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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] sondern auch bey wilden Thieren ihre wunderli-
che Würckung habe. Denn daß die Schlangen
sich von den Beschwerern in einen Kreiß ban-
nen liessen/ oder die Ohren für ihrer Stimme
verstopfften/ rührte nicht von dem Nachdrucke
der Worte und Zeichen/ sondern von einer blos-
sen Bestürtzung. Was aber die Einbildung
bey den Menschen würcke/ hätte er bey den A-
mazonen verwundernd wahrgenommen/ indem
er derselben unterschiedene gesehen/ welchen auf
der rechten Seite keine Brüste gewachsen.
Daher ihrer viel für ein Gedichte der Vorwelt
hielten/ daß sie/ um sich des Bogens desto beqve-
mer zu gebrauchen/ die Brüste auf der rechten
Seite weg brennten; oder es müste diese Ge-
wohnheit bey ihnen nun gar veraltet und ab-
kommen seyn. Sewiß aber wäre es/ und hätten
seine Augen ihm unbetrügliche Zengen abge-
geben/ daß die Natur ihnen zu diesem beliebeten
Gebrechen itzt selbst die Hand reichte; dessen
Ursache/ seinem Bedüncken nach/ nichts anders/
als die Einbildung wäre. Die Königin Era-
to konte sich nicht enthalten/ zu fragen: Wie und
wenn er unter die streitbaren Amazonen verfal-
len? Zeno antwortete: Diese begehrte Nach-
richt wäre ein grosses Stück seiner ihm bege-
gneten Ebentheuer; derer Erzehlung er mit ih-
rer Erlaubnüß itzt abzulegen erbötig wäre.
Die Fürstin Thußnelda fing hierauf an: Sie
sähe es allen Anwesenden an den Gesichtern an/
daß sie seine Zufälle zu vernehmen höchst begie-
rig wären. Sie selbst hätte darnach gleichsam
eine absondere Sehnsucht. Aber wer möchte
ohne Grausamkeit ihm solche Bemühung bey
seiner Schwachheit zumuthen? Zeno versetzte:
Er empfinde an ihnen/ daß Zuneigung und
Mitleiden anderer Wunden allezeit gefährli-
cher und grösser macht/ an ihm hingegen nun-
mehr wenig Schmertzen/ und keine sonderliche
Schwachheit/ welche ihm und zu deroselben
Vergnügung sein Hertz auszuschütten/ verhin-
derlich seyn könte. Wie nun alle Anwesenden
[Spaltenumbruch] ihr Verlangen selbst bestätigten; zumal sie an
ihm eine sonderbare Lust zu solcher Erzehlung
verspürten; fing der Fürst Zeno nach einem
tieffen Seufzer an:

Jch kan aus der Verträuligkeit dieser hold-
seligen mir die Ohren gönnenden Versamm-
lung und andern Umständen die Reehnung mir
leicht machen/ daß die liebreiche Erato meinen
Uhrsprung/ meine seltzame Auferziehung/ ihre
Ankunfft nach Sinope/ unser wunder würdige
Liebe/ und die unvermeidliche Entschlüssung/
daß wir die Nacht für der zwischen dem Medi-
schen Könige Ariobarzanes und mir bestimmten
Vermählung mit einander weg segeln wolten/
ausführlich erzehlet habe; daher ich von ihrem
vermutheten Schlusse den Anfang meiner fer-
nern Begebenheit nehmen will.

