Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Fünfftes Buch [Spaltenumbruch]
Auch der Leib kan durch keine Kunst/ durchkeine Gewalt zernichtet; sondern nur in was anders verwandelt werden. Sintemal eines Wesens Verterbung eines andern Geburt ist. Wie mögen diese Blinden die himmlische See- le der Zernichtung unterwerffen? haben sie nie beobachtet: daß ihre eigene Seele das vergan- gene gedencke/ das Gegenwärtige verstehe/ und eine freye Herrschafft über den Leib als seinen Dienstboten ausübe/ und seine viehische Regun- gen unterdrücke? Wer wolte nun glauben/ daß diese Gebieterin der vergangenen/ gegen- wärtigen/ und künfftigen Zeit eines Augen- blicks Einäscherung unterworffen sey? daß die- se gewaltige Frau aus ihres Knechtes Munde den lebenden Athem ausblasen solle? Haben sie mit ihrer Seele nie begriffen/ was in die Sinnen des Leibes nicht fallen kan; hat sie nie gebillicht/ was dem Auge unglaublich schei- net; Als daß der kleineste Stern grösser als der Erdbodem; hat sie die Wollust nie ver- fluchet/ derer Kützel doch dem Leibe so wohl thut? Wie mag ihnen denn ihre Zertrennung bey der Erblassung des Leibes so unmöglich scheinen? Die letztern Weltweisen aber sind wenig beffer; weil sie die Seele einem irrdischen Leibe wie den Leib einem umbmäßlichen Orte anbinden/ und selbte gleichsam nur für eine Bewegung/ oder für ein Gewichte des Leibes halten/ welches ihn als eine Uhr fort treibe; ja wohl gar uns bereden wollen: daß das Wasser das feurige Wesen der Seele ersäuffen/ oder eine grosse Last selbte wie einen Rauch zertheilen könne. Da sie selbst doch gestehen: ihr Ursprung rühre von Gott/ wie der Tag von der Sonnen her/ und dahero sey sie nichts minder als Gott/ der nichts leibliches an sich hat/ für ein von der Glieder irrdischen Hütten absonderliches Wesen zu halten/ wel- ches ohne den Werckzeug des Leibes in und von sich selbst genugsame Krafft zu würcken habe. Die mitlern haben durch erblickte E- [Spaltenumbruch] wigkeit der Seelen zwar ein grosses/ iedoch lange noch nicht vollkommenes Licht der War- heit erkieset. Mecenas hörte ihm begierig zu/ und fing nach einem langen Nachdencken an: Jch bin zwar auch der Meinung: daß die Seele durch den Tod sich aus ihrem Ker- cker des Leibes in vergnüglichere Freyheit ent- reisse; Aber warum soll ich nicht die Ruhe des Gemüthes/ die eingebohrne Tochter der Unschuld/ die warhaffte Gebärerin künffti- ger Ergetzung/ als den Lebens-Balsam des gegenwärtigen Lebens dem Tode fürziehen? Jst dieser nicht nur der Scherge/ der uns die Fessel loß macht; jene aber die Befehlha- berin Gottes/ welche unsere Erlösung anord- net? ja der Vorschmack des Himmels/ wie ein böses Gewissen der Hölle? Denn wie die- ses allezeit die Furcht der Straffe in seinem Busem trägt; also schmecket die ihr bewuste Unschuld schon die Freude ihrer Vergeltung. Zarmar versetzte: Jch gebe allem diesem Vey- fall; ja ich weiß: daß ein lasterhafftes Leben nicht so wohl ein Leben/ als ein Trauren sey. Der Geist/ der es beseelet/ ist eine blosse Ein- bildung; diese aber schon sein Hencker und seine Folterbanck. Die Furcht verfolget ei- nen Boßhafften ärger/ als der Schatten den Leib. Seine Lust-Häuser/ könten sie gleich schöner/ als dieses seyn/ sind seine Kercker/ welche der gantzen Welt/ nur ihm nicht gefal- len. Von seinen Blumen-Beethen genüssen andere die Rosen/ er nur die Dornen. Da auch diese gleich zuweilen eine unvorsichtige Hand verwunden/ so durchstechen sie aber ihm sei- ne Seele. Seine bangsamen Seuffzer ver- jagen den kräfftigen Geruch/ wormit die Blü- then der Granat-Aepffel/ und die Jasminen die Lufft einbalsamen. Das Rauschen seiner Springbrunnen schreyet ihm in die Ohren: daß alle seine Eitelkeiten wie das Wasser zerrinnen/ seine Marter aber unvergänglich seyn werde. Der
Fuͤnfftes Buch [Spaltenumbruch]
