Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] fürzutragen? Julia fing nach einem tieffen
Seuffzer an: Wundere dich nicht/ Muräna/
daß die/ welche dich hundert mahl brünstiger
als Antonie liebet/ daß die/ derer gantze Seele in
dir lebet/ kein Wort auffbringen könne. Mu-
räna vernahm mit höchster Bestürtzung/ wie
er verführet sey/ zohe damit den Vorhang e-
benfalls weg/ und sahe/ die für Begierde glän-
tzende Julia vor sich stehen; fragte hierauff mit
etlichmaßiger Entrüstung: wie sie darzu käme/
daß sie sich an derselben Platz und Recht stelle-
te/ die ihn dahin beruffen hätte? Julia ant-
wortete für ihm auff die Knie sinckende: Aller-
liebster Muräna/ übe deinen Zorn über die zu
deiner Vergnügung aus/ die sonst nichts gesün-
diget hat/ als daß sie ihre Seele dir selbst auff
dem Feuer der eussersten Liebe auffopffert; denn
diese nimmt auch Wunden für Liebeskosungen
auff. Glaube aber/ daß du hier eben diese fin-
dest/ die dich hieher beruffen hat. Ach Mu-
räna! Zürnestu mit mir/ daß mein Geburts-
Gestirne alle Regungen in mir nach dem Ein-
flusse deiner Vollkommenheit erweckt? Fürch-
testu nicht/ daß die Liebe mit grösserer Grau-
samkeit ihre Verachtung rächet/ als sonst ihre
Kräffte sind? Ach Muräna! bey dir stehet es ja
wohl/ daß du mich verschmähest; aber so wenig
es in meiner Gewalt beruhet/ dich nicht zu lie-
ben/ so wenig kan auch deine Gramschafft es
verhindern. Mit diesen Worten umarmte sie
auffs neue Muränen/ der ihr aber einbrach:
Wenn du mich liebtest/ würdest du mich nicht in
Untreu zu stürtzen trachten; und wenn du dir
nicht selbst unhold wärest/ würdestu deine Ver-
gnügung nicht in der Unmögligkeit suchen. Die
Liebe ist derselbe Vogel/ welcher nicht als von sei-
nes gleichen gefangen werden kan/ nehmlich der
Gegenliebe/ welcher du nicht fähig werden
kanst/ weil sie einer andern verpfändet ist. Ju-
lia versetzte: Jst Antoniens Liebe mir zuvor
kommen in der Zeit/ so überwiegt sie meine im
Gewichte/ und ist gegen meiner kalt Wasser.
[Spaltenumbruch] Hat Antonie ehe geliebt/ so liebe ich hefftiger.
Ach Muräna! meinestu/ daß uns die Götter
hier vergebens zusammen gebracht? meinestu/
daß der Käyser und Octavia nicht fürlängst
Antonien dem Drusus verlobet? Und wer
weiß/ ob du nicht noch heute erfährest/ daß An-
tonia den Drusus eher als dich umarmet ha-
be? Arglist wird sicher nicht besser verbergt/ als
unter dem Fürhange der Einfalt; und die Ein-
bildung setzet die Falschheit bey uns mehrmahls
in solch Ansehen/ daß man sich auch mit offenen
Augen verbländen läst. Was am wenigsten
vermuthet wird/ verleitet uns am geschwinde-
sten. Ach Muräna! Hiermit erblaßte Julia;
und sie wäre ohnmächtig zu Bodem gesuncken/
wenn sie nicht Muräna erwischt/ und mit Bal-
samen erqvicket hätte. Wie er sie sich aber
wieder erholen sahe/ hob er an: Julia überwinde
dich/ schone meiner/ hoffe auff die Zeit/ vertraue
den Göttern/ und gedencke/ daß die Wunden
der Liebe nicht alle mit dem Eisen geheilet wer-
den/ das sie zum ersten gemacht hat. Und hier-
mit trat er nicht weniger verwirret aus ihrem
Zimmer und dem Schau-Platze/ als er Julien
bestürtzt sitzen ließ.