Jch fügte mich auf bestimmte Zeit in den Kö-
niglichen Garten/ fand auch/ Saloninens An-
deutung nach/ den mir bestimmeten Leiter. Die-
ser führete mich zu folge gepflogener Abrede auf
ein Schiff/ und ein darinnen wohl aufgeputztes
Zimmer/ um daselbst meine Ruhstadt zu haben.
Also fort zohen die Bootsleute die Segel auff/
schifften mit gutem Winde aus dem Hafen/ und
weil ich so wol selbst der Ruhe von nöthen hatte/
als meine hertzliebste Erato in ihrem Schlaffe
nicht stören wolte/ war ich um ihren und Salo-
ninens Wolstand unbekümmert. Ward auch/
nach dem ich mich kaum auf die von köstlichen
Persischen Tapeten bereitete Lagerstatt verfü-
get/ von einem festen Schlaffe befallen. Die
Sonnehatte wol schon zwey Stunden an unser
Helffte des Himmels gestanden/ als mich be-
deuchtete etliche tieffe Seuffzer zu hören; daher
ich aus dem Schlaffe aufffuhr/ meinen über dem
Gesichte habenden Flor wegstrich/ und zu mei-
ner höchsten Bestürtzung den Armidas/ welchen
ich unter des Ariobarzanes Edelleuten zu Si-
nope öffters gesehen hatte/ auch aus seiner Me-
dischen Kleidung so viel leichter erkennte/ für
mir auf den Knien liegen sah. Wie befremdet

mir

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] ſondern auch bey wilden Thieren ihre wunderli-
che Wuͤrckung habe. Denn daß die Schlangen
ſich von den Beſchwerern in einen Kreiß ban-
nen lieſſen/ oder die Ohren fuͤr ihrer Stimme
verſtopfften/ ruͤhrte nicht von dem Nachdrucke
der Worte und Zeichen/ ſondern von einer bloſ-
ſen Beſtuͤrtzung. Was aber die Einbildung
bey den Menſchen wuͤrcke/ haͤtte er bey den A-
mazonen verwundernd wahrgenom̃en/ indem
er derſelben unterſchiedene geſehen/ welchen auf
der rechten Seite keine Bruͤſte gewachſen.
Daher ihrer viel fuͤr ein Gedichte der Vorwelt
hielten/ daß ſie/ um ſich des Bogens deſto beqve-
mer zu gebrauchen/ die Bruͤſte auf der rechten
Seite weg brennten; oder es muͤſte dieſe Ge-
wohnheit bey ihnen nun gar veraltet und ab-
kommen ſeyn. Sewiß aber waͤre es/ und haͤtten
ſeine Augen ihm unbetruͤgliche Zengen abge-
geben/ daß die Natur ihnen zu dieſem beliebeten
Gebrechen itzt ſelbſt die Hand reichte; deſſen
Urſache/ ſeinem Beduͤncken nach/ nichts andeꝛs/
als die Einbildung waͤre. Die Koͤnigin Era-
to konte ſich nicht enthalten/ zu fragen: Wie und
wenn er unter die ſtreitbaren Amazonen verfal-
len? Zeno antwortete: Dieſe begehrte Nach-
richt waͤre ein groſſes Stuͤck ſeiner ihm bege-
gneten Ebentheuer; derer Erzehlung er mit ih-
rer Erlaubnuͤß itzt abzulegen erboͤtig waͤre.
Die Fuͤrſtin Thußnelda fing hierauf an: Sie
ſaͤhe es allen Anweſenden an den Geſichtern an/
daß ſie ſeine Zufaͤlle zu vernehmen hoͤchſt begie-
rig waͤren. Sie ſelbſt haͤtte darnach gleichſam
eine abſondere Sehnſucht. Aber wer moͤchte
ohne Grauſamkeit ihm ſolche Bemuͤhung bey
ſeiner Schwachheit zumuthen? Zeno verſetzte:
Er empfinde an ihnen/ daß Zuneigung und
Mitleiden anderer Wunden allezeit gefaͤhrli-
cher und groͤſſer macht/ an ihm hingegen nun-
mehr wenig Schmertzen/ und keine ſonderliche
Schwachheit/ welche ihm und zu deroſelben
Vergnuͤgung ſein Hertz auszuſchuͤtten/ verhin-
derlich ſeyn koͤnte. Wie nun alle Anweſenden
[Spaltenumbruch] ihr Verlangen ſelbſt beſtaͤtigten; zumal ſie an
ihm eine ſonderbare Luſt zu ſolcher Erzehlung
verſpuͤrten; fing der Fuͤrſt Zeno nach einem
tieffen Seufzer an:

