Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Der für Augen schwebende Verlust macht ihm
sein Reichthum zur Uberlast/ und auf das Altar/
welches die Heuchler seiner Würde anzünden/
liefert er sein Hertze selbst zu einem brennenden
Opffer. Ja wer an der Höllenpein zweiffelt/
frage ein böses Gewissen/ so wird er vernehmen/
daß es Hencker und Foltern/ die man nicht sehe/
und ein Leben gäbe/ welches ärger als der Tod
ist. Herentgegen/ weil ein ruhiges Gemüthe
unaufhörlich auf Gott/ wie die Magnet-Nadel
nach dem Angelsterne zielet/ muß selbtes in ei-
nem Meer voll Ergetzligkeiten schwimmen;
auch nichts anders/ als diß/ die unvermeidliche
Noth zu sterben verzuckern; ja seine bitterste
Galle zwischen glüenden Zangen annehmlich
machen: also daß/ wie schwartz und grausam er
denen Lasterhafften fürkommt/ er dennoch von
jenen als ein liebreicher Bräutigam umarmet
wird. Aus welchem Nachdencken der Mei-
ster dieses Todtenbildes vielleicht das annehmli-
che Helffenbein zu einem sonst so abscheulichen
Gespenste erkieset hat. Alleine es ist nicht
möglich/ daß ein Mensch entweder aus einem
tieffen Schlaffe der Unachtsamkeit/ oder aus ei-
ner falschen Eigenliebe ihm eine Gewissens-
Ruh mache/ und bey seiner gefährlichsten
Kranckheit gleichwol keine Schmertzen empfin-
de? Pflegen nicht die/ welche aus ihren Lastern
ein Handwerck gemacht/ alle Stachel des Ge-
wissens zu verlieren; ja sich über ihrer begange-
nen Boßheit noch zu kitzeln? Oder schweben wir
elende Menschen nicht allhier auf so glattem Ei-
se/ daß wer heute stehet/ morgen zu Bodem fällt?
Einen Ringer aber krönet nicht der gute An-
fang/ sondern ein herrliches Ende; Einen
Menschen nicht seine eigene Beruhigung/ son-
dern ein seliger Tod. Mecenas begegnete ihm:
Jch vertheidige ein gutes Gewissen/ welches
keine andere/ als einen tugendhafften Wandel
zur Mutter hat; nicht die Schlaffsucht derer/
die in dem Schlamme der Sünden ohne einige
Empfindligkeit stecken. Dahero müssen diese
[Spaltenumbruch] Mahblumen nicht mit wohlrüchenden Rosen
vermengt werden. Jch kenne auch zwar nicht
die menschlichen Schwachheiten; Aber die Ab-
setzung von einem guten Absehen klebet nur fah-
selnden Buhlern/ oder Gleißnern an. Denn
in der Tugend steckt eine kräfftige Anmuth/ daß
wer sie nur einen Augenblick wahrhafftig lieb
gewonnen hat/ selbte sie sein Lebetage nicht has-
sen kan. Vollkommentlich aber kan niemand
was lieben/ der es nicht vorher eigentlich erken-
nen lernen. Die Tugend aber erkennen ist ei-
ne Verbündnüß mit Gott/ ein Ancker der Se-
ligkeit/ ein Geschmack über alle Süßigkeiten
der Wollust/ und alle Bitterkeiten des Lebens.
