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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] Unruh/ welche ich für eine Bereuung seines
Kinder-Mords annahm/ zugesehen hatte/ fing
Polemon endlich an: Ach! ihr grimmigen
Götter! ach! Nicomedes! wir sind verlohren!
Nach unterschiedenen verwirrten Reden ent-
deckte er mir endlich auf meine Befragung:
Er habe seinen Sohn nicht getödtet. Denn
als er gleich ausgeholet hätte/ ihm den Stoß zu
geben/ wäre eben der Geist/ der ihm gleich vor-
hin den Dolch eingehändiget/ mit grausamer
Gestalt darzwischen gesprungen/ habe ihm den
Dolch aus den Händen gerissen/ und gesagt:
Halt! diß ist weder dein Sohn/ noch ein Tod-
schläger. Nach solcher Erzehlung wäre Pole-
mon gegen den Morgen endlich eingeschlaffen/
nach seiner Erwachung aber hätte er den Priester
erfordern lassen/ mit ihm eine lange Unterredung
gepflogen/ und ihn endlich mit dieser Botschafft zu
ihnen abgefertigt. Dynamis und ich entsatzten
uns über Nicomedens Vortrag/ sonderlich aber/
da wir selbst den noch am Boden liegenden
Dolch betrachteten/ und selbten gleicher gestalt
für Mithridatens erkenneten. Am allermei-
sten aber stieg mir zu Hertzen/ daß der dem Po-
lemon erschienene Geist mich zwar wider die be-
sorgte Mord-Lust vertheidiget/ mir aber zugleich
seine Kindschafft abgesprochen haben solte. Da-
hero umbhalsete ich mit vielen Thränen die Kö-
nigin/ wüntschte/ daß diesem meinem unschätz-
baren Verluste/ da ich mit einem so mächtigen
Vater zugleich eine so holdselige Mutter ein-
büssete/ mein Tod von der Hand des Königs
zuvor kommen wäre. Dynamis aber küßte
mich mit der hertzlichsten Empfindligkeit/ als
eine Mutter thun kan/ und/ umb mir diesen
Kummer auszureden/ fragte sie: Ob ich einem
lügenhafften Gespenste mehr als dem wahrhaf-
testen Kennzeichen der inbrünstigften Mutter-
Liebe Glauben geben wolte? Das Aufwallen
ihres mütterlichen Hertzen gegen mich könte sie
so wenig zu einem frembden Kinde ziehen/ als
die Magnet-Nadel für den Angel-Stern ein
[Spaltenumbruch] frembdes Gestirne erkiesen. Sie könte sich
auf die Treue der tugendhaften Pythodoris so
sehr/ als auf ihr eigenes Augenwerck verlassen.
Ja wenn es auch schon wahrhaftig heraus kä-
me/ daß ich nicht ein Sohn ihres Leibes wäre/
so würde ich es doch ewig in ihrem Gemüthe
bleiben. Sintemal der/ welcher durch seine
Tugend ein Königs-So hn zu seyn verdien-
te/ wenn er es schon nicht wäre/ sich doch höhe-
rer Ankunfft rühmen möchte/ als der/ welcher
es nur von Geburt/ nicht aber durch Verdien-
ste wäre. Jch/ ob ich zwar über meiner Kind-
schafft selbst zweifelte/ und auf den gebrechlichen
Grund der von der Natur eingepflantzten
Mutter-Liebe wenig fussete/ wolte mich doch
nicht selbst eines so hohen Ursprungs berauben/
noch die Königin durch meine Enteuserung
mehr betrüben. Und also brachten wir die
übrige Zeit meines vergünstigten Darbleibens
mit eitel liebreichen Umbarmungen zu/ biß mit
der niedergehenden Sonne nach und nach das
Licht von der Welt/ ich aber mit tausend Thrä-
nen von der Dynamis Abschied zu nehmen ge-
zwungen ward. Salonine brach hier ein:
Wir müssen nun auch die Würckung unsers
neuen Pflasters erkundigen. Also muste Zeno
mit seiner Erzehlung anhalten/ und die Wund-
binden auflösen lassen. Die Schwulst hatte
sich zu aller Anwesenden Verwunderung in
so kurtzer Zeit fast gantz gesetzt/ und/ des Zeno
Andeuten nach/ aller Schmertz gestillet/ daher
band ihm Salonine frische Raute auf. Die
Fürstin Thußnelde aber fing an: Jch verwun-
dere mich über dem so heftigen Liebes-Triebe
der Dynamis/ und weiß daher nicht: Ob die
grosse Liebe der Eltern gegen ihre Kinder nicht
mehr von der Einbildung/ als einem geheimen
Triebe der Natur eingepflantzt werde/ nach-
dem ich gleichwohl aus der Königin Erato
Erzehlung so viel erfahren/ daß nicht er/ Zeno/
sondern Ariobarzanes für ihren und Polemons
wahrhaften Sohn erkennet worden sey; also

