Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
Stoß zu verschmertzen fähig machen möchte.Als diß ihm schwerlich erlaubt ward/ trug er es in eben selbigem Tempel seiner Gemahlin mit der empfindlichsten Wehmuth und mit betheu- erlicher Versicherung/ daß seine Liebe durch kei- ne Zertrennung erleschen würde/ für. Vipsa- nia aber nahm diese Verstossung/ weil sie die Unvermeidligkeit leicht ermessen konte/ mit einer solchen Bezeugung auf/ daß man ihr we- der einige Kaltsinnigkeit ihrer Liebe/ noch eini- ge Kleinmuth bey hartem Unglücke zumessen konte. Als sie aber nach Rom gelangten/ und Tiberius von Vipsanien nun Abschied nehmen solte; sintemahl der Käyser inzwischen Julien ohne lange Gewinnung ihres Willens befch- licht hatte sich zu der Vermählung mit dem Ti- berius fertig zu halten; Uberwog beyderseitige Wehmuth alle Kräfften der Standhafftigkeit/ also/ daß sie einander mit nichts als heissen Thrä- nen und stummen Küssen gesegnen konten. Ja als Tiberius und Julia auch schon einander an- getraut waren/ konte er seiner Vipsania unmög- lich vergessen; ihre Gestalt schwebte ihm gleich als einem Gespenste Tag und Nacht für den Augen/ er bereuete tausendmahl ihre Verlas- sung; ja als er sie einmal in dem von ihrem Va- ter allen Göttern gewiedmetem Tempel nur ungefehr zu Gesichte kriegte/ sahe er selbte mit so starren Augen an/ daß ihm darvon die Augen- lieder aufschwollen; und die solches erfahrende Livia hierauf sorgfältig verhüten ließ/ das Vip- sania ihm nicht leicht wieder zu Gesichte kom- men solte. Hier entgegen blieb gegen Julien seine sich anfangs anspinnende/ und nach dem sie ihm auf der Rückreise aus Pannonien zu Aqvi- leja einen Sohn gebahr/ etwas ergrössernde Liebe dennoch laulicht; endlich/ als diß Kind zeitlich starb/ ward sie kalt/ und verschwand gar/ also/ daß Tiberius sich ihrer/ so viel möglich/ ent- schlug; sonderlich/ da er sahe/ daß Julia in Rom nichts von ihren gewohnten Uppigkeiten nach- ließ; und dieses alle Augenblicke mit einer neuen [Spaltenumbruch] Gemüths-Enderung schwanger gehende Weib zwar alle Farben/ niemahls aber die Weisse der Tugend nach Art des Cameleons anzunehmen fähig/ und derselben schönen Griechin ähnlich war/ welcher man den Zunahmen einer Uhr gab/ weil sie sich keinen Liebhaber länger besitzen ließ/ als biß die Wasser-Uhr ausgelauffen war. Gleichwol bezeigte sie gegen den Tiberius ie- derzeit eine so feurige Liebe/ daß sie ihm auff den gefährlichsten Reisen in die rauesten Länder/ in- sonderheit zu den Pannoniern/ welche nach ver- nommenem Absterben ihres ersten Uberwün- ders des Agrippa aufstanden/ und nach der von den Deutschen erlittenen Niederlage des Mar- cus Lollius/ darinnen die Römer den Adler der fünfften Legion einbüsten/ in Deutschland nach- folgte. Und weil sie bey diesen fremden Völ- ckern so viel Gelegenheit zur Uppigkeit nicht fand/ hierdurch den eiversüchtigen Tiberius ein wenig besänfftigte. Denn ob zwar die Eiffer- sucht insgemein eine Geburt der hefftigsten Lie- be/ wie die Vermehrung der Galle übermäßig genossener Süßigkeit ist; Tiberius aber Julien nie mit einiger Ader geliebt hatte; so war er doch entweder aus einer