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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] einander lieben/ und daß/ so lange bey ihnen die
Vernunfft recht auffgeräumt bleibt/ dieses heim-
liche Feuer unausleschlich sey. Wo aber die La-
ster die Oberhand genommen/ und die Men-
schen sich auff die Spitze des Glücks setzen/ zie-
hen sie nicht nur ihre Menschheit/ sondern die
gantze Natur aus. Und also ist kein Wun-
der/ daß die geilen Mütter ihre Töchter/ die
herrschsüchtigen Söhne ihre Väter nicht mehr
kennen/ und in Kerckern verfaulen lassen. Denn
die in dem menschlichen Gemüthe auffsteigen-
den lasterhafften Auffdampffungen verdüstern
nicht nur die Vernunfft wie dicke Nebel die
Sonne; sondern sie gebähren Ungeheuer/ wie
die Schwefel-Dünste feurige Lufft-Drachen.
Ja da die wilden Thiere nur insgemein von ei-
ner übeln Neigung/ als die Panther von Grau-
samkeit/ der Fuchs von Betruge/ die Natter
von Undanck/ der Hund von Geilheit/ die
Heydechse von Mißgunst heruffen sind; so ist
ein mißrathener Mensch ein Begriff aller La-
ster. Aber nach diesen Mißgeburten muß der
vernünfftige Mensch so wenig abgemahlet/ als
die in den faulenden Leichen wachsenden Wür-
mer für eine rechtschaffene Menschen-Brut ge-
halten werden. Thußnelda antwortete: Jch
gebe gerne nach/ daß bey solchen Unmenschen
die Regungen der Natur sich verlieren/ diese
auch nach einer so krummen Richtschnur nicht
abzumessen sind; aber woher rühret es/ daß ver-
nünfftige Eltern einem Kinde geneigter/ als dem
andern/ oder wohl gar so Spinnen-feind sind/
daß sie es kaum für den Augen leiden können/
daß auch tugendhaffte Söhne für ihren Eltern
einen Abscheu haben; Massen ich in Jtalien ei-
nen Edelmann gekennet/ der/ wenn er seines
Vaters ansichtig war/ erblaßte/ und sich mehr
als der Elephant für dem Widder/ der Löw für
einem Hahne/ die Hauß-Schlange für einem
nackten Menschen/ die Natter für einem Zwei-
ge von Buchen/ der Agstein für Oel/ der Wein-
[Spaltenumbruch] stock für dem Epheu entsetzte. Fürst Zeno ver-
setzte: Es sind dieses seltzame Absätze der Natur/
welche so wohl Kriepel und Mißgeburten des
Gemüthes/ als des Leibes zuweilen gebieret;
daraus man so wenig einen Schluß machen/
als ergründen kan/ warum ein Mensch keine
Katze/ ein ander keine Maus sehen/ warum die-
ser keine Zwiebelessen/ jener keinen Wein trin-
cken könne? Hertzog Herrmann setzte bey:
Sonder allen Zweiffel wird der seinem Vater
so verhasste Sohn ihm an Gestalt und Gemü-
the sehr unähnlich gewesen seyn. Denn wie
die Aehnligkeit auch zwischen Fremden eine
Vereinbarung stifftet; Also ist die Unähnlig-
keit so wohl zwischen Menschen als andern Ge-
schöpffen eine Ursache des Hasses. Hiervon
rühret die Uneinigkeit zwischen dem Magnet
und Demant. Deßhalben stösset der Moh-
rische Stein Theamedes das Eisen so behertzt
von sich/ als es der Magnet an sich zeucht. Der
