Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Sechstes Buch [Spaltenumbruch]
den Römern durch ein neues Bündnüß ver-sprach über den Fluß Jberus seine Bothmässig- keit nicht zu erstrecken. Diese Zeitung kam kaum so geschwinde nach Rom/ als die Römer ihre völlige Macht gegen die Deutschen an- und über dem Po fortrücken liessen. Durch welche Kleinmuth/ und einen dem Asdrubal begegnen- den Unfall; da er nemlich einen der Gesandten auf der Jagt mit einem Pfeile tödtlich iedoch zufällig verwundete/ ein in der Deutschen Ge- sandschafft sich befindender Edelmann deroge- stalt erbittert ward: daß er sich umb seine Rache auszuüben in Asdrubals Leibwache bestellen ließ; als aber in wenigen Tagen des Nachts die Reye der Schildwache für seinem Hause an ihn kam/ er sich unvermerckt in das Schlaf-Ge- mach spielte/ und ihm den Degen durchs Hertze stach. Kurtz vorher war zu allem Glücke Anni- bal wieder bey dem Kriegesheere in Hispanien ankommen/ welcher eine Zeitlang in Gallien sich umbgesehen/ auch mit den vermessenen Gal- liern wider König Klodomirn über den Rhein gesetzt; bey damaliger Niederlage anfangs zwar seine Freyheit verlohren/ hernach aber durch seine vielfach erwiesene Kriegs-Wissenschafft Klodomirs wunder-schöne Tochter Chlotildis erworben hatte. Das Kriegsheer erklärte den wiewohl sehr jungen doch hertzhaften Annibal in Hispanien alsofort zum Haupte/ der Rath zu Carthago bestätigte ihm seine Würde; und der Ausschlag wieß: daß das Alter so wenig die Mäß-Schnure der Klugheit/ als ein Riesen- Geschöpfe das eigentliche Wohn-Haus der Tu- gend sey. Weil nun Volck und Pöfel viel Augen hat neuer Häupter Fehler zu übersehen/ und viel Zungen ihn zu lästern; entschloß er sich mit einem herrlichen Anfange ihm ein Ansehen zu machen. Denn ein ungleicher Ruff findet den besten Glauben/ und es ist leichter selbtem durch etwas rühmliches vorzukommen/ als desselbten einmalige Flecken durch viel tugend- haftes Beginnen zu tilgen. Weil nun auch [Spaltenumbruch] die allergeräumsten Umbschrenckungen be- schwerlich sind; Hannibals Gemüthe aber ei- nen grössern Umbschweiff als die Welt hatte; war ihm der letzte Römische Vertrag ein uner- trägliches Fessel; daher beschloß er bey numehr erholten Kräfften die Stadt Carthago lieber frey und todt/ als gebunden zu seyn/ und sei- nes Vaterlandes Herrschafft über den Fluß Jberus zu erweitern. Zumal seine für Rache glüende Gemahlin Chlotildis/ welcher Bruder Concoletan von Römern erschlagen worden ward/ Annibaln Tag und Nacht in Ohren lag mit den Römern zu brechen/ sie ihm auch von unterschiedenen Deutschen Fürsten schrifftliche Versicherung ihres Beystandes fürzeigte. Weil nun diß ohne mit den Römern wieder ins Handgemenge zu kommen nicht geschehen konte; hierzu aber das gemeine Volck zu Car- thago nicht Lust hatte; ja der Adel die gröste Gewalt des zur Kriegs-Zeit am meisten über- wiegenden Barkischen Geschlechtes mit schälen Augen ansah/ stand er an/ diesen