Diesemnach der weise Epicur zu sagen gepflegt
hat: Ein Weiser würde nicht des Lebens über-
drüßig/ und verlangte nicht zusterben/ wenn
man ihm schon beyde Augen ausstäche. Und
er würde allezeit den Göttern für Erhaltung
des Lebens danckbar seyn/ wenn sie ihn schon
nach so vielen Liebkosungen lähmeten/ verstell-
ten/ zum Kriepel werden und am Kreutze stehen
liessen. Zarmar begegnete ihm: Er wäre wol
selbst kein Weichling/ noch auch ihr Vertheidi-
ger/ sondern er hielte es für die gröste Tugend in
einem preßhafften Leibe einen freudigen Geist
behalten. Alleine diß wäre eine allzu strenge
Grausamkeit gegen sich selbst/ aus Haß gegen
dem Tode/ erbärmlich zu leben wünschen; wie-
wol diß nicht ein Leben/ sondern eine Tauerung
der Pein/ ja vielmehr ein langsames Sterben
wäre. Es schiene eine schnöde Bettelung der
Furcht zu seyn/ wenn man lieber die Seele
gleichsam Tropffen- oder Stückweise/ und durch
eine langsame Schwindsucht/ als auf einmahl
behertzt auszublasen wünschte. Er hielte die
Nothwendigkeit zu sterben eben so wol für eine
Wolthat der Natur/ als ein Gefangener einem
zu dancken Ursach hätte/ der ihm die Fessel auff-
lösete. Dannenhero müste man sich der Be-
gierde zu leben enteusern/ weil es doch insge-
mein befleckt oder beschwert wäre; den Tod aber

am
Erster Theil. T t t t

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Der fuͤr Augen ſchwebende Verluſt macht ihm
ſein Reichthum zur Uberlaſt/ und auf das Altar/
welches die Heuchler ſeiner Wuͤrde anzuͤnden/
liefert er ſein Hertze ſelbſt zu einem brennenden
Opffer. Ja wer an der Hoͤllenpein zweiffelt/
frage ein boͤſes Gewiſſen/ ſo wird er vernehmen/
daß es Hencker und Foltern/ die man nicht ſehe/
und ein Leben gaͤbe/ welches aͤrger als der Tod
iſt. Herentgegen/ weil ein ruhiges Gemuͤthe
unaufhoͤrlich auf Gott/ wie die Magnet-Nadel
nach dem Angelſterne zielet/ muß ſelbtes in ei-
nem Meer voll Ergetzligkeiten ſchwimmen;
auch nichts anders/ als diß/ die unvermeidliche
Noth zu ſterben verzuckern; ja ſeine bitterſte
Galle zwiſchen gluͤenden Zangen annehmlich
machen: alſo daß/ wie ſchwartz und grauſam er
denen Laſterhafften fuͤrkommt/ er dennoch von
jenen als ein liebreicher Braͤutigam umarmet
wird. Aus welchem Nachdencken der Mei-
ſter dieſes Todtenbildes vielleicht das annehmli-
che Helffenbein zu einem ſonſt ſo abſcheulichen
Geſpenſte erkieſet hat. Alleine es iſt nicht
moͤglich/ daß ein Menſch entweder aus einem
tieffen Schlaffe der Unachtſamkeit/ oder aus ei-
ner falſchen Eigenliebe ihm eine Gewiſſens-
Ruh mache/ und bey ſeiner gefaͤhrlichſten
Kranckheit gleichwol keine Schmeꝛtzen empfin-
de? Pflegen nicht die/ welche aus ihren Laſtern
ein Handwerck gemacht/ alle Stachel des Ge-
wiſſens zu verlieren; ja ſich uͤber ihrer begange-
nen Boßheit noch zu kitzeln? Oder ſchweben wir
elende Menſchen nicht allhier auf ſo glattem Ei-
ſe/ daß wer heute ſtehet/ morgen zu Bodem faͤllt?
Einen Ringer aber kroͤnet nicht der gute An-
fang/ ſondern ein herrliches Ende; Einen
Menſchen nicht ſeine eigene Beruhigung/ ſon-
dern ein ſeliger Tod. Mecenas begegnete ihm:
Jch vertheidige ein gutes Gewiſſen/ welches
keine andere/ als einen tugendhafften Wandel
zur Mutter hat; nicht die Schlaffſucht derer/
die in dem Schlamme der Suͤnden ohne einige
Empfindligkeit ſtecken. Dahero muͤſſen dieſe
[Spaltenumbruch] Mahblumen nicht mit wohlruͤchenden Roſen
vermengt werden. Jch kenne auch zwar nicht
die menſchlichen Schwachheiten; Aber die Ab-
ſetzung von einem guten Abſehen klebet nur fah-
ſelnden Buhlern/ oder Gleißnern an. Denn
in der Tugend ſteckt eine kraͤfftige Anmuth/ daß
wer ſie nur einen Augenblick wahrhafftig lieb
gewonnen hat/ ſelbte ſie ſein Lebetage nicht haſ-
ſen kan. Vollkommentlich aber kan niemand
was lieben/ der es nicht vorher eigentlich erken-
nen lernen. Die Tugend aber erkennen iſt ei-
ne Verbuͤndnuͤß mit Gott/ ein Ancker der Se-
ligkeit/ ein Geſchmack uͤber alle Suͤßigkeiten
der Wolluſt/ und alle Bitterkeiten des Lebens.