Jch kan aus der Vertraͤuligkeit dieſer hold-
ſeligen mir die Ohren goͤnnenden Verſamm-
lung und andern Umſtaͤnden die Reehnung mir
leicht machen/ daß die liebreiche Erato meinen
Uhrſprung/ meine ſeltzame Auferziehung/ ihre
Ankunfft nach Sinope/ unſer wunder wuͤrdige
Liebe/ und die unvermeidliche Entſchluͤſſung/
daß wir die Nacht fuͤr der zwiſchen dem Medi-
ſchen Koͤnige Ariobarzanes und mir beſtimmten
Vermaͤhlung mit einander weg ſegeln wolten/
ausfuͤhrlich erzehlet habe; daher ich von ihrem
vermutheten Schluſſe den Anfang meiner fer-
nern Begebenheit nehmen will.

Jch fuͤgte mich auf beſtimmte Zeit in den Koͤ-
niglichen Garten/ fand auch/ Saloninens An-
deutung nach/ den mir beſtimmeten Leiter. Die-
ſer fuͤhrete mich zu folge gepflogener Abrede auf
ein Schiff/ und ein darinnen wohl aufgeputztes
Zimmer/ um daſelbſt meine Ruhſtadt zu haben.
Alſo fort zohen die Bootsleute die Segel auff/
ſchifften mit gutem Winde aus dem Hafen/ und
weil ich ſo wol ſelbſt der Ruhe von noͤthen hatte/
als meine hertzliebſte Erato in ihrem Schlaffe
nicht ſtoͤren wolte/ war ich um ihren und Salo-
ninens Wolſtand unbekuͤmmert. Ward auch/
nach dem ich mich kaum auf die von koͤſtlichen
Perſiſchen Tapeten bereitete Lagerſtatt verfuͤ-
get/ von einem feſten Schlaffe befallen. Die
Sonnehatte wol ſchon zwey Stunden an unſer
Helffte des Himmels geſtanden/ als mich be-
deuchtete etliche tieffe Seuffzer zu hoͤren; daher
ich aus dem Schlaffe aufffuhr/ meinen uͤber dem
Geſichte habenden Flor wegſtrich/ und zu mei-
ner hoͤchſten Beſtuͤrtzung den Armidas/ welchen
ich unter des Ariobarzanes Edelleuten zu Si-
nope oͤffters geſehen hatte/ auch aus ſeiner Me-
diſchen Kleidung ſo viel leichter erkennte/ fuͤr
mir auf den Knien liegen ſah. Wie befremdet