Vorschlag selbst aufzuwerffen. Denn ein Kluger soll so viel möglich sich hüten/ nicht allein andern zu widersprechen/ als welches eine Verdammung ihres Urtheils ist; sondern auch/ daß er nichts vorschlage/ welches andere besorglich widerspre- chen werden. Sintemal dieses gleichsam heist wider den Strom schwimmen; und nichts min- der zu eigener Gefahr/ als zu Verminderung des Ansehens gereichet. Also muß ein Kluger offt mit seiner Erklärung zurück halten/ und wenn er es gleich mit den wenigern hält/ doch mit den mei- sten reden. Uber diß erinnerte ihn der gemeine Lauff menschlicher Dinge: daß selten der Aus- schlag das Ziel der alles erleichtern den Einbil- dung erreichet/ dieser ihr Urtheil hingegen auch das schwerste Fürhaben nach der Mäß-Ru- the des Verlangens urtheilet; und die Grösse der Römischen Macht aber: daß er mit nicht allzu übermässiger Hoffnung diß wich- tige Werck unterfangen solte. Zumal ihm Amil-
Sechſtes Buch [Spaltenumbruch]
den Roͤmern durch ein neues Buͤndnuͤß ver-ſprach uͤber den Fluß Jberus ſeine Bothmaͤſſig- keit nicht zu erſtrecken. Dieſe Zeitung kam kaum ſo geſchwinde nach Rom/ als die Roͤmer ihre voͤllige Macht gegen die Deutſchen an- und uͤber dem Po fortruͤcken lieſſen. Durch welche Kleinmuth/ und einen dem Asdrubal begegnen- den Unfall; da er nemlich einen der Geſandten auf der Jagt mit einem Pfeile toͤdtlich iedoch zufaͤllig verwundete/ ein in der Deutſchen Ge- ſandſchafft ſich befindender Edelmann deroge- ſtalt erbittert ward: daß er ſich umb ſeine Rache auszuuͤben in Asdrubals Leibwache beſtellen ließ; als aber in wenigen Tagen des Nachts die Reye der Schildwache fuͤr ſeinem Hauſe an ihn kam/ er ſich unvermerckt in das Schlaf-Ge- mach ſpielte/ und ihm den Degen durchs Hertze ſtach. Kurtz vorher war zu allem Gluͤcke Anni- bal wieder bey dem Kriegesheere in Hiſpanien ankommen/ welcher eine Zeitlang in Gallien ſich umbgeſehen/ auch mit den vermeſſenen Gal- liern wider Koͤnig Klodomirn uͤber den Rhein geſetzt; bey damaliger Niederlage anfangs zwar ſeine Freyheit verlohren/ hernach aber durch ſeine vielfach erwieſene Kriegs-Wiſſenſchafft Klodomirs wunder-ſchoͤne Tochter Chlotildis erworben hatte. Das Kriegsheer erklaͤrte den wiewohl ſehr jungen doch hertzhaften Annibal in Hiſpanien alſofort zum Haupte/ der Rath zu Carthago beſtaͤtigte ihm ſeine Wuͤrde; und der Ausſchlag wieß: daß das Alter ſo wenig die Maͤß-Schnure der Klugheit/ als ein Rieſen- Geſchoͤpfe das eigentliche Wohn-Haus der Tu- gend ſey. Weil nun Volck und Poͤfel viel Augen hat neuer Haͤupter Fehler zu uͤberſehen/ und viel Zungen ihn zu laͤſtern; entſchloß er ſich mit einem herrlichen Anfange ihm ein Anſehen zu machen. Denn ein ungleicher Ruff findet den beſten Glauben/ und es iſt leichter ſelbtem durch etwas ruͤhmliches vorzukommen/ als deſſelbten einmalige Flecken durch viel tugend- haftes Beginnen zu tilgen. Weil nun auch [Spaltenumbruch] die allergeraͤumſten Umbſchrenckungen be- ſchwerlich