Jch lasse euch nachdencken/ in was für Wel-
len das Hertze Muränens über so seltzamen Zu-
falle gewallet haben müsse. Aber es war hier-
mit bey weitem nicht ausgemacht. Denn als
er aus dem Schau-Platze schriet/ trat Antonie
gleich auff ihre Sänffte; und ob er ihr gleich
ins Gesichte fiel/ schlug sie doch augenblicks
das Antlitz von ihm weg/ zohe auch überdiß die
Fürhänge für/ daß er sie darinnen nicht sehen
konte. Wie er auch zu Hause etliche Stun-
den seinem Kummer nachgehangen hatte/ a-
ber weder sein Elend übersehen/ noch selbtem
abhelffen konte/ ward bey ihm ein Freygelasse-
ner angesagt/ der ihn selbst in Person sprechen
wolte. Dieser übergab ohne einiges Wort
dem Muräna ein Schreiben/ kehrte auch
unverwandten Fußes zurück. Muräna öff-

nete

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] fuͤrzutragen? Julia fing nach einem tieffen
Seuffzer an: Wundere dich nicht/ Muraͤna/
daß die/ welche dich hundert mahl bruͤnſtiger
als Antonie liebet/ daß die/ derer gantze Seele in
dir lebet/ kein Wort auffbringen koͤnne. Mu-
raͤna vernahm mit hoͤchſter Beſtuͤrtzung/ wie
er verfuͤhret ſey/ zohe damit den Vorhang e-
benfalls weg/ und ſahe/ die fuͤr Begierde glaͤn-
tzende Julia vor ſich ſtehen; fragte hierauff mit
etlichmaßiger Entruͤſtung: wie ſie darzu kaͤme/
daß ſie ſich an derſelben Platz und Recht ſtelle-
te/ die ihn dahin beruffen haͤtte? Julia ant-
wortete fuͤr ihm auff die Knie ſinckende: Aller-
liebſter Muraͤna/ uͤbe deinen Zorn uͤber die zu
deiner Vergnuͤgung aus/ die ſonſt nichts geſuͤn-
diget hat/ als daß ſie ihre Seele dir ſelbſt auff
dem Feuer der euſſerſten Liebe auffopffert; denn
dieſe nimmt auch Wunden fuͤr Liebeskoſungen
auff. Glaube aber/ daß du hier eben dieſe fin-
deſt/ die dich hieher beruffen hat. Ach Mu-
raͤna! Zuͤrneſtu mit mir/ daß mein Geburts-
Geſtirne alle Regungen in mir nach dem Ein-
fluſſe deiner Vollkommenheit erweckt? Fuͤrch-
teſtu nicht/ daß die Liebe mit groͤſſerer Grau-
ſamkeit ihre Verachtung raͤchet/ als ſonſt ihre
Kraͤffte ſind? Ach Muraͤna! bey dir ſtehet es ja
wohl/ daß du mich verſchmaͤheſt; aber ſo wenig
es in meiner Gewalt beruhet/ dich nicht zu lie-
ben/ ſo wenig kan auch deine Gramſchafft es
verhindern. Mit dieſen Worten umarmte ſie
auffs neue Muraͤnen/ der ihr aber einbrach:
Wenn du mich liebteſt/ wuͤrdeſt du mich nicht in
Untreu zu ſtuͤrtzen trachten; und wenn du dir
nicht ſelbſt unhold waͤreſt/ wuͤrdeſtu deine Ver-
gnuͤgung nicht in der Unmoͤgligkeit ſuchen. Die
Liebe iſt derſelbe Vogel/ welcher nicht als von ſei-
nes gleichen gefangen werden kan/ nehmlich der
Gegenliebe/ welcher du nicht faͤhig werden
kanſt/ weil ſie einer andern verpfaͤndet iſt. Ju-
lia verſetzte: Jſt Antoniens Liebe mir zuvor
kommen in der Zeit/ ſo uͤberwiegt ſie meine im
Gewichte/ und iſt gegen meiner kalt Waſſer.
[Spaltenumbruch] Hat Antonie ehe geliebt/ ſo liebe ich hefftiger.
