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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ther- und Tiger-Thiere für zahm und gütig zu
halten sind! Jch gestehe es/ sagte Jubil/ daß ich
kein rasendes Thier dieser Caucasischen Wölf-
fin/ ausser dem eyversüchtigen Wald-Esel zu
vergleichen weiß; welcher alle seine von der
Mutter nicht bey zeite versteckte männliche
Jungen aus der Beysorge entmannet/ daß
sie seine Neben-Buhler werden würden. Auch
diese Vergleichung/ sagte Zeno/ reichet noch
nicht an die Grausamkeit der Minothea;
Weil es sonder Zweiffel ärger ist/ iemanden
die Augen ausstechen/ als entmannen. Wie-
wohl sie/ um sich zu einem Muster einer voll-
kommenen Unholdin zu machen bey ihren ei-
genen Augen und Haaren schwur: daß sie O-
ropasten eigenhändig entmannen wolte. Her-
tzog Jubil versätzte: Minothea müste eitel Ei-
genschafften einer Schlange/ und ausser der eus-
erlichen Gestalt nichts Menschliches an sich ge-
habt haben. Jedoch wäre seinem Urtheil nach der
Schwur und der Fürsatz ihren kurtz vorher so sehr
geliebten Oropastes so schändlich zu verstüm-
meln eine unmenschlichere Grausamkeit/ als
die Beraubung der Augen. Denn ob zwar
diese dem Menschen der Beschauung tausen-
derley Schönheiten insonderheit der Sonnen/
weßhalben etliche Weisen das menschliche Ge-
schlechte erschaffen zu seyn geglaubet/ entsetzte;
so gereichte doch dieser Verlust zu einer Ent-
fernung mehr Verdrüßligkeiten und Aerger-
niße. Derer gäbe es in der Welt so viel/ daß
einige die Schlaff-Zeit/ da man die Augen zu-
thäte/ für das beste Theil des Lebens hielten.
Viel durch das Gesichte sich sonst zerstreuen-
den Kräfften der Seelen blieben in den Blinden
beysammen/ verbesserten ihre andere Sinnen/
ja so gar ihre Vernunfft; also/ daß weil die Na-
tur/ als eine gütige Mutter den Gebrechen in
einem/ mit andern Vortheilen zu ersetzen be-
flissen wäre; Die Blinden insgemein leiser hö-
reten/ empfindlicher fühlten/ und überaus ver-
schmitzt wären. Weßwegen der alle Weltwei-
[Spaltenumbruch] sen übertreffende Democritus sich selbst des Ge-
sichts beraubet haben soll/ damit seine verschlos-
sene Augen des Gemüths zum Nachdencken ge-
schickter werden möchten. Der blinde Tire-
sias hätte in die Begebenheiten künfftiger Zeiten
einen so reinen Blick als kein Sehender/ und aus
allen diesen es eben so wenig iemand dem blin-
den Homerus nachgethan. Appius Clodius
hätte zwar den Staar/ aber wenn ihm iemand
fürkommen wäre/ dem er es hätte nachthun sol-
len/ in Ergründung wichtiger Dinge mehr/
als Luchs-Augen gehabt. Die weise Natur
machte in Mutterleibe die Augen am letzten/
als welche der Mensch unter allen Gliedern
noch am besten entbehren könte. Viel kleine
Thiere hätten gar keine Augen/ des Maul-
wurffs wären mit einem Felle überzogen/ also
nichts nütze; und das grosse Wunder der Wall-
fisch wäre so übersichtig/ daß er einen kleinen
Fisch zum Führer dörffte. Jm Scythischen
Chersonesus kämen die Kinder/ wie man von
Hunden glaubte/ blind auff die Welt; Jn J-
berien unterm Caucasus solten ihrer viel nicht im
Tage/ sondern nur des Nachtes sehen. Ja un-
sere Lüsternheit suchte gar offt mit der Dido in
Finsternissen ihre Ergetzligkeit/ und die Andacht
in den düsternen Tempeln ihre Entzückung von
der Eitelkeit. Hertzog Herrmann setzte seuffzen-
de bey: Wir blinde Menschen sind auch nicht
einst fähig in die Sonne zu sehen; Wenn uns
aber der Tod unsere blöde Augen wird zuge-
schlossen haben/ hoffen wir ein so verklärtes Ge-
sichte zu erlangen/ welches in das grosse Licht der
ewigen Gottheit zu sehen fähig seyn wird. Fla-
vius fing an: Auff diß Geheimniß muß sonder
Zweiffel die bey so vielen Völckern angenom-
mene Gewohnheit zielen/ daß die Priester de-
nen auff die Holtzstösse gelegten Leichen/ ehe sie
verbrennet werden/ die vorher von ihren
Freunden zugedrückte Augen auffsperren. Ze-
no wendete sich gegen die zwey letztere Fürsten/
meldende: Es wären dieses heilige Gedancken;

