Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
ich bey ihnen so viel Ansehen/ daß mein Wieder-rathen sie offt ehe/ als des Käyfers strenge Dreuungen von ihren wilden Entschlüssungen zurück hielt. Es ist wahr/ sagte Hertzog Ar- pus; Man muß an grossen Höffen allezeit ver- mummte Antlitzer haben/ und das freudig mit machen/ darfür man die gröste Abscheu hat. Junge wilde Fürsten muß man auch/ wie die Wallfische fangen; denen man das in die Seite eingejagte Seil nachläst/ und wenn sie schwach oder müde worden sind/ sie aller erst zu dem sonst über einen Hauffen gerissenen Schiffe ziehen muß. Hertzog Flavius fuhre fort: Jch darff meine über diese zwey Fürsten gewonnene Bot- mäßigkeit wol nicht meiner Klugheit zueignen/ weil ich meiner selbst noch nicht mächtig/ und mein Thun ein steter Fehltritt war. Jch mei- ne aber/ daß mein Vortheil von einer Ver- wandschafft unser Gemüther/ und von der Ein- tracht der Neigungen den Uhrsprung hatte/ welcher Würckungen offt so seltzam sind/ daß sie der Unwissenheit des Pöfels mehrmahls eine Zauberey heisset. Diese Verwandnüs bere- det ohne Worte/ und bemächtiget sich der Ge- müther ohne Verdienste; ohne sie aber ist alle Tugend ohnmächtig/ und alle Bemühung ver- gebene Arbeit. Dieser verborgenen Neigung hilfft nichts mehr auff die Beine als eine Be- fleissung sich in die zu schicken/ mit denen man umgehet. Denn wenn man mit den Wölffen heulet/ mit den Affen spielet/ mit den Eichhör- nern tantzet; wird man nicht nur allenthalben beliebt/ sondern diese kluge Verwandlung ma- chet/ daß hernach alle andere einem so fertigen Proteus auch was kluges nachthun. Lucius war kaum dreyzehn Jahr alt/ als er schon eine hefftige Neigung der Geilheit von sich mercken ließ. Welches mir als einem Deutschen so viel seltzamer vorkam/ als welche sehr langsam diesen Trieb der Natur fühlen/ und für dem dreißig- sten Jahre auch zuläßlicher Liebe pflegen für Schande achten. Welches/ als ich es damals [Spaltenumbruch] auf Anstifften unsers Lehrmeisters Athenodorus dem Lucius erwehnte; so wol ihm als seinen Rö- mischen Gefärthen anfangs unglaublich/ her- nach ein Gelächter war. Sintemal diese uns Deutschen für halbe Mißgeburten schalten/ denen unser gefrorner Himmel mehr Schnee als Blut in die Adern geflöst hätte. Jch aber hing ihnen im lachenden Muthe diesen Schand- fleck an/ daß ihre unzeitige Lüsternheit ihre Kräfften erschöpffte/ ehe sie erstarreten; und im Frühlinge unreiffe und sauere Aepffel abbreche/ welche die Deutschen im Sommer in ihrer süs- sen Vollkommenheit zu genüssen pflegten. Hiervon rührete/ daß diesich zur Unzeit abmer- gelnden Römer gleichsam halbe Zwerge blie- ben; Hingegen der Baum-langen Deutschen Kinder als halbe Riesen herwüchsen/ und sichtba- re Beweißthümer der Elterlichen Leibes-Kräf- ten für Augen stellten. Bey solcher Mäßi- gung hätten die Deutschen auch in der Wollust selbst einen Vortheil. Denn sie behielten biß ins greise Alter das unerschöpfliche Vermögen der Jugend. Dahingegen bey denen/ welche durch zu frühe Begierden ihnen und der Natur Gewalt anthun/ eben so zeitlich entkräfftet wür- den/ wie gewisse Bäume ehe verdorren/ wenn man ihnen die Blüthen