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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Drittes Buch
[Spaltenumbruch] dieser augenblicklichen Veränderung unbe-
kandt war; sahen einander an/ nicht wissende:
Ob sie beyder Schrecknüß für eine Würckung
der Feindschafft/ oder Gewogenheit auslegen
solten/ biß der gleichsam aus einer Ohnmacht sich
erholende Zeno für der Erato auf die Knie sin-
ckende/ zu ruffen anfing: Jhr Götter! wür-
digt ihr den unglückseligsten Zeno/ daß er noch
einmahl den Schatten seiner Seelen-Beherr-
scherin erblicke? Oder ist Deutschland so glückse-
lig ein so wol getroffenes Fürbild der Armeni-
schen Königin zu besitzen? Die Königin Erato
erholete sich nun gleicher gestalt/ iedoch konte sie
sich nicht mäßigen ihn zu umarmen/ von der Er-
den aufzuheben/ und zu beantworten: Nein/
nein/ mein liebster Zeno; du siehest weder die
Armenische Königin/ noch ihren Schatten; a-
ber wol deine getreueste Erato. Zeno fing al-
sosort nach solcher Ausdrückung voller Bestür-
tzung an: O seltzame Bländung irrdischer Zu-
fälle! darf wol ein Verwürfling der Welt/ den
das Glücke nicht nur dreyer Kronen/ sondern
durch die in der Welt erschollene Erkäntnüß
Ariobarzanens für den Sohn des Polemon/
seines Standes/ seines eingebildeten Uhr-
sprungs beraubet/ dem das Verhängnüs nichts
als das Leben zu einer Straffe übrig gelassen/
seine Augen gegen einer so erlauchteten Sonne
aufzuheben sich erkühnen? oder darf der/ dem die
Götter selbst den Rücken gekehrt/ der sich weni-
ger als ein an die Ruderbanck geschmiedeter
Sclave auszuführen weiß/ ihm etwas von Treue
oder Liebe einer gekrönten Königin träumen las-
sen? Erato ließ hierüber entweder für Freuden/
oder für Mitleiden einen reichen Strom von
Thränen über die Wangen rinnen; und ant-
wortete ihm: Solte die/ welche vom Fürsten
Zeno in ihrer Erniedrigung/ ja ehe er sie geken-
net/ so hertzinniglich geliebt worden/ von ihm itzo
so leichtsinnig absetzen; nach dem sein Uhrsprung
von unserer Unwissenheit alleine verdecket
wird? Ventidius/ der die Ehre gehabt zum er-
[Spaltenumbruch] sten mahl in Rom über die Parther ein Siegs-
Gepränge zu halten/ der in eben dem Tage
des Königs Sohn erlegt/ als der edle Crassus
so viel tausend edle Römer eingebüsset/ hat sei-
nen Vater niemahls erfahren. Soll man
der Sonnen ihre Ehre entziehen/ wenn sie
Wolcken umbhüllen? Oder soll unsere reine-
ste Liebe sich in eine Ehrsucht verwandeln/ und
nicht auf die Tugend ihr Absehen haben/ son-
dern mit dem veränderlichen Glücke bald
diese/ bald jene Larve fürnehmen? Jch weiß
ja wohl/ daß irrdische Abzielungen einen
Menschen ihm selbst so unähnlich machen kön-
nen/ als er keinem frembden ist; daß die Ehr-
sucht heute mit der Fersen stöst/ die die
Schein-Liebe gestern geküsset; daß die itzt
wohlrüchenden Rosen uns morgen anstincken.
