Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

Wunder-Geheimnuß des
klare Augen verlohren, und aus einem Adler eine Nachteule, und aus
einer Daube eine Fledermauß, ja stockblind worden, indeme sie ihre
finstere Gedancken, Vorurtheil, falsche Außlegungen der Schrifft und
alte hergeholte Erklärungen liebet, in der hochmüthig und auffgebla-
senen Meynung, die Sache gar wohl zu verstehen; so kommt der
Mensch nicht zum Licht, sondern flattert so in der Finsternuß hin und
her, ja erfreuet sich in derselbigen wacker herum zu fliegen, weilen sie sei-
nem Fleisches-Sinn gar günstig und einträglich ist, und kan den
hellen Sonnen-Glantz, der einigen, ewigen, göttlichen Wahrheit,
als etwas, seiner Finsternuß-liebenden Natur unerträgliches, nicht lei-
den; darum verschantzet er sich in seiner Hartnäckigkeit, und will JE-
sum und alle seine Apostel meistern, und zur Schule führen, die müs-
sen ihm das gesprochen haben, was ihn gut duncket, und zwar in der
Meynung, Sinn und Geist, wie ers mit seiner krancken, finstern
und von den hellen Strahlen des himmlischen Lichts Christi noch nicht
durchbrochener Vernunfft, gefasset, JEsum den Propheten höret er
nicht gern, aus Beysorg, er möchte ihne Sachen lehren, die ihme
entweder unangenehm und unanständig wären zu üben: oder, die
sich zum heutigen Welt-Lauff gar nicht reimten, massen seine Welt-
Freud, Ehr, Lust dadurch sehr gekräncket, alle Adamische Süssigkeit
vergallet, und ihme wenig Guts für das künfftige Leben vorgesagt werden
möchte; darum vernimmet er die Sach nur halb, und laßt es zu einem
Ohr ein- und zum andern wieder ausgehen; Gleichwie man einem Für-
sten, dem man nicht trauet, bloß den Durchzug durch die Stadt er-
laubt, von einem Thor biß zum andern; so trauet der arme Mensch
JEsu, dem Fürsten des Lebens, der in seinem Hertzen einkehren wol-
te, gar nicht. Er grauet und es wird ihm wind und wehe, wann er von der
Einkehr JEsu etwas hören muß; doch weil er höret, daß etwas an
JEsu gelegen, und er es ihne möchte entgelten lassen, lasset er Jhn
zwar ein, aber wenn er nur nicht lang bleibet, und nicht zu nahe trit-
tet, damit er ja bey Leibe nicht von dem lieben JEsu so unvermuh-
tet eingenommen werde, und daher kehrt er niemahls recht in die Stil-
le, daß er die innere Seelen-Gestalt im Licht JEsu beschaue, und er
so von Jhme, als der Gnaden-Sonnen, wie die stillen Wasser von
der lieblichen Sonnen, erwärmet wurde: sondern rauschet so, wie ein
wildes Wasser dahin, und entgehet der wärmenden Sonnen JEsu.

Verkehr-
tes Kir-
chengehen.

§. 5. Er gehet zur Kirche, diesem und jenem Prediger zu lieb, auch

zum

Wunder-Geheimnuß des
klare Augen verlohren, und aus einem Adler eine Nachteule, und aus
einer Daube eine Fledermauß, ja ſtockblind worden, indeme ſie ihre
finſtere Gedancken, Vorurtheil, falſche Außlegungen der Schrifft und
alte hergeholte Erklaͤrungen liebet, in der hochmuͤthig und auffgebla-
ſenen Meynung, die Sache gar wohl zu verſtehen; ſo kommt der
Menſch nicht zum Licht, ſondern flattert ſo in der Finſternuß hin und
her, ja erfreuet ſich in derſelbigen wacker herum zu fliegen, weilen ſie ſei-
nem Fleiſches-Sinn gar guͤnſtig und eintraͤglich iſt, und kan den
hellen Sonnen-Glantz, der einigen, ewigen, goͤttlichen Wahrheit,
als etwas, ſeiner Finſternuß-liebenden Natur unertraͤgliches, nicht lei-
den; darum verſchantzet er ſich in ſeiner Hartnaͤckigkeit, und will JE-
ſum und alle ſeine Apoſtel meiſtern, und zur Schule fuͤhren, die muͤſ-
ſen ihm das geſprochen haben, was ihn gut duncket, und zwar in der
Meynung, Sinn und Geiſt, wie ers mit ſeiner krancken, finſtern
und von den hellen Strahlen des himmliſchen Lichts Chriſti noch nicht
durchbrochener Vernunfft, gefaſſet, JEſum den Propheten hoͤret er
nicht gern, aus Beyſorg, er moͤchte ihne Sachen lehren, die ihme
entweder unangenehm und unanſtaͤndig waͤren zu uͤben: oder, die
ſich zum heutigen Welt-Lauff gar nicht reimten, maſſen ſeine Welt-
Freud, Ehr, Luſt dadurch ſehr gekraͤncket, alle Adamiſche Suͤſſigkeit
vergallet, und ihme wenig Guts fuͤr das kuͤnfftige Leben vorgeſagt werden
moͤchte; darum vernimmet er die Sach nur halb, und laßt es zu einem
Ohr ein- und zum andern wieder ausgehen; Gleichwie man einem Fuͤr-
ſten, dem man nicht trauet, bloß den Durchzug durch die Stadt er-
laubt, von einem Thor biß zum andern; ſo trauet der arme Menſch
JEſu, dem Fuͤrſten des Lebens, der in ſeinem Hertzen einkehren wol-
te, gar nicht. Er grauet und es wird ihm wind und wehe, wann er von der
Einkehr JEſu etwas hoͤren muß; doch weil er hoͤret, daß etwas an
JEſu gelegen, und er es ihne moͤchte entgelten laſſen, laſſet er Jhn
zwar ein, aber wenn er nur nicht lang bleibet, und nicht zu nahe trit-
tet, damit er ja bey Leibe nicht von dem lieben JEſu ſo unvermuh-
tet eingenommen werde, und daher kehrt er niemahls recht in die Stil-
le, daß er die innere Seelen-Geſtalt im Licht JEſu beſchaue, und er
ſo von Jhme, als der Gnaden-Sonnen, wie die ſtillen Waſſer von
der lieblichen Sonnen, erwaͤrmet wurde: ſondern rauſchet ſo, wie ein
wildes Waſſer dahin, und entgehet der waͤrmenden Sonnen JEſu.

