§. 12. Je höher die Weiden liegen, je edler ist das Graß: AlsoAufmun- terung, alle Schwü- rigkeiten zu über- steigen, nur immer fort gesucht, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur rechten GOttes, und nicht was auf Erden ist a; Willt du, liebes Hertz! die lieblichen Auen auf denen Bergen Jsraels abetzen, und von dannen einen Seel-entzuckenden Blick thun in das unbefleckte, unverwelckliche und unvergängliche Erb, das bewahret wird im Him- mel b, und das gläntzende himmlische Jerusalem von weitem sehen. Wann ein Baum auf eueren hohen Gebirgen stuhnde, davon man Schirm im Ungewitter, Erfrischung in der Hitz, Erwärmung in Kälte, Manna, Wein, Gold, weisse Kleider, Honig, Milch, Gesundheit und Fröhlichkeit hätte, so möchten wohl wenige zu Hause bleiben. Ein solcher Baum ist unser JEsus der Gecreutzigte auf dem Berge Golgatha; Da ist die rechte hohe Schul, da man sol- che verborgene Weißheit erlernet, die keiner von denen Fürsten die- ser Welt, kein Pharisäer noch Schrifftgelehrter erkannt hat, wel- che kein natürlicher, vernünfftiger Mensch begreiffen kan c; Die tieffe Geheimnussen, welche die Schreiber der geheimen GOtts-Ge- lehrtheit in zimlich dunckelen Red-Arten vortragen, sind im Buch des gecreutzigten JEsu aufgeschlagen und dem einfältigsten Menschen verständlich gemacht. GOtt, als einen Ubelthäter am Creutzes-Gal- gen hangend sehen, macht eine erleuchtete Seele erstaunend und ver- gehend; Alles was uns daran erinnert, ist heilsam und seelig; ein einiger Blick auf JEsum am Creutz d hat schon grosse Sünder be- kehret, und Fromme in schwerem Creutz getröstet, gar manch hart Hertz erweicht und von bösem Vorhaben plötzlich umgekehrt zur Lie- be GOttes und des Nächsten. Alle Gleichmüthigkeit in Lieb und Leyd, in Sauer und Süß e, die seeligste Zufriedenheit mit dem Göttlichen Willen f, daß innigste Wohlgefallen an Schmach, Ver- achtung und Vernichtung von allen Menschen g, das heimliche Jauch- zen des Hertzens in allerley Leiden und Ungemach h, die zarteste Nei- gung zu allen, so uns beneiden, nachreden und verkleineren i, die ernstliche Selbst- und Welt-Verschmähung, Willigkeit zu äusserster Armuth und Mangel aller Nothwendigkeiten dieses Lebens k, und daß man sich ins Hertz hinein schäme bey seinem Uberfluß, Gemach
und
aColoss. III.
b 1 Petr. I. 4.
c 1 Cor. II. 6-16.
dNum. XXI. 8. 9.
ePhil. IV. 11. 13.
f 2 Sam. XV. 26.
g 2 Cor. XII. 10.
hJac. I. 2.
iRom. IX. 1-3.
kHebr. X. 34.
D d d d
Zuſchrifft.
§. 12. Je hoͤher die Weiden liegen, je edler iſt das Graß: AlſoAufmun- terung, alle Schwuͤ- rigkeiten zu uͤber- ſteigen, nur immer fort geſucht, was droben iſt, da Chriſtus iſt, ſitzend zur rechten GOttes, und nicht was auf Erden iſt a; Willt du, liebes Hertz! die lieblichen Auen auf denen Bergen Jſraels abetzen, und von dannen einen Seel-entzuckenden Blick thun in das unbefleckte, unverwelckliche und unvergaͤngliche Erb, das bewahret wird im Him- mel b, und das glaͤntzende himmliſche Jeruſalem von weitem ſehen. Wann ein Baum auf eueren hohen Gebirgen ſtuhnde, davon man Schirm im Ungewitter, Erfriſchung in der Hitz, Erwaͤrmung in Kaͤlte, Manna, Wein, Gold, weiſſe Kleider, Honig, Milch, Geſundheit und Froͤhlichkeit haͤtte, ſo moͤchten wohl wenige zu Hauſe bleiben. Ein ſolcher Baum iſt unſer JEſus der Gecreutzigte auf dem Berge Golgatha; Da iſt die rechte hohe Schul, da man ſol- che verborgene Weißheit erlernet, die keiner von denen Fuͤrſten die- ſer Welt, kein Phariſaͤer noch Schrifftgelehrter erkannt hat, wel- che kein natuͤrlicher, vernuͤnfftiger Menſch begreiffen kan c; Die tieffe Geheimnuſſen, welche die Schreiber der geheimen GOtts-Ge- lehrtheit in zimlich dunckelen Red-Arten vortragen, ſind im Buch des gecreutzigten JEſu aufgeſchlagen und dem einfaͤltigſten Menſchen verſtaͤndlich gemacht. GOtt, als einen Ubelthaͤter am Creutzes-Gal- gen hangend ſehen, macht eine erleuchtete Seele erſtaunend und ver- gehend; Alles was uns daran erinnert, iſt heilſam und ſeelig; ein einiger Blick auf JEſum am Creutz d hat ſchon groſſe Suͤnder be- kehret, und Fromme in ſchwerem Creutz getroͤſtet, gar manch hart Hertz erweicht und von boͤſem Vorhaben ploͤtzlich umgekehrt zur Lie- be GOttes und des Naͤchſten. Alle Gleichmuͤthigkeit in Lieb und Leyd, in Sauer und Suͤß e, die ſeeligſte Zufriedenheit mit dem Goͤttlichen Willen f, daß innigſte Wohlgefallen an Schmach, Ver- achtung und Vernichtung von allen Menſchen g, das heimliche Jauch- zen des Hertzens in allerley Leiden und Ungemach h, die zarteſte Nei- gung zu allen, ſo uns beneiden, nachreden und verkleineren i, die ernſtliche Selbſt- und Welt-Verſchmaͤhung, Willigkeit zu aͤuſſerſter Armuth und Mangel aller Nothwendigkeiten dieſes Lebens k, und daß man ſich ins Hertz hinein ſchaͤme bey ſeinem Uberfluß, Gemach
und
aColoſſ. III.
