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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] denn zu einer Stiffterin menschlicher Gemein-
schafften unfähig oder zu ohnmächtig seyn?
Die verwechselte Liebe der Menschen hat si-
cher wenig Städte gebauet. Denn so heiß
sie gegen sich selbst ist/ so kalt ist sie gegen an-
dere. Wäre diese uns von der Natur einge-
pflantzt/ warum liebt man nicht einen Men-
schen wie den andern? Warum hat man
für so vielen eine innerliche Abscheu? Die
Selbst-Liebe um uns entweder zu liebkosen o-
der Nutzen zu schaffen/ ist die einige Ursache/
warum wir uns nach ein oder anderer Ge-
sellschafft sehnen. Versammlet uns das Ge-
werbe/ so suchen wir unsern Gewinn/ des an-
dern Bevortheilung. Kommen wir in Amts-
Sachen gleich zusammen/ hat die Furcht
mehr ihr Auge auff des andern Thun/ als
auff Befestigung einiger Verträuligkeit/ und
das Mißtrauen gebiehret mehrmahls Spal-
tungen als Freundschafft. Wollen wir mit
andern die Zeit vertreiben/ schöpffen wir die
gröste Vergnügung aus fremden Gebrechen/
aus Verkleinerung der Abwesenden/ und wenn
wir durch Erlangung grössern Ansehens und
Vermögens unsere Furcht auff andere Schul-
tern legen. Ja unter dem Scheine der Weiß-
heit und der Vegierde zu lehren oder zu ler-
nen/ verbirget sich die Eitelkeit eigener Eh-
re/ und das Verlangen andern zu Kopffe zu
wachsen; und mit einem Worte: der Mensch
hat mehr Neigung über andere zu herrschen/
als sie zu Gefährten zu haben. Aus dieser
eingepflantzten Herschens-Begierde erwecket
das Mißtrauen insonderheit bey den Schwä-
chern Furcht/ diese aber stifftet grosse und tau-
erhaffte Versammlungen. Sintemahl uns
die Einsamkeit nur wegen dessen/ was unse-
rer Selbst-Liebe abgeht/ verdrüßlich ist; und
bey ermangelnden Erhaltungs-Mitteln gleich-
sam ein Zwang der Natur/ oder bey Erkiesung
ein und andern Vortheils die Vernunfft dem
[Spaltenumbruch] Menschen die Gesellschafft auffnöthigt/ worzu
er doch seiner angebohrnen Art nach so geschickt
nicht ist/ als zur Einsamkeit. Denn diese erhält
ihn in der Glückseligkeit des Friedens und in
seinem Wesen; Ausser der aber geräthet er als-
bald in Krieg. Sintemahl die Menschen nie-
mahls das erstemahl und für gemachten Bünd-
nissen zusammen kommen/ da nicht der Arg-
wohn Schildwache halte/ das Mißtrauen im
Hertzen koche/ und die Vernunfft auff Beschir-
mungs- oder Uberwältigungs-Mittel vorsin-
net; Also aller Menschen erster natürlicher Zu-
stand gegen alle andere kriegerisch ist/ ungeach-
tet Vorsicht oder Heucheley insgemein diese Ei-
genschafft verblümet. Rhemetalces fragte hier-
auff: Ob er denn derogestalt der Rhetier ge-
gen alle Menschen und Völcker/ die sie gleich
nie beleidigt hätten/ tragende Feindschafft bil-
ligte? Adgandester antwortete: Er begehr-
te der Rhetier Thun nicht zu vertheidigen. Denn
ob wohl die Neigungen der Menschen an sich
selbst kriegerisch wären/ so hätte doch die Natur
durch die Vernunfft ihnen diß Gesetze zugleich
eingepflantzt/ daß man einem andern nicht thun
solte/ was man selbst von ihm nicht gern erdul-
dete. Die Regungen und das Recht der Natur
wären gantz unterschieden. Uberdiß könte die
Selbst-Liebe neben der Gemeinschafft/ und die
eigene Erhaltung ohne des andern Unterdrü-
ckung gar wohl stehen; ja jene müste wegen
des Menschen Schwäche und Dürfftigkeit diese
zu Gefährten haben/ und ihre Hefftigkeit mäs-
sigen/ wormit der Mißbrauch nicht das Band
der Gesellschafft zertrennete. Wenn auch schon
der Mensch sich in genugsame Sicherheit gesetzt
hätte/ so wäre er doch auch denen/ welche zu sei-
ner Erhaltung nicht fähig oder nöthig find/
auff den Hals zu hucken nicht berechtigt.
Ja auch frembder uns zu vertilgen nicht ge-
meinter Vortheil gäbe zum Kriege uns kein
Recht. Ein Wetteläuffer wäre befugt alle

eusser-

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] denn zu einer Stiffterin menſchlicher Gemein-
ſchafften unfaͤhig oder zu ohnmaͤchtig ſeyn?