Aber die Götter werden meine Seele für dieser
Schwachheit/ oder vielmehr für diesem Schand-
flecke behüten; daß mein itziger Unbestand den
Anfang meiner reinen Liebe zur Heucheley ma-
chen; mich aber der Welt als ein Muster der
Leichtsinnigkeit fürstellen solte. Tugend und
Liebe sind beyde von so hoher Ankunfft/ daß ihr
alle Würden weichen/ alle Vortheil aus dem
Wege treten müssen. Zeno ward über so hold-
seliger Erklärung gantz auffs neue begeistert/
und nach dem er keine seine Regung genungsam-
ausdrückenden Worte fand/ seufzete er und küste
die Schnee-weissen Hände der itzt zweyfach be-
lebten Erato. Alle anwesenden Fürsten sahen
diesen und mehrern Liebes-Bezeugungen er-
freuet zu/ und ihre Zuneigung zu beyden Ver-
liebten machte sie ihrer Vergnügungen nicht
wenig theilhafftig. Denn die sonst so eiversüchti-
ge Liebe erlaubet gleichwol der Freundschafft/
daß diese sich über ihren Er getzligkeiten belusti-
gen möge. Und es ist ein Beysatz der Glück-
seligkeit/ wenn wir uns nicht allein selbst/ son-
dern auch andere glückselig schätzen. Wie nun
die Fürstin Thußnelde noch immer der Köni-
gin Erato die Thränen über die Wangen schüs-

sen

Drittes Buch
[Spaltenumbruch] dieſer augenblicklichen Veraͤnderung unbe-
kandt war; ſahen einander an/ nicht wiſſende:
Ob ſie beyder Schrecknuͤß fuͤr eine Wuͤrckung
der Feindſchafft/ oder Gewogenheit auslegen
ſolten/ biß der gleichſam aus einer Ohnmacht ſich
erholende Zeno fuͤr der Erato auf die Knie ſin-
ckende/ zu ruffen anfing: Jhr Goͤtter! wuͤr-
digt ihr den ungluͤckſeligſten Zeno/ daß er noch
einmahl den Schatten ſeiner Seelen-Beherr-
ſcherin erblicke? Oder iſt Deutſchland ſo gluͤckſe-
lig ein ſo wol getroffenes Fuͤrbild der Armeni-
ſchen Koͤnigin zu beſitzen? Die Koͤnigin Erato
erholete ſich nun gleicher geſtalt/ iedoch konte ſie
ſich nicht maͤßigen ihn zu umarmen/ von der Er-
den aufzuheben/ und zu beantworten: Nein/
nein/ mein liebſter Zeno; du ſieheſt weder die
Armeniſche Koͤnigin/ noch ihren Schatten; a-
ber wol deine getreueſte Erato. Zeno fing al-
ſoſort nach ſolcher Ausdruͤckung voller Beſtuͤr-
tzung an: O ſeltzame Blaͤndung irrdiſcher Zu-
faͤlle! darf wol ein Verwuͤrfling der Welt/ den
das Gluͤcke nicht nur dreyer Kronen/ ſondern
durch die in der Welt erſchollene Erkaͤntnuͤß
Ariobarzanens fuͤr den Sohn des Polemon/
ſeines Standes/ ſeines eingebildeten Uhr-
ſprungs beraubet/ dem das Verhaͤngnuͤs nichts
als das Leben zu einer Straffe uͤbrig gelaſſen/
ſeine Augen gegen einer ſo erlauchteten Sonne
aufzuheben ſich erkuͤhnen? oder darf der/ dem die
Goͤtter ſelbſt den Ruͤcken gekehrt/ der ſich weni-
ger als ein an die Ruderbanck geſchmiedeter
Sclave auszufuͤhꝛen weiß/ ihm etwas von Tꝛeue
oder Liebe einer gekroͤnten Koͤnigin traͤumen laſ-
ſen? Erato ließ hieruͤber entweder fuͤr Freuden/
oder fuͤr Mitleiden einen reichen Strom von
Thraͤnen uͤber die Wangen rinnen; und ant-
wortete ihm: Solte die/ welche vom Fuͤrſten
Zeno in ihrer Erniedrigung/ ja ehe er ſie geken-
net/ ſo hertzinniglich geliebt worden/ von ihm itzo
ſo leichtſinnig abſetzen; nach dem ſein Uhꝛſprung
von unſerer Unwiſſenheit alleine verdecket
wird? Ventidius/ der die Ehre gehabt zum er-
[Spaltenumbruch] ſten mahl in Rom uͤber die Parther ein Siegs-
Gepraͤnge zu halten/ der in eben dem Tage
des Koͤnigs Sohn erlegt/ als der edle Craſſus
ſo viel tauſend edle Roͤmer eingebuͤſſet/ hat ſei-
nen Vater niemahls erfahren. Soll man
der Sonnen ihre Ehre entziehen/ wenn ſie
Wolcken umbhuͤllen? Oder ſoll unſere reine-
ſte Liebe ſich in eine Ehrſucht verwandeln/ und
nicht auf die Tugend ihr Abſehen haben/ ſon-
dern mit dem veraͤnderlichen Gluͤcke bald
dieſe/ bald jene Larve fuͤrnehmen? Jch weiß
ja wohl/ daß irrdiſche Abzielungen einen
Menſchen ihm ſelbſt ſo unaͤhnlich machen koͤn-
nen/ als er keinem frembden iſt; daß die Ehr-
ſucht heute mit der Ferſen ſtoͤſt/ die die
Schein-Liebe geſtern gekuͤſſet; daß die itzt
wohlruͤchenden Roſen uns morgen anſtincken.