angebohrnen Gramschafft/ oder aus Einbildung/ daß durch Juliens Geil- heit seine Ehr und Ansehen anbrüchig würden/ oder welches am glaublichsten: weil er keinem Menschen Juliens zu genüssen gönnete/ dieser Schwach heit übermäßig unterworffen. Wel- che neidische Unart/ wenn sie mit der Eifersucht sich vermählet/ auch mit dem Tode nicht aufhöret; daher jene zwey Römer in ihrem letz- ten Willen verordneten/ daß nach ihrem Abfter- ben ihre zwey schönen Weiber auf dem ersten Fechterspiele einander tödten solten/ und He- rodes/ als er einsmahls zum Käyser reisete/ hinterließ einen Befehl seine wunderschöne Mariamne zu ermorden/ wenn er nicht zurücke käme. Ja weil Livia dem Tiberius seine Ei- versucht weder durch das Beyspiel ihrer eigenen Ubersehung/ noch durch angezogene Ursachen ausre-
Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
Stoß zu verſchmertzen faͤhig machen moͤchte.Als diß ihm ſchwerlich erlaubt ward/ trug er es in eben ſelbigem Tempel ſeiner Gemahlin mit der empfindlichſten Wehmuth und mit betheu- erlicher Verſicherung/ daß ſeine Liebe durch kei- ne Zertrennung erleſchen wuͤrde/ fuͤr. Vipſa- nia aber nahm dieſe Verſtoſſung/ weil ſie die Unvermeidligkeit leicht ermeſſen konte/ mit einer ſolchen Bezeugung auf/ daß man ihr we- der einige Kaltſinnigkeit ihrer Liebe/ noch eini- ge Kleinmuth bey hartem Ungluͤcke zumeſſen konte. Als ſie aber nach Rom gelangten/ und Tiberius von Vipſanien nun Abſchied nehmen ſolte; ſintemahl der Kaͤyſer inzwiſchen Julien ohne lange Gewinnung ihres Willens befch- licht hatte ſich zu der Vermaͤhlung mit dem Ti- berius fertig zu halten; Uberwog beyderſeitige Wehmuth alle Kraͤfften der Standhafftigkeit/ alſo/ daß ſie einander mit nichts als heiſſen Thraͤ- nen und ſtummen Kuͤſſen geſegnen konten. Ja als Tiberius und Julia auch ſchon einander an- getraut waren/ konte er ſeineꝛ Vipſania unmoͤg- lich vergeſſen; ihre Geſtalt ſchwebte ihm gleich als einem Geſpenſte Tag und Nacht fuͤr den Augen/ er bereuete tauſendmahl ihre Verlaſ- ſung; ja als er ſie einmal in dem von ihrem Va- ter allen Goͤttern gewiedmetem Tempel nur ungefehr zu Geſichte kriegte/ ſahe er ſelbte mit ſo ſtarren Augen an/ daß ihm darvon die Augen- lieder aufſchwollen; und die ſolches erfahrende Livia hierauf ſorgfaͤltig verhuͤten ließ/ das Vip- ſania ihm nicht leicht wieder zu Geſichte kom- men ſolte. Hier entgegen blieb gegen Julien ſeine ſich anfangs anſpinnende/ und nach dem ſie ihm auf der Ruͤckreiſe aus Pannonien zu Aqvi- leja einen Sohn gebahr/ etwas ergroͤſſernde Liebe dennoch laulicht; endlich/ als diß Kind zeitlich ſtarb/ ward ſie kalt/ und verſchwand gar/ alſo/ daß Tiberius ſich ihrer/ ſo viel moͤglich/ ent- ſchlug; ſonderlich/ da er ſahe/ daß Julia in Rom nichts von ihren gewohnten Uppigkeiten nach- ließ; und dieſes alle Augenblicke mit einer neuen [Spaltenumbruch] Gemuͤths-Enderung ſchwanger gehende Weib zwar alle Farben/ niemahls aber die Weiſſe der Tugend nach Art des Cameleons anzunehmen faͤhig/ und derſelben ſchoͤnen Griechin aͤhnlich war/ welcher man den Zunahmen einer Uhr gab/ weil ſie ſich keinen Liebhaber laͤnger beſitzen ließ/ als biß die Waſſer-Uhr ausgelauffen war. Gleichwol