Auch der Leib kan durch keine Kunſt/ durchkeine Gewalt zernichtet; ſondern nur in was anders verwandelt werden. Sintemal eines Weſens Verterbung eines andern Geburt iſt. Wie moͤgen dieſe Blinden die himmliſche See- le der Zernichtung unterwerffen? haben ſie nie beobachtet: daß ihre eigene Seele das vergan- gene gedencke/ das Gegenwaͤrtige verſtehe/ und eine freye Herrſchafft uͤber den Leib als ſeinen Dienſtboten ausuͤbe/ und ſeine viehiſche Regun- gen unterdruͤcke? Wer wolte nun glauben/ daß dieſe Gebieterin der vergangenen/ gegen- waͤrtigen/ und kuͤnfftigen Zeit eines Augen- blicks Einaͤſcherung unterworffen ſey? daß die- ſe gewaltige Frau aus ihres Knechtes Munde den lebenden Athem ausblaſen ſolle? Haben ſie mit ihrer Seele nie begriffen/ was in die Sinnen des Leibes nicht fallen kan; hat ſie nie gebillicht/ was dem Auge unglaublich ſchei- net; Als daß der kleineſte Stern groͤſſer als der Erdbodem; hat ſie die Wolluſt nie ver- fluchet/ derer Kuͤtzel doch dem Leibe ſo wohl thut? Wie mag ihnen denn ihre Zertrennung bey der Erblaſſung des Leibes ſo unmoͤglich ſcheinen? Die letztern Weltweiſen aber ſind wenig beffer; weil ſie die Seele einem irrdiſchen Leibe wie den Leib einem umbmaͤßlichen Orte anbinden/ und ſelbte gleichſam nur fuͤr eine Bewegung/ oder fuͤr ein Gewichte des Leibes halten/ welches ihn als eine Uhr fort treibe; ja wohl gar uns bereden wollen: daß das Waſſer das feurige Weſen der Seele erſaͤuffen/ oder eine groſſe Laſt ſelbte wie einen Rauch zertheilen koͤnne. Da ſie ſelbſt doch geſtehen: ihr Urſprung ruͤhre von Gott/ wie der Tag von der Sonnen her/ und dahero ſey ſie nichts minder als Gott/ der nichts leibliches an ſich hat/ fuͤr ein von der Glieder irrdiſchen Huͤtten abſonderliches Weſen zu halten/ wel- ches ohne den Werckzeug des Leibes in und von ſich ſelbſt genugſame Krafft zu wuͤrcken habe. Die mitlern haben durch erblickte E- [Spaltenumbruch] wigkeit der Seelen zwar ein groſſes/ iedoch lange noch nicht vollkommenes Licht der War- heit erkieſet. Mecenas hoͤrte ihm begierig zu/ und fing nach einem langen Nachdencken an: Jch bin zwar auch der Meinung: daß die Seele durch den Tod ſich aus ihrem Ker- cker des Leibes in vergnuͤglichere Freyheit ent- reiſſe; Aber warum ſoll ich nicht die Ruhe des Gemuͤthes/ die eingebohrne Tochter der Unſchuld/ die warhaffte Gebaͤrerin kuͤnffti- ger Ergetzung/ als den Lebens-Balſam des gegenwaͤrtigen Lebens dem Tode fuͤrziehen? Jſt dieſer nicht nur der Scherge/ der uns die Feſſel loß macht; jene aber die Befehlha- berin Gottes/ welche unſere Erloͤſung anord- net? ja der Vorſchmack des Himmels/ wie ein boͤſes Gewiſſen der Hoͤlle? Denn wie die- ſes allezeit die Furcht der Straffe in ſeinem Buſem traͤgt; alſo ſchmecket die ihr bewuſte Unſchuld ſchon die Freude ihrer Vergeltung. Zarmar verſetzte: Jch gebe allem dieſem Vey- fall; ja ich weiß: daß ein laſterhafftes Leben nicht ſo wohl ein Leben/ als ein Trauren ſey. Der Geiſt/ der es beſeelet/ iſt eine bloſſe Ein- bildung; dieſe aber ſchon ſein Hencker und ſeine Folterbanck. Die Furcht verfolget ei- nen Boßhafften aͤrger/ als der Schatten den Leib. Seine Luſt-Haͤuſer/ koͤnten ſie gleich ſchoͤner/ als dieſes ſeyn/ ſind ſeine Kercker/ welche der gantzen Welt/ nur ihm nicht gefal- len. Von ſeinen Blumen-Beethen genuͤſſen andere die Roſen/ er nur die Dornen. Da auch dieſe gleich zuweilen eine unvorſichtige Hand verwunden/ ſo durchſtechen ſie aber ihm ſei- ne Seele. Seine bangſamen Seuffzer ver- jagen den kraͤfftigen Geruch/ wormit die Bluͤ- then der Granat-Aepffel/ und die Jaſminen die Lufft einbalſamen. Das Rauſchen ſeiner Springbrunnen ſchreyet ihm in die Ohren: daß alle ſeine Eitelkeiten wie das Waſſer zerrinnen/ ſeine Marter aber unvergaͤnglich ſeyn werde. Der
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Fuͤnfftes Buch
Auch der Leib kan durch keine Kunſt/ durch
keine Gewalt zernichtet; ſondern nur in was
anders verwandelt werden. Sintemal eines
Weſens Verterbung eines andern Geburt iſt.