Die verwechſelte Liebe der Menſchen hat ſi-
cher wenig Staͤdte gebauet. Denn ſo heiß
ſie gegen ſich ſelbſt iſt/ ſo kalt iſt ſie gegen an-
dere. Waͤre dieſe uns von der Natur einge-
pflantzt/ warum liebt man nicht einen Men-
ſchen wie den andern? Warum hat man
fuͤr ſo vielen eine innerliche Abſcheu? Die
Selbſt-Liebe um uns entweder zu liebkoſen o-
der Nutzen zu ſchaffen/ iſt die einige Urſache/
warum wir uns nach ein oder anderer Ge-
ſellſchafft ſehnen. Verſammlet uns das Ge-
werbe/ ſo ſuchen wir unſern Gewinn/ des an-
dern Bevortheilung. Kommen wir in Amts-
Sachen gleich zuſammen/ hat die Furcht
mehr ihr Auge auff des andern Thun/ als
auff Befeſtigung einiger Vertraͤuligkeit/ und
das Mißtrauen gebiehret mehrmahls Spal-
tungen als Freundſchafft. Wollen wir mit
andern die Zeit vertreiben/ ſchoͤpffen wir die
groͤſte Vergnuͤgung aus fremden Gebrechen/
aus Verkleinerung der Abweſenden/ und wenn
wir durch Erlangung groͤſſern Anſehens und
Vermoͤgens unſere Furcht auff andere Schul-
tern legen. Ja unter dem Scheine der Weiß-
heit und der Vegierde zu lehren oder zu ler-
nen/ verbirget ſich die Eitelkeit eigener Eh-
re/ und das Verlangen andern zu Kopffe zu
wachſen; und mit einem Worte: der Menſch
hat mehr Neigung uͤber andere zu herrſchen/
als ſie zu Gefaͤhrten zu haben. Aus dieſer
eingepflantzten Herſchens-Begierde erwecket
das Mißtrauen inſonderheit bey den Schwaͤ-
chern Furcht/ dieſe aber ſtifftet groſſe und tau-
erhaffte Verſammlungen. Sintemahl uns
die Einſamkeit nur wegen deſſen/ was unſe-
rer Selbſt-Liebe abgeht/ verdruͤßlich iſt; und
bey ermangelnden Erhaltungs-Mitteln gleich-
ſam ein Zwang der Natur/ oder bey Erkieſung
ein und andern Vortheils die Vernunfft dem
[Spaltenumbruch] Menſchen die Geſellſchafft auffnoͤthigt/ worzu
er doch ſeiner angebohrnen Art nach ſo geſchickt
nicht iſt/ als zur Einſamkeit. Denn dieſe erhaͤlt
ihn in der Gluͤckſeligkeit des Friedens und in
ſeinem Weſen; Auſſer der aber geraͤthet er als-
bald in Krieg. Sintemahl die Menſchen nie-
mahls das erſtemahl und fuͤr gemachten Buͤnd-
niſſen zuſammen kommen/ da nicht der Arg-
wohn Schildwache halte/ das Mißtrauen im
Hertzen koche/ und die Vernunfft auff Beſchir-
mungs- oder Uberwaͤltigungs-Mittel vorſin-
net; Alſo aller Menſchen erſter natuͤrlicher Zu-
ſtand gegen alle andere kriegeriſch iſt/ ungeach-
tet Vorſicht oder Heucheley insgemein dieſe Ei-
genſchafft verbluͤmet. Rhemetalces fragte hier-
auff: Ob er denn derogeſtalt der Rhetier ge-
gen alle Menſchen und Voͤlcker/ die ſie gleich
nie beleidigt haͤtten/ tragende Feindſchafft bil-
ligte? Adgandeſter antwortete: Er begehr-
te der Rhetier Thun nicht zu vertheidigen. Denn
ob wohl die Neigungen der Menſchen an ſich
ſelbſt kriegeriſch waͤren/ ſo haͤtte doch die Natur
durch die Vernunfft ihnen diß Geſetze zugleich
eingepflantzt/ daß man einem andern nicht thun
ſolte/ was man ſelbſt von ihm nicht gern erdul-
dete. Die Regungen und das Recht der Natur
waͤren gantz unterſchieden. Uberdiß koͤnte die
Selbſt-Liebe neben der Gemeinſchafft/ und die
eigene Erhaltung ohne des andern Unterdruͤ-
ckung gar wohl ſtehen; ja jene muͤſte wegen
des Menſchen Schwaͤche und Duͤrfftigkeit dieſe
zu Gefaͤhrten haben/ und ihre Hefftigkeit maͤſ-
ſigen/ wormit der Mißbrauch nicht das Band
der Geſellſchafft zertrennete. Wenn auch ſchon
der Menſch ſich in genugſame Sicherheit geſetzt
haͤtte/ ſo waͤre er doch auch denen/ welche zu ſei-
ner Erhaltung nicht faͤhig oder noͤthig find/
auff den Hals zu hucken nicht berechtigt.