Dieſemnach der weiſe Epicur zu ſagen gepflegt
hat: Ein Weiſer wuͤrde nicht des Lebens uͤber-
druͤßig/ und verlangte nicht zuſterben/ wenn
man ihm ſchon beyde Augen ausſtaͤche. Und
er wuͤrde allezeit den Goͤttern fuͤr Erhaltung
des Lebens danckbar ſeyn/ wenn ſie ihn ſchon
nach ſo vielen Liebkoſungen laͤhmeten/ verſtell-
ten/ zum Kriepel werden und am Kreutze ſtehen
lieſſen. Zarmar begegnete ihm: Er waͤre wol
ſelbſt kein Weichling/ noch auch ihr Vertheidi-
ger/ ſondern er hielte es fuͤr die groͤſte Tugend in
einem preßhafften Leibe einen freudigen Geiſt
behalten. Alleine diß waͤre eine allzu ſtrenge
Grauſamkeit gegen ſich ſelbſt/ aus Haß gegen
dem Tode/ erbaͤrmlich zu leben wuͤnſchen; wie-
wol diß nicht ein Leben/ ſondern eine Tauerung
der Pein/ ja vielmehr ein langſames Sterben
waͤre. Es ſchiene eine ſchnoͤde Bettelung der
Furcht zu ſeyn/ wenn man lieber die Seele
gleichſam Tropffen- oder Stuͤckweiſe/ und durch
eine langſame Schwindſucht/ als auf einmahl
behertzt auszublaſen wuͤnſchte. Er hielte die
Nothwendigkeit zu ſterben eben ſo wol fuͤr eine
Wolthat der Natur/ als ein Gefangener einem
zu dancken Urſach haͤtte/ der ihm die Feſſel auff-
loͤſete. Dannenhero muͤſte man ſich der Be-
gierde zu leben enteuſern/ weil es doch insge-
mein befleckt oder beſchwert waͤre; den Tod aber

am
Erſter Theil. T t t t
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0753" n="697"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Arminius und Thußnelda.</hi></fw><lb/><cb/>
Der fu&#x0364;r Augen &#x017F;chwebende Verlu&#x017F;t macht ihm<lb/>
&#x017F;ein Reichthum zur Uberla&#x017F;t/ und auf das Altar/<lb/>
welches die Heuchler &#x017F;einer Wu&#x0364;rde anzu&#x0364;nden/<lb/>
liefert er &#x017F;ein Hertze &#x017F;elb&#x017F;t zu einem brennenden<lb/>
Opffer. Ja wer an der Ho&#x0364;llenpein zweiffelt/<lb/>
frage ein bo&#x0364;&#x017F;es Gewi&#x017F;&#x017F;en/ &#x017F;o wird er vernehmen/<lb/>
daß es Hencker und Foltern/ die man nicht &#x017F;ehe/<lb/>
und ein Leben ga&#x0364;be/ welches a&#x0364;rger als der Tod<lb/>
i&#x017F;t. Herentgegen/ weil ein ruhiges Gemu&#x0364;the<lb/>
unaufho&#x0364;rlich auf Gott/ wie die Magnet-Nadel<lb/>
nach dem Angel&#x017F;terne zielet/ muß &#x017F;elbtes in ei-<lb/>
nem Meer voll Ergetzligkeiten &#x017F;chwimmen;<lb/>
auch nichts anders/ als diß/ die unvermeidliche<lb/>
Noth zu &#x017F;terben verzuckern; ja &#x017F;eine bitter&#x017F;te<lb/>
Galle zwi&#x017F;chen glu&#x0364;enden Zangen annehmlich<lb/>
machen: al&#x017F;o daß/ wie &#x017F;chwartz und grau&#x017F;am er<lb/>
denen La&#x017F;terhafften fu&#x0364;rkommt/ er dennoch von<lb/>
jenen als ein liebreicher Bra&#x0364;utigam umarmet<lb/>
wird. Aus welchem Nachdencken der Mei-<lb/>
&#x017F;ter die&#x017F;es Todtenbildes vielleicht das annehmli-<lb/>