die

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] Unruh/ welche ich fuͤr eine Bereuung ſeines
Kinder-Mords annahm/ zugeſehen hatte/ fing
Polemon endlich an: Ach! ihr grimmigen
Goͤtter! ach! Nicomedes! wir ſind verlohren!
Nach unterſchiedenen verwirrten Reden ent-
deckte er mir endlich auf meine Befragung:
Er habe ſeinen Sohn nicht getoͤdtet. Denn
als er gleich ausgeholet haͤtte/ ihm den Stoß zu
geben/ waͤre eben der Geiſt/ der ihm gleich vor-
hin den Dolch eingehaͤndiget/ mit grauſamer
Geſtalt darzwiſchen geſprungen/ habe ihm den
Dolch aus den Haͤnden geriſſen/ und geſagt:
Halt! diß iſt weder dein Sohn/ noch ein Tod-
ſchlaͤger. Nach ſolcher Erzehlung waͤre Pole-
mon gegen den Morgen endlich eingeſchlaffen/
nach ſeiner Erwachung aber haͤtte er den Prieſter
erfordern laſſen/ mit ihm eine lange Unterredũg
gepflogẽ/ und ihn endlich mit dieſer Botſchafft zu
ihnen abgefertigt. Dynamis und ich entſatzten
uns uͤber Nicomedens Vortrag/ ſonderlich aber/
da wir ſelbſt den noch am Boden liegenden
Dolch betrachteten/ und ſelbten gleicher geſtalt
fuͤr Mithridatens erkenneten. Am allermei-
ſten aber ſtieg mir zu Hertzen/ daß der dem Po-
lemon erſchienene Geiſt mich zwar wider die be-
ſorgte Mord-Luſt vertheidiget/ mir aber zugleich
ſeine Kindſchafft abgeſprochen haben ſolte. Da-
hero umbhalſete ich mit vielen Thraͤnen die Koͤ-
nigin/ wuͤntſchte/ daß dieſem meinem unſchaͤtz-
baren Verluſte/ da ich mit einem ſo maͤchtigen
Vater zugleich eine ſo holdſelige Mutter ein-
buͤſſete/ mein Tod von der Hand des Koͤnigs
zuvor kommen waͤre. Dynamis aber kuͤßte
mich mit der hertzlichſten Empfindligkeit/ als
eine Mutter thun kan/ und/ umb mir dieſen
Kummer auszureden/ fragte ſie: Ob ich einem
luͤgenhafften Geſpenſte mehr als dem wahrhaf-
teſten Kennzeichen der inbruͤnſtigften Mutter-
Liebe Glauben geben wolte? Das Aufwallen
ihres muͤtterlichen Hertzen gegen mich koͤnte ſie
ſo wenig zu einem frembden Kinde ziehen/ als
die Magnet-Nadel fuͤr den Angel-Stern ein
[Spaltenumbruch] frembdes Geſtirne erkieſen. Sie koͤnte ſich
auf die Treue der tugendhaften Pythodoris ſo
ſehr/ als auf ihr eigenes Augenwerck verlaſſen.
Ja wenn es auch ſchon wahrhaftig heraus kaͤ-
me/ daß ich nicht ein Sohn ihres Leibes waͤre/
ſo wuͤrde ich es doch ewig in ihrem Gemuͤthe
bleiben. Sintemal der/ welcher durch ſeine
Tugend ein Koͤnigs-So hn zu ſeyn verdien-
te/ wenn er es ſchon nicht waͤre/ ſich doch hoͤhe-
rer Ankunfft ruͤhmen moͤchte/ als der/ welcher
es nur von Geburt/ nicht aber durch Verdien-
ſte waͤre. Jch/ ob ich zwar uͤber meiner Kind-
ſchafft ſelbſt zweifelte/ und auf den gebrechlichen
Grund der von der Natur eingepflantzten
Mutter-Liebe wenig fuſſete/ wolte mich doch
nicht ſelbſt eines ſo hohen Urſprungs berauben/
noch die Koͤnigin durch meine Enteuſerung
mehr betruͤben. Und alſo brachten wir die
uͤbrige Zeit meines verguͤnſtigten Darbleibens
mit eitel liebreichen Umbarmungen zu/ biß mit
der niedergehenden Sonne nach und nach das
Licht von der Welt/ ich aber mit tauſend Thraͤ-
nen von der Dynamis Abſchied zu nehmen ge-
zwungen ward. Salonine brach hier ein:
Wir muͤſſen nun auch die Wuͤrckung unſers
neuen Pflaſters erkundigen. Alſo muſte Zeno
mit ſeiner Erzehlung anhalten/ und die Wund-
binden aufloͤſen laſſen. Die Schwulſt hatte
ſich zu aller Anweſenden Verwunderung in
ſo kurtzer Zeit faſt gantz geſetzt/ und/ des Zeno
Andeuten nach/ aller Schmertz geſtillet/ daher
band ihm Salonine friſche Raute auf. Die
Fuͤrſtin Thußnelde aber fing an: Jch verwun-
dere mich uͤber dem ſo heftigen Liebes-Triebe
der Dynamis/ und weiß daher nicht: Ob die
groſſe Liebe der Eltern gegen ihre Kinder nicht
mehr von der Einbildung/ als einem geheimen
Triebe der Natur eingepflantzt werde/ nach-
dem ich gleichwohl aus der Koͤnigin Erato
Erzehlung ſo viel erfahren/ daß nicht er/ Zeno/
ſondern Ariobarzanes fuͤr ihren und Polemons
wahrhaften Sohn erkennet worden ſey; alſo

die
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/572>, abgerufen am 25.11.2024.