Ach Muraͤna! meineſtu/ daß uns die Goͤtter
hier vergebens zuſammen gebracht? meineſtu/
daß der Kaͤyſer und Octavia nicht fuͤrlaͤngſt
Antonien dem Druſus verlobet? Und wer
weiß/ ob du nicht noch heute erfaͤhreſt/ daß An-
tonia den Druſus eher als dich umarmet ha-
be? Argliſt wird ſicher nicht beſſer verbergt/ als
unter dem Fuͤrhange der Einfalt; und die Ein-
bildung ſetzet die Falſchheit bey uns mehrmahls
in ſolch Anſehen/ daß man ſich auch mit offenen
Augen verblaͤnden laͤſt. Was am wenigſten
vermuthet wird/ verleitet uns am geſchwinde-
ſten. Ach Muraͤna! Hiermit erblaßte Julia;
und ſie waͤre ohnmaͤchtig zu Bodem geſuncken/
wenn ſie nicht Muraͤna erwiſcht/ und mit Bal-
ſamen erqvicket haͤtte. Wie er ſie ſich aber
wieder erholen ſahe/ hob er an: Julia uͤberwinde
dich/ ſchone meiner/ hoffe auff die Zeit/ vertraue
den Goͤttern/ und gedencke/ daß die Wunden
der Liebe nicht alle mit dem Eiſen geheilet wer-
den/ das ſie zum erſten gemacht hat. Und hier-
mit trat er nicht weniger verwirret aus ihrem
Zimmer und dem Schau-Platze/ als er Julien
beſtuͤrtzt ſitzen ließ.

Jch laſſe euch nachdencken/ in was fuͤr Wel-
len das Hertze Muraͤnens uͤber ſo ſeltzamen Zu-
falle gewallet haben muͤſſe. Aber es war hier-
mit bey weitem nicht ausgemacht. Denn als
er aus dem Schau-Platze ſchriet/ trat Antonie
gleich auff ihre Saͤnffte; und ob er ihr gleich
ins Geſichte fiel/ ſchlug ſie doch augenblicks
das Antlitz von ihm weg/ zohe auch uͤberdiß die
Fuͤrhaͤnge fuͤr/ daß er ſie darinnen nicht ſehen
konte. Wie er auch zu Hauſe etliche Stun-
den ſeinem Kummer nachgehangen hatte/ a-
ber weder ſein Elend uͤberſehen/ noch ſelbtem
abhelffen konte/ ward bey ihm ein Freygelaſſe-
ner angeſagt/ der ihn ſelbſt in Perſon ſprechen
wolte. Dieſer uͤbergab ohne einiges Wort
dem Muraͤna ein Schreiben/ kehrte auch
unverwandten Fußes zuruͤck. Muraͤna oͤff-

nete
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0448" n="394"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vierdtes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
fu&#x0364;rzutragen? Julia fing nach einem tieffen<lb/>
Seuffzer an: Wundere dich nicht/ Mura&#x0364;na/<lb/>
daß die/ welche dich hundert mahl bru&#x0364;n&#x017F;tiger<lb/>
als Antonie liebet/ daß die/ derer gantze Seele in<lb/>
dir lebet/ kein Wort auffbringen ko&#x0364;nne. Mu-<lb/>
ra&#x0364;na vernahm mit ho&#x0364;ch&#x017F;ter Be&#x017F;tu&#x0364;rtzung/ wie<lb/>
er verfu&#x0364;hret &#x017F;ey/ zohe damit den Vorhang e-<lb/>
benfalls weg/ und &#x017F;ahe/ die fu&#x0364;r Begierde gla&#x0364;n-<lb/>
tzende Julia vor &#x017F;ich &#x017F;tehen; fragte hierauff mit<lb/>
etlichmaßiger Entru&#x0364;&#x017F;tung: wie &#x017F;ie darzu ka&#x0364;me/<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich an der&#x017F;elben Platz und Recht &#x017F;telle-<lb/>
te/ die ihn dahin beruffen ha&#x0364;tte? Julia ant-<lb/>
wortete fu&#x0364;r ihm auff die Knie &#x017F;inckende: Aller-<lb/>
lieb&#x017F;ter Mura&#x0364;na/ u&#x0364;be deinen Zorn u&#x0364;ber die zu<lb/>
