Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
und ihre Brüste mit reinem Blute befleckenmuß; wormit man die Lilgen der Keuschhelt un- besudelt in Sarch lege; Massen denn ohne der- gleichen Anfechtungen sich keine für keusch zu rühmen/ sondern entweder für eine von der Ge- burtsart her frostige/ oder für eine von den La- stern selbst verschmehete zu halten hat. Der Feld- herr brach allhier seiner Thußnelden ein: Die Keuschheit dörfe in alle wege ein grosses Hertze/ und unverzagte Entschlüssungen; aber diß kön- ne er nimmermehr billichen/ daß sie wider sich selbst ihre Rache ausüben/ und ein fremdes Laster an ihrem unschuldigen Leibe straffen solte. Denn da das Gemüthe in eines andern Uppigkeit nicht gewilligt habe/ wäre durch Zwang weder die Seele besudelt/ noch dem guten Nahmen ein sol- cher Schandfleck angehenckt worden/ welcher mit so scharffer Lauge seines eigenen Blutes ab- gewischt werden müsse. Jhm wäre zwar nicht unbekandt/ wie hoch die Römer den Selbstmord ihrer Lucretie heraus strichen; er finde aber dar- an nichts ruhmwürdiges/ als daß sie mit ihrem Messer das Joch der königlichen Tyranney zerkerbet habe; und daß wie aus Aureliens Bau- che der Julius und die Römische Dienstbarkeit geschnitten/ also aus Lucretiens Wunde die Freyheit des Volckes gebohren worden. Auser dem aber/ da sie Tarqvin mit Gewalt veruneh- ret/ wäre sie keines Todes schuldigs da sie aber zugleich gesündigt/ ihre Reue zu spat/ und ihre Verzweiffelung keines Lobes würdig gewest. Die Königin Erato konte sich nicht enthalten/ der in ihren Augen so hoch gesehenen Lucrekia das Wort zu reden/ und nach des Feldherrn ge- betener Erlaubnüß entgegen zu setzen: Keusch- heit und Lilgen wären von solcher Reinligkeit/ daß diese auch in ihrem Stiele/ jene in ihrem Lei- be keinen Fleck erduldete. Die Lilge streckte ihr Haupt unter den Blumen/ die Keuschheit unter den Tugenden am höchsten empor/ wormit jene von dem Schlamme der Erden/ diese der Laster nicht besudelt würde. Die Lilge habe eine Farbe wie Schnee/ einen Geruch über Bisam/ eine [Spaltenumbruch] Krone von Gold; die Keuschheit müsse nicht al- leine den Glantz der Unschuld/ sondern einen al- len Verdachts befreyten Geruch eines guten Namens haben/ wenn sie den Krantz der Ehren erwerben wolte. Wie nun aber die Lilge alleine/ wenn sie unberührt bleibt/ ihren Geruch behiel- te/ durch Betastung aber selbten in Stanck ver- wandelte; also müsse die Keuschheit auch die Be- rührung ihrer Glieder von einem geilen Finger verhüten/ wo sie ihrer Ehre keinen Abbruch thun wolle; oder da ihre euserste Sorgfalt sie endlich für der Verwelckung nicht länger be- freyen/ und mit ihrem kräfftigen Geruche die Giftsaugenden Schlangen von dem Genüsse ihres Jungfrauen-Honigs verjagen könte/ doch mit ihrem Blute ihr einen neuen Ruhm gebäh- ren/ wie die Lilge sich aus ihren abfallenden eige- nen Thränen säme und fortpflantze. Die Für- stin Thußnelda fiel der Königin ein: Sie billig- te allerdinges ihre Lehre/ aber nicht das darzu aufgestellte Beyspiel. Denn sie liesse Lucretien gerne für eine Austreiberin der Tyrannen/ für eine Mutter der bürgerlichen Freyheit/ nicht a- ber für ein vollkommenes Muster der Keuschheit gelten. Sintemal sie für ihrer Befleckung den angesetzten