Weinstock kan den Kohl nicht neben sich leiden/
und ist dem Lorber-Baume so todtfeind/ als das
Rohr dem Farren-Kraute/ und die Fische dem
Oelbaume. Die Unähnligkeit pflantzet das
Schrecken dem Schwane für dem Drachen/
dem Meerschweine für dem Wallfische/ dem
Löwen für dem Hahne/ dem Elephanten für
dem Widder/ dem Pferde für dem Kamele
ein. Welch letzteres den Cyrus zum Uberwin-
der des Crösus machte. Das Geschrey des E-
sels tödtet so gar die Jungen der Flachs-Fincken
und erschellet ihre Eyer. Ja dieses Vogels
und der Goldammer Blut sollen sich nicht einst
mit einander vermischen. Und die stärcksten
Raub-Vögel müssen/ wenn sie über den kleinen
Camelion flügen/ auff die Erde fallen. Keine
andere Beschaffenheit hat es mit den Menschen/
ja mit gantzen Völckern/ derer einige einander/
theils durch einen geheimen Zug geneigt/ theils
Spinnen-feind sind. Diese ihre Aehnlig-
keit und Ungleichheit rühret grossen Theils

von

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] einander lieben/ und daß/ ſo lange bey ihnen die
Vernunfft recht auffgeꝛaͤumt bleibt/ dieſes heim-
liche Feuer unausleſchlich ſey. Wo aber die La-
ſter die Oberhand genommen/ und die Men-
ſchen ſich auff die Spitze des Gluͤcks ſetzen/ zie-
hen ſie nicht nur ihre Menſchheit/ ſondern die
gantze Natur aus. Und alſo iſt kein Wun-
der/ daß die geilen Muͤtter ihre Toͤchter/ die
herrſchſuͤchtigen Soͤhne ihre Vaͤter nicht mehr
kennen/ und in Kerckern veꝛfaulen laſſen. Deñ
die in dem menſchlichen Gemuͤthe auffſteigen-
den laſterhafften Auffdampffungen verduͤſtern
nicht nur die Vernunfft wie dicke Nebel die
Sonne; ſondern ſie gebaͤhren Ungeheuer/ wie
die Schwefel-Duͤnſte feurige Lufft-Drachen.
Ja da die wilden Thiere nur insgemein von ei-
ner uͤbeln Neigung/ als die Panther von Grau-
ſamkeit/ der Fuchs von Betruge/ die Natter
von Undanck/ der Hund von Geilheit/ die
Heydechſe von Mißgunſt heruffen ſind; ſo iſt
ein mißrathener Menſch ein Begriff aller La-
ſter. Aber nach dieſen Mißgeburten muß der
vernuͤnfftige Menſch ſo wenig abgemahlet/ als
die in den faulenden Leichen wachſenden Wuͤr-
mer fuͤr eine rechtſchaffene Menſchen-Brut ge-
halten werden. Thußnelda antwortete: Jch
gebe gerne nach/ daß bey ſolchen Unmenſchen
die Regungen der Natur ſich verlieren/ dieſe
auch nach einer ſo krummen Richtſchnur nicht
abzumeſſen ſind; aber woher ruͤhret es/ daß ver-
nuͤnfftige Eltern einem Kinde geneigter/ als dem
andern/ oder wohl gar ſo Spinnen-feind ſind/
daß ſie es kaum fuͤr den Augen leiden koͤnnen/
daß auch tugendhaffte Soͤhne fuͤr ihren Eltern
einen Abſcheu haben; Maſſen ich in Jtalien ei-
nen Edelmann gekennet/ der/ wenn er ſeines
Vaters anſichtig war/ erblaßte/ und ſich mehr
als der Elephant fuͤr dem Widder/ der Loͤw fuͤr
einem Hahne/ die Hauß-Schlange fuͤr einem
nackten Menſchen/ die Natter fuͤr einem Zwei-
ge von Buchen/ der Agſtein fuͤr Oel/ der Wein-