mir
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[508/0564] Fuͤnfftes Buch ſondern auch bey wilden Thieren ihre wunderli- che Wuͤrckung habe. Denn daß die Schlangen ſich von den Beſchwerern in einen Kreiß ban- nen lieſſen/ oder die Ohren fuͤr ihrer Stimme verſtopfften/ ruͤhrte nicht von dem Nachdrucke der Worte und Zeichen/ ſondern von einer bloſ- ſen Beſtuͤrtzung. Was aber die Einbildung bey den Menſchen wuͤrcke/ haͤtte er bey den A- mazonen verwundernd wahrgenom̃en/ indem er derſelben unterſchiedene geſehen/ welchen auf der rechten Seite keine Bruͤſte gewachſen. Daher ihrer viel fuͤr ein Gedichte der Vorwelt hielten/ daß ſie/ um ſich des Bogens deſto beqve- mer zu gebrauchen/ die Bruͤſte auf der rechten Seite weg brennten; oder es muͤſte dieſe Ge- wohnheit bey ihnen nun gar veraltet und ab- kommen ſeyn. Sewiß aber waͤre es/ und haͤtten ſeine Augen ihm unbetruͤgliche Zengen abge- geben/ daß die Natur ihnen zu dieſem beliebeten Gebrechen itzt ſelbſt die Hand reichte; deſſen Urſache/ ſeinem Beduͤncken nach/ nichts andeꝛs/ als die Einbildung waͤre. Die Koͤnigin Era- to konte ſich nicht enthalten/ zu fragen: Wie und wenn er unter die ſtreitbaren Amazonen verfal- len? Zeno antwortete: Dieſe begehrte Nach- richt waͤre ein groſſes Stuͤck ſeiner ihm bege- gneten Ebentheuer; derer Erzehlung er mit ih- rer Erlaubnuͤß itzt abzulegen erboͤtig waͤre. Die Fuͤrſtin Thußnelda fing hierauf an: Sie ſaͤhe es allen Anweſenden an den Geſichtern an/ daß ſie ſeine Zufaͤlle zu vernehmen hoͤchſt begie- rig waͤren. Sie ſelbſt haͤtte darnach gleichſam eine abſondere Sehnſucht. Aber wer moͤchte ohne Grauſamkeit ihm ſolche Bemuͤhung bey ſeiner Schwachheit zumuthen? Zeno verſetzte: Er empfinde an ihnen/ daß Zuneigung und Mitleiden anderer Wunden allezeit gefaͤhrli- cher und groͤſſer macht/ an ihm hingegen nun- mehr wenig Schmertzen/ und keine ſonderliche Schwachheit/ welche ihm und zu deroſelben Vergnuͤgung ſein Hertz auszuſchuͤtten/ verhin- derlich ſeyn koͤnte. Wie nun alle Anweſenden ihr Verlangen ſelbſt beſtaͤtigten; zumal ſie an ihm eine ſonderbare Luſt zu ſolcher Erzehlung verſpuͤrten; fing der Fuͤrſt Zeno nach einem tieffen Seufzer an: Jch kan aus der Vertraͤuligkeit dieſer hold- ſeligen mir die Ohren goͤnnenden Verſamm- lung und andern Umſtaͤnden die Reehnung mir leicht machen/ daß die liebreiche Erato meinen Uhrſprung/ meine ſeltzame Auferziehung/ ihre Ankunfft nach Sinope/ unſer wunder wuͤrdige Liebe/ und die unvermeidliche Entſchluͤſſung/ daß wir die Nacht fuͤr der zwiſchen dem Medi- ſchen Koͤnige Ariobarzanes und mir beſtimmten Vermaͤhlung mit einander weg ſegeln wolten/ ausfuͤhrlich erzehlet habe; daher ich von ihrem vermutheten Schluſſe den Anfang meiner fer- nern Begebenheit nehmen will. Jch fuͤgte mich auf beſtimmte Zeit in den Koͤ- niglichen Garten/ fand auch/ Saloninens An- deutung nach/ den mir beſtimmeten Leiter. Die- ſer fuͤhrete mich zu folge gepflogener Abrede auf ein Schiff/ und ein darinnen wohl aufgeputztes Zimmer/ um daſelbſt meine Ruhſtadt zu haben. Alſo fort zohen die Bootsleute die Segel auff/ ſchifften mit gutem Winde aus dem Hafen/ und weil ich ſo wol ſelbſt der Ruhe von noͤthen hatte/ als meine hertzliebſte Erato in ihrem Schlaffe nicht ſtoͤren wolte/ war ich um ihren und Salo- ninens Wolſtand unbekuͤmmert. Ward auch/ nach dem ich mich kaum auf die von koͤſtlichen Perſiſchen Tapeten bereitete Lagerſtatt verfuͤ- get/ von einem feſten Schlaffe befallen. Die Sonnehatte wol ſchon zwey Stunden an unſer Helffte des Himmels geſtanden/ als mich be- deuchtete etliche tieffe Seuffzer zu hoͤren; daher ich aus dem Schlaffe aufffuhr/ meinen uͤber dem Geſichte habenden Flor wegſtrich/ und zu mei- ner hoͤchſten Beſtuͤrtzung den Armidas/ welchen ich unter des Ariobarzanes Edelleuten zu Si- nope oͤffters geſehen hatte/ auch aus ſeiner Me- diſchen Kleidung ſo viel leichter erkennte/ fuͤr mir auf den Knien liegen ſah. Wie befremdet mir

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/564>, abgerufen am 24.11.2024.