ſind; Hannibals Gemuͤthe aber ei- nen groͤſſern Umbſchweiff als die Welt hatte; war ihm der letzte Roͤmiſche Vertrag ein uner- traͤgliches Feſſel; daher beſchloß er bey numehr erholten Kraͤfften die Stadt Carthago lieber frey und todt/ als gebunden zu ſeyn/ und ſei- nes Vaterlandes Herrſchafft uͤber den Fluß Jberus zu erweitern. Zumal ſeine fuͤr Rache gluͤende Gemahlin Chlotildis/ welcher Bruder Concoletan von Roͤmern erſchlagen worden ward/ Annibaln Tag und Nacht in Ohren lag mit den Roͤmern zu brechen/ ſie ihm auch von unterſchiedenen Deutſchen Fuͤrſten ſchrifftliche Verſicherung ihres Beyſtandes fuͤrzeigte. Weil nun diß ohne mit den Roͤmern wieder ins Handgemenge zu kommen nicht geſchehen konte; hierzu aber das gemeine Volck zu Car- thago nicht Luſt hatte; ja der Adel die groͤſte Gewalt des zur Kriegs-Zeit am meiſten uͤber- wiegenden Barkiſchen Geſchlechtes mit ſchaͤlen Augen anſah/ ſtand er an/ dieſen Vorſchlag ſelbſt aufzuwerffen. Denn ein Kluger ſoll ſo viel moͤglich ſich huͤten/ nicht allein andern zu widerſprechen/ als welches eine Verdammung ihres Urtheils iſt; ſondern auch/ daß er nichts vorſchlage/ welches andere beſorglich widerſpre- chen werden. Sintemal dieſes gleichſam heiſt wider den Strom ſchwimmen; und nichts min- der zu eigener Gefahr/ als zu Verminderung des Anſehens gereichet. Alſo muß ein Kluger offt mit ſeiner Erklaͤrung zuruͤck halten/ und wenn er es gleich mit den wenigern haͤlt/ doch mit den mei- ſten reden. Uber diß erinnerte ihn der gemeine Lauff menſchlicher Dinge: daß ſelten der Aus- ſchlag das Ziel der alles erleichtern den Einbil- dung erreichet/ dieſer ihr Urtheil hingegen auch das ſchwerſte Fuͤrhaben nach der Maͤß-Ru- the des Verlangens urtheilet; und die Groͤſſe der Roͤmiſchen Macht aber: daß er mit nicht allzu uͤbermaͤſſiger Hoffnung diß wich- tige Werck unterfangen ſolte. Zumal ihm Amil-
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Sechſtes Buch
den Roͤmern durch ein neues Buͤndnuͤß ver-
ſprach uͤber den Fluß Jberus ſeine Bothmaͤſſig-
keit nicht zu erſtrecken. Dieſe Zeitung kam
kaum ſo geſchwinde nach Rom/ als die Roͤmer
ihre voͤllige Macht gegen die Deutſchen an- und
uͤber dem Po fortruͤcken lieſſen. Durch welche
Kleinmuth/ und einen dem Asdrubal begegnen-
den Unfall; da er nemlich einen der Geſandten
auf der Jagt mit einem Pfeile toͤdtlich iedoch
zufaͤllig verwundete/ ein in der Deutſchen Ge-
ſandſchafft ſich befindender Edelmann deroge-
ſtalt erbittert ward: daß er ſich umb ſeine Rache
auszuuͤben in Asdrubals Leibwache beſtellen
ließ; als aber in wenigen Tagen des Nachts die
Reye der Schildwache fuͤr ſeinem Hauſe an ihn
kam/ er ſich unvermerckt in das Schlaf-Ge-
mach ſpielte/ und ihm den Degen durchs Hertze
ſtach. Kurtz vorher war zu allem Gluͤcke Anni-
bal wieder bey dem Kriegesheere in Hiſpanien
ankommen/ welcher eine Zeitlang in Gallien
ſich umbgeſehen/ auch mit den vermeſſenen Gal-
liern wider Koͤnig Klodomirn uͤber den Rhein