[Spaltenumbruch] ſtock fuͤr dem Epheu entſetzte. Fuͤrſt Zeno ver-
ſetzte: Es ſind dieſes ſeltzame Abſaͤtze der Natur/
welche ſo wohl Kriepel und Mißgeburten des
Gemuͤthes/ als des Leibes zuweilen gebieret;
daraus man ſo wenig einen Schluß machen/
als ergruͤnden kan/ warum ein Menſch keine
Katze/ ein ander keine Maus ſehen/ warum die-
ſer keine Zwiebeleſſen/ jener keinen Wein trin-
cken koͤnne? Hertzog Herrmann ſetzte bey:
Sonder allen Zweiffel wird der ſeinem Vater
ſo verhaſſte Sohn ihm an Geſtalt und Gemuͤ-
the ſehr unaͤhnlich geweſen ſeyn. Denn wie
die Aehnligkeit auch zwiſchen Fremden eine
Vereinbarung ſtifftet; Alſo iſt die Unaͤhnlig-
keit ſo wohl zwiſchen Menſchen als andern Ge-
ſchoͤpffen eine Urſache des Haſſes. Hiervon
ruͤhret die Uneinigkeit zwiſchen dem Magnet
und Demant. Deßhalben ſtoͤſſet der Moh-
riſche Stein Theamedes das Eiſen ſo behertzt
von ſich/ als es der Magnet an ſich zeucht. Der
Weinſtock kan den Kohl nicht neben ſich leiden/
und iſt dem Lorber-Baume ſo todtfeind/ als das
Rohr dem Farren-Kraute/ und die Fiſche dem
Oelbaume. Die Unaͤhnligkeit pflantzet das
Schrecken dem Schwane fuͤr dem Drachen/
dem Meerſchweine fuͤr dem Wallfiſche/ dem
Loͤwen fuͤr dem Hahne/ dem Elephanten fuͤr
dem Widder/ dem Pferde fuͤr dem Kamele
ein. Welch letzteres den Cyrus zum Uberwin-
der des Croͤſus machte. Das Geſchrey des E-
ſels toͤdtet ſo gar die Jungen der Flachs-Fincken
und erſchellet ihre Eyer. Ja dieſes Vogels
und der Goldammer Blut ſollen ſich nicht einſt
mit einander vermiſchen. Und die ſtaͤrckſten
Raub-Voͤgel muͤſſen/ wenn ſie uͤber den kleinen
Camelion fluͤgen/ auff die Erde fallen. Keine
andere Beſchaffenheit hat es mit den Menſchen/
ja mit gantzen Voͤlckern/ derer einige einander/
theils durch einen geheimen Zug geneigt/ theils
Spinnen-feind ſind. Dieſe ihre Aehnlig-
keit und Ungleichheit ruͤhret groſſen Theils

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[518/0574] Fuͤnfftes Buch einander lieben/ und daß/ ſo lange bey ihnen die Vernunfft recht auffgeꝛaͤumt bleibt/ dieſes heim- liche Feuer unausleſchlich ſey. Wo aber die La- ſter die Oberhand genommen/ und die Men- ſchen ſich auff die Spitze des Gluͤcks ſetzen/ zie- hen ſie nicht nur ihre Menſchheit/ ſondern die gantze Natur aus. Und alſo iſt kein Wun- der/ daß die geilen Muͤtter ihre Toͤchter/ die herrſchſuͤchtigen Soͤhne ihre Vaͤter nicht mehr kennen/ und in Kerckern veꝛfaulen laſſen. Deñ die in dem menſchlichen Gemuͤthe auffſteigen- den laſterhafften Auffdampffungen verduͤſtern nicht nur die Vernunfft wie dicke Nebel die Sonne; ſondern ſie gebaͤhren Ungeheuer/ wie die Schwefel-Duͤnſte feurige Lufft-Drachen. Ja da die wilden Thiere nur insgemein von ei- ner uͤbeln Neigung/ als die Panther von Grau- ſamkeit/ der Fuchs von Betruge/ die Natter von Undanck/ der Hund von Geilheit/ die Heydechſe von Mißgunſt heruffen ſind; ſo iſt ein mißrathener Menſch