b 1 Petr. I. 4.
c 1 Cor. II. 6-16.
dNum. XXI. 8. 9.
ePhil. IV. 11. 13.
f 2 Sam. XV. 26.
g 2 Cor. XII. 10.
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iRom. IX. 1-3.
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D d d d
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Zuſchrifft.
§. 12. Je hoͤher die Weiden liegen, je edler iſt das Graß: Alſo
nur immer fort geſucht, was droben iſt, da Chriſtus iſt, ſitzend zur
rechten GOttes, und nicht was auf Erden iſt a; Willt du, liebes
Hertz! die lieblichen Auen auf denen Bergen Jſraels abetzen, und
von dannen einen Seel-entzuckenden Blick thun in das unbefleckte,
unverwelckliche und unvergaͤngliche Erb, das bewahret wird im Him-
mel b, und das glaͤntzende himmliſche Jeruſalem von weitem ſehen.
Wann ein Baum auf eueren hohen Gebirgen ſtuhnde, davon man
Schirm im Ungewitter, Erfriſchung in der Hitz, Erwaͤrmung in
Kaͤlte, Manna, Wein, Gold, weiſſe Kleider, Honig, Milch,
Geſundheit und Froͤhlichkeit haͤtte, ſo moͤchten wohl wenige zu Hauſe
bleiben. Ein ſolcher Baum iſt unſer JEſus der Gecreutzigte auf
dem Berge Golgatha; Da iſt die rechte hohe Schul, da man ſol-
che verborgene Weißheit erlernet, die keiner von denen Fuͤrſten die-
ſer Welt, kein Phariſaͤer noch Schrifftgelehrter erkannt hat, wel-
che kein natuͤrlicher, vernuͤnfftiger Menſch begreiffen kan c; Die
tieffe Geheimnuſſen, welche die Schreiber der geheimen GOtts-Ge-
lehrtheit in zimlich dunckelen Red-Arten vortragen, ſind im Buch
des gecreutzigten JEſu aufgeſchlagen und dem einfaͤltigſten Menſchen
verſtaͤndlich gemacht. GOtt, als einen Ubelthaͤter am Creutzes-Gal-
gen hangend ſehen, macht eine erleuchtete Seele erſtaunend und ver-
gehend; Alles was uns daran erinnert, iſt heilſam und ſeelig; ein
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be GOttes und des Naͤchſten. Alle Gleichmuͤthigkeit in Lieb und
Leyd, in Sauer und Suͤß e, die ſeeligſte Zufriedenheit mit dem
Goͤttlichen Willen f, daß innigſte Wohlgefallen an Schmach, Ver-
achtung und Vernichtung von allen Menſchen g, das heimliche Jauch-
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gung zu allen, ſo uns beneiden, nachreden und verkleineren i, die
ernſtliche Selbſt- und Welt-Verſchmaͤhung, Willigkeit zu aͤuſſerſter
Armuth und Mangel aller Nothwendigkeiten dieſes Lebens k, und
daß man ſich ins Hertz hinein ſchaͤme bey ſeinem Uberfluß, Gemach
und
Aufmun-
terung,
alle
Schwuͤ-
rigkeiten
zu uͤber-
ſteigen,
a Coloſſ. III.
b 1 Petr. I. 4.
c 1 Cor. II. 6-16.
d Num. XXI.
8. 9.
e Phil. IV. 11. 13.
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I. 2.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/673>, abgerufen am 23.11.2024.
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