bezeigte ſie gegen den Tiberius ie- derzeit eine ſo feurige Liebe/ daß ſie ihm auff den gefaͤhrlichſten Reiſen in die raueſten Laͤnder/ in- ſonderheit zu den Pannoniern/ welche nach ver- nommenem Abſterben ihres erſten Uberwuͤn- ders des Agrippa aufſtanden/ und nach der von den Deutſchen erlittenen Niederlage des Mar- cus Lollius/ darinnen die Roͤmer den Adler der fuͤnfften Legion einbuͤſten/ in Deutſchland nach- folgte. Und weil ſie bey dieſen fremden Voͤl- ckern ſo viel Gelegenheit zur Uppigkeit nicht fand/ hierdurch den eiverſuͤchtigen Tiberius ein wenig beſaͤnfftigte. Denn ob zwar die Eiffer- ſucht insgemein eine Geburt der hefftigſten Lie- be/ wie die Vermehrung der Galle uͤbermaͤßig genoſſener Suͤßigkeit iſt; Tiberius aber Julien nie mit einiger Ader geliebt hatte; ſo war er doch entweder aus einer angebohrnen Gramſchafft/ oder aus Einbildung/ daß durch Juliens Geil- heit ſeine Ehr und Anſehen anbruͤchig wuͤrden/ oder welches am glaublichſten: weil er keinem Menſchen Juliens zu genuͤſſen goͤnnete/ dieſer Schwach heit uͤbermaͤßig unterworffen. Wel- che neidiſche Unart/ wenn ſie mit der Eiferſucht ſich vermaͤhlet/ auch mit dem Tode nicht aufhoͤret; daher jene zwey Roͤmer in ihrem letz- ten Willen verordneten/ daß nach ihrem Abfter- ben ihre zwey ſchoͤnen Weiber auf dem erſten Fechterſpiele einander toͤdten ſolten/ und He- rodes/ als er einsmahls zum Kaͤyſer reiſete/ hinterließ einen Befehl ſeine wunderſchoͤne Mariamne zu ermorden/ wenn er nicht zuruͤcke kaͤme. Ja weil Livia dem Tiberius ſeine Ei- verſucht weder durch das Beyſpiel ihrer eigenen Uberſehung/ noch durch angezogene Urſachen ausre-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0460" n="406"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vierdtes Buch</hi></fw><lb/><cb/> Stoß zu verſchmertzen faͤhig machen moͤchte.<lb/> Als diß ihm ſchwerlich erlaubt ward/ trug er es<lb/> in eben ſelbigem Tempel ſeiner Gemahlin mit<lb/> der empfindlichſten Wehmuth und mit betheu-<lb/> erlicher Verſicherung/ daß ſeine Liebe durch kei-<lb/> ne Zertrennung erleſchen wuͤrde/ fuͤr. Vipſa-<lb/> nia aber nahm dieſe Verſtoſſung/ weil ſie die<lb/> Unvermeidligkeit leicht ermeſſen konte/ mit<lb/> einer ſolchen Bezeugung auf/ daß man ihr we-<lb/> der einige Kaltſinnigkeit ihrer Liebe/ noch eini-<lb/> ge Kleinmuth bey hartem Ungluͤcke zumeſſen<lb/> konte. Als ſie aber nach Rom gelangten/ und<lb/> Tiberius von Vipſanien nun Abſchied nehmen<lb/> ſolte; ſintemahl der Kaͤyſer inzwiſchen Julien<lb/> ohne lange Gewinnung ihres Willens befch-<lb/> licht hatte ſich zu der Vermaͤhlung mit dem Ti-<lb/> berius fertig zu halten; Uberwog beyderſeitige<lb/> Wehmuth alle Kraͤfften der Standhafftigkeit/<lb/> alſo/ daß ſie einander mit nichts als heiſſen Thraͤ-<lb/> nen und ſtummen Kuͤſſen geſegnen konten. Ja<lb/> als Tiberius und Julia auch ſchon einander an-<lb/> getraut waren/ konte er ſeineꝛ Vipſania unmoͤg-<lb/> lich vergeſſen; ihre Geſtalt ſchwebte ihm gleich<lb/> als einem Geſpenſte Tag und Nacht fuͤr den<lb/> Augen/ er bereuete tauſendmahl ihre Verlaſ-<lb/> ſung; ja als er ſie einmal in dem von ihrem Va-<lb/> ter allen Goͤttern gewiedmetem Tempel