Aber die Goͤtter werden meine Seele fuͤr dieſer
Schwachheit/ oder vielmehr fuͤr dieſem Schand-
flecke behuͤten; daß mein itziger Unbeſtand den
Anfang meiner reinen Liebe zur Heucheley ma-
chen; mich aber der Welt als ein Muſter der
Leichtſinnigkeit fuͤrſtellen ſolte. Tugend und
Liebe ſind beyde von ſo hoher Ankunfft/ daß ihr
alle Wuͤrden weichen/ alle Vortheil aus dem
Wege treten muͤſſen. Zeno ward uͤber ſo hold-
ſeliger Erklaͤrung gantz auffs neue begeiſtert/
und nach dem eꝛ keine ſeine Regung genungſam-
ausdruͤckenden Worte fand/ ſeufzete er und kuͤſte
die Schnee-weiſſen Haͤnde der itzt zweyfach be-
lebten Erato. Alle anweſenden Fuͤrſten ſahen
dieſen und mehrern Liebes-Bezeugungen er-
freuet zu/ und ihre Zuneigung zu beyden Ver-
liebten machte ſie ihrer Vergnuͤgungen nicht
wenig theilhafftig. Denn die ſonſt ſo eiverſuͤchti-
ge Liebe erlaubet gleichwol der Freundſchafft/
daß dieſe ſich uͤber ihren Er getzligkeiten beluſti-
gen moͤge. Und es iſt ein Beyſatz der Gluͤck-
ſeligkeit/ wenn wir uns nicht allein ſelbſt/ ſon-
dern auch andere gluͤckſelig ſchaͤtzen. Wie nun
die Fuͤrſtin Thußnelde noch immer der Koͤni-
gin Erato die Thraͤnen uͤber die Wangen ſchuͤſ-

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[324/0376] Drittes Buch dieſer augenblicklichen Veraͤnderung unbe- kandt war; ſahen einander an/ nicht wiſſende: Ob ſie beyder Schrecknuͤß fuͤr eine Wuͤrckung der Feindſchafft/ oder Gewogenheit auslegen ſolten/ biß der gleichſam aus einer Ohnmacht ſich erholende Zeno fuͤr der Erato auf die Knie ſin- ckende/ zu ruffen anfing: Jhr Goͤtter! wuͤr- digt ihr den ungluͤckſeligſten Zeno/ daß er noch einmahl den Schatten ſeiner Seelen-Beherr- ſcherin erblicke? Oder iſt Deutſchland ſo gluͤckſe- lig ein ſo wol getroffenes Fuͤrbild der Armeni- ſchen Koͤnigin zu beſitzen? Die Koͤnigin Erato erholete ſich nun gleicher geſtalt/ iedoch konte ſie ſich nicht maͤßigen ihn zu umarmen/ von der Er- den aufzuheben/ und zu beantworten: Nein/ nein/ mein liebſter Zeno; du ſieheſt weder die Armeniſche Koͤnigin/ noch ihren Schatten; a- ber wol deine getreueſte Erato. Zeno fing al- ſoſort nach ſolcher Ausdruͤckung voller Beſtuͤr- tzung an: O ſeltzame Blaͤndung irrdiſcher Zu- faͤlle! darf wol ein Verwuͤrfling der Welt/ den das Gluͤcke nicht nur dreyer Kronen/ ſondern durch die in der Welt erſchollene Erkaͤntnuͤß Ariobarzanens fuͤr den Sohn des Polemon/ ſeines Standes/ ſeines eingebildeten Uhr- ſprungs beraubet/ dem das Verhaͤngnuͤs nichts als das Leben zu einer Straffe uͤbrig gelaſſen/ ſeine Augen gegen einer ſo erlauchteten Sonne aufzuheben ſich erkuͤhnen? oder darf der/ dem die Goͤtter ſelbſt