Dolch des Tarqvin/ nicht aber nach verwundeter Sache ihr Messer in ihren Brü- sten hätte empfinden sollen. Weil ja eine mit Schrecken erpreste Beliebung zwar kein freyer/ aber gleichwol ein Wille; ein züchtiges Hertze aber ein so durchsichtiges Crystall wäre/ welches keinen Schatten gebe/ und ein so heller Spiegel/ daß er vom Anhauchen/ von einem geilen Anblicke Flecken bekäme. Diesemnach wäre mit viel rei- neren Leibern/ mit viel keuscheren Seelen nach der vom Marius erlittener Niederlage das deutsche gefangene Frauenzimmer gestorben/ da sie in einer Nacht/ als sie Marius der Göttin Vesta nicht wiedmen wolte/ durch eigenhändi- gen Tod aller fremden Brunst zuvor kamen. Da aber ja von einem Wüterich der Keuschheit die Hände gehunden würden/ könte sie so denn al- lererst ein behertzter Tod aller Schande befreyen. Also
Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
und ihre Bruͤſte mit reinem Blute befleckenmuß; wormit man die Lilgen der Keuſchhelt un- beſudelt in Sarch lege; Maſſen denn ohne der- gleichen Anfechtungen ſich keine fuͤr keuſch zu ruͤhmen/ ſondern entweder fuͤr eine von der Ge- burtsart her froſtige/ oder fuͤr eine von den La- ſtern ſelbſt verſchmehete zu halten hat. Der Feld- herr brach allhier ſeiner Thußnelden ein: Die Keuſchheit doͤrfe in alle wege ein groſſes Hertze/ und unverzagte Entſchluͤſſungen; aber diß koͤn- ne er nimmermehr billichen/ daß ſie wider ſich ſelbſt ihre Rache ausuͤben/ und ein fremdes Laſter an ihrem unſchuldigen Leibe ſtraffen ſolte. Denn da das Gemuͤthe in eines andeꝛn Uppigkeit nicht gewilligt habe/ waͤre durch Zwang weder die Seele beſudelt/ noch dem guten Nahmen ein ſol- cher Schandfleck angehenckt worden/ welcher mit ſo ſcharffer Lauge ſeines eigenen Blutes ab- gewiſcht werden muͤſſe. Jhm waͤre zwar nicht unbekandt/ wie hoch die Roͤmer den Selbſtmord ihrer Lucretie heraus ſtrichen; er finde aber dar- an nichts ruhmwuͤrdiges/ als daß ſie mit ihrem Meſſer das Joch der koͤniglichen Tyranney zerkerbet habe; und daß wie aus Aureliens Bau- che der Julius und die Roͤmiſche Dienſtbarkeit geſchnitten/ alſo aus Lucretiens Wunde die Freyheit des Volckes gebohren worden. Auſer dem aber/ da ſie Tarqvin mit Gewalt veruneh- ret/ waͤre ſie keines Todes ſchuldigs da ſie aber zugleich geſuͤndigt/ ihre Reue zu ſpat/ und ihre Verzweiffelung keines Lobes wuͤrdig geweſt. Die Koͤnigin Erato konte ſich nicht enthalten/ der in ihren Augen ſo hoch geſehenen Lucrekia das Wort zu reden/ und nach des Feldherrn ge- betener Erlaubnuͤß entgegen zu ſetzen: Keuſch- heit und Lilgen waͤren von ſolcher Reinligkeit/ daß dieſe auch in ihrem Stiele/ jene in ihrem Lei- be keinen Fleck erduldete. Die Lilge ſtreckte ihr Haupt unter den Blumen/ die Keuſchheit unter den Tugenden am hoͤchſten empor/ wormit jene von dem Schlamme der Erden/ dieſe der Laſter nicht beſudelt wuͤrde. Die Lilge habe eine Farbe wie Schnee/ einen Geruch uͤber Biſam/ eine [Spaltenumbruch] Krone von Gold; die Keuſchheit muͤſſe nicht al- leine den Glantz der Unſchuld/ ſondern einen al- len Verdachts befreyten Geruch eines guten Namens haben/ wenn ſie den Krantz der Ehren erwerben wolte. Wie nun aber die Lilge alleine/ wenn ſie unberuͤhrt bleibt/ ihren Geruch behiel- te/ durch Betaſtung aber ſelbten in