geſetzt; bey damaliger Niederlage anfangs zwar
ſeine Freyheit verlohren/ hernach aber durch
ſeine vielfach erwieſene Kriegs-Wiſſenſchafft
Klodomirs wunder-ſchoͤne Tochter Chlotildis
erworben hatte. Das Kriegsheer erklaͤrte den
wiewohl ſehr jungen doch hertzhaften Annibal in
Hiſpanien alſofort zum Haupte/ der Rath zu
Carthago beſtaͤtigte ihm ſeine Wuͤrde; und der
Ausſchlag wieß: daß das Alter ſo wenig die
Maͤß-Schnure der Klugheit/ als ein Rieſen-
Geſchoͤpfe das eigentliche Wohn-Haus der Tu-
gend ſey. Weil nun Volck und Poͤfel viel
Augen hat neuer Haͤupter Fehler zu uͤberſehen/
und viel Zungen ihn zu laͤſtern; entſchloß er ſich
mit einem herrlichen Anfange ihm ein Anſehen
zu machen. Denn ein ungleicher Ruff findet
den beſten Glauben/ und es iſt leichter ſelbtem
durch etwas ruͤhmliches vorzukommen/ als
deſſelbten einmalige Flecken durch viel tugend-
haftes Beginnen zu tilgen. Weil nun auch
die allergeraͤumſten Umbſchrenckungen be-
ſchwerlich ſind; Hannibals Gemuͤthe aber ei-
nen groͤſſern Umbſchweiff als die Welt hatte;
war ihm der letzte Roͤmiſche Vertrag ein uner-
traͤgliches Feſſel; daher beſchloß er bey numehr
erholten Kraͤfften die Stadt Carthago lieber
frey und todt/ als gebunden zu ſeyn/ und ſei-
nes Vaterlandes Herrſchafft uͤber den Fluß
Jberus zu erweitern. Zumal ſeine fuͤr Rache
gluͤende Gemahlin Chlotildis/ welcher Bruder
Concoletan von Roͤmern erſchlagen worden
ward/ Annibaln Tag und Nacht in Ohren lag
mit den Roͤmern zu brechen/ ſie ihm auch von
unterſchiedenen Deutſchen Fuͤrſten ſchrifftliche
Verſicherung ihres Beyſtandes fuͤrzeigte.
Weil nun diß ohne mit den Roͤmern wieder
ins Handgemenge zu kommen nicht geſchehen
konte; hierzu aber das gemeine Volck zu Car-
thago nicht Luſt hatte; ja der Adel die groͤſte
Gewalt des zur Kriegs-Zeit am meiſten uͤber-
wiegenden Barkiſchen Geſchlechtes mit ſchaͤlen
Augen anſah/ ſtand er an/ dieſen Vorſchlag
ſelbſt aufzuwerffen. Denn ein Kluger ſoll
ſo viel moͤglich ſich huͤten/ nicht allein andern zu
widerſprechen/ als welches eine Verdammung
ihres Urtheils iſt; ſondern auch/ daß er nichts
vorſchlage/ welches andere beſorglich widerſpre-
chen werden. Sintemal dieſes gleichſam heiſt
wider den Strom ſchwimmen; und nichts min-
der zu eigener Gefahr/ als zu Verminderung des
Anſehens gereichet. Alſo muß ein Kluger offt
mit ſeiner Erklaͤrung zuruͤck halten/ und wenn er
es gleich mit den wenigern haͤlt/ doch mit den mei-
ſten reden. Uber diß erinnerte ihn der gemeine
Lauff menſchlicher Dinge: daß ſelten der Aus-
ſchlag das Ziel der alles erleichtern den Einbil-
dung erreichet/ dieſer ihr Urtheil hingegen auch
das ſchwerſte Fuͤrhaben nach der Maͤß-Ru-
the des Verlangens urtheilet; und die Groͤſſe
der Roͤmiſchen Macht aber: daß er mit
nicht allzu uͤbermaͤſſiger Hoffnung diß wich-
tige Werck unterfangen ſolte. Zumal ihm
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 820[822]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/882>, abgerufen am 22.07.2024. |