den Ruͤcken gekehrt/ der ſich weni- ger als ein an die Ruderbanck geſchmiedeter Sclave auszufuͤhꝛen weiß/ ihm etwas von Tꝛeue oder Liebe einer gekroͤnten Koͤnigin traͤumen laſ- ſen? Erato ließ hieruͤber entweder fuͤr Freuden/ oder fuͤr Mitleiden einen reichen Strom von Thraͤnen uͤber die Wangen rinnen; und ant- wortete ihm: Solte die/ welche vom Fuͤrſten Zeno in ihrer Erniedrigung/ ja ehe er ſie geken- net/ ſo hertzinniglich geliebt worden/ von ihm itzo ſo leichtſinnig abſetzen; nach dem ſein Uhꝛſprung von unſerer Unwiſſenheit alleine verdecket wird? Ventidius/ der die Ehre gehabt zum er- ſten mahl in Rom uͤber die Parther ein Siegs- Gepraͤnge zu halten/ der in eben dem Tage des Koͤnigs Sohn erlegt/ als der edle Craſſus ſo viel tauſend edle Roͤmer eingebuͤſſet/ hat ſei- nen Vater niemahls erfahren. Soll man der Sonnen ihre Ehre entziehen/ wenn ſie Wolcken umbhuͤllen? Oder ſoll unſere reine- ſte Liebe ſich in eine Ehrſucht verwandeln/ und nicht auf die Tugend ihr Abſehen haben/ ſon- dern mit dem veraͤnderlichen Gluͤcke bald dieſe/ bald jene Larve fuͤrnehmen? Jch weiß ja wohl/ daß irrdiſche Abzielungen einen Menſchen ihm ſelbſt ſo unaͤhnlich machen koͤn- nen/ als er keinem frembden iſt; daß die Ehr- ſucht heute mit der Ferſen ſtoͤſt/ die die Schein-Liebe geſtern gekuͤſſet; daß die itzt wohlruͤchenden Roſen uns morgen anſtincken. Aber die Goͤtter werden meine Seele fuͤr dieſer Schwachheit/ oder vielmehr fuͤr dieſem Schand- flecke behuͤten; daß mein itziger Unbeſtand den Anfang meiner reinen Liebe zur Heucheley ma- chen; mich aber der Welt als ein Muſter der Leichtſinnigkeit fuͤrſtellen ſolte. Tugend und Liebe ſind beyde von ſo hoher Ankunfft/ daß ihr alle Wuͤrden weichen/ alle Vortheil aus dem Wege treten muͤſſen. Zeno ward uͤber ſo hold- ſeliger Erklaͤrung gantz auffs neue begeiſtert/ und nach dem eꝛ keine ſeine Regung genungſam- ausdruͤckenden Worte fand/ ſeufzete er und kuͤſte die Schnee-weiſſen Haͤnde der itzt zweyfach be- lebten Erato. Alle anweſenden Fuͤrſten ſahen dieſen und mehrern Liebes-Bezeugungen er- freuet zu/ und ihre Zuneigung zu beyden Ver- liebten machte ſie ihrer Vergnuͤgungen nicht wenig theilhafftig. Denn die ſonſt ſo eiverſuͤchti- ge Liebe erlaubet gleichwol der Freundſchafft/ daß dieſe ſich uͤber ihren Er getzligkeiten beluſti- gen moͤge. Und es iſt ein Beyſatz der Gluͤck- ſeligkeit/ wenn wir uns nicht allein ſelbſt/ ſon- dern auch andere gluͤckſelig ſchaͤtzen. Wie nun die Fuͤrſtin Thußnelde noch immer der Koͤni- gin Erato die Thraͤnen uͤber die Wangen ſchuͤſ- ſen

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/376>, abgerufen am 25.11.2024.