abbricht; Als wenn man ihre Aepffel reif werden läst. Jnsonder- heit aber war der bey dem Kayser so sehr beliebte Athenodor von Canaan in Sicilien/ theils nach Anleitung seiner Stoischen Weltweißheit/ theils wegen Verbindligkeitgegen dem Käyser/ für viel genossene Wolthaten beflissen den Lu- cius von dem Wege der Wollust abzuleiten. Dieser weise Mann ward entweder dem August zu Liebe/ oder auch wegen seiner Lehre und tu- gendhafften Lebens halber für einen halben Gott verehret. Denn ob zwar anfangs die Stoischen Weisen/ als Nachfolger des unver- schämten Diogenes als hoffärtige/ hals- starrige und unruhige Verächter der Obrigkeit gantz verachtet waren; so erlangten sie doch nach und L l l 2
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
ich bey ihnen ſo viel Anſehen/ daß mein Wieder-rathen ſie offt ehe/ als des Kaͤyfers ſtrenge Dreuungen von ihren wilden Entſchluͤſſungen zuruͤck hielt. Es iſt wahr/ ſagte Hertzog Ar- pus; Man muß an groſſen Hoͤffen allezeit ver- mummte Antlitzer haben/ und das freudig mit machen/ darfuͤr man die groͤſte Abſcheu hat. Junge wilde Fuͤrſten muß man auch/ wie die Wallfiſche fangen; denen man das in die Seite eingejagte Seil nachlaͤſt/ und wenn ſie ſchwach oder muͤde worden ſind/ ſie aller erſt zu dem ſonſt uͤber einen Hauffen geriſſenen Schiffe ziehen muß. Hertzog Flavius fuhre fort: Jch darff meine uͤber dieſe zwey Fuͤrſten gewonnene Bot- maͤßigkeit wol nicht meiner Klugheit zueignen/ weil ich meiner ſelbſt noch nicht maͤchtig/ und mein Thun ein ſteter Fehltritt war. Jch mei- ne aber/ daß mein Vortheil von einer Ver- wandſchafft unſer Gemuͤther/ und von der Ein- tracht der Neigungen den Uhrſprung hatte/ welcher Wuͤrckungen offt ſo ſeltzam ſind/ daß ſie der Unwiſſenheit des Poͤfels mehrmahls eine Zauberey heiſſet. Dieſe Verwandnuͤs bere- det ohne Worte/ und bemaͤchtiget ſich der Ge- muͤther ohne Verdienſte; ohne ſie aber iſt alle Tugend ohnmaͤchtig/ und alle Bemuͤhung ver- gebene Arbeit. Dieſer verborgenen Neigung hilfft nichts mehr auff die Beine als eine Be- fleiſſung ſich in die zu ſchicken/ mit denen man umgehet. Denn wenn man mit den Woͤlffen heulet/ mit den Affen ſpielet/ mit den Eichhoͤr- nern tantzet; wird man nicht nur allenthalben beliebt/ ſondern dieſe kluge Verwandlung ma- chet/ daß hernach alle andere einem ſo fertigen Proteus auch was kluges nachthun. Lucius war kaum dreyzehn Jahr alt/ als er ſchon eine hefftige Neigung der Geilheit von ſich mercken ließ. Welches mir als einem Deutſchen ſo viel ſeltzamer vorkam/ als welche ſehr langſam dieſen Trieb der Natur fuͤhlen/ und fuͤr dem dreißig- ſten Jahre auch zulaͤßlicher Liebe pflegen fuͤr Schande achten. Welches/ als ich es damals [Spaltenumbruch] auf Anſtifften unſers Lehrmeiſters Athenodorus dem Lucius erwehnte; ſo wol ihm als ſeinen Roͤ- miſchen Gefaͤrthen anfangs unglaublich/ her- nach ein Gelaͤchter war. Sintemal dieſe uns Deutſchen fuͤr halbe Mißgeburten ſchalten/ denen unſer gefrorner Himmel mehr Schnee als Blut in die Adern gefloͤſt haͤtte. Jch aber hing ihnen im lachenden Muthe dieſen Schand- fleck an/ daß ihre unzeitige Luͤſternheit ihre Kraͤfften erſchoͤpffte/ ehe ſie erſtarreten; und im Fruͤhlinge