che Helffenbein zu einem &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o ab&#x017F;cheulichen<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;te erkie&#x017F;et hat. Alleine es i&#x017F;t nicht<lb/>
mo&#x0364;glich/ daß ein Men&#x017F;ch entweder aus einem<lb/>
tieffen Schlaffe der Unacht&#x017F;amkeit/ oder aus ei-<lb/>
ner fal&#x017F;chen Eigenliebe ihm eine Gewi&#x017F;&#x017F;ens-<lb/>
Ruh mache/ und bey &#x017F;einer gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten<lb/>
Kranckheit gleichwol keine Schme&#xA75B;tzen empfin-<lb/>
de? Pflegen nicht die/ welche aus ihren La&#x017F;tern<lb/>
ein Handwerck gemacht/ alle Stachel des Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ens zu verlieren; ja &#x017F;ich u&#x0364;ber ihrer begange-<lb/>
nen Boßheit noch zu kitzeln? Oder &#x017F;chweben wir<lb/>
elende Men&#x017F;chen nicht allhier auf &#x017F;o glattem Ei-<lb/>
&#x017F;e/ daß wer heute &#x017F;tehet/ morgen zu Bodem fa&#x0364;llt?<lb/>
Einen Ringer aber kro&#x0364;net nicht der gute An-<lb/>
fang/ &#x017F;ondern ein herrliches Ende; Einen<lb/>
Men&#x017F;chen nicht &#x017F;eine eigene Beruhigung/ &#x017F;on-<lb/>
dern ein &#x017F;eliger Tod. Mecenas begegnete ihm:<lb/>
Jch vertheidige ein gutes Gewi&#x017F;&#x017F;en/ welches<lb/>
keine andere/ als einen tugendhafften Wandel<lb/>
zur Mutter hat; nicht die Schlaff&#x017F;ucht derer/<lb/>
die in dem Schlamme der Su&#x0364;nden ohne einige<lb/>
Empfindligkeit &#x017F;tecken. Dahero mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e<lb/><cb/>
Mahblumen nicht mit wohlru&#x0364;chenden Ro&#x017F;en<lb/>
vermengt werden. Jch kenne auch zwar nicht<lb/>
die men&#x017F;chlichen Schwachheiten; Aber die Ab-<lb/>
&#x017F;etzung von einem guten Ab&#x017F;ehen klebet nur fah-<lb/>
&#x017F;elnden Buhlern/ oder Gleißnern an. Denn<lb/>
in der Tugend &#x017F;teckt eine kra&#x0364;fftige Anmuth/ daß<lb/>
wer &#x017F;ie nur einen Augenblick wahrhafftig lieb<lb/>
gewonnen hat/ &#x017F;elbte &#x017F;ie &#x017F;ein Lebetage nicht ha&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en kan. Vollkommentlich aber kan niemand<lb/>
was lieben/ der es nicht vorher eigentlich erken-<lb/>
nen lernen. Die Tugend aber erkennen i&#x017F;t ei-<lb/>
ne Verbu&#x0364;ndnu&#x0364;ß mit Gott/ ein Ancker der Se-<lb/>
ligkeit/ ein Ge&#x017F;chmack u&#x0364;ber alle Su&#x0364;ßigkeiten<lb/>
der Wollu&#x017F;t/ und alle Bitterkeiten des Lebens.<lb/>
Die&#x017F;emnach der wei&#x017F;e Epicur zu &#x017F;agen gepflegt<lb/>
hat: Ein Wei&#x017F;er wu&#x0364;rde nicht des Lebens u&#x0364;ber-<lb/>
dru&#x0364;ßig/ und verlangte nicht zu&#x017F;terben/ wenn<lb/>
man ihm &#x017F;chon beyde Augen aus&#x017F;ta&#x0364;che. Und<lb/>
er wu&#x0364;rde allezeit den Go&#x0364;ttern fu&#x0364;r Erhaltung<lb/>
des Lebens danckbar &#x017F;eyn/ wenn &#x017F;ie ihn &#x017F;chon<lb/>
nach &#x017F;o vielen Liebko&#x017F;ungen la&#x0364;hmeten/ ver&#x017F;tell-<lb/>
