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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Gewalt ein so grosses Unrecht zu vergessen?
Giebet uns nicht so wol unsere eigene Sicher-
heit/ als der natürliche Trieb das Rachschwerd
in die Hand/ wenn unsere Gütigkeit unsern
Feind nicht besänftiget/ sondern nach Art der
abzugelten unmöglichen Wolthaten/ ihn nur
noch mehr erbittert? Oder kan die Liebe gegen
derselben unversehrt bleiben/ wenn ihr Ursprung
nichts als Gift und Galle kochet? Und mit was
für einer Bach voll Thränen mag Thußnelde
ihren eigenen Schimpf abwaschen; nach dem
Segesthes sein gantzes Geschlechte mit solcher
Untreu besudelt? Keine Flecken sind schwerer zu
vertilgen/ keine Verbrechen geben einen häßli-
chern Gestanck von sich/ als welche nach Verrä-
therey rüchen. Der Feldherr umarmte Thuß-
nelden aufs neue/ mit beweglicher Bitte: Sie
wolte doch ihr und der Tugend kein so ungerech-
tes Urthel fällen/ wenn sie ihr fremde Schuld des
Segesthes aufhalsete. Das Licht der Tugend al-
lein hätte nur diesen Vorzug; und begreiffe so viel
in sich/ daß sie auch andere mit ihrem Glantze be-
theilte; das Wesen der Laster aber bestünde in
Finsternüß/ und erstrecke sich ihr Schatten
nicht über das Maaß der Verbrecher; Daher
könte zwar fremdes Feuer unsere eigenthümli-
che Güter/ aber fremde Schuld nicht unsern ei-
genen Ruhm verzehren. Uberdiß würde die
Grösse ihrer Liebe ihr schwerlich zu glauben ver-
statten/ daß die Seinige durch einigen Zufall der
Welt vermindert werden könte. Tugend und
ungefälschte Liebe wären in dem/ dem Gestirne
zu vergleichen/ daß kein Nebel noch Unglück ih-
nen das Licht ausleschen könte; darinnen aber
überträffen sie es/ daß sie allzeit im Wachsthum
blieben. Wie aber könte sein guter Ruhm mehr
ins Abnehmen kommen/ als wenn er durch Rach-
gier selbten verfinsterte? Alle Begierden ver-
blendeten zwar die Augen des Gemüths/ den
Geitzigen machte sein ersehner Vortheil über-
sichtig/ ein Geiler sähe den Frosch für eine Diana/
ein Hoffärtiger die Riesen für Zwerge an/ ein
Heuchler machte aus Kohlen Kreide/ ein Ver-
[Spaltenumbruch] läumder aus Kreide Kohlen; ein Zorn- und
Rachgieriger aber sey stock blind/ und stürtze sich
oft ehe als seinen Todfeind in den erschrecklich-
sten Abgrund; ja er rechne es ihm für einen gros-
sen Gewinn/ wenn er seinen Feind mit seiner ei-
genen Leiche erdrücken könne.

Bey währender dieser annehmlichen Unter-
redung wuste die Königin Erato ihre Verbind-
ligkeit gegen dem Hertzoge Jubil nicht genung-
sam auszudrücken/ also daß sie auch ohne einige
Bedenckligkeit ihres Geschlechtes in seine Um-
armung rennte. Sintemal man sich gegen dem
aus Schamhaftigkeit nicht zu zwingen hat/ wel-
chem man die Behaltung der Ehre und Scham
zu dancken verbunden ist. Sie nennte ihn ihren
Schutz-Gott/ ihren Erhalter/ ihren Vater/ ja
dem sie so viel mehr verknüpft wäre/ so viel sie ih-
re Ehre höher/ als ihr Leben schätzte; weil er mit
dem Blute der geilen Sarmater nicht nur ihre
viehische Begierde/ sondern auch das Andencken
ihrer schwartzen Unterfangung ausgewischt
hätte. Er habe sein Leben für ihre Keuschheit in
die Schantze gesetzt/ wormit sie ihr Lebtage nicht
für der Welt und ihrem eigenen Andencken
schamroth/ oder vielmehr ihre Hände in ihrem
eigenen Blute hätte waschen dörffen. Denn da
diese rasende Unmenschen ihr gleich nach geraub-
ter Ehre den Lebens-Athem übrig gelassen hät-
ten/ würde sie selbtem als einer Marter ihrer rei-
nen Seele doch durch eine Wunde aus zufahren
Luft gemacht haben. Wiewol sie zu den Göttern
der Zuversicht gelebt/ sie würden ihr ehe den Le-
bensfadem abgerissen/ oder sie der Vernunft und
aller Sinnen beraubet/ als eine solche Schmach
zu erleben und zu empfinden über sie verhan-
gen haben. Hertzog Jubil war über dieser
freymüthigen Erkäntnüß derogestalt erfreuet/
daß er der Königin Gunst-Bezeigung nicht
nur für eine weit überwichtige Vergeltung sei-
ner Wolthaten schätzte/ sondern auch seine hier-
aus geschöpffte Vergnügung aller seiner ü-
berstandenen Gefährligkeiten schier vergaß.
Er raffte diesemnach itzt alle Kräfften seiner