aber
Erster Theil. Z z z

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ther- und Tiger-Thiere fuͤr zahm und guͤtig zu
halten ſind! Jch geſtehe es/ ſagte Jubil/ daß ich
kein raſendes Thier dieſer Caucaſiſchen Woͤlf-
fin/ auſſer dem eyverſuͤchtigen Wald-Eſel zu
vergleichen weiß; welcher alle ſeine von der
Mutter nicht bey zeite verſteckte maͤnnliche
Jungen aus der Beyſorge entmannet/ daß
ſie ſeine Neben-Buhler werden wuͤrden. Auch
dieſe Vergleichung/ ſagte Zeno/ reichet noch
nicht an die Grauſamkeit der Minothea;
Weil es ſonder Zweiffel aͤrger iſt/ iemanden
die Augen ausſtechen/ als entmannen. Wie-
wohl ſie/ um ſich zu einem Muſter einer voll-
kommenen Unholdin zu machen bey ihren ei-
genen Augen und Haaren ſchwur: daß ſie O-
ropaſten eigenhaͤndig entmannen wolte. Her-
tzog Jubil verſaͤtzte: Minothea muͤſte eitel Ei-
genſchafften einer Schlange/ und auſſer der euſ-
erlichen Geſtalt nichts Menſchliches an ſich ge-
habt haben. Jedoch waͤre ſeinem Urtheil nach der
Schwur uñ der Fuͤrſatz ihren kurtz vorher ſo ſehr
geliebten Oropaſtes ſo ſchaͤndlich zu verſtuͤm-
meln eine unmenſchlichere Grauſamkeit/ als
die Beraubung der Augen. Denn ob zwar
dieſe dem Menſchen der Beſchauung tauſen-
derley Schoͤnheiten inſonderheit der Sonnen/
weßhalben etliche Weiſen das menſchliche Ge-
ſchlechte erſchaffen zu ſeyn geglaubet/ entſetzte;
ſo gereichte doch dieſer Verluſt zu einer Ent-
fernung mehr Verdruͤßligkeiten und Aerger-
niße. Derer gaͤbe es in der Welt ſo viel/ daß
einige die Schlaff-Zeit/ da man die Augen zu-
thaͤte/ fuͤr das beſte Theil des Lebens hielten.
Viel durch das Geſichte ſich ſonſt zerſtreuen-
den Kraͤfften der Seelen blieben in den Blinden
beyſammen/ verbeſſerten ihre andere Sinnen/
ja ſo gar ihre Vernunfft; alſo/ daß weil die Na-
tur/ als eine guͤtige Mutter den Gebrechen in
einem/ mit andern Vortheilen zu erſetzen be-
fliſſen waͤre; Die Blinden insgemein leiſer hoͤ-
reten/ empfindlicher fuͤhlten/ und uͤberaus ver-
ſchmitzt waͤren. Weßwegen der alle Weltwei-
[Spaltenumbruch] ſen uͤbertreffende Democritus ſich ſelbſt des Ge-
ſichts beraubet haben ſoll/ damit ſeine verſchloſ-
ſene Augen des Gemuͤths zum Nachdencken ge-
ſchickter werden moͤchten. Der blinde Tire-
ſias haͤtte in die Begebenheiten kuͤnfftiger Zeiten
einen ſo reinen Blick als kein Sehender/ und aus
allen dieſen es eben ſo wenig iemand dem blin-
den Homerus nachgethan. Appius Clodius
haͤtte zwar den Staar/ aber wenn ihm iemand
fuͤrkommen waͤre/ dem er es haͤtte nachthun ſol-
len/ in Ergruͤndung wichtiger Dinge mehr/
als Luchs-Augen gehabt. Die weiſe Natur
machte in Mutterleibe die Augen am letzten/
als welche der Menſch unter allen Gliedern
noch am beſten entbehren koͤnte. Viel kleine
Thiere haͤtten gar keine Augen/ des Maul-
wurffs waͤren mit einem Felle uͤberzogen/ alſo
nichts nuͤtze; und das groſſe Wunder der Wall-
fiſch waͤre ſo uͤberſichtig/ daß er einen kleinen
Fiſch zum Fuͤhrer doͤrffte. Jm Scythiſchen
Cherſoneſus kaͤmen die Kinder/ wie man von
Hunden glaubte/ blind auff die Welt; Jn J-
berien unteꝛm Caucaſus ſolten ihrer viel nicht im
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ſere Luͤſternheit ſuchte gar offt mit der Dido in
Finſterniſſen ihre Ergetzligkeit/ und die Andacht
in den duͤſternen Tempeln ihre Entzuͤckung von
der Eitelkeit. Hertzog Herrmann ſetzte ſeuffzen-
de bey: Wir blinde Menſchen ſind auch nicht
einſt faͤhig in die Sonne zu ſehen; Wenn uns
aber der Tod unſere bloͤde Augen wird zuge-
ſchloſſen haben/ hoffen wir ein ſo verklaͤrtes Ge-
ſichte zu erlangen/ welches in das groſſe Licht der
ewigen Gottheit zu ſehen faͤhig ſeyn wird. Fla-
vius fing an: Auff diß Geheimniß muß ſonder
Zweiffel die bey ſo vielen Voͤlckern angenom-
mene Gewohnheit zielen/ daß die Prieſter de-
nen auff die Holtzſtoͤſſe gelegten Leichen/ ehe ſie
verbrennet werden/ die vorher von ihren
Freunden zugedruͤckte Augen auffſperren. Ze-
no wendete ſich gegen die zwey letztere Fuͤrſten/
meldende: Es waͤren dieſes heilige Gedancken;

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Erſter Theil. Z z z
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/601>, abgerufen am 22.11.2024.