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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] sen sah/ fing sie gegen ihr an: Jch weiß wol/
daß die Thränen insgemein nach den Seuff-
zern/ wie ein sanffter Regen nach einem war-
men Thau-Winde zu folgen/ und die Liebe sich
so wohl als ihre Rosen mit derselben Thaue zu
erfrischen/ oder auch durch so eine geleuterte
Fluth die Entzückung der Seele auszulassen
pflege. Jch bin aber der Gedancken gewest/
daß die Thränen alleine der Betrübten Liebes-
Kinder/ und die Traurigkeit ihre Weh-Mut-
ter wäre. Nach dem ich nun mir unschwer
einbilden kan/ mit was für einer Vergnügung
die Königin Erato den Fürsten Zeno bewill-
kommt haben müste; so lerne ich numehr/ daß
die Thränen eben so wohl ein reines Blut freu-
diger Seelen seyn/ die ein verliebtes Hertze/
welches seine Freude nicht in sich beschlüssen
kan/ über die Ufer der Augen auszugiessen ge-
zwungen wird. Salonine/ welche ihrer Kö-
nigin Gedancken mercklich zerstreuet zu seyn
wahrnahm/ vertrat sie durch folgende Ant-
wort: Es wäre nicht ohne/ daß das Lachen
insgemein eine Gefärthin der freudigen/ das
Weinen aber der bekümmerten Liebe wäre;
welches so denn sonderlich bey der Verliebten
Zertrennung herfür zu qvellen pflegte. Denn
weil die Verliebten sich so ungerne von einan-
der entferneten/ stiegen ihre Seelen so gar biß
zu den Augenliedern empor/ um ihre Buhl-
schafft zum minsten so weit/ als das Gesichte
trüge/ zu begleiten. Weil nun diese Tren-
nung der vereinbarten Seelen ihre wahrhaff-
te Verwundung wäre; so güssen sich die Thrä-
nen aus selbten eben so häuffig aus; als wie das
Geblüte aus einem zergliederten Leibe herfür
sprützete. Alleine bey einer unversehenen Wie-
derersehung der Verliebten entzündete und öf-
nete sich ihr Hertze/ die Seele vereinbarte sich
abermahls mit ihren Aug-Aepffeln; und wäre
begierig sich durch ihre annehmliche Stralen
mit dem/ was sie liebet/ zu vereinbarn. Weil
[Spaltenumbruch] nun die Augen allzu unvermögend wären/ das
gantze Wesen der Seele in einen andern Leib
überzugiessen; züge sich so wohl von Liebe als
Zorn in diesen irrdischen Sternen eine Menge
feuriger und nasser Geister zusammen/ welche
die von kalter Traurigkeit verstopfften oder ver-
frornen Röhre des Hertzens öffneten/ und die
herfür kugelnden Wasser-Perlen über die
Wangen/ wie die im Frühlinge von den lauen
Sonnen-Strahlen eröffneten Wolcken die
sanfften Regen abtröpffelten. Daher auch
die von der Freude mit Gewalt ausstürtzenden
Thränen kalt/ die langsam herfür qvellenden
Trauer-Zähren aber heiß wären; bey obiger
Bewandnüß aber es keines Verwunderns dörf-
te/ daß die Einwohner des Hesperischen Ey-
landes das Weinen für ein Merckmahl ihrer
grösten Freuden angewehren solten. Jsme-
ne fing an: Salonine weiß von der Verliebten
Thränen so tiefsinnig zu urtheilen/ daß es schei-
net/ sie müsse hierinnen schon das Meister-
Stücke gemacht haben. Jch hätte meiner
Einfalt nach solche Thränen für nichts an-
ders/ als einen Schweiß der Seele zu halten
wissen; welche von dem Feuer der Liebe und
Freude/ als denen zwey hitzigsten Gemüths-
Regungen ausgeprest würden. Dahingegen
die kalte Furcht das Hertze einzwänge/ und
darmit auch allen Thränen ihren Lauff ver-
stopffte. Rhemetalces nahm das Wort von
ihr und sagte: Jch höre wohl/ diese schöne Für-
stin sey eine Beypflichterin des Plato/ wel-
cher der Seele nicht nur Flügel/ sondern auch
den Geistern leibliche Empfindungen zugeei-
gnet hat. Jsmene versetzte: Jch bin zwar das
ungelehrteste Kind in der Liebe/ und traue
daher meine darinnen vorfallende Jrrthü-
mer nicht zu verfechten. Nichts desto weni-
ger glaube ich/ daß die Seelen empfindli-
cher/ als die Leiber sind; ja weil nichts
unbeseeltes etwas fühlet/ die Glieder

