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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] leichtglaubig sind die Menschen/ und wir schei-
nen in nichts nachdencklicher zu seyn/ als wenn
wir einander eine Unwahrheit aufbinden wol-
len; ja unsere Einbildung ist bemühet offt selbst
unsere Sinnen zu betrügen/ und einen blauen
Dunst für die Augen zu mahlen. Adgande-
ster antwortete: Die Wahrheit wäre eine Bür-
gerin des Himmels/ und eine seltzame Gästin
auf Erden/ also nicht Wunder: daß man sie nicht
allezeit und allenthalben antreffe. Auch wüste
man/ mit was für Aberglauben und Falschhei-
ten die Römer so wohl ihre Unglücks-Fälle als
Fehler zu bekleiden pflegten. Nichts desto weni-
ger wäre das erzehlte dem Drusus mehr denn all-
zu gewiß begegnet/ und könte er ihnen etliche noch
lebende Deutschen fürstellen/ welche an dem an-
dern Ufer der Elbe eben diß mit eigenen Augen
gesehen haben. Es ist merckwürdig/ hob Rhe-
metalces an/ und eine sichere Bürgschafft der
Wahrheit. Sintemal sonst insgemein so wun-
derbare Erscheinungen nur von einem Men-
schen gesehen/ andern aber/ die gleich nahe darbey
stehen/ die Augen verschlossen werden. Gleich
als wenn nur die/ welche etwas Göttliches an
sich haben/ Geister sehen/ und mit Göttern sich
selbst besprechen könten. Aber soll ich dieses
Weib für einen Gott oder für einen Menschen
halten? Adgandester versetzte: Diese Frage zu
erörtern wäre für ihn zu hoch/ und gehörte in die
Schule der Geistligkeit; iedoch fiele ihm bey:
daß ein derogleichen Weib auch dem Catuman-
dus erschienen wäre/ und ihn von Belägerung
der Stadt Massilien abgemahnet; er aber solche
hernach in dem Tempel für die Göttin der Mas-
silier erkennet/ und mit einer güldenen Kette be-
schencket hätte. Durch diese Entschuldigung
war der Priester Libys/ der kurtz vorher aus dem
Tempel zurück kommen war/ und der letztern
Erzehlung unvermerckt zugehöret hatte/ veran-
lasset/ sich mit diesen Worten herfür zu thun:
Seine Begierde so eines tapfern Fürsten Sorg-
falt zu vergnügen/ nöthigte ihn ihre Unterre-
[Spaltenumbruch] dung zu stören. Seinem Urthel nach aber wäre
dieses Gesichte weder für einen rechten Gott/
noch für einen schlechten Menschen zu halten.
Rhemetalces umbfing den Priester mit einer
ehrerbietigen Höfligkeit/ und lag ihm an: daß er
durch seine Erklärung ihrer Unwissenheit ab-
helffen möchte. Libys begegnete ihm hier auf
mit einer besondern Annehmligkeit: Zwischen
Gott und dem Menschen wäre etwas mitleres/
nehmlich die Geister. Denn Gott als der ei-
nige Mittel-Punckt/ aus welchem der Circkel
aller Dinge wie aus einem unerschöpflichen
Brunnen grosse Ströme entsprungen wäre/
hätte nicht nur den grossen Welt-Cörper als den
Schatten und das Bild seiner unsichtbaren
Gottheit mit einem obersten Geiste beseelet/
welcher die widrigen Glieder derselben gleich als
eine von allerhand Art Saiten zubereitete Harf-
fe durch annehmliche Zusammenstimmung
in Eintracht erhält/ und insgemein die Natur
genennet wird; sondern dieser sorgfältige Vater
hat iedem Theile und Gliede der Welt zu seiner
Erhaltung einen Geist absonderlich zugeeignet.