Verkehr-
tes Kir-
chengehen.

§. 5. Er gehet zur Kirche, dieſem und jenem Prediger zu lieb, auch

zum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="8"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Wunder-Geheimnuß des</hi></fw><lb/>
klare Augen verlohren, und aus einem Adler eine Nachteule, und aus<lb/>
einer Daube eine Fledermauß, ja &#x017F;tockblind worden, indeme &#x017F;ie ihre<lb/>
fin&#x017F;tere Gedancken, Vorurtheil, fal&#x017F;che Außlegungen der Schrifft und<lb/>
alte hergeholte Erkla&#x0364;rungen liebet, in der hochmu&#x0364;thig und auffgebla-<lb/>
&#x017F;enen Meynung, die Sache gar wohl zu ver&#x017F;tehen; &#x017F;o kommt der<lb/>
Men&#x017F;ch nicht zum Licht, &#x017F;ondern flattert &#x017F;o in der Fin&#x017F;ternuß hin und<lb/>
her, ja erfreuet &#x017F;ich in der&#x017F;elbigen wacker herum zu fliegen, weilen &#x017F;ie &#x017F;ei-<lb/>
nem Flei&#x017F;ches-Sinn gar gu&#x0364;n&#x017F;tig und eintra&#x0364;glich i&#x017F;t, und kan den<lb/>
hellen Sonnen-Glantz, der einigen, ewigen, go&#x0364;ttlichen Wahrheit,<lb/>
als etwas, &#x017F;einer Fin&#x017F;ternuß-liebenden Natur unertra&#x0364;gliches, nicht lei-<lb/>
den; darum ver&#x017F;chantzet er &#x017F;ich in &#x017F;einer Hartna&#x0364;ckigkeit, und will JE-<lb/>
&#x017F;um und alle &#x017F;eine Apo&#x017F;tel mei&#x017F;tern, und zur Schule fu&#x0364;hren, die mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ihm das ge&#x017F;prochen haben, was ihn gut duncket, und zwar in der<lb/>
Meynung, Sinn und Gei&#x017F;t, wie ers mit &#x017F;einer krancken, fin&#x017F;tern<lb/>
und von den hellen Strahlen des himmli&#x017F;chen Lichts Chri&#x017F;ti noch nicht<lb/>
durchbrochener Vernunfft, gefa&#x017F;&#x017F;et, JE&#x017F;um den Propheten ho&#x0364;ret er<lb/>
nicht gern, aus Bey&#x017F;org, er mo&#x0364;chte ihne Sachen lehren, die ihme<lb/>
entweder unangenehm und unan&#x017F;ta&#x0364;ndig wa&#x0364;ren zu u&#x0364;ben: oder, die<lb/>
&#x017F;ich zum heutigen Welt-Lauff gar nicht reimten, ma&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Welt-<lb/>
Freud, Ehr, Lu&#x017F;t dadurch &#x017F;ehr gekra&#x0364;ncket, alle Adami&#x017F;che Su&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit<lb/>
vergallet, und ihme wenig Guts fu&#x0364;r das ku&#x0364;nfftige Leben vorge&#x017F;agt werden<lb/>
mo&#x0364;chte; darum vernimmet er die Sach nur halb, und laßt es zu einem<lb/>
Ohr ein- und zum andern wieder ausgehen; Gleichwie man einem Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;ten, dem man nicht trauet, bloß den Durchzug durch die Stadt er-<lb/>
laubt, von einem Thor biß zum andern; &#x017F;o trauet der arme Men&#x017F;ch<lb/>
JE&#x017F;u, dem Fu&#x0364;r&#x017F;ten des Lebens, der in &#x017F;einem Hertzen einkehren wol-<lb/>
te, gar nicht. Er grauet und es wird ihm wind und wehe, wann er von der<lb/>
Einkehr JE&#x017F;u etwas ho&#x0364;ren muß; doch weil er ho&#x0364;ret, daß etwas an<lb/>
JE&#x017F;u gelegen, und er es ihne mo&#x0364;chte entgelten la&#x017F;&#x017F;en, la&#x017F;&#x017F;et er Jhn<lb/>
zwar ein, aber wenn er nur nicht lang bleibet, und nicht zu nahe trit-<lb/>
tet, damit er ja bey Leibe nicht von dem lieben JE&#x017F;u &#x017F;o unvermuh-<lb/>
tet eingenommen werde, und daher kehrt er niemahls recht in die Stil-<lb/>
