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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] gentlich zu zeigen/ welches die Behertzten auf die
Mauern die Kleinmüthigen aber in die Tempel
trieb/ von ihren Göttern Hülffe zu bitten. Die
blutdürstigen Priester des Saturnus und Her-
cules aberschrieben die Ursache alles Elendes der
kaltsinnigen Andacht zu/ indem sie ihrem Hercu-
les nach Tyrus in vielen Jahren keine Zehnden
geschickt/ dem Saturnus aber keine Kinder/ oder
doch nur ungeartete und Fremdlinge geopfert hat-
ten. Weil nun erschrockene Gemüther leichte zum
Aberglauben bewegt werden/ füllten die Frau-
en mit ihren güldenen Geschmeiden/ Perlen/
und Edelsteinernen Ohr gehencken ein ziemlich
Schiff voll/ und schickten es noch selbigen Tag
nach Tyrus. Drey hundert edle Geschlechter
brachten freywillig so viel ihrer Söhne in den
Tempel des Esculapius zum Saturnus-Opfer.
Der Pöfel aber/ welcher beym Unglücke zugleich
verzagt und grausam wird/ war noch grausa-
mer/ als dieser Mord-Geist. Denn er nöthig-
te noch zwey hundert edle Häuser; und unter
selbten auch Bomilcars eines ihrer Kinder zum
Opfer herzugeben. Wiewohl nun Bomilcar
nur einen einigen Sohn hatte/ muste er doch in
einen sauren Apfel beissen/ und lieber seinen
Sohn als den Schein des Vaterlandes missen.
Aber seine Gemahlin Hipsicratea konte es nicht
übers Hertze bringen sich eines so unschätzbaren
Pfandes zu berauben. Daher nahm sie den
gekaufften Fürsten Narvas/ schnitt ihm seine
schneeweisse Haare ab/ und erstattete selbte durch
falsche schwartz-gekräuselte; schmierte sein Ant-
litz und gantzen Leib mit allerhand färbenden Kräu-
tern und Sesam-Oel ein: daß ihn nunmehr die
braunen Africaner/ nicht aber die weissen Estio-
ner für ihr Lands-Kind annehmen konten. Wel-
ches der dienstbare Narvas/ dem Hipsicratea hie-
bey auf alle ersinnliche Weise liebkosete/ auch ihn
anders nicht als ihren Sohn nennte/ desto willi-
ger vertrug; weil er ihm nicht träumen ließ: daß
man ihn zu einer so abscheulichen Abschlachtung
mästete. Wie nun die bestimmte Zeit erschien/
[Spaltenumbruch] fuhren die Mütter auf köstlichen von Maul-
Thieren gezogenen Sieges-Wagen mit ihren
in ascherfärbichten Silber-Stücke gekleide-
ten/ und mit Cypressen/ welche mit Onichen/
Jaspissen und Topassen umbwunden waren/
gekräntzten Söhnen gegen Mitternacht in den
von allerhand Paucken und Saiten-Spielen
bebenden Tempel/ und also auch Hipsicratea
mit ihrem aufgeputzten Narvas/ den sie überte-
dete: daß sie in dem Heiligthume die Banden
seiner Dienstbarkeit auflösen/ und wahrmachen
wolte: daß er an ihr eine natürliche Mutter
überkommen hätte. Das Kinder-Opfer ge-
wan nicht nur im Angesichte des grossen Ra-
thes/ sondern ihrer selbsteigener Väter den An-
fang/ und die Mütter musten mit lachendem
Munde ihre Söhne selbst dem fressenden Sa-
turnus auf die Armen legen/ oder vielmehr ihr
Mutter-Hertze in einen giftigen Höllen-Pful
verwandeln/ und ihre Hände den Werckzeug
der unempfindlichsten Hencker übertreffen.
Der behertzte Fürst Narvas wuste anfangs
nicht/ was mit so viel edlen Knaben gespielet
ward/ ob er schon von ferne beym Abfall eines
oder des andern einen feurigen Strahl auf-
schiessen sahe/ biß ihm die bey etlichen Kindern
aus den Augen rinnende Thränen die Sache
verdächtig machten. Es waren ihrer wohl
schon 200. von dem zerschmoltzenen Bley ver-
schlungen; als die Reye an ihn kam/ und die
Opfer-Knechte ihn binden/ und Hipsicrateen in
die Hände liefern wolten. Er erblickte aber den
feurigen Pful/ sprang also zurücke/ und als die
Opfer-Knechte ihn gleichwohl antasten wolten/
zohe er einem edlen Carthaginenser die Sebel
aus der Scheide/ und stellte sich zur Gegenwehr.
