Zuthun deines schlüpferigen Fleisches deine Gedancken tausendmahl von ihme abführet, entweders auf dich selbst, oder die eitele Welt, so kehre tausendmahl mit deinen Sinnen und Gedancken wiederum an das Ort, wo die Seel Göttliche Ruh und Nahrung gefunden. Bitte ohne Unterlaß um die Würckung des Heil. Geistes, daß er diß Traur-Gewülck, und diese Hertzens-Nacht in dir verwehe, daß GOttes Liebe und Heyl in dir scheinen möge.
§. 13. Einwurff. Wie ists aber, wann mich die Sünd zu keinerWann die Sünde ei- nen nicht will zur Gnade kommen lassen, Gnad will kommen lassen, und wie eine hohe Maur vor mir stehet, daß ich nicht nur das geringste nicht erblicken, will geschweigen ge- niessen kan, und es immer an einander heißt: du hast gesündiget! wie mag ich dann immer solch groß Gut glauben, und einige Hoff- nung schöpfen, daß ich jemahlen dahin gelangen werde aus dieser Le- bens-Quell zu trincken, und in dieses Liebe-Meer zu versincken! das ist für solche, die in Unschuld gewandlet, und es nicht so grob gemacht wie ich?
§. 14. Antwort. Du weist es wohl, es heißt: audiatur & alteraso muß man ihro die Ver- heissungen GOttes entgegen setzen. pars; d. i. höre auch was der andere darzu saget: du must dein Ohr vielmehr strecken nach denen theuren Verheissungen, die du weder sie- hest noch fühlest, als nach dem Zetter-Geschrey deines Gewissens, so dir den Gestanck deiner Sünden immer unter die Nasen reibt, und so ein greulich Wesen in dir anstellt, daß du nichts weder hören noch sehen kanst, als deine Sünd, die sich immer für dich stellt als ein Ge- spenst, und dir den Weg zum Gnaden-Thron allezeit vorlauffet. Jch gestehe dir zwar, daß dieses wohl ein harter Kampf ist, und daß der Sieg allein von der Gnad Christi erwartet werden muß, und so lang du nicht überschwenglich grössere Freud hast an Christi Blut, als Traurigkeit um deine Sünd, so stehts nicht so gar wohl um dich.
§. 15. Einwurff. Ja das weiß ich wohl, und eben darum ist auchWann der Unglau- ben am hefftigsten drücket, meine Seele betrübet um und um, daß nicht nur die Sünd mich zu Boden reißt, sonderen auch der Unglauben, als ein schwerer Stein mich druckt, daß ich kaum übersich dencken kan, und mir das Evangelium als ein Traum und Fabel vorkommt; ja als hätte ich niemahlen nichts davon gehört, und thut mir im Hertzen wehe, wann ich andere so frölich singen und klingen höre von dem süssen Geschmack der Evangelischen. Seligkeit, mein Hertz dagegen so trocken und hart ist, als ein Kisel-Stein, wie ist ihm zu thun?
§. 16.
liegende Wein-Trauben.
Zuthun deines ſchluͤpferigen Fleiſches deine Gedancken tauſendmahl von ihme abfuͤhret, entweders auf dich ſelbſt, oder die eitele Welt, ſo kehre tauſendmahl mit deinen Sinnen und Gedancken wiederum an das Ort, wo die Seel Goͤttliche Ruh und Nahrung gefunden. Bitte ohne Unterlaß um die Wuͤrckung des Heil. Geiſtes, daß er diß Traur-Gewuͤlck, und dieſe Hertzens-Nacht in dir verwehe, daß GOttes Liebe und Heyl in dir ſcheinen moͤge.
§. 13. Einwurff. Wie iſts aber, wann mich die Suͤnd zu keinerWann die Suͤnde ei- nen nicht will zur Gnade kommen laſſen, Gnad will kommen laſſen, und wie eine hohe Maur vor mir ſtehet, daß ich nicht nur das geringſte nicht erblicken, will geſchweigen ge- nieſſen kan, und es immer an einander heißt: du haſt geſuͤndiget! wie mag ich dann immer ſolch groß Gut glauben, und einige Hoff- nung ſchoͤpfen, daß ich jemahlen dahin gelangen werde aus dieſer Le- bens-Quell zu trincken, und in dieſes Liebe-Meer zu verſincken! das iſt fuͤr ſolche, die in Unſchuld gewandlet, und es nicht ſo grob gemacht wie ich?
§. 14. Antwort. Du weiſt es wohl, es heißt: audiatur & alteraſo muß man ihro die Ver- heiſſungen GOttes entgegen ſetzen. pars; d. i. hoͤre auch was der andere darzu ſaget: du muſt dein Ohr vielmehr ſtrecken nach denen theuren Verheiſſungen, die du weder ſie- heſt noch fuͤhleſt, als nach dem Zetter-Geſchrey deines Gewiſſens, ſo dir den Geſtanck deiner Suͤnden immer unter die Naſen reibt, und ſo ein greulich Weſen in dir anſtellt, daß du nichts weder hoͤren noch ſehen kanſt, als deine Suͤnd, die ſich immer fuͤr dich ſtellt als ein Ge- ſpenſt, und dir den Weg zum Gnaden-Thron allezeit vorlauffet. Jch geſtehe dir zwar, daß dieſes wohl ein harter Kampf iſt, und daß der Sieg allein von der Gnad Chriſti erwartet werden muß, und ſo lang du nicht uͤberſchwenglich groͤſſere Freud haſt an Chriſti Blut, als Traurigkeit um deine Suͤnd, ſo ſtehts nicht ſo gar wohl um dich.