ten/ zum Kriepel werden und am Kreutze &#x017F;tehen<lb/>
lie&#x017F;&#x017F;en. Zarmar begegnete ihm: Er wa&#x0364;re wol<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t kein Weichling/ noch auch ihr Vertheidi-<lb/>
ger/ &#x017F;ondern er hielte es fu&#x0364;r die gro&#x0364;&#x017F;te Tugend in<lb/>
einem preßhafften Leibe einen freudigen Gei&#x017F;t<lb/>
behalten. Alleine diß wa&#x0364;re eine allzu &#x017F;trenge<lb/>
Grau&#x017F;amkeit gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t/ aus Haß gegen<lb/>
dem Tode/ erba&#x0364;rmlich zu leben wu&#x0364;n&#x017F;chen; wie-<lb/>
wol diß nicht ein Leben/ &#x017F;ondern eine Tauerung<lb/>
der Pein/ ja vielmehr ein lang&#x017F;ames Sterben<lb/>
wa&#x0364;re. Es &#x017F;chiene eine &#x017F;chno&#x0364;de Bettelung der<lb/>
Furcht zu &#x017F;eyn/ wenn man lieber die Seele<lb/>
gleich&#x017F;am Tropffen- oder Stu&#x0364;ckwei&#x017F;e/ und durch<lb/>
eine lang&#x017F;ame Schwind&#x017F;ucht/ als auf einmahl<lb/>
behertzt auszubla&#x017F;en wu&#x0364;n&#x017F;chte. Er hielte die<lb/>
Nothwendigkeit zu &#x017F;terben eben &#x017F;o wol fu&#x0364;r eine<lb/>
Wolthat der Natur/ als ein Gefangener einem<lb/>
zu dancken Ur&#x017F;ach ha&#x0364;tte/ der ihm die Fe&#x017F;&#x017F;el auff-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;ete. Dannenhero mu&#x0364;&#x017F;te man &#x017F;ich der Be-<lb/>
gierde zu leben enteu&#x017F;ern/ weil es doch insge-<lb/>
mein befleckt oder be&#x017F;chwert wa&#x0364;re; den Tod aber<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Er&#x017F;ter Theil. T t t t</fw><fw place="bottom" type="catch">am</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[697/0753] Arminius und Thußnelda. Der fuͤr Augen ſchwebende Verluſt macht ihm ſein Reichthum zur Uberlaſt/ und auf das Altar/ welches die Heuchler ſeiner Wuͤrde anzuͤnden/ liefert er ſein Hertze ſelbſt zu einem brennenden Opffer. Ja wer an der Hoͤllenpein zweiffelt/ frage ein boͤſes Gewiſſen/ ſo wird er vernehmen/ daß es Hencker und Foltern/ die man nicht ſehe/ und ein Leben gaͤbe/ welches aͤrger als der Tod iſt. Herentgegen/ weil ein ruhiges Gemuͤthe unaufhoͤrlich auf Gott/ wie die Magnet-Nadel nach dem Angelſterne zielet/ muß ſelbtes in ei- nem Meer voll Ergetzligkeiten ſchwimmen; auch nichts anders/ als diß/ die unvermeidliche Noth zu ſterben verzuckern; ja ſeine bitterſte Galle zwiſchen gluͤenden Zangen annehmlich machen: alſo daß/ wie ſchwartz und grauſam er denen Laſterhafften fuͤrkommt/ er dennoch von jenen als ein liebreicher Braͤutigam umarmet wird. Aus welchem Nachdencken der Mei- ſter dieſes Todtenbildes vielleicht das annehmli- che Helffenbein zu einem ſonſt ſo abſcheulichen Geſpenſte erkieſet hat. Alleine es iſt nicht moͤglich/ daß ein Menſch entweder aus einem tieffen Schlaffe der Unachtſamkeit/ oder aus ei- ner falſchen Eigenliebe ihm eine Gewiſſens- Ruh mache/ und