Hipsicratea ward hierüber überaus verwirret/
und das zuschauende Volck wendete nunmehr
die Augen auf Bomilcarn/ was selbter bey Ent-
weihung dieses Opfers gegen seinem widerspen-
stigen Sohne entschlüssen würde. Denn ihm
lag nunmehr vermöge der väterlichen Gesetze

ob/
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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] gentlich zu zeigen/ welches die Behertzten auf die
Mauern die Kleinmuͤthigen aber in die Tempel
trieb/ von ihren Goͤttern Huͤlffe zu bitten. Die
blutduͤrſtigen Prieſter des Saturnus und Her-
cules aberſchrieben die Urſache alles Elendes der
kaltſiñigen Andacht zu/ indem ſie ihrem Hercu-
les nach Tyrus in vielen Jahren keine Zehnden
geſchickt/ dem Saturnus aber keine Kinder/ oder
doch nuꝛ ungeartete uñ Fꝛemdlinge geopfert hat-
tẽ. Weil nun erſchrockene Gemuͤther leichte zum
Aberglauben bewegt werden/ fuͤllten die Frau-
en mit ihren guͤldenen Geſchmeiden/ Perlen/
und Edelſteinernen Ohr gehencken ein ziemlich
Schiff voll/ und ſchickten es noch ſelbigen Tag
nach Tyrus. Drey hundert edle Geſchlechter
brachten freywillig ſo viel ihrer Soͤhne in den
Tempel des Eſculapius zum Saturnus-Opfer.
Der Poͤfel aber/ welcher beym Ungluͤcke zugleich
verzagt und grauſam wird/ war noch grauſa-
mer/ als dieſer Mord-Geiſt. Denn er noͤthig-
te noch zwey hundert edle Haͤuſer; und unter
ſelbten auch Bomilcars eines ihrer Kinder zum
Opfer herzugeben. Wiewohl nun Bomilcar
nur einen einigen Sohn hatte/ muſte er doch in
einen ſauren Apfel beiſſen/ und lieber ſeinen
Sohn als den Schein des Vaterlandes miſſen.
Aber ſeine Gemahlin Hipſicratea konte es nicht
uͤbers Hertze bringen ſich eines ſo unſchaͤtzbaren
Pfandes zu berauben. Daher nahm ſie den
gekaufften Fuͤrſten Narvas/ ſchnitt ihm ſeine
ſchneeweiſſe Haare ab/ und erſtattete ſelbte durch
falſche ſchwartz-gekraͤuſelte; ſchmierte ſein Ant-
litz und gantzẽ Leib mit allerhand faͤrbendẽ Kraͤu-
tern und Seſam-Oel ein: daß ihn nunmehr die
braunen Africaner/ nicht aber die weiſſen Eſtio-
ner fuͤr ihr Lands-Kind annehmen konten. Wel-
ches der dienſtbare Narvas/ dem Hipſicratea hie-
bey auf alle erſinnliche Weiſe liebkoſete/ auch ihn
anders nicht als ihren Sohn nennte/ deſto willi-
ger vertrug; weil er ihm nicht traͤumen ließ: daß
man ihn zu einer ſo abſcheulichen Abſchlachtung
maͤſtete. Wie nun die beſtim̃te Zeit erſchien/
[Spaltenumbruch] fuhren die Muͤtter auf koͤſtlichen von Maul-
Thieren gezogenen Sieges-Wagen mit ihren
in aſcherfaͤrbichten Silber-Stuͤcke gekleide-
ten/ und mit Cypreſſen/ welche mit Onichen/
Jaſpiſſen und Topaſſen umbwunden waren/
gekraͤntzten Soͤhnen gegen Mitternacht in den
von allerhand Paucken und Saiten-Spielen
bebenden Tempel/ und alſo auch Hipſicratea
mit ihrem aufgeputzten Narvas/ den ſie uͤberte-
dete: daß ſie in dem Heiligthume die Banden
ſeiner Dienſtbarkeit aufloͤſen/ und wahrmachen
wolte: daß er an ihr eine natuͤrliche Mutter
uͤberkommen haͤtte. Das Kinder-Opfer ge-
wan nicht nur im Angeſichte des groſſen Ra-
thes/ ſondern ihrer ſelbſteigener Vaͤter den An-
fang/ und die Muͤtter muſten mit lachendem
Munde ihre Soͤhne ſelbſt dem freſſenden Sa-
turnus auf die Armen legen/ oder vielmehr ihr
Mutter-Hertze in einen giftigen Hoͤllen-Pful
verwandeln/ und ihre Haͤnde den Werckzeug
der unempfindlichſten Hencker uͤbertreffen.
Der behertzte Fuͤrſt Narvas wuſte anfangs
nicht/ was mit ſo viel edlen Knaben geſpielet
ward/ ob er ſchon von ferne beym Abfall eines
oder des andern einen feurigen Strahl auf-
ſchieſſen ſahe/ biß ihm die bey etlichen Kindern
aus den Augen rinnende Thraͤnen die Sache
verdaͤchtig machten. Es waren ihrer wohl
ſchon 200. von dem zerſchmoltzenen Bley ver-
ſchlungen; als die Reye an ihn kam/ und die
Opfer-Knechte ihn binden/ und Hipſicrateen in
die Haͤnde liefern wolten. Er erblickte aber den
feurigen Pful/ ſprang alſo zuruͤcke/ und als die
Opfer-Knechte ihn gleichwohl antaſten wolten/
zohe er einem edlen Carthaginenſer die Sebel
aus der Scheide/ und ſtellte ſich zur Gegenwehr.
Hipſicratea ward hieruͤber uͤberaus verwirret/
und das zuſchauende Volck wendete nunmehr
die Augen auf Bomilcarn/ was ſelbter bey Ent-
weihung dieſes Opfers gegen ſeinem widerſpen-
ſtigen Sohne entſchluͤſſen wuͤrde. Denn ihm
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 795[799]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/859>, abgerufen am 23.11.2024.