nur<lb/> ungefehr zu Geſichte kriegte/ ſahe er ſelbte mit<lb/> ſo ſtarren Augen an/ daß ihm darvon die Augen-<lb/> lieder aufſchwollen; und die ſolches erfahrende<lb/> Livia hierauf ſorgfaͤltig verhuͤten ließ/ das Vip-<lb/> ſania ihm nicht leicht wieder zu Geſichte kom-<lb/> men ſolte. Hier entgegen blieb gegen Julien<lb/> ſeine ſich anfangs anſpinnende/ und nach dem ſie<lb/> ihm auf der Ruͤckreiſe aus Pannonien zu Aqvi-<lb/> leja einen Sohn gebahr/ etwas ergroͤſſernde<lb/> Liebe dennoch laulicht; endlich/ als diß Kind<lb/> zeitlich ſtarb/ ward ſie kalt/ und verſchwand gar/<lb/> alſo/ daß Tiberius ſich ihrer/ ſo viel moͤglich/ ent-<lb/> ſchlug; ſonderlich/ da er ſahe/ daß Julia in Rom<lb/> nichts von ihren gewohnten Uppigkeiten nach-<lb/> ließ; und dieſes alle Augenblicke mit einer neuen<lb/><cb/> Gemuͤths-Enderung ſchwanger gehende Weib<lb/> zwar alle Farben/ niemahls aber die Weiſſe der<lb/> Tugend nach Art des Cameleons anzunehmen<lb/> faͤhig/ und derſelben ſchoͤnen Griechin aͤhnlich<lb/> war/ welcher man den Zunahmen einer Uhr<lb/> gab/ weil ſie ſich keinen Liebhaber laͤnger beſitzen<lb/> ließ/ als biß die Waſſer-Uhr ausgelauffen war.<lb/> Gleichwol bezeigte ſie gegen den Tiberius ie-<lb/> derzeit eine ſo feurige Liebe/ daß ſie ihm auff den<lb/> gefaͤhrlichſten Reiſen in die raueſten Laͤnder/ in-<lb/> ſonderheit zu den Pannoniern/ welche nach ver-<lb/> nommenem Abſterben ihres erſten Uberwuͤn-<lb/> ders des Agrippa aufſtanden/ und nach der von<lb/> den Deutſchen erlittenen Niederlage des Mar-<lb/> cus Lollius/ darinnen die Roͤmer den Adler der<lb/> fuͤnfften Legion einbuͤſten/ in Deutſchland nach-<lb/> folgte. Und weil ſie bey dieſen fremden Voͤl-<lb/> ckern ſo viel Gelegenheit zur Uppigkeit nicht<lb/> fand/ hierdurch den eiverſuͤchtigen Tiberius ein<lb/> wenig beſaͤnfftigte. Denn ob zwar die Eiffer-<lb/> ſucht insgemein eine Geburt der hefftigſten Lie-<lb/> be/ wie die Vermehrung der Galle uͤbermaͤßig<lb/> genoſſener Suͤßigkeit iſt; Tiberius aber Julien<lb/> nie mit einiger Ader geliebt hatte; ſo war er doch<lb/> entweder aus einer angebohrnen Gramſchafft/<lb/> oder aus Einbildung/ daß durch Juliens Geil-<lb/> heit ſeine Ehr und Anſehen anbruͤchig wuͤrden/<lb/> oder welches am glaublichſten: weil er keinem<lb/> Menſchen Juliens zu genuͤſſen goͤnnete/ dieſer<lb/> Schwach heit uͤbermaͤßig unterworffen. Wel-<lb/> che neidiſche Unart/ wenn ſie mit der Eiferſucht<lb/> ſich vermaͤhlet/ auch mit dem Tode nicht<lb/> aufhoͤret; daher jene zwey Roͤmer in ihrem letz-<lb/> ten Willen verordneten/ daß nach ihrem Abfter-<lb/> ben ihre zwey ſchoͤnen Weiber auf dem erſten<lb/> Fechterſpiele einander toͤdten ſolten/ und He-<lb/> rodes/ als er einsmahls zum Kaͤyſer reiſete/<lb/> hinterließ einen Befehl ſeine wunderſchoͤne<lb/> Mariamne zu ermorden/ wenn er nicht zuruͤcke<lb/> kaͤme. Ja weil Livia dem Tiberius ſeine Ei-<lb/> verſucht weder durch das Beyſpiel ihrer eigenen<lb/> Uberſehung/ noch durch angezogene Urſachen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ausre-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [406/0460]
Vierdtes Buch
Stoß zu verſchmertzen faͤhig machen moͤchte.