bey ſeiner gefaͤhrlichſten Kranckheit gleichwol keine Schmeꝛtzen empfin- de? Pflegen nicht die/ welche aus ihren Laſtern ein Handwerck gemacht/ alle Stachel des Ge- wiſſens zu verlieren; ja ſich uͤber ihrer begange- nen Boßheit noch zu kitzeln? Oder ſchweben wir elende Menſchen nicht allhier auf ſo glattem Ei- ſe/ daß wer heute ſtehet/ morgen zu Bodem faͤllt? Einen Ringer aber kroͤnet nicht der gute An- fang/ ſondern ein herrliches Ende; Einen Menſchen nicht ſeine eigene Beruhigung/ ſon- dern ein ſeliger Tod. Mecenas begegnete ihm: Jch vertheidige ein gutes Gewiſſen/ welches keine andere/ als einen tugendhafften Wandel zur Mutter hat; nicht die Schlaffſucht derer/ die in dem Schlamme der Suͤnden ohne einige Empfindligkeit ſtecken. Dahero muͤſſen dieſe Mahblumen nicht mit wohlruͤchenden Roſen vermengt werden. Jch kenne auch zwar nicht die menſchlichen Schwachheiten; Aber die Ab- ſetzung von einem guten Abſehen klebet nur fah- ſelnden Buhlern/ oder Gleißnern an. Denn in der Tugend ſteckt eine kraͤfftige Anmuth/ daß wer ſie nur einen Augenblick wahrhafftig lieb gewonnen hat/ ſelbte ſie ſein Lebetage nicht haſ- ſen kan. Vollkommentlich aber kan niemand was lieben/ der es nicht vorher eigentlich erken- nen lernen. Die Tugend aber erkennen iſt ei- ne Verbuͤndnuͤß mit Gott/ ein Ancker der Se- ligkeit/ ein Geſchmack uͤber alle Suͤßigkeiten der Wolluſt/ und alle Bitterkeiten des Lebens. Dieſemnach der weiſe Epicur zu ſagen gepflegt hat: Ein Weiſer wuͤrde nicht des Lebens uͤber- druͤßig/ und verlangte nicht zuſterben/ wenn man ihm ſchon beyde Augen ausſtaͤche. Und er wuͤrde allezeit den Goͤttern fuͤr Erhaltung des Lebens danckbar ſeyn/ wenn ſie ihn ſchon nach ſo vielen Liebkoſungen laͤhmeten/ verſtell- ten/ zum Kriepel werden und am Kreutze ſtehen lieſſen. Zarmar begegnete ihm: Er waͤre wol ſelbſt kein Weichling/ noch auch ihr Vertheidi- ger/ ſondern er hielte es fuͤr die groͤſte Tugend in einem preßhafften Leibe einen freudigen Geiſt behalten. Alleine diß waͤre eine allzu ſtrenge Grauſamkeit gegen ſich ſelbſt/ aus Haß gegen dem Tode/ erbaͤrmlich zu leben wuͤnſchen; wie- wol diß nicht ein Leben/ ſondern eine Tauerung der Pein/ ja vielmehr ein langſames Sterben waͤre. Es ſchiene eine ſchnoͤde Bettelung der Furcht zu ſeyn/ wenn man lieber die Seele gleichſam Tropffen- oder Stuͤckweiſe/ und durch eine langſame Schwindſucht/ als auf einmahl behertzt auszublaſen wuͤnſchte. Er hielte die Nothwendigkeit zu ſterben eben ſo wol fuͤr eine Wolthat der Natur/ als ein Gefangener einem zu dancken Urſach haͤtte/ der ihm die Feſſel auff- loͤſete. Dannenhero muͤſte man ſich der Be- gierde zu leben enteuſern/ weil es doch insge- mein befleckt oder beſchwert waͤre; den Tod aber am Erſter Theil. T t t t

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/753
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/753>, abgerufen am 23.11.2024.