Stanck ver- wandelte; alſo muͤſſe die Keuſchheit auch die Be- ruͤhrung ihrer Glieder von einem geilen Finger verhuͤten/ wo ſie ihrer Ehre keinen Abbruch thun wolle; oder da ihre euſerſte Sorgfalt ſie endlich fuͤr der Verwelckung nicht laͤnger be- freyen/ und mit ihrem kraͤfftigen Geruche die Giftſaugenden Schlangen von dem Genuͤſſe ihres Jungfrauen-Honigs verjagen koͤnte/ doch mit ihrem Blute ihr einen neuen Ruhm gebaͤh- ren/ wie die Lilge ſich aus ihren abfallenden eige- nen Thraͤnen ſaͤme und fortpflantze. Die Fuͤr- ſtin Thußnelda fiel der Koͤnigin ein: Sie billig- te allerdinges ihre Lehre/ aber nicht das darzu aufgeſtellte Beyſpiel. Denn ſie lieſſe Lucretien gerne fuͤr eine Austreiberin der Tyrannen/ fuͤr eine Mutter der buͤrgerlichen Freyheit/ nicht a- ber fuͤr ein vollkommenes Muſter der Keuſchheit gelten. Sintemal ſie fuͤr ihrer Befleckung den angeſetzten Dolch des Tarqvin/ nicht aber nach verwundeter Sache ihr Meſſer in ihren Bruͤ- ſten haͤtte empfinden ſollen. Weil ja eine mit Schrecken erpreſte Beliebung zwar kein freyer/ aber gleichwol ein Wille; ein zuͤchtiges Hertze aber ein ſo durchſichtiges Cryſtall waͤre/ welches keinen Schatten gebe/ und ein ſo heller Spiegel/ daß er vom Anhauchen/ von einem geilẽ Anblicke Flecken bekaͤme. Dieſemnach waͤre mit viel rei- neren Leibern/ mit viel keuſcheren Seelen nach der vom Marius erlittener Niederlage das deutſche gefangene Frauenzimmer geſtorben/ da ſie in einer Nacht/ als ſie Marius der Goͤttin Veſta nicht wiedmen wolte/ durch eigenhaͤndi- gen Tod aller fremden Brunſt zuvor kamen. Da aber ja von einem Wuͤterich der Keuſchheit die Haͤnde gehunden wuͤrden/ koͤnte ſie ſo deñ al- lereꝛſt ein behertzteꝛ Tod alleꝛ Schande befreyen. Alſo
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Vierdtes Buch
und ihre Bruͤſte mit reinem Blute beflecken
muß; wormit man die Lilgen der Keuſchhelt un-
beſudelt in Sarch lege; Maſſen denn ohne der-
gleichen Anfechtungen ſich keine fuͤr keuſch zu
ruͤhmen/ ſondern entweder fuͤr eine von der Ge-
burtsart her froſtige/ oder fuͤr eine von den La-
ſtern ſelbſt verſchmehete zu halten hat. Der Feld-
herr brach allhier ſeiner Thußnelden ein: Die
Keuſchheit doͤrfe in alle wege ein groſſes Hertze/
und unverzagte Entſchluͤſſungen; aber diß koͤn-
ne er nimmermehr billichen/ daß ſie wider ſich
ſelbſt ihre Rache ausuͤben/ und ein fremdes Laſter
an ihrem unſchuldigen Leibe ſtraffen ſolte. Denn
da das Gemuͤthe in eines andeꝛn Uppigkeit nicht
gewilligt habe/ waͤre durch Zwang weder die
Seele beſudelt/ noch dem guten Nahmen ein ſol-
cher Schandfleck angehenckt worden/ welcher
mit ſo ſcharffer Lauge ſeines eigenen Blutes ab-
gewiſcht werden muͤſſe. Jhm waͤre zwar nicht
unbekandt/ wie hoch die Roͤmer den Selbſtmord
ihrer Lucretie heraus ſtrichen; er finde aber dar-
an nichts ruhmwuͤrdiges/ als daß ſie mit ihrem
Meſſer das Joch der koͤniglichen Tyranney
zerkerbet habe; und daß wie aus Aureliens Bau-
che der Julius und die Roͤmiſche Dienſtbarkeit
geſchnitten/ alſo aus Lucretiens Wunde die
Freyheit des Volckes gebohren worden. Auſer
dem aber/ da ſie Tarqvin mit Gewalt veruneh-
ret/ waͤre ſie keines Todes ſchuldigs da ſie aber
zugleich geſuͤndigt/ ihre Reue zu ſpat/ und ihre
Verzweiffelung keines Lobes wuͤrdig geweſt.
