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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Drittes Buch
[Spaltenumbruch] aber nur vermittelst der Seelen Empfindligkeit
haben/ solte man fast die Leiber für unempfind-
lich halten/ die Empfindligkeit aber alleine der
Seele zueignen. Und ob wohl das Thränen-
Wasser kein selbst-ständiges Wesen der Seele
ist/ so scheint es doch so wenig ungereimt zu seyn/
daß man es für einen Brutt der Seele/ als den
Regen für ein Gemächte der die Dünste an sich
ziehenden Gestirne hält. Die Fürstin Thusnelde
pflichtete Jsmenen bey/ daß die Thränen-Ver-
giessung nicht aus einem Gebrechen des Leibes/
noch von einer übelen Beschaffenheit der Feuch-
tigkeiten/ sondern von der Bewegung der ver-
nünfftigen Seele gezeuget würden/ daher auch
kein ander Thier/ als der Mensch alleine ei-
gentlich weinen könte. Dieses aber wäre ihr
mehr nachdencklich: warum die so weise Natur
die Thränen so wohl zu Freuden-als Trauer-
Zeichen erkieset habe? Jubil antwortete: Viel-
leicht zu einer Unterrichtung/ daß das mensch-
liche Leben mit Freuden und Traurigkeit stets
abwechsele/ und unser Hertze in beyderley Be-
gebenheit einerley Gebehrdung und Empfind-
ligkeit haben solte. Aber/ wie kommt es/ daß
das Frauenzimmer zum weinen viel geneigter/
als die Männer sind? Thusnelde versetzte:
Vielleicht meinen einige/ daß die Weiber eine
Verwandschafft mit dem feuchten Monden/
die Männer mit der trockenen Sonne haben;
und jene daher auch kleiner und kälter sind/ und
also sie mehr Zeug zu Gebährung der Thrä-
nen in sich haben. Rhemetalces siel ihr ein:
Wo ihre Geburt der Seele zuzueignen ist/ kan
der Thränen Uberfluß aus nichts anderm her-
rühren/ als daß das Frauenzimmer eine zärte-
re und empfindlichere Seele/ also auch hefftige-
xe Gemüths-Regungen habe; und also auch
die Königin Erato dem Fürsten Zeno in der
Liebe und Freude überlegen sey. Salonine
hielt es ihrer Schuldigkeit zu seyn sie zu verre-
den/ und begegnete ihm: Jch glaube zwar/ die
Liebe sey eine ruhmswürdige Tugend/ denn
[Spaltenumbruch] sonst würden die Griechischen Welt-Weisen ihr
schwerlich zu Athen im Eingange ihrer hohen
Schule ein Altar aufgerichtet haben. Die-
semnach ihre Stärcke so sehr/ als die Grösse in
Perlen gerühmt zu werden verdienet. War-
um will man aber hierinnen dem Fürsten Zeno
seinen Preiß zweiffelhafft machen. Sintemal
ja die sich an ihm gezeigete Ohnmacht eine kräff-
tigere Entzückung der Liebe ist/ als die Thrä-
nen. Denn die Lebens-Geister/ die gleichsam
die Seele der Sinnen/ und der zweyte Anfang
des Lebens sind/ zerstreuen sich daselbst so sehr/
daß selbtes kein ander Merckmahl/ als ein
schwaches Hertz-Klopffen behält; welches
nichts anders/ als ein ängstiges Schlagen und
Hülffe-Ruffung der vergehenden Seele ist.
Diese Ohnmacht der Verliebten ereignet sich
nur bey der übermäßigen Begierde oder Freu-
de; wenn das Hertze auff einmahl alle seine
Pforten angelweit aufsperrt/ daß die Geister/
die so flüchtigen Werckleute der Bewegung/ die
Federn in dem Uhrwercke der Sinnen/ mit ei-
nem Hauffen heraus brechen um mit dem Ge-
liebten sich zu vereinbarn/ und hiermit dem
Hertzen alle Krafft/ und dem Liebenden schier
gar die Seele entziehn.