le, daß er die innere Seelen-Ge&#x017F;talt im Licht JE&#x017F;u be&#x017F;chaue, und er<lb/>
&#x017F;o von Jhme, als der Gnaden-Sonnen, wie die &#x017F;tillen Wa&#x017F;&#x017F;er von<lb/>
der lieblichen Sonnen, erwa&#x0364;rmet wurde: &#x017F;ondern rau&#x017F;chet &#x017F;o, wie ein<lb/>
wildes Wa&#x017F;&#x017F;er dahin, und entgehet der wa&#x0364;rmenden Sonnen JE&#x017F;u.</p><lb/>
          <note place="left">Verkehr-<lb/>
tes Kir-<lb/>
chengehen.</note>
          <p><hi rendition="#i">§.</hi> 5. Er gehet zur Kirche, die&#x017F;em und jenem Prediger zu lieb, auch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zum</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0104] Wunder-Geheimnuß des klare Augen verlohren, und aus einem Adler eine Nachteule, und aus einer Daube eine Fledermauß, ja ſtockblind worden, indeme ſie ihre finſtere Gedancken, Vorurtheil, falſche Außlegungen der Schrifft und alte hergeholte Erklaͤrungen liebet, in der hochmuͤthig und auffgebla- ſenen Meynung, die Sache gar wohl zu verſtehen; ſo kommt der Menſch nicht zum Licht, ſondern flattert ſo in der Finſternuß hin und her, ja erfreuet ſich in derſelbigen wacker herum zu fliegen, weilen ſie ſei- nem Fleiſches-Sinn gar guͤnſtig und eintraͤglich iſt, und kan den hellen Sonnen-Glantz, der einigen, ewigen, goͤttlichen Wahrheit, als etwas, ſeiner Finſternuß-liebenden Natur unertraͤgliches, nicht lei- den; darum verſchantzet er ſich in ſeiner Hartnaͤckigkeit, und will JE- ſum und alle ſeine Apoſtel meiſtern, und zur Schule fuͤhren, die muͤſ- ſen ihm das geſprochen haben, was ihn gut duncket, und zwar in der Meynung, Sinn und Geiſt, wie ers mit ſeiner krancken, finſtern und von den hellen Strahlen des himmliſchen Lichts Chriſti noch nicht durchbrochener Vernunfft, gefaſſet, JEſum den Propheten hoͤret er nicht gern, aus Beyſorg, er moͤchte ihne Sachen lehren, die ihme entweder unangenehm und unanſtaͤndig waͤren zu uͤben: oder, die ſich zum heutigen Welt-Lauff gar nicht reimten, maſſen ſeine Welt- Freud, Ehr, Luſt dadurch ſehr gekraͤncket, alle Adamiſche Suͤſſigkeit vergallet, und ihme wenig Guts fuͤr das kuͤnfftige Leben vorgeſagt werden moͤchte; darum vernimmet er die Sach nur halb, und laßt es zu einem Ohr ein- und zum andern wieder ausgehen; Gleichwie man einem Fuͤr- ſten, dem man nicht trauet, bloß den Durchzug durch die Stadt er- laubt, von einem Thor biß zum andern; ſo trauet der arme Menſch JEſu, dem Fuͤrſten des Lebens, der in ſeinem Hertzen einkehren wol- te, gar nicht. Er grauet und es wird ihm wind und wehe, wann er von der Einkehr JEſu etwas hoͤren muß; doch weil er hoͤret, daß etwas an JEſu gelegen, und er es ihne moͤchte entgelten laſſen, laſſet er Jhn zwar ein, aber wenn er nur nicht lang bleibet, und nicht zu nahe trit- tet, damit er ja bey Leibe nicht von dem lieben JEſu ſo unvermuh- tet eingenommen werde, und daher kehrt er niemahls recht in die Stil- le, daß er die innere Seelen-Geſtalt im Licht JEſu beſchaue, und er ſo von Jhme, als der Gnaden-Sonnen, wie die ſtillen Waſſer von der lieblichen Sonnen, erwaͤrmet wurde: ſondern rauſchet ſo, wie ein wildes Waſſer dahin, und entgehet der waͤrmenden Sonnen JEſu. §. 5. Er gehet zur Kirche, dieſem und jenem Prediger zu lieb, auch zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/104
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/104>, abgerufen am 04.05.2024.