§. 15. Einwurff. Ja das weiß ich wohl, und eben darum iſt auchWann der Unglau- ben am hefftigſten druͤcket, meine Seele betruͤbet um und um, daß nicht nur die Suͤnd mich zu Boden reißt, ſonderen auch der Unglauben, als ein ſchwerer Stein mich druckt, daß ich kaum uͤberſich dencken kan, und mir das Evangelium als ein Traum und Fabel vorkommt; ja als haͤtte ich niemahlen nichts davon gehoͤrt, und thut mir im Hertzen wehe, wann ich andere ſo froͤlich ſingen und klingen hoͤre von dem ſuͤſſen Geſchmack der Evangeliſchen. Seligkeit, mein Hertz dagegen ſo trocken und hart iſt, als ein Kiſel-Stein, wie iſt ihm zu thun?
§. 16.
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liegende Wein-Trauben.
Zuthun deines ſchluͤpferigen Fleiſches deine Gedancken tauſendmahl
von ihme abfuͤhret, entweders auf dich ſelbſt, oder die eitele Welt,
ſo kehre tauſendmahl mit deinen Sinnen und Gedancken wiederum
an das Ort, wo die Seel Goͤttliche Ruh und Nahrung gefunden.
Bitte ohne Unterlaß um die Wuͤrckung des Heil. Geiſtes, daß er
diß Traur-Gewuͤlck, und dieſe Hertzens-Nacht in dir verwehe, daß
GOttes Liebe und Heyl in dir ſcheinen moͤge.
§. 13. Einwurff. Wie iſts aber, wann mich die Suͤnd zu keiner
Gnad will kommen laſſen, und wie eine hohe Maur vor mir ſtehet,
daß ich nicht nur das geringſte nicht erblicken, will geſchweigen ge-
nieſſen kan, und es immer an einander heißt: du haſt geſuͤndiget!
wie mag ich dann immer ſolch groß Gut glauben, und einige Hoff-
nung ſchoͤpfen, daß ich jemahlen dahin gelangen werde aus dieſer Le-
bens-Quell zu trincken, und in dieſes Liebe-Meer zu verſincken! das
iſt fuͤr ſolche, die in Unſchuld gewandlet, und es nicht ſo grob gemacht
wie ich?
Wann die
Suͤnde ei-
nen nicht
will zur
Gnade
kommen
laſſen,
§. 14. Antwort. Du weiſt es wohl, es heißt: audiatur & altera
pars; d. i. hoͤre auch was der andere darzu ſaget: du muſt dein Ohr
vielmehr ſtrecken nach denen theuren Verheiſſungen, die du weder ſie-
heſt noch fuͤhleſt, als nach dem Zetter-Geſchrey deines Gewiſſens, ſo
dir den Geſtanck deiner Suͤnden immer unter die Naſen reibt, und
ſo ein greulich Weſen in dir anſtellt, daß du nichts weder hoͤren noch
ſehen kanſt, als deine Suͤnd, die ſich immer fuͤr dich ſtellt als ein Ge-
ſpenſt, und dir den Weg zum Gnaden-Thron allezeit vorlauffet. Jch
geſtehe dir zwar, daß dieſes wohl ein harter Kampf iſt, und daß der
Sieg allein von der Gnad Chriſti erwartet werden muß, und ſo
lang du nicht uͤberſchwenglich groͤſſere Freud haſt an Chriſti Blut,
als Traurigkeit um deine Suͤnd, ſo ſtehts nicht ſo gar wohl um dich.
ſo muß
man ihro
die Ver-
heiſſungen
GOttes
entgegen
ſetzen.
§. 15. Einwurff. Ja das weiß ich wohl, und eben darum iſt auch
meine Seele betruͤbet um und um, daß nicht nur die Suͤnd mich zu
Boden reißt, ſonderen auch der Unglauben, als ein ſchwerer
Stein mich druckt, daß ich kaum uͤberſich dencken kan, und mir das
Evangelium als ein Traum und Fabel vorkommt; ja als haͤtte ich
niemahlen nichts davon gehoͤrt, und thut mir im Hertzen wehe, wann
ich andere ſo froͤlich ſingen und klingen hoͤre von dem ſuͤſſen Geſchmack
der Evangeliſchen. Seligkeit, mein Hertz dagegen ſo trocken und hart iſt,
als ein Kiſel-Stein, wie iſt ihm zu thun?
Wann der
Unglau-
ben am
hefftigſten
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§. 16.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/559>, abgerufen am 22.11.2024.
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