Die tieffsinnigen Egyptier schreiben der ver-
ständlichen/ der himmlischen und unterirrdischen
Welt zwölff Haupt-Geister/ ja den Gestirnen
alleine acht und viertzig oberste Herrscher zu/ derer
zwölff gute nach Zoroasters Lehre vom Orima-
zes/ zwölff böse aber vom Arimanius zu Besee-
lung der Welt als eines Eyes erschaffen seyn
sollen. Die unterirrdische Welt solle abermals
vier Haupt-Geister bewirthen/ derer einer Osi-
ris dem Feuer/ der andere Jsis oder Hertha der
Erde/ der dritte der Lufft/ der vierdte dem Was-
ser fürstehen solte. Aber hierbey hat es die Gü-
te des unbegreifflichen Gottes nicht bewenden
lassen. Jedes Land/ ieder Berg/ ieder Fluß/
iede Stadt/ ieder Mensch hat seine gewisse
Schutz-Geister. Egypten verehret nicht nur
fünf allgemeine/ sondern iede Landschafft einen
absonderlichen/ und zwar ieden in einem abson-
deren Tempel. Die Persen zünden ihren

feu-

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] leichtglaubig ſind die Menſchen/ und wir ſchei-
nen in nichts nachdencklicher zu ſeyn/ als wenn
wir einander eine Unwahrheit aufbinden wol-
len; ja unſere Einbildung iſt bemuͤhet offt ſelbſt
unſere Sinnen zu betruͤgen/ und einen blauen
Dunſt fuͤr die Augen zu mahlen. Adgande-
ſter antwortete: Die Wahrheit waͤre eine Buͤr-
gerin des Himmels/ und eine ſeltzame Gaͤſtin
auf Erden/ alſo nicht Wunder: daß man ſie nicht
allezeit und allenthalben antreffe. Auch wuͤſte
man/ mit was fuͤr Aberglauben und Falſchhei-
ten die Roͤmer ſo wohl ihre Ungluͤcks-Faͤlle als
Fehler zu bekleiden pflegten. Nichts deſto weni-
ger waͤre das erzehlte dem Druſus mehr deñ all-
zu gewiß begegnet/ und koͤnte er ihnẽ etliche noch
lebende Deutſchen fuͤrſtellen/ welche an dem an-
dern Ufer der Elbe eben diß mit eigenen Augen
geſehen haben. Es iſt merckwuͤrdig/ hob Rhe-
metalces an/ und eine ſichere Buͤrgſchafft der
Wahrheit. Sintemal ſonſt insgemein ſo wun-
derbare Erſcheinungen nur von einem Men-
ſchen geſehen/ andern aber/ die gleich nahe darbey
ſtehen/ die Augen verſchloſſen werden. Gleich
als wenn nur die/ welche etwas Goͤttliches an
ſich haben/ Geiſter ſehen/ und mit Goͤttern ſich
ſelbſt beſprechen koͤnten. Aber ſoll ich dieſes
Weib fuͤr einen Gott oder fuͤr einen Menſchen
halten? Adgandeſter verſetzte: Dieſe Frage zu
eroͤrtern waͤre fuͤr ihn zu hoch/ und gehoͤrte in die
Schule der Geiſtligkeit; iedoch fiele ihm bey:
daß ein derogleichen Weib auch dem Catuman-
dus erſchienen waͤre/ und ihn von Belaͤgerung
der Stadt Maſſilien abgemahnet; er aber ſolche
hernach in dem Tempel fuͤr die Goͤttin der Maſ-
ſilier erkennet/ und mit einer guͤldenen Kette be-
ſchencket haͤtte. Durch dieſe Entſchuldigung
war der Prieſter Libys/ der kurtz vorher aus dem
Tempel zuruͤck kommen war/ und der letztern
Erzehlung unvermerckt zugehoͤret hatte/ veran-
laſſet/ ſich mit dieſen Worten herfuͤr zu thun:
Seine Begierde ſo eines tapfern Fuͤrſten Sorg-
falt zu vergnuͤgen/ noͤthigte ihn ihre Unterre-
[Spaltenumbruch] dung zu ſtoͤren. Seinem Urthel nach aber waͤre
dieſes Geſichte weder fuͤr einen rechten Gott/
noch fuͤr einen ſchlechten Menſchen zu halten.