Als diß ihm ſchwerlich erlaubt ward/ trug er es
in eben ſelbigem Tempel ſeiner Gemahlin mit
der empfindlichſten Wehmuth und mit betheu-
erlicher Verſicherung/ daß ſeine Liebe durch kei-
ne Zertrennung erleſchen wuͤrde/ fuͤr. Vipſa-
nia aber nahm dieſe Verſtoſſung/ weil ſie die
Unvermeidligkeit leicht ermeſſen konte/ mit
einer ſolchen Bezeugung auf/ daß man ihr we-
der einige Kaltſinnigkeit ihrer Liebe/ noch eini-
ge Kleinmuth bey hartem Ungluͤcke zumeſſen
konte. Als ſie aber nach Rom gelangten/ und
Tiberius von Vipſanien nun Abſchied nehmen
ſolte; ſintemahl der Kaͤyſer inzwiſchen Julien
ohne lange Gewinnung ihres Willens befch-
licht hatte ſich zu der Vermaͤhlung mit dem Ti-
berius fertig zu halten; Uberwog beyderſeitige
Wehmuth alle Kraͤfften der Standhafftigkeit/
alſo/ daß ſie einander mit nichts als heiſſen Thraͤ-
nen und ſtummen Kuͤſſen geſegnen konten. Ja
als Tiberius und Julia auch ſchon einander an-
getraut waren/ konte er ſeineꝛ Vipſania unmoͤg-
lich vergeſſen; ihre Geſtalt ſchwebte ihm gleich
als einem Geſpenſte Tag und Nacht fuͤr den
Augen/ er bereuete tauſendmahl ihre Verlaſ-
ſung; ja als er ſie einmal in dem von ihrem Va-
ter allen Goͤttern gewiedmetem Tempel nur
ungefehr zu Geſichte kriegte/ ſahe er ſelbte mit
ſo ſtarren Augen an/ daß ihm darvon die Augen-
lieder aufſchwollen; und die ſolches erfahrende
Livia hierauf ſorgfaͤltig verhuͤten ließ/ das Vip-
ſania ihm nicht leicht wieder zu Geſichte kom-
men ſolte. Hier entgegen blieb gegen Julien
ſeine ſich anfangs anſpinnende/ und nach dem ſie
ihm auf der Ruͤckreiſe aus Pannonien zu Aqvi-
leja einen Sohn gebahr/ etwas ergroͤſſernde
Liebe dennoch laulicht; endlich/ als diß Kind
zeitlich ſtarb/ ward ſie kalt/ und verſchwand gar/
alſo/ daß Tiberius ſich ihrer/ ſo viel moͤglich/ ent-
ſchlug; ſonderlich/ da er ſahe/ daß Julia in Rom
nichts von ihren gewohnten Uppigkeiten nach-
ließ; und dieſes alle Augenblicke mit einer neuen
Gemuͤths-Enderung ſchwanger gehende Weib
zwar alle Farben/ niemahls aber die Weiſſe der
Tugend nach Art des Cameleons anzunehmen
faͤhig/ und derſelben ſchoͤnen Griechin aͤhnlich
war/ welcher man den Zunahmen einer Uhr
gab/ weil ſie ſich keinen Liebhaber laͤnger beſitzen
ließ/ als biß die Waſſer-Uhr ausgelauffen war.
Gleichwol bezeigte ſie gegen den Tiberius ie-
derzeit eine ſo feurige Liebe/ daß ſie ihm auff den
gefaͤhrlichſten Reiſen in die raueſten Laͤnder/ in-
ſonderheit zu den Pannoniern/ welche nach ver-
nommenem Abſterben ihres erſten Uberwuͤn-
ders des Agrippa aufſtanden/ und nach der von
den Deutſchen erlittenen Niederlage des Mar-
cus Lollius/ darinnen die Roͤmer den Adler der
fuͤnfften Legion einbuͤſten/ in Deutſchland nach-
folgte. Und weil ſie bey dieſen fremden Voͤl-
ckern ſo viel Gelegenheit zur Uppigkeit nicht
fand/ hierdurch den eiverſuͤchtigen Tiberius ein
wenig beſaͤnfftigte. Denn ob zwar die Eiffer-
ſucht insgemein eine Geburt der hefftigſten Lie-
be/ wie die Vermehrung der Galle uͤbermaͤßig
genoſſener Suͤßigkeit iſt; Tiberius aber Julien
nie mit einiger Ader geliebt hatte; ſo war er doch
entweder aus einer angebohrnen Gramſchafft/
oder aus Einbildung/ daß durch Juliens Geil-
heit ſeine Ehr und Anſehen anbruͤchig wuͤrden/
oder welches am glaublichſten: weil er keinem
Menſchen Juliens zu genuͤſſen goͤnnete/ dieſer
Schwach heit uͤbermaͤßig unterworffen. Wel-
che neidiſche Unart/ wenn ſie mit der Eiferſucht
ſich vermaͤhlet/ auch mit dem Tode nicht
aufhoͤret; daher jene zwey Roͤmer in ihrem letz-
ten Willen verordneten/ daß nach ihrem Abfter-
ben ihre zwey ſchoͤnen Weiber auf dem erſten
Fechterſpiele einander toͤdten ſolten/ und He-
rodes/ als er einsmahls zum Kaͤyſer reiſete/
hinterließ einen Befehl ſeine wunderſchoͤne
Mariamne zu ermorden/ wenn er nicht zuruͤcke
kaͤme. Ja weil Livia dem Tiberius ſeine Ei-
verſucht weder durch das Beyſpiel ihrer eigenen
Uberſehung/ noch durch angezogene Urſachen
ausre-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/460 |
Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/460>, abgerufen am 16.07.2024. |