aber
S s 3

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ſen ſah/ fing ſie gegen ihr an: Jch weiß wol/
daß die Thraͤnen insgemein nach den Seuff-
zern/ wie ein ſanffter Regen nach einem war-
men Thau-Winde zu folgen/ und die Liebe ſich
ſo wohl als ihre Roſen mit derſelben Thaue zu
erfriſchen/ oder auch durch ſo eine geleuterte
Fluth die Entzuͤckung der Seele auszulaſſen
pflege. Jch bin aber der Gedancken geweſt/
daß die Thraͤnen alleine der Betruͤbten Liebes-
Kinder/ und die Traurigkeit ihre Weh-Mut-
ter waͤre. Nach dem ich nun mir unſchwer
einbilden kan/ mit was fuͤr einer Vergnuͤgung
die Koͤnigin Erato den Fuͤrſten Zeno bewill-
kommt haben muͤſte; ſo lerne ich numehr/ daß
die Thraͤnen eben ſo wohl ein reines Blut freu-
diger Seelen ſeyn/ die ein verliebtes Hertze/
welches ſeine Freude nicht in ſich beſchluͤſſen
kan/ uͤber die Ufer der Augen auszugieſſen ge-
zwungen wird. Salonine/ welche ihrer Koͤ-
nigin Gedancken mercklich zerſtreuet zu ſeyn
wahrnahm/ vertrat ſie durch folgende Ant-
wort: Es waͤre nicht ohne/ daß das Lachen
insgemein eine Gefaͤrthin der freudigen/ das
Weinen aber der bekuͤmmerten Liebe waͤre;
welches ſo denn ſonderlich bey der Verliebten
Zertrennung herfuͤr zu qvellen pflegte. Denn
weil die Verliebten ſich ſo ungerne von einan-
der entferneten/ ſtiegen ihre Seelen ſo gar biß
zu den Augenliedern empor/ um ihre Buhl-
ſchafft zum minſten ſo weit/ als das Geſichte
truͤge/ zu begleiten. Weil nun dieſe Tren-
nung der vereinbarten Seelen ihre wahrhaff-
te Verwundung waͤre; ſo guͤſſen ſich die Thraͤ-
nen aus ſelbten eben ſo haͤuffig aus; als wie das
Gebluͤte aus einem zergliederten Leibe herfuͤr
ſpruͤtzete. Alleine bey einer unverſehenen Wie-
dererſehung der Verliebten entzuͤndete und oͤf-
nete ſich ihr Hertze/ die Seele vereinbarte ſich
abermahls mit ihren Aug-Aepffeln; und waͤre
begierig ſich durch ihre annehmliche Stralen
mit dem/ was ſie liebet/ zu vereinbarn. Weil
[Spaltenumbruch] nun die Augen allzu unvermoͤgend waͤren/ das
gantze Weſen der Seele in einen andern Leib
uͤberzugieſſen; zuͤge ſich ſo wohl von Liebe als
Zorn in dieſen irrdiſchen Sternen eine Menge
feuriger und naſſer Geiſter zuſammen/ welche
die von kalter Traurigkeit verſtopfften oder ver-
frornen Roͤhre des Hertzens oͤffneten/ und die
herfuͤr kugelnden Waſſer-Perlen uͤber die
Wangen/ wie die im Fruͤhlinge von den lauen
Sonnen-Strahlen eroͤffneten Wolcken die
ſanfften Regen abtroͤpffelten. Daher auch
die von der Freude mit Gewalt ausſtuͤrtzenden
Thraͤnen kalt/ die langſam herfuͤr qvellenden
Trauer-Zaͤhren aber heiß waͤren; bey obiger
Bewandnuͤß aber es keines Verwundeꝛns doͤrf-
te/ daß die Einwohner des Heſperiſchen Ey-
landes das Weinen fuͤr ein Merckmahl ihrer
groͤſten Freuden angewehren ſolten. Jſme-
ne fing an: Salonine weiß von der Verliebten
Thraͤnen ſo tiefſinnig zu urtheilen/ daß es ſchei-
net/ ſie muͤſſe hierinnen ſchon das Meiſter-
Stuͤcke gemacht haben. Jch haͤtte meiner
Einfalt nach ſolche Thraͤnen fuͤr nichts an-
ders/ als einen Schweiß der Seele zu halten
wiſſen; welche von dem Feuer der Liebe und
Freude/ als denen zwey hitzigſten Gemuͤths-
Regungen ausgepreſt wuͤrden. Dahingegen
die kalte Furcht das Hertze einzwaͤnge/ und
darmit auch allen Thraͤnen ihren Lauff ver-
ſtopffte. Rhemetalces nahm das Wort von
ihr und ſagte: Jch hoͤre wohl/ dieſe ſchoͤne Fuͤr-
ſtin ſey eine Beypflichterin des Plato/ wel-
cher der Seele nicht nur Fluͤgel/ ſondern auch
den Geiſtern leibliche Empfindungen zugeei-
gnet hat. Jſmene verſetzte: Jch bin zwar das
ungelehrteſte Kind in der Liebe/ und traue
daher meine darinnen vorfallende Jrrthuͤ-
mer nicht zu verfechten. Nichts deſto weni-
ger glaube ich/ daß die Seelen empfindli-
cher/ als die Leiber ſind; ja weil nichts
unbeſeeltes etwas fuͤhlet/ die Glieder

aber
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/377>, abgerufen am 10.05.2024.