deiner Vergnu&#x0364;gung aus/ die &#x017F;on&#x017F;t nichts ge&#x017F;u&#x0364;n-<lb/>
diget hat/ als daß &#x017F;ie ihre Seele dir &#x017F;elb&#x017F;t auff<lb/>
dem Feuer der eu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Liebe auffopffert; denn<lb/>
die&#x017F;e nimmt auch Wunden fu&#x0364;r Liebesko&#x017F;ungen<lb/>
auff. Glaube aber/ daß du hier eben die&#x017F;e fin-<lb/>
de&#x017F;t/ die dich hieher beruffen hat. Ach Mu-<lb/>
ra&#x0364;na! Zu&#x0364;rne&#x017F;tu mit mir/ daß mein Geburts-<lb/>
Ge&#x017F;tirne alle Regungen in mir nach dem Ein-<lb/>
flu&#x017F;&#x017F;e deiner Vollkommenheit erweckt? Fu&#x0364;rch-<lb/>
te&#x017F;tu nicht/ daß die Liebe mit gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erer Grau-<lb/>
&#x017F;amkeit ihre Verachtung ra&#x0364;chet/ als &#x017F;on&#x017F;t ihre<lb/>
Kra&#x0364;ffte &#x017F;ind? Ach Mura&#x0364;na! bey dir &#x017F;tehet es ja<lb/>
wohl/ daß du mich ver&#x017F;chma&#x0364;he&#x017F;t; aber &#x017F;o wenig<lb/>
es in meiner Gewalt beruhet/ dich nicht zu lie-<lb/>
ben/ &#x017F;o wenig kan auch deine Gram&#x017F;chafft es<lb/>
verhindern. Mit die&#x017F;en Worten umarmte &#x017F;ie<lb/>
auffs neue Mura&#x0364;nen/ der ihr aber einbrach:<lb/>
Wenn du mich liebte&#x017F;t/ wu&#x0364;rde&#x017F;t du mich nicht in<lb/>
Untreu zu &#x017F;tu&#x0364;rtzen trachten; und wenn du dir<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t unhold wa&#x0364;re&#x017F;t/ wu&#x0364;rde&#x017F;tu deine Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gung nicht in der Unmo&#x0364;gligkeit &#x017F;uchen. Die<lb/>
Liebe i&#x017F;t der&#x017F;elbe Vogel/ welcher nicht als von &#x017F;ei-<lb/>
nes gleichen gefangen werden kan/ nehmlich der<lb/>
Gegenliebe/ welcher du nicht fa&#x0364;hig werden<lb/>
kan&#x017F;t/ weil &#x017F;ie einer andern verpfa&#x0364;ndet i&#x017F;t. Ju-<lb/>
lia ver&#x017F;etzte: J&#x017F;t Antoniens Liebe mir zuvor<lb/>
kommen in der Zeit/ &#x017F;o u&#x0364;berwiegt &#x017F;ie meine im<lb/>
Gewichte/ und i&#x017F;t gegen meiner kalt Wa&#x017F;&#x017F;er.<lb/><cb/>
Hat Antonie ehe geliebt/ &#x017F;o liebe ich hefftiger.<lb/>
Ach Mura&#x0364;na! meine&#x017F;tu/ daß uns die Go&#x0364;tter<lb/>
hier vergebens zu&#x017F;ammen gebracht? meine&#x017F;tu/<lb/>
daß der Ka&#x0364;y&#x017F;er und Octavia nicht fu&#x0364;rla&#x0364;ng&#x017F;t<lb/>
Antonien dem Dru&#x017F;us verlobet? Und wer<lb/>
weiß/ ob du nicht noch heute erfa&#x0364;hre&#x017F;t/ daß An-<lb/>
tonia den Dru&#x017F;us eher als dich umarmet ha-<lb/>
be? Argli&#x017F;t wird &#x017F;icher nicht be&#x017F;&#x017F;er verbergt/ als<lb/>
unter dem Fu&#x0364;rhange der Einfalt; und die Ein-<lb/>
bildung &#x017F;etzet die Fal&#x017F;chheit bey uns mehrmahls<lb/>
in &#x017F;olch An&#x017F;ehen/ daß man &#x017F;ich auch mit offenen<lb/>
Augen verbla&#x0364;nden la&#x0364;&#x017F;t. Was am wenig&#x017F;ten<lb/>
vermuthet wird/ verleitet uns am ge&#x017F;chwinde-<lb/>
&#x017F;ten. Ach Mura&#x0364;na! Hiermit erblaßte Julia;<lb/>