Unter diesem Gespräche verwandte Hertzog
Jubill bey nahe kein Auge von der mit dem
Fürsten Zeno sich unterhaltenden Erato. Denn
er empfand eine ihm unbekandte Regung über
der Schönheit und Großmüthigkeit dieser un-
vergleichlichen Königin. Der Feldherr aber
nahm für eine absondere Beglückseligung des
Himmels auf/ daß er nicht allein so eine grosse
Königin/ und einen so tapffern Fürsten in seine
Bekandtschafft kommen lassen; sondern daß sie
auch in seiner Burg/ die sie vielleicht für einen
traurigen Kercker angeblickt hätten/ durch ein
sonderbar Verhängnüß und ihre Vereinba-
rung alle Gemüths-Beschwerden ablegen kön-
ten/ die sich in ihrem beliebten Vaterlande an-
gesponnen hätten. Nach seinen und der an-

dern

Drittes Buch
[Spaltenumbruch] aber nur vermittelſt der Seelen Empfindligkeit
haben/ ſolte man faſt die Leiber fuͤr unempfind-
lich halten/ die Empfindligkeit aber alleine der
Seele zueignen. Und ob wohl das Thraͤnen-
Waſſer kein ſelbſt-ſtaͤndiges Weſen der Seele
iſt/ ſo ſcheint es doch ſo wenig ungereimt zu ſeyn/
daß man es fuͤr einen Brutt der Seele/ als den
Regen fuͤr ein Gemaͤchte der die Duͤnſte an ſich
ziehenden Geſtirne haͤlt. Die Fuͤrſtin Thuſnelde
pflichtete Jſmenen bey/ daß die Thraͤnen-Ver-
gieſſung nicht aus einem Gebrechen des Leibes/
noch von einer uͤbelen Beſchaffenheit der Feuch-
tigkeiten/ ſondern von der Bewegung der ver-
nuͤnfftigen Seele gezeuget wuͤrden/ daher auch
kein ander Thier/ als der Menſch alleine ei-
gentlich weinen koͤnte. Dieſes aber waͤre ihr
mehr nachdencklich: warum die ſo weiſe Natur
die Thraͤnen ſo wohl zu Freuden-als Trauer-
Zeichen erkieſet habe? Jubil antwortete: Viel-
leicht zu einer Unterrichtung/ daß das menſch-
liche Leben mit Freuden und Traurigkeit ſtets
abwechſele/ und unſer Hertze in beyderley Be-
gebenheit einerley Gebehrdung und Empfind-
ligkeit haben ſolte. Aber/ wie kommt es/ daß
das Frauenzimmer zum weinen viel geneigter/
als die Maͤnner ſind? Thuſnelde verſetzte:
Vielleicht meinen einige/ daß die Weiber eine
Verwandſchafft mit dem feuchten Monden/
die Maͤnner mit der trockenen Sonne haben;
und jene daher auch kleiner und kaͤlter ſind/ und
alſo ſie mehr Zeug zu Gebaͤhrung der Thraͤ-
nen in ſich haben. Rhemetalces ſiel ihr ein:
Wo ihre Geburt der Seele zuzueignen iſt/ kan
der Thraͤnen Uberfluß aus nichts anderm her-
ruͤhren/ als daß das Frauenzimmer eine zaͤrte-
re und empfindlichere Seele/ alſo auch hefftige-
xe Gemuͤths-Regungen habe; und alſo auch
die Koͤnigin Erato dem Fuͤrſten Zeno in der
Liebe und Freude uͤberlegen ſey. Salonine
hielt es ihrer Schuldigkeit zu ſeyn ſie zu verre-
den/ und begegnete ihm: Jch glaube zwar/ die
Liebe ſey eine ruhmswuͤrdige Tugend/ denn
[Spaltenumbruch] ſonſt wuͤrden die Griechiſchen Welt-Weiſen ihr
ſchwerlich zu Athen im Eingange ihrer hohen
Schule ein Altar aufgerichtet haben. Die-
ſemnach ihre Staͤrcke ſo ſehr/ als die Groͤſſe in
Perlen geruͤhmt zu werden verdienet. War-
um will man aber hierinnen dem Fuͤrſten Zeno
ſeinen Preiß zweiffelhafft machen. Sintemal
ja die ſich an ihm gezeigete Ohnmacht eine kraͤff-
tigere Entzuͤckung der Liebe iſt/ als die Thraͤ-
nen. Denn die Lebens-Geiſter/ die gleichſam
die Seele der Sinnen/ und der zweyte Anfang
des Lebens ſind/ zerſtreuen ſich daſelbſt ſo ſehr/
daß ſelbtes kein ander Merckmahl/ als ein
ſchwaches Hertz-Klopffen behaͤlt; welches
nichts anders/ als ein aͤngſtiges Schlagen und
Huͤlffe-Ruffung der vergehenden Seele iſt.