Die Koͤnigin Erato konte ſich nicht enthalten/
der in ihren Augen ſo hoch geſehenen Lucrekia
das Wort zu reden/ und nach des Feldherrn ge-
betener Erlaubnuͤß entgegen zu ſetzen: Keuſch-
heit und Lilgen waͤren von ſolcher Reinligkeit/
daß dieſe auch in ihrem Stiele/ jene in ihrem Lei-
be keinen Fleck erduldete. Die Lilge ſtreckte ihr
Haupt unter den Blumen/ die Keuſchheit unter
den Tugenden am hoͤchſten empor/ wormit jene
von dem Schlamme der Erden/ dieſe der Laſter
nicht beſudelt wuͤrde. Die Lilge habe eine Farbe
wie Schnee/ einen Geruch uͤber Biſam/ eine
Krone von Gold; die Keuſchheit muͤſſe nicht al-
leine den Glantz der Unſchuld/ ſondern einen al-
len Verdachts befreyten Geruch eines guten
Namens haben/ wenn ſie den Krantz der Ehren
erwerben wolte. Wie nun aber die Lilge alleine/
wenn ſie unberuͤhrt bleibt/ ihren Geruch behiel-
te/ durch Betaſtung aber ſelbten in Stanck ver-
wandelte; alſo muͤſſe die Keuſchheit auch die Be-
ruͤhrung ihrer Glieder von einem geilen Finger
verhuͤten/ wo ſie ihrer Ehre keinen Abbruch
thun wolle; oder da ihre euſerſte Sorgfalt ſie
endlich fuͤr der Verwelckung nicht laͤnger be-
freyen/ und mit ihrem kraͤfftigen Geruche die
Giftſaugenden Schlangen von dem Genuͤſſe
ihres Jungfrauen-Honigs verjagen koͤnte/ doch
mit ihrem Blute ihr einen neuen Ruhm gebaͤh-
ren/ wie die Lilge ſich aus ihren abfallenden eige-
nen Thraͤnen ſaͤme und fortpflantze. Die Fuͤr-
ſtin Thußnelda fiel der Koͤnigin ein: Sie billig-
te allerdinges ihre Lehre/ aber nicht das darzu
aufgeſtellte Beyſpiel. Denn ſie lieſſe Lucretien
gerne fuͤr eine Austreiberin der Tyrannen/ fuͤr
eine Mutter der buͤrgerlichen Freyheit/ nicht a-
ber fuͤr ein vollkommenes Muſter der Keuſchheit
gelten. Sintemal ſie fuͤr ihrer Befleckung den
angeſetzten Dolch des Tarqvin/ nicht aber nach
verwundeter Sache ihr Meſſer in ihren Bruͤ-
ſten haͤtte empfinden ſollen. Weil ja eine mit
Schrecken erpreſte Beliebung zwar kein freyer/
aber gleichwol ein Wille; ein zuͤchtiges Hertze
aber ein ſo durchſichtiges Cryſtall waͤre/ welches
keinen Schatten gebe/ und ein ſo heller Spiegel/
daß er vom Anhauchen/ von einem geilẽ Anblicke
Flecken bekaͤme. Dieſemnach waͤre mit viel rei-
neren Leibern/ mit viel keuſcheren Seelen nach
der vom Marius erlittener Niederlage das
deutſche gefangene Frauenzimmer geſtorben/ da
ſie in einer Nacht/ als ſie Marius der Goͤttin
Veſta nicht wiedmen wolte/ durch eigenhaͤndi-
gen Tod aller fremden Brunſt zuvor kamen.
Da aber ja von einem Wuͤterich der Keuſchheit
die Haͤnde gehunden wuͤrden/ koͤnte ſie ſo deñ al-
lereꝛſt ein behertzteꝛ Tod alleꝛ Schande befreyen.
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/486>, abgerufen am 16.07.2024. |