und &#x017F;ie wa&#x0364;re ohnma&#x0364;chtig zu Bodem ge&#x017F;uncken/<lb/>
wenn &#x017F;ie nicht Mura&#x0364;na erwi&#x017F;cht/ und mit Bal-<lb/>
&#x017F;amen erqvicket ha&#x0364;tte. Wie er &#x017F;ie &#x017F;ich aber<lb/>
wieder erholen &#x017F;ahe/ hob er an: Julia u&#x0364;berwinde<lb/>
dich/ &#x017F;chone meiner/ hoffe auff die Zeit/ vertraue<lb/>
den Go&#x0364;ttern/ und gedencke/ daß die Wunden<lb/>
der Liebe nicht alle mit dem Ei&#x017F;en geheilet wer-<lb/>
den/ das &#x017F;ie zum er&#x017F;ten gemacht hat. Und hier-<lb/>
mit trat er nicht weniger verwirret aus ihrem<lb/>
Zimmer und dem Schau-Platze/ als er Julien<lb/>
be&#x017F;tu&#x0364;rtzt &#x017F;itzen ließ.</p><lb/>
          <p>Jch la&#x017F;&#x017F;e euch nachdencken/ in was fu&#x0364;r Wel-<lb/>
len das Hertze Mura&#x0364;nens u&#x0364;ber &#x017F;o &#x017F;eltzamen Zu-<lb/>
falle gewallet haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Aber es war hier-<lb/>
mit bey weitem nicht ausgemacht. Denn als<lb/>
er aus dem Schau-Platze &#x017F;chriet/ trat Antonie<lb/>
gleich auff ihre Sa&#x0364;nffte; und ob er ihr gleich<lb/>
ins Ge&#x017F;ichte fiel/ &#x017F;chlug &#x017F;ie doch augenblicks<lb/>
das Antlitz von ihm weg/ zohe auch u&#x0364;berdiß die<lb/>
Fu&#x0364;rha&#x0364;nge fu&#x0364;r/ daß er &#x017F;ie darinnen nicht &#x017F;ehen<lb/>
konte. Wie er auch zu Hau&#x017F;e etliche Stun-<lb/>
den &#x017F;einem Kummer nachgehangen hatte/ a-<lb/>
ber weder &#x017F;ein Elend u&#x0364;ber&#x017F;ehen/ noch &#x017F;elbtem<lb/>
abhelffen konte/ ward bey ihm ein Freygela&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
ner ange&#x017F;agt/ der ihn &#x017F;elb&#x017F;t in Per&#x017F;on &#x017F;prechen<lb/>
wolte. Die&#x017F;er u&#x0364;bergab ohne einiges Wort<lb/>
dem Mura&#x0364;na ein Schreiben/ kehrte auch<lb/>
unverwandten Fußes zuru&#x0364;ck. Mura&#x0364;na o&#x0364;ff-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nete</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[394/0448] Vierdtes Buch fuͤrzutragen? Julia fing nach einem tieffen Seuffzer an: Wundere dich nicht/ Muraͤna/ daß die/ welche dich hundert mahl bruͤnſtiger als Antonie liebet/ daß die/ derer gantze Seele in dir lebet/ kein Wort auffbringen koͤnne. Mu- raͤna vernahm mit hoͤchſter Beſtuͤrtzung/ wie er verfuͤhret ſey/ zohe damit den Vorhang e- benfalls weg/ und ſahe/ die fuͤr Begierde glaͤn- tzende Julia vor ſich ſtehen; fragte hierauff mit etlichmaßiger Entruͤſtung: wie ſie darzu kaͤme/ daß ſie ſich an derſelben Platz und Recht ſtelle- te/ die ihn dahin beruffen haͤtte? Julia ant- wortete fuͤr ihm auff die Knie ſinckende: Aller- liebſter Muraͤna/ uͤbe deinen Zorn uͤber die zu deiner Vergnuͤgung aus/ die ſonſt nichts geſuͤn- diget hat/ als daß ſie ihre Seele dir ſelbſt auff dem Feuer der euſſerſten Liebe auffopffert; denn dieſe nimmt auch Wunden fuͤr Liebeskoſungen auff. Glaube aber/ daß du hier eben dieſe fin- deſt/ die dich hieher beruffen hat. Ach Mu- raͤna! Zuͤrneſtu mit mir/ daß mein Geburts- Geſtirne