Höflig-
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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Gewalt ein ſo groſſes Unrecht zu vergeſſen?
Giebet uns nicht ſo wol unſere eigene Sicher-
heit/ als der natuͤrliche Trieb das Rachſchwerd
in die Hand/ wenn unſere Guͤtigkeit unſern
Feind nicht beſaͤnftiget/ ſondern nach Art der
abzugelten unmoͤglichen Wolthaten/ ihn nur
noch mehr erbittert? Oder kan die Liebe gegen
derſelben unverſehrt bleiben/ wenn ihꝛ Urſprung
nichts als Gift und Galle kochet? Und mit was
fuͤr einer Bach voll Thraͤnen mag Thußnelde
ihren eigenen Schimpf abwaſchen; nach dem
Segeſthes ſein gantzes Geſchlechte mit ſolcher
Untreu beſudelt? Keine Flecken ſind ſchwerer zu
vertilgen/ keine Verbrechen geben einen haͤßli-
chern Geſtanck von ſich/ als welche nach Verraͤ-
therey ruͤchen. Der Feldherr umarmte Thuß-
nelden aufs neue/ mit beweglicher Bitte: Sie
wolte doch ihr und der Tugend kein ſo ungerech-
tes Urthel faͤllen/ wenn ſie ihr fremde Schuld des
Segeſthes aufhalſete. Das Licht der Tugend al-
lein haͤtte nur dieſen Voꝛzug; und begreiffe ſo viel
in ſich/ daß ſie auch andere mit ihrem Glantze be-
theilte; das Weſen der Laſter aber beſtuͤnde in
Finſternuͤß/ und erſtrecke ſich ihr Schatten
nicht uͤber das Maaß der Verbrecher; Daher
koͤnte zwar fremdes Feuer unſere eigenthuͤmli-
che Guͤter/ aber fremde Schuld nicht unſern ei-
genen Ruhm verzehren. Uberdiß wuͤrde die
Groͤſſe ihrer Liebe ihr ſchwerlich zu glauben ver-
ſtatten/ daß die Seinige durch einigen Zufall der
Welt vermindert werden koͤnte. Tugend und
ungefaͤlſchte Liebe waͤren in dem/ dem Geſtirne
zu vergleichen/ daß kein Nebel noch Ungluͤck ih-
nen das Licht ausleſchen koͤnte; darinnen aber
uͤbertraͤffen ſie es/ daß ſie allzeit im Wachsthum
blieben. Wie aber koͤnte ſein guter Ruhm mehr
ins Abnehmen kommen/ als weñ er durch Rach-
gier ſelbten verfinſterte? Alle Begierden ver-
blendeten zwar die Augen des Gemuͤths/ den
Geitzigen machte ſein erſehner Vortheil uͤber-
ſichtig/ ein Geileꝛ ſaͤhe den Fꝛoſch fuͤꝛ eine Diana/
ein Hoffaͤrtiger die Rieſen fuͤr Zwerge an/ ein
Heuchler machte aus Kohlen Kreide/ ein Ver-
[Spaltenumbruch] laͤumder aus Kreide Kohlen; ein Zorn- und
Rachgieriger aber ſey ſtock blind/ und ſtuͤrtze ſich
oft ehe als ſeinen Todfeind in den erſchrecklich-
ſten Abgrund; ja er rechne es ihm fuͤr einen groſ-
ſen Gewinn/ wenn er ſeinen Feind mit ſeiner ei-
genen Leiche erdruͤcken koͤnne.

Bey waͤhrender dieſer annehmlichen Unter-
redung wuſte die Koͤnigin Erato ihre Verbind-
ligkeit gegen dem Hertzoge Jubil nicht genung-
ſam auszudruͤcken/ alſo daß ſie auch ohne einige
Bedenckligkeit ihres Geſchlechtes in ſeine Um-
armung rennte. Sintemal man ſich gegen dem
aus Schamhaftigkeit nicht zu zwingen hat/ wel-
chem man die Behaltung der Ehre und Scham
zu dancken verbunden iſt. Sie nennte ihn ihren
Schutz-Gott/ ihren Erhalter/ ihren Vater/ ja
dem ſie ſo viel mehr verknuͤpft waͤre/ ſo viel ſie ih-
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dem Blute der geilen Sarmater nicht nur ihre
viehiſche Begierde/ ſondern auch das Andencken
ihrer ſchwartzen Unterfangung ausgewiſcht
haͤtte. Er habe ſein Leben fuͤr ihre Keuſchheit in
die Schantze geſetzt/ wormit ſie ihr Lebtage nicht
fuͤr der Welt und ihrem eigenen Andencken
ſchamroth/ oder vielmehr ihre Haͤnde in ihrem
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dieſe raſende Unmenſchen ihꝛ gleich nach geraub-
ter Ehre den Lebens-Athem uͤbrig gelaſſen haͤt-
ten/ wuͤrde ſie ſelbtem als einer Marter ihrer rei-
nen Seele doch durch eine Wunde aus zufahren
Luft gemacht haben. Wiewol ſie zu den Goͤttern
der Zuverſicht gelebt/ ſie wuͤrden ihr ehe den Le-
bensfadem abgeriſſen/ oder ſie der Vernunft und
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gen haben. Hertzog Jubil war uͤber dieſer
freymuͤthigen Erkaͤntnuͤß derogeſtalt erfreuet/
daß er der Koͤnigin Gunſt-Bezeigung nicht
nur fuͤr eine weit uͤberwichtige Vergeltung ſei-
ner Wolthaten ſchaͤtzte/ ſondern auch ſeine hier-
aus geſchoͤpffte Vergnuͤgung aller ſeiner uͤ-
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/483>, abgerufen am 19.05.2024.