Ja auch frembder uns zu vertilgen nicht ge-
meinter Vortheil gaͤbe zum Kriege uns kein
Recht. Ein Wettelaͤuffer waͤre befugt alle

euſſer-
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[351/0405] Arminius und Thußnelda. denn zu einer Stiffterin menſchlicher Gemein- ſchafften unfaͤhig oder zu ohnmaͤchtig ſeyn? Die verwechſelte Liebe der Menſchen hat ſi- cher wenig Staͤdte gebauet. Denn ſo heiß ſie gegen ſich ſelbſt iſt/ ſo kalt iſt ſie gegen an- dere. Waͤre dieſe uns von der Natur einge- pflantzt/ warum liebt man nicht einen Men- ſchen wie den andern? Warum hat man fuͤr ſo vielen eine innerliche Abſcheu? Die Selbſt-Liebe um uns entweder zu liebkoſen o- der Nutzen zu ſchaffen/ iſt die einige Urſache/ warum wir uns nach ein oder anderer Ge- ſellſchafft ſehnen. Verſammlet uns das Ge- werbe/ ſo ſuchen wir unſern Gewinn/ des an- dern Bevortheilung. Kommen wir in Amts- Sachen gleich zuſammen/ hat die Furcht mehr ihr Auge auff des andern Thun/ als auff Befeſtigung einiger Vertraͤuligkeit/ und das Mißtrauen gebiehret mehrmahls Spal- tungen als Freundſchafft. Wollen wir mit andern die Zeit vertreiben/ ſchoͤpffen wir die groͤſte Vergnuͤgung aus fremden Gebrechen/ aus Verkleinerung der Abweſenden/ und wenn wir durch Erlangung groͤſſern Anſehens und Vermoͤgens unſere Furcht auff andere Schul- tern legen. Ja unter dem Scheine der Weiß- heit und der Vegierde zu lehren oder zu ler- nen/ verbirget ſich die Eitelkeit eigener Eh- re/ und das Verlangen andern zu Kopffe zu wachſen; und mit einem Worte: der Menſch hat mehr Neigung uͤber andere zu herrſchen/ als ſie zu Gefaͤhrten zu haben. Aus dieſer eingepflantzten Herſchens-Begierde erwecket das Mißtrauen inſonderheit bey den Schwaͤ- chern Furcht/ dieſe aber ſtifftet groſſe und tau- erhaffte Verſammlungen. Sintemahl uns die Einſamkeit nur wegen deſſen/ was unſe- rer Selbſt-Liebe abgeht/ verdruͤßlich iſt; und bey ermangelnden Erhaltungs-Mitteln gleich- ſam ein Zwang der Natur/ oder bey Erkieſung ein und andern Vortheils die Vernunfft dem Menſchen die Geſellſchafft auffnoͤthigt/ worzu er doch ſeiner angebohrnen Art nach ſo geſchickt nicht iſt/ als zur Einſamkeit. Denn dieſe erhaͤlt ihn in der Gluͤckſeligkeit des Friedens und in ſeinem Weſen; Auſſer der aber geraͤthet er als- bald in Krieg. Sintemahl die Menſchen nie- mahls das erſtemahl und fuͤr gemachten Buͤnd- niſſen zuſammen kommen/ da nicht der Arg- wohn Schildwache halte/ das Mißtrauen im Hertzen koche/ und die Vernunfft auff Beſchir- mungs- oder Uberwaͤltigungs-Mittel vorſin- net; Alſo aller Menſchen erſter natuͤrlicher Zu- ſtand gegen alle andere kriegeriſch iſt/ ungeach- tet Vorſicht oder Heucheley insgemein dieſe Ei- genſchafft verbluͤmet. Rhemetalces fragte hier- auff: Ob er denn derogeſtalt der Rhetier ge- gen alle Menſchen und Voͤlcker/ die ſie gleich nie beleidigt haͤtten/ tragende Feindſchafft bil- ligte? Adgandeſter antwortete: Er begehr- te der Rhetier Thun nicht zu vertheidigen. Denn ob wohl die Neigungen der Menſchen an ſich ſelbſt kriegeriſch waͤren/ ſo haͤtte doch die Natur durch die Vernunfft ihnen diß Geſetze zugleich eingepflantzt/ daß man einem andern nicht thun ſolte/ was man ſelbſt von ihm nicht gern erdul- dete. Die Regungen und das Recht der Natur waͤren gantz unterſchieden. Uberdiß koͤnte die Selbſt-Liebe neben der Gemeinſchafft/ und die eigene Erhaltung ohne des andern Unterdruͤ- ckung gar wohl ſtehen; ja jene muͤſte wegen des Menſchen Schwaͤche und Duͤrfftigkeit dieſe zu Gefaͤhrten haben/ und ihre Hefftigkeit maͤſ- ſigen/ wormit der Mißbrauch nicht das Band der Geſellſchafft zertrennete. Wenn auch ſchon der Menſch ſich in genugſame Sicherheit geſetzt haͤtte/ ſo waͤre er doch auch denen/ welche zu ſei- ner Erhaltung nicht faͤhig oder noͤthig find/ auff den Hals zu hucken nicht berechtigt. Ja auch frembder uns zu vertilgen nicht ge- meinter Vortheil gaͤbe zum Kriege uns kein Recht. Ein Wettelaͤuffer waͤre befugt alle euſſer-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/405>, abgerufen am 22.11.2024.