alle Regungen in mir nach dem Ein- fluſſe deiner Vollkommenheit erweckt? Fuͤrch- teſtu nicht/ daß die Liebe mit groͤſſerer Grau- ſamkeit ihre Verachtung raͤchet/ als ſonſt ihre Kraͤffte ſind? Ach Muraͤna! bey dir ſtehet es ja wohl/ daß du mich verſchmaͤheſt; aber ſo wenig es in meiner Gewalt beruhet/ dich nicht zu lie- ben/ ſo wenig kan auch deine Gramſchafft es verhindern. Mit dieſen Worten umarmte ſie auffs neue Muraͤnen/ der ihr aber einbrach: Wenn du mich liebteſt/ wuͤrdeſt du mich nicht in Untreu zu ſtuͤrtzen trachten; und wenn du dir nicht ſelbſt unhold waͤreſt/ wuͤrdeſtu deine Ver- gnuͤgung nicht in der Unmoͤgligkeit ſuchen. Die Liebe iſt derſelbe Vogel/ welcher nicht als von ſei- nes gleichen gefangen werden kan/ nehmlich der Gegenliebe/ welcher du nicht faͤhig werden kanſt/ weil ſie einer andern verpfaͤndet iſt. Ju- lia verſetzte: Jſt Antoniens Liebe mir zuvor kommen in der Zeit/ ſo uͤberwiegt ſie meine im Gewichte/ und iſt gegen meiner kalt Waſſer. Hat Antonie ehe geliebt/ ſo liebe ich hefftiger. Ach Muraͤna! meineſtu/ daß uns die Goͤtter hier vergebens zuſammen gebracht? meineſtu/ daß der Kaͤyſer und Octavia nicht fuͤrlaͤngſt Antonien dem Druſus verlobet? Und wer weiß/ ob du nicht noch heute erfaͤhreſt/ daß An- tonia den Druſus eher als dich umarmet ha- be? Argliſt wird ſicher nicht beſſer verbergt/ als unter dem Fuͤrhange der Einfalt; und die Ein- bildung ſetzet die Falſchheit bey uns mehrmahls in ſolch Anſehen/ daß man ſich auch mit offenen Augen verblaͤnden laͤſt. Was am wenigſten vermuthet wird/ verleitet uns am geſchwinde- ſten. Ach Muraͤna! Hiermit erblaßte Julia; und ſie waͤre ohnmaͤchtig zu Bodem geſuncken/ wenn ſie nicht Muraͤna erwiſcht/ und mit Bal- ſamen erqvicket haͤtte. Wie er ſie ſich aber wieder erholen ſahe/ hob er an: Julia uͤberwinde dich/ ſchone meiner/ hoffe auff die Zeit/ vertraue den Goͤttern/ und gedencke/ daß die Wunden der Liebe nicht alle mit dem Eiſen geheilet wer- den/ das ſie zum erſten gemacht hat. Und hier- mit trat er nicht weniger verwirret aus ihrem Zimmer und dem Schau-Platze/ als er Julien beſtuͤrtzt ſitzen ließ. Jch laſſe euch nachdencken/ in was fuͤr Wel- len das Hertze Muraͤnens uͤber ſo ſeltzamen Zu- falle gewallet haben muͤſſe. Aber es war hier- mit bey weitem nicht ausgemacht. Denn als er aus dem Schau-Platze ſchriet/ trat Antonie gleich auff ihre Saͤnffte; und ob er ihr gleich ins Geſichte fiel/ ſchlug ſie doch augenblicks das Antlitz von ihm weg/ zohe auch uͤberdiß die Fuͤrhaͤnge fuͤr/ daß er ſie darinnen nicht ſehen konte. Wie er auch zu Hauſe etliche Stun- den ſeinem Kummer nachgehangen hatte/ a- ber weder ſein Elend uͤberſehen/ noch ſelbtem abhelffen konte/ ward bey ihm ein Freygelaſſe- ner angeſagt/ der ihn ſelbſt in Perſon ſprechen wolte. Dieſer uͤbergab ohne einiges Wort dem Muraͤna ein Schreiben/ kehrte auch unverwandten Fußes zuruͤck. Muraͤna oͤff- nete

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/448
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/448>, abgerufen am 12.05.2024.