Wie moͤgen dieſe Blinden die himmliſche See-
le der Zernichtung unterwerffen? haben ſie nie
beobachtet: daß ihre eigene Seele das vergan-
gene gedencke/ das Gegenwaͤrtige verſtehe/ und
eine freye Herrſchafft uͤber den Leib als ſeinen
Dienſtboten ausuͤbe/ und ſeine viehiſche Regun-
gen unterdruͤcke? Wer wolte nun glauben/
daß dieſe Gebieterin der vergangenen/ gegen-
waͤrtigen/ und kuͤnfftigen Zeit eines Augen-
blicks Einaͤſcherung unterworffen ſey? daß die-
ſe gewaltige Frau aus ihres Knechtes Munde
den lebenden Athem ausblaſen ſolle? Haben
ſie mit ihrer Seele nie begriffen/ was in die
Sinnen des Leibes nicht fallen kan; hat ſie nie
gebillicht/ was dem Auge unglaublich ſchei-
net; Als daß der kleineſte Stern groͤſſer als
der Erdbodem; hat ſie die Wolluſt nie ver-
fluchet/ derer Kuͤtzel doch dem Leibe ſo wohl thut?
Wie mag ihnen denn ihre Zertrennung bey der
Erblaſſung des Leibes ſo unmoͤglich ſcheinen?
Die letztern Weltweiſen aber ſind wenig beffer;
weil ſie die Seele einem irrdiſchen Leibe wie den
Leib einem umbmaͤßlichen Orte anbinden/ und
ſelbte gleichſam nur fuͤr eine Bewegung/ oder
fuͤr ein Gewichte des Leibes halten/ welches ihn
als eine Uhr fort treibe; ja wohl gar uns bereden
wollen: daß das Waſſer das feurige Weſen der
Seele erſaͤuffen/ oder eine groſſe Laſt ſelbte wie
einen Rauch zertheilen koͤnne. Da ſie ſelbſt doch
geſtehen: ihr Urſprung ruͤhre von Gott/ wie
der Tag von der Sonnen her/ und dahero ſey
ſie nichts minder als Gott/ der nichts leibliches
an ſich hat/ fuͤr ein von der Glieder irrdiſchen
Huͤtten abſonderliches Weſen zu halten/ wel-
ches ohne den Werckzeug des Leibes in und
von ſich ſelbſt genugſame Krafft zu wuͤrcken
habe. Die mitlern haben durch erblickte E-
wigkeit der Seelen zwar ein groſſes/ iedoch
lange noch nicht vollkommenes Licht der War-
heit erkieſet. Mecenas hoͤrte ihm begierig
zu/ und fing nach einem langen Nachdencken
an: Jch bin zwar auch der Meinung: daß
die Seele durch den Tod ſich aus ihrem Ker-
cker des Leibes in vergnuͤglichere Freyheit ent-
reiſſe; Aber warum ſoll ich nicht die Ruhe
des Gemuͤthes/ die eingebohrne Tochter der
Unſchuld/ die warhaffte Gebaͤrerin kuͤnffti-
ger Ergetzung/ als den Lebens-Balſam des
gegenwaͤrtigen Lebens dem Tode fuͤrziehen?
Jſt dieſer nicht nur der Scherge/ der uns
die Feſſel loß macht; jene aber die Befehlha-
berin Gottes/ welche unſere Erloͤſung anord-
net? ja der Vorſchmack des Himmels/ wie
ein boͤſes Gewiſſen der Hoͤlle? Denn wie die-
ſes allezeit die Furcht der Straffe in ſeinem
Buſem traͤgt; alſo ſchmecket die ihr bewuſte
Unſchuld ſchon die Freude ihrer Vergeltung.
Zarmar verſetzte: Jch gebe allem dieſem Vey-
fall; ja ich weiß: daß ein laſterhafftes Leben
nicht ſo wohl ein Leben/ als ein Trauren ſey.
Der Geiſt/ der es beſeelet/ iſt eine bloſſe Ein-
bildung; dieſe aber ſchon ſein Hencker und
ſeine Folterbanck. Die Furcht verfolget ei-
nen Boßhafften aͤrger/ als der Schatten den
Leib. Seine Luſt-Haͤuſer/ koͤnten ſie gleich
ſchoͤner/ als dieſes ſeyn/ ſind ſeine Kercker/
welche der gantzen Welt/ nur ihm nicht gefal-
len. Von ſeinen Blumen-Beethen genuͤſſen
andere die Roſen/ er nur die Dornen. Da auch
dieſe gleich zuweilen eine unvorſichtige Hand
verwunden/ ſo durchſtechen ſie aber ihm ſei-
ne Seele. Seine bangſamen Seuffzer ver-
jagen den kraͤfftigen Geruch/ wormit die Bluͤ-
then der Granat-Aepffel/ und die Jaſminen
die Lufft einbalſamen. Das Rauſchen ſeiner
Springbrunnen ſchreyet ihm in die Ohren: daß
alle ſeine Eitelkeiten wie das Waſſer zerrinnen/
ſeine Marter aber unvergaͤnglich ſeyn werde.
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/752>, abgerufen am 13.06.2024. |