Dieſe Ohnmacht der Verliebten ereignet ſich
nur bey der uͤbermaͤßigen Begierde oder Freu-
de; wenn das Hertze auff einmahl alle ſeine
Pforten angelweit aufſperrt/ daß die Geiſter/
die ſo fluͤchtigen Werckleute der Bewegung/ die
Federn in dem Uhrwercke der Sinnen/ mit ei-
nem Hauffen heraus brechen um mit dem Ge-
liebten ſich zu vereinbarn/ und hiermit dem
Hertzen alle Krafft/ und dem Liebenden ſchier
gar die Seele entziehn.

Unter dieſem Geſpraͤche verwandte Hertzog
Jubill bey nahe kein Auge von der mit dem
Fuͤrſten Zeno ſich unterhaltenden Erato. Denn
er empfand eine ihm unbekandte Regung uͤber
der Schoͤnheit und Großmuͤthigkeit dieſer un-
vergleichlichen Koͤnigin. Der Feldherr aber
nahm fuͤr eine abſondere Begluͤckſeligung des
Himmels auf/ daß er nicht allein ſo eine groſſe
Koͤnigin/ und einen ſo tapffern Fuͤrſten in ſeine
Bekandtſchafft kommen laſſen; ſondern daß ſie
auch in ſeiner Burg/ die ſie vielleicht fuͤr einen
traurigen Kercker angeblickt haͤtten/ durch ein
ſonderbar Verhaͤngnuͤß und ihre Vereinba-
rung alle Gemuͤths-Beſchwerden ablegen koͤn-
ten/ die ſich in ihrem beliebten Vaterlande an-
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[326/0378] Drittes Buch aber nur vermittelſt der Seelen Empfindligkeit haben/ ſolte man faſt die Leiber fuͤr unempfind- lich halten/ die Empfindligkeit aber alleine der Seele zueignen. Und ob wohl das Thraͤnen- Waſſer kein ſelbſt-ſtaͤndiges Weſen der Seele iſt/ ſo ſcheint es doch ſo wenig ungereimt zu ſeyn/ daß man es fuͤr einen Brutt der Seele/ als den Regen fuͤr ein Gemaͤchte der die Duͤnſte an ſich ziehenden Geſtirne haͤlt. Die Fuͤrſtin Thuſnelde pflichtete Jſmenen bey/ daß die Thraͤnen-Ver- gieſſung nicht aus einem Gebrechen des Leibes/ noch von einer uͤbelen Beſchaffenheit der Feuch- tigkeiten/ ſondern von der Bewegung der ver- nuͤnfftigen Seele gezeuget wuͤrden/ daher auch kein ander Thier/ als der Menſch alleine ei- gentlich weinen koͤnte. Dieſes aber waͤre ihr mehr nachdencklich: warum die ſo weiſe Natur die Thraͤnen ſo wohl zu Freuden-als Trauer- Zeichen erkieſet habe? Jubil antwortete: Viel- leicht zu einer Unterrichtung/ daß das menſch- liche Leben mit Freuden und Traurigkeit ſtets abwechſele/ und unſer Hertze in beyderley Be- gebenheit einerley Gebehrdung und Empfind- ligkeit haben ſolte. Aber/ wie kommt es/ daß das Frauenzimmer zum weinen viel geneigter/ als die Maͤnner ſind? Thuſnelde verſetzte: Vielleicht meinen einige/ daß die Weiber eine Verwandſchafft mit dem feuchten Monden/ die Maͤnner