Rhemetalces umbfing den Prieſter mit einer
ehrerbietigen Hoͤfligkeit/ und lag ihm an: daß er
durch ſeine Erklaͤrung ihrer Unwiſſenheit ab-
helffen moͤchte. Libys begegnete ihm hier auf
mit einer beſondern Annehmligkeit: Zwiſchen
Gott und dem Menſchen waͤre etwas mitleres/
nehmlich die Geiſter. Denn Gott als der ei-
nige Mittel-Punckt/ aus welchem der Circkel
aller Dinge wie aus einem unerſchoͤpflichen
Brunnen groſſe Stroͤme entſprungen waͤre/
haͤtte nicht nur den groſſen Welt-Coͤrper als den
Schatten und das Bild ſeiner unſichtbaren
Gottheit mit einem oberſten Geiſte beſeelet/
welcher die widrigen Glieder derſelben gleich als
eine von allerhand Art Saiten zubereitete Harf-
fe durch annehmliche Zuſammenſtimmung
in Eintracht erhaͤlt/ und insgemein die Natur
genennet wird; ſondern dieſer ſorgfaͤltige Vater
hat iedem Theile und Gliede der Welt zu ſeiner
Erhaltung einen Geiſt abſonderlich zugeeignet.
Die tieffſinnigen Egyptier ſchreiben der ver-
ſtaͤndlichen/ der him̃liſchen und unterirrdiſchen
Welt zwoͤlff Haupt-Geiſter/ ja den Geſtirnen
alleine acht uñ viertzig oberſte Herrſcher zu/ derer
zwoͤlff gute nach Zoroaſters Lehre vom Orima-
zes/ zwoͤlff boͤſe aber vom Arimanius zu Beſee-
lung der Welt als eines Eyes erſchaffen ſeyn
ſollen. Die unterirrdiſche Welt ſolle abermals
vier Haupt-Geiſter bewirthen/ derer einer Oſi-
ris dem Feuer/ der andere Jſis oder Hertha der
Erde/ der dritte der Lufft/ der vierdte dem Waſ-
ſer fuͤrſtehen ſolte. Aber hierbey hat es die Guͤ-
te des unbegreifflichen Gottes nicht bewenden
laſſen. Jedes Land/ ieder Berg/ ieder Fluß/
iede Stadt/ ieder Menſch hat ſeine gewiſſe
Schutz-Geiſter. Egypten verehret nicht nur
fuͤnf allgemeine/ ſondern iede Landſchafft einen
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[414/0468] Vierdtes Buch leichtglaubig ſind die Menſchen/ und wir ſchei- nen in nichts nachdencklicher zu ſeyn/ als wenn wir einander eine Unwahrheit aufbinden wol- len; ja unſere Einbildung iſt bemuͤhet offt ſelbſt unſere Sinnen zu betruͤgen/ und einen blauen Dunſt fuͤr die Augen zu mahlen. Adgande- ſter antwortete: Die Wahrheit waͤre eine Buͤr- gerin des Himmels/ und eine ſeltzame Gaͤſtin auf Erden/ alſo nicht Wunder: daß man ſie nicht allezeit und allenthalben antreffe. Auch wuͤſte man/ mit was fuͤr Aberglauben und Falſchhei- ten die Roͤmer ſo wohl ihre Ungluͤcks-Faͤlle als Fehler zu bekleiden pflegten. Nichts deſto weni- ger waͤre das erzehlte dem Druſus mehr deñ all- zu gewiß begegnet/ und koͤnte er ihnẽ etliche noch lebende Deutſchen fuͤrſtellen/ welche an dem an- dern Ufer der Elbe eben diß mit eigenen Augen geſehen haben. Es iſt merckwuͤrdig/ hob Rhe- metalces an/ und eine ſichere Buͤrgſchafft der Wahrheit. Sintemal ſonſt insgemein ſo wun- derbare Erſcheinungen nur von einem Men- ſchen geſehen/ andern aber/ die gleich nahe darbey ſtehen/ die Augen verſchloſſen werden. Gleich als wenn nur die/ welche etwas