ein Begriff aller La- ſter. Aber nach dieſen Mißgeburten muß der vernuͤnfftige Menſch ſo wenig abgemahlet/ als die in den faulenden Leichen wachſenden Wuͤr- mer fuͤr eine rechtſchaffene Menſchen-Brut ge- halten werden. Thußnelda antwortete: Jch gebe gerne nach/ daß bey ſolchen Unmenſchen die Regungen der Natur ſich verlieren/ dieſe auch nach einer ſo krummen Richtſchnur nicht abzumeſſen ſind; aber woher ruͤhret es/ daß ver- nuͤnfftige Eltern einem Kinde geneigter/ als dem andern/ oder wohl gar ſo Spinnen-feind ſind/ daß ſie es kaum fuͤr den Augen leiden koͤnnen/ daß auch tugendhaffte Soͤhne fuͤr ihren Eltern einen Abſcheu haben; Maſſen ich in Jtalien ei- nen Edelmann gekennet/ der/ wenn er ſeines Vaters anſichtig war/ erblaßte/ und ſich mehr als der Elephant fuͤr dem Widder/ der Loͤw fuͤr einem Hahne/ die Hauß-Schlange fuͤr einem nackten Menſchen/ die Natter fuͤr einem Zwei- ge von Buchen/ der Agſtein fuͤr Oel/ der Wein- ſtock fuͤr dem Epheu entſetzte. Fuͤrſt Zeno ver- ſetzte: Es ſind dieſes ſeltzame Abſaͤtze der Natur/ welche ſo wohl Kriepel und Mißgeburten des Gemuͤthes/ als des Leibes zuweilen gebieret; daraus man ſo wenig einen Schluß machen/ als ergruͤnden kan/ warum ein Menſch keine Katze/ ein ander keine Maus ſehen/ warum die- ſer keine Zwiebeleſſen/ jener keinen Wein trin- cken koͤnne? Hertzog Herrmann ſetzte bey: Sonder allen Zweiffel wird der ſeinem Vater ſo verhaſſte Sohn ihm an Geſtalt und Gemuͤ- the ſehr unaͤhnlich geweſen ſeyn. Denn wie die Aehnligkeit auch zwiſchen Fremden eine Vereinbarung ſtifftet; Alſo iſt die Unaͤhnlig- keit ſo wohl zwiſchen Menſchen als andern Ge- ſchoͤpffen eine Urſache des Haſſes. Hiervon ruͤhret die Uneinigkeit zwiſchen dem Magnet und Demant. Deßhalben ſtoͤſſet der Moh- riſche Stein Theamedes das Eiſen ſo behertzt von ſich/ als es der Magnet an ſich zeucht. Der Weinſtock kan den Kohl nicht neben ſich leiden/ und iſt dem Lorber-Baume ſo todtfeind/ als das Rohr dem Farren-Kraute/ und die Fiſche dem Oelbaume. Die Unaͤhnligkeit pflantzet das Schrecken dem Schwane fuͤr dem Drachen/ dem Meerſchweine fuͤr dem Wallfiſche/ dem Loͤwen fuͤr dem Hahne/ dem Elephanten fuͤr dem Widder/ dem Pferde fuͤr dem Kamele ein. Welch letzteres den Cyrus zum Uberwin- der des Croͤſus machte. Das Geſchrey des E- ſels toͤdtet ſo gar die Jungen der Flachs-Fincken und erſchellet ihre Eyer. Ja dieſes Vogels und der Goldammer Blut ſollen ſich nicht einſt mit einander vermiſchen. Und die ſtaͤrckſten Raub-Voͤgel muͤſſen/ wenn ſie uͤber den kleinen Camelion fluͤgen/ auff die Erde fallen. Keine andere Beſchaffenheit hat es mit den Menſchen/ ja mit gantzen Voͤlckern/ derer einige einander/ theils durch einen geheimen Zug geneigt/ theils Spinnen-feind ſind. Dieſe ihre Aehnlig- keit und Ungleichheit ruͤhret groſſen Theils von

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/574>, abgerufen am 25.11.2024.