unreiffe und ſauere Aepffel abbreche/ welche die Deutſchen im Sommer in ihrer ſuͤſ- ſen Vollkommenheit zu genuͤſſen pflegten. Hiervon ruͤhrete/ daß dieſich zur Unzeit abmer- gelnden Roͤmer gleichſam halbe Zwerge blie- ben; Hingegen der Baum-langen Deutſchen Kinder als halbe Rieſen heꝛwuͤchſen/ und ſichtba- re Beweißthuͤmer der Elterlichen Leibes-Kraͤf- ten fuͤr Augen ſtellten. Bey ſolcher Maͤßi- gung haͤtten die Deutſchen auch in der Wolluſt ſelbſt einen Vortheil. Denn ſie behielten biß ins greiſe Alter das unerſchoͤpfliche Vermoͤgen der Jugend. Dahingegen bey denen/ welche durch zu fruͤhe Begierden ihnen und der Natur Gewalt anthun/ eben ſo zeitlich entkraͤfftet wuͤr- den/ wie gewiſſe Baͤume ehe verdorren/ wenn man ihnen die Bluͤthen abbricht; Als wenn man ihre Aepffel reif werden laͤſt. Jnſonder- heit aber war der bey dem Kayſer ſo ſehr beliebte Athenodor von Canaan in Sicilien/ theils nach Anleitung ſeiner Stoiſchen Weltweißheit/ theils wegen Verbindligkeitgegen dem Kaͤyſer/ fuͤr viel genoſſene Wolthaten befliſſen den Lu- cius von dem Wege der Wolluſt abzuleiten. Dieſer weiſe Mann ward entweder dem Auguſt zu Liebe/ oder auch wegen ſeiner Lehre und tu- gendhafften Lebens halber fuͤr einen halben Gott verehret. Denn ob zwar anfangs die Stoiſchen Weiſen/ als Nachfolger des unver- ſchaͤmten Diogenes als hoffaͤrtige/ hals- ſtarrige und unruhige Veraͤchter der Obrigkeit gantz verachtet waren; ſo erlangten ſie doch nach und L l l 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0505" n="451"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Arminius und Thußnelda.</hi></fw><lb/><cb/> ich bey ihnen ſo viel Anſehen/ daß mein Wieder-<lb/> rathen ſie offt ehe/ als des Kaͤyfers ſtrenge<lb/> Dreuungen von ihren wilden Entſchluͤſſungen<lb/> zuruͤck hielt. Es iſt wahr/ ſagte Hertzog Ar-<lb/> pus; Man muß an groſſen Hoͤffen allezeit ver-<lb/> mummte Antlitzer haben/ und das freudig mit<lb/> machen/ darfuͤr man die groͤſte Abſcheu hat.<lb/> Junge wilde Fuͤrſten muß man auch/ wie die<lb/> Wallfiſche fangen; denen man das in die Seite<lb/> eingejagte Seil nachlaͤſt/ und wenn ſie ſchwach<lb/> oder muͤde worden ſind/ ſie aller erſt zu dem ſonſt<lb/> uͤber einen Hauffen geriſſenen Schiffe ziehen<lb/> muß. Hertzog Flavius fuhre fort: Jch darff<lb/> meine uͤber dieſe zwey Fuͤrſten gewonnene Bot-<lb/> maͤßigkeit wol nicht meiner Klugheit zueignen/<lb/> weil ich meiner ſelbſt noch nicht maͤchtig/ und<lb/> mein Thun ein ſteter Fehltritt war. Jch mei-<lb/> ne aber/ daß mein Vortheil von einer Ver-<lb/> wandſchafft unſer Gemuͤther/ und von der Ein-<lb/> tracht der Neigungen den Uhrſprung hatte/<lb/> welcher Wuͤrckungen offt ſo ſeltzam ſind/ daß ſie<lb/> der Unwiſſenheit des Poͤfels mehrmahls eine<lb/> Zauberey heiſſet. Dieſe Verwandnuͤs bere-<lb/> det ohne Worte/ und bemaͤchtiget ſich der Ge-<lb/> muͤther ohne Verdienſte; ohne ſie aber iſt alle<lb/> Tugend ohnmaͤchtig/ und alle Bemuͤhung ver-<lb/> gebene Arbeit. Dieſer verborgenen Neigung<lb/> hilfft nichts mehr auff die Beine als eine Be-<lb/> fleiſſung ſich in die zu ſchicken/ mit denen man<lb/> umgehet. Denn wenn man mit den Woͤlffen<lb/> heulet/ mit den Affen ſpielet/ mit den Eichhoͤr-<lb/> nern tantzet; wird man nicht nur allenthalben<lb/> beliebt/ ſondern dieſe kluge Verwandlung ma-<lb/> chet/ daß hernach alle andere einem ſo fertigen<lb/> Proteus auch was kluges nachthun. Lucius<lb/> war kaum dreyzehn Jahr alt/ als er ſchon eine<lb/> hefftige Neigung der Geilheit von ſich mercken<lb/> ließ. Welches mir als einem Deutſchen ſo viel<lb/> ſeltzamer vorkam/ als welche ſehr langſam dieſen<lb/> Trieb der Natur fuͤhlen/ und fuͤr dem dreißig-<lb/> ſten Jahre auch zulaͤßlicher Liebe pflegen fuͤr<lb/> Schande achten. Welches/ als ich es damals<lb/><cb/> auf Anſtifften unſers Lehrmeiſters Athenodorus<lb/> dem Lucius erwehnte; ſo wol ihm als ſeinen Roͤ-<lb/> miſchen Gefaͤrthen anfangs unglaublich/ her-<lb/> nach ein Gelaͤchter war. Sintemal dieſe uns<lb/> Deutſchen fuͤr halbe Mißgeburten ſchalten/<lb/> denen unſer gefrorner Himmel mehr Schnee<lb/> als Blut in die Adern gefloͤſt haͤtte. Jch aber<lb/> hing ihnen im lachenden Muthe dieſen Schand-<lb/> fleck an/ daß ihre unzeitige Luͤſternheit ihre<lb/> Kraͤfften erſchoͤpffte/ ehe ſie erſtarreten; und im<lb/> Fruͤhlinge unreiffe und ſauere Aepffel abbreche/<lb/> welche die Deutſchen im Sommer in ihrer ſuͤſ-<lb/> ſen Vollkommenheit zu genuͤſſen pflegten.<lb/> Hiervon ruͤhrete/ daß dieſich zur Unzeit abmer-<lb/> gelnden Roͤmer gleichſam halbe Zwerge blie-<lb/> ben; Hingegen der Baum-langen Deutſchen<lb/> Kinder als halbe Rieſen heꝛwuͤchſen/ und ſichtba-<lb/> re Beweißthuͤmer der Elterlichen Leibes-Kraͤf-<lb/> ten fuͤr Augen ſtellten. Bey ſolcher Maͤßi-<lb/> gung haͤtten die Deutſchen auch in der Wolluſt<lb/> ſelbſt einen Vortheil. Denn ſie behielten biß<lb/> ins greiſe Alter das unerſchoͤpfliche Vermoͤgen<lb/> der Jugend. Dahingegen bey denen/ welche<lb/> durch zu fruͤhe Begierden ihnen und der Natur<lb/> Gewalt anthun/ eben ſo zeitlich entkraͤfftet wuͤr-<lb/> den/ wie gewiſſe Baͤume ehe verdorren/ wenn<lb/> man ihnen die Bluͤthen abbricht; Als wenn<lb/> man ihre Aepffel reif werden laͤſt. Jnſonder-<lb/> heit aber war der bey dem Kayſer ſo ſehr beliebte<lb/> Athenodor von Canaan in Sicilien/ theils nach<lb/> Anleitung ſeiner Stoiſchen Weltweißheit/<lb/> theils wegen Verbindligkeitgegen dem Kaͤyſer/<lb/> fuͤr viel genoſſene Wolthaten befliſſen den Lu-<lb/> cius von dem Wege der Wolluſt abzuleiten.<lb/> Dieſer weiſe Mann ward entweder dem Auguſt<lb/> zu Liebe/ oder auch wegen ſeiner Lehre und tu-<lb/> gendhafften Lebens halber fuͤr einen halben<lb/> Gott verehret. Denn ob zwar anfangs die<lb/> Stoiſchen Weiſen/ als Nachfolger des unver-<lb/> ſchaͤmten Diogenes als hoffaͤrtige/ hals-<lb/> ſtarrige und unruhige Veraͤchter der Obrigkeit<lb/> gantz verachtet waren; ſo erlangten ſie doch nach<lb/> <fw place="bottom" type="sig">L l l 2</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [451/0505]
Arminius und Thußnelda.
ich bey ihnen ſo viel Anſehen/ daß mein Wieder-
rathen ſie offt ehe/ als des Kaͤyfers ſtrenge
Dreuungen von ihren wilden Entſchluͤſſungen
zuruͤck hielt. Es iſt wahr/ ſagte Hertzog Ar-
pus; Man muß an groſſen Hoͤffen allezeit ver-
mummte Antlitzer haben/ und das freudig mit
machen/ darfuͤr man die groͤſte Abſcheu hat.