Goͤttliches an ſich haben/ Geiſter ſehen/ und mit Goͤttern ſich ſelbſt beſprechen koͤnten. Aber ſoll ich dieſes Weib fuͤr einen Gott oder fuͤr einen Menſchen halten? Adgandeſter verſetzte: Dieſe Frage zu eroͤrtern waͤre fuͤr ihn zu hoch/ und gehoͤrte in die Schule der Geiſtligkeit; iedoch fiele ihm bey: daß ein derogleichen Weib auch dem Catuman- dus erſchienen waͤre/ und ihn von Belaͤgerung der Stadt Maſſilien abgemahnet; er aber ſolche hernach in dem Tempel fuͤr die Goͤttin der Maſ- ſilier erkennet/ und mit einer guͤldenen Kette be- ſchencket haͤtte. Durch dieſe Entſchuldigung war der Prieſter Libys/ der kurtz vorher aus dem Tempel zuruͤck kommen war/ und der letztern Erzehlung unvermerckt zugehoͤret hatte/ veran- laſſet/ ſich mit dieſen Worten herfuͤr zu thun: Seine Begierde ſo eines tapfern Fuͤrſten Sorg- falt zu vergnuͤgen/ noͤthigte ihn ihre Unterre- dung zu ſtoͤren. Seinem Urthel nach aber waͤre dieſes Geſichte weder fuͤr einen rechten Gott/ noch fuͤr einen ſchlechten Menſchen zu halten. Rhemetalces umbfing den Prieſter mit einer ehrerbietigen Hoͤfligkeit/ und lag ihm an: daß er durch ſeine Erklaͤrung ihrer Unwiſſenheit ab- helffen moͤchte. Libys begegnete ihm hier auf mit einer beſondern Annehmligkeit: Zwiſchen Gott und dem Menſchen waͤre etwas mitleres/ nehmlich die Geiſter. Denn Gott als der ei- nige Mittel-Punckt/ aus welchem der Circkel aller Dinge wie aus einem unerſchoͤpflichen Brunnen groſſe Stroͤme entſprungen waͤre/ haͤtte nicht nur den groſſen Welt-Coͤrper als den Schatten und das Bild ſeiner unſichtbaren Gottheit mit einem oberſten Geiſte beſeelet/ welcher die widrigen Glieder derſelben gleich als eine von allerhand Art Saiten zubereitete Harf- fe durch annehmliche Zuſammenſtimmung in Eintracht erhaͤlt/ und insgemein die Natur genennet wird; ſondern dieſer ſorgfaͤltige Vater hat iedem Theile und Gliede der Welt zu ſeiner Erhaltung einen Geiſt abſonderlich zugeeignet. Die tieffſinnigen Egyptier ſchreiben der ver- ſtaͤndlichen/ der him̃liſchen und unterirrdiſchen Welt zwoͤlff Haupt-Geiſter/ ja den Geſtirnen alleine acht uñ viertzig oberſte Herrſcher zu/ derer zwoͤlff gute nach Zoroaſters Lehre vom Orima- zes/ zwoͤlff boͤſe aber vom Arimanius zu Beſee- lung der Welt als eines Eyes erſchaffen ſeyn ſollen. Die unterirrdiſche Welt ſolle abermals vier Haupt-Geiſter bewirthen/ derer einer Oſi- ris dem Feuer/ der andere Jſis oder Hertha der Erde/ der dritte der Lufft/ der vierdte dem Waſ- ſer fuͤrſtehen ſolte. Aber hierbey hat es die Guͤ- te des unbegreifflichen Gottes nicht bewenden laſſen. Jedes Land/ ieder Berg/ ieder Fluß/ iede Stadt/ ieder Menſch hat ſeine gewiſſe Schutz-Geiſter. Egypten verehret nicht nur fuͤnf allgemeine/ ſondern iede Landſchafft einen abſonderlichen/ und zwar ieden in einem abſon- deren Tempel. Die Perſen zuͤnden ihren feu-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/468>, abgerufen am 22.11.2024.