanntnuß habe ich ver- wahrloſet durch meine Hinlaͤßigkeit, und den Schatten fuͤr das We- ſen, Heuchelſchein an ſtatt des lebendigen Chriſti ergriffen; Ach! wer will mir den Schaden erſetzen? Wehe mir in Ewigkeit! Hier glaͤntzet der geringſte Chriſt heller in ſeinen Augen als tauſend Son- nen, ja ſchoͤner als Cherubim und Seraphim, wie brennen ihn da die liebloſe Nachreden uͤber ſie, da gedenckt er, wie er ſich werde ſchaͤmen und zittern muͤſſen vor ihrer ſchnee-weiſſen Majeſtaͤt, da ih- nen dann alle ſeine Tuͤcke und Falſchheit bekannt ſeyn, und gleichſam an ſeiner Stirn geleſen werden. §. 3. Hier wendet ſich der Menſch allenthalben hin, und verſteck- te ſich gern vor GOttes Heiligkeit, nicht nur unter Felſen und Ber- gen, ſondern gar in den tieffſten Abgrund der Hoͤllen vor Scham und Zittern, wann er nur koͤnnte, aber da iſt kein Ort noch Staͤtte, weder auf Erden, noch in der Hoͤllen, dahin er ſich verkriechen und aus GOttes Augen wegſchleichen koͤnnte. Da gedenckt er wieder an den, ſo in die Welt kommen, die Suͤnder ſeelig zu machen, und haltet dafuͤr, es waͤre das ſicherſte, wann er zu denen entlauffen und ent- rinnen koͤnnte; Ach! ſpricht er bey ſich ſelbſt, waͤre der Mann, ſo JESUS heiſſet, noch auf Erden anzutreffen, ich wollte (ſo es nicht anders ſeyn koͤnnte) eher auf Nadel-Spitzen zu ihm hinkriechen, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/76
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/76>, abgerufen am 24.11.2024.