Junge wilde Fuͤrſten muß man auch/ wie die
Wallfiſche fangen; denen man das in die Seite
eingejagte Seil nachlaͤſt/ und wenn ſie ſchwach
oder muͤde worden ſind/ ſie aller erſt zu dem ſonſt
uͤber einen Hauffen geriſſenen Schiffe ziehen
muß. Hertzog Flavius fuhre fort: Jch darff
meine uͤber dieſe zwey Fuͤrſten gewonnene Bot-
maͤßigkeit wol nicht meiner Klugheit zueignen/
weil ich meiner ſelbſt noch nicht maͤchtig/ und
mein Thun ein ſteter Fehltritt war. Jch mei-
ne aber/ daß mein Vortheil von einer Ver-
wandſchafft unſer Gemuͤther/ und von der Ein-
tracht der Neigungen den Uhrſprung hatte/
welcher Wuͤrckungen offt ſo ſeltzam ſind/ daß ſie
der Unwiſſenheit des Poͤfels mehrmahls eine
Zauberey heiſſet. Dieſe Verwandnuͤs bere-
det ohne Worte/ und bemaͤchtiget ſich der Ge-
muͤther ohne Verdienſte; ohne ſie aber iſt alle
Tugend ohnmaͤchtig/ und alle Bemuͤhung ver-
gebene Arbeit. Dieſer verborgenen Neigung
hilfft nichts mehr auff die Beine als eine Be-
fleiſſung ſich in die zu ſchicken/ mit denen man
umgehet. Denn wenn man mit den Woͤlffen
heulet/ mit den Affen ſpielet/ mit den Eichhoͤr-
nern tantzet; wird man nicht nur allenthalben
beliebt/ ſondern dieſe kluge Verwandlung ma-
chet/ daß hernach alle andere einem ſo fertigen
Proteus auch was kluges nachthun. Lucius
war kaum dreyzehn Jahr alt/ als er ſchon eine
hefftige Neigung der Geilheit von ſich mercken
ließ. Welches mir als einem Deutſchen ſo viel
ſeltzamer vorkam/ als welche ſehr langſam dieſen
Trieb der Natur fuͤhlen/ und fuͤr dem dreißig-
ſten Jahre auch zulaͤßlicher Liebe pflegen fuͤr
Schande achten. Welches/ als ich es damals
auf Anſtifften unſers Lehrmeiſters Athenodorus
dem Lucius erwehnte; ſo wol ihm als ſeinen Roͤ-
miſchen Gefaͤrthen anfangs unglaublich/ her-
nach ein Gelaͤchter war. Sintemal dieſe uns
Deutſchen fuͤr halbe Mißgeburten ſchalten/
denen unſer gefrorner Himmel mehr Schnee
als Blut in die Adern gefloͤſt haͤtte. Jch aber
hing ihnen im lachenden Muthe dieſen Schand-
fleck an/ daß ihre unzeitige Luͤſternheit ihre
Kraͤfften erſchoͤpffte/ ehe ſie erſtarreten; und im
Fruͤhlinge unreiffe und ſauere Aepffel abbreche/
welche die Deutſchen im Sommer in ihrer ſuͤſ-
ſen Vollkommenheit zu genuͤſſen pflegten.
Hiervon ruͤhrete/ daß dieſich zur Unzeit abmer-
gelnden Roͤmer gleichſam halbe Zwerge blie-
ben; Hingegen der Baum-langen Deutſchen
Kinder als halbe Rieſen heꝛwuͤchſen/ und ſichtba-
re Beweißthuͤmer der Elterlichen Leibes-Kraͤf-
ten fuͤr Augen ſtellten. Bey ſolcher Maͤßi-
gung haͤtten die Deutſchen auch in der Wolluſt
ſelbſt einen Vortheil. Denn ſie behielten biß
ins greiſe Alter das unerſchoͤpfliche Vermoͤgen
der Jugend. Dahingegen bey denen/ welche
durch zu fruͤhe Begierden ihnen und der Natur
Gewalt anthun/ eben ſo zeitlich entkraͤfftet wuͤr-
den/ wie gewiſſe Baͤume ehe verdorren/ wenn
man ihnen die Bluͤthen abbricht; Als wenn
man ihre Aepffel reif werden laͤſt. Jnſonder-
heit aber war der bey dem Kayſer ſo ſehr beliebte
Athenodor von Canaan in Sicilien/ theils nach
Anleitung ſeiner Stoiſchen Weltweißheit/
theils wegen Verbindligkeitgegen dem Kaͤyſer/
fuͤr viel genoſſene Wolthaten befliſſen den Lu-
cius von dem Wege der Wolluſt abzuleiten.
Dieſer weiſe Mann ward entweder dem Auguſt
zu Liebe/ oder auch wegen ſeiner Lehre und tu-
gendhafften Lebens halber fuͤr einen halben
Gott verehret. Denn ob zwar anfangs die
Stoiſchen Weiſen/ als Nachfolger des unver-
ſchaͤmten Diogenes als hoffaͤrtige/ hals-
ſtarrige und unruhige Veraͤchter der Obrigkeit
gantz verachtet waren; ſo erlangten ſie doch nach
und
L l l 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/505 |
Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/505>, abgerufen am 01.07.2024. |