mit der trockenen Sonne haben; und jene daher auch kleiner und kaͤlter ſind/ und alſo ſie mehr Zeug zu Gebaͤhrung der Thraͤ- nen in ſich haben. Rhemetalces ſiel ihr ein: Wo ihre Geburt der Seele zuzueignen iſt/ kan der Thraͤnen Uberfluß aus nichts anderm her- ruͤhren/ als daß das Frauenzimmer eine zaͤrte- re und empfindlichere Seele/ alſo auch hefftige- xe Gemuͤths-Regungen habe; und alſo auch die Koͤnigin Erato dem Fuͤrſten Zeno in der Liebe und Freude uͤberlegen ſey. Salonine hielt es ihrer Schuldigkeit zu ſeyn ſie zu verre- den/ und begegnete ihm: Jch glaube zwar/ die Liebe ſey eine ruhmswuͤrdige Tugend/ denn ſonſt wuͤrden die Griechiſchen Welt-Weiſen ihr ſchwerlich zu Athen im Eingange ihrer hohen Schule ein Altar aufgerichtet haben. Die- ſemnach ihre Staͤrcke ſo ſehr/ als die Groͤſſe in Perlen geruͤhmt zu werden verdienet. War- um will man aber hierinnen dem Fuͤrſten Zeno ſeinen Preiß zweiffelhafft machen. Sintemal ja die ſich an ihm gezeigete Ohnmacht eine kraͤff- tigere Entzuͤckung der Liebe iſt/ als die Thraͤ- nen. Denn die Lebens-Geiſter/ die gleichſam die Seele der Sinnen/ und der zweyte Anfang des Lebens ſind/ zerſtreuen ſich daſelbſt ſo ſehr/ daß ſelbtes kein ander Merckmahl/ als ein ſchwaches Hertz-Klopffen behaͤlt; welches nichts anders/ als ein aͤngſtiges Schlagen und Huͤlffe-Ruffung der vergehenden Seele iſt. Dieſe Ohnmacht der Verliebten ereignet ſich nur bey der uͤbermaͤßigen Begierde oder Freu- de; wenn das Hertze auff einmahl alle ſeine Pforten angelweit aufſperrt/ daß die Geiſter/ die ſo fluͤchtigen Werckleute der Bewegung/ die Federn in dem Uhrwercke der Sinnen/ mit ei- nem Hauffen heraus brechen um mit dem Ge- liebten ſich zu vereinbarn/ und hiermit dem Hertzen alle Krafft/ und dem Liebenden ſchier gar die Seele entziehn. Unter dieſem Geſpraͤche verwandte Hertzog Jubill bey nahe kein Auge von der mit dem Fuͤrſten Zeno ſich unterhaltenden Erato. Denn er empfand eine ihm unbekandte Regung uͤber der Schoͤnheit und Großmuͤthigkeit dieſer un- vergleichlichen Koͤnigin. Der Feldherr aber nahm fuͤr eine abſondere Begluͤckſeligung des Himmels auf/ daß er nicht allein ſo eine groſſe Koͤnigin/ und einen ſo tapffern Fuͤrſten in ſeine Bekandtſchafft kommen laſſen; ſondern daß ſie auch in ſeiner Burg/ die ſie vielleicht fuͤr einen traurigen Kercker angeblickt haͤtten/ durch ein ſonderbar Verhaͤngnuͤß und ihre Vereinba- rung alle Gemuͤths-Beſchwerden ablegen koͤn- ten/ die ſich in ihrem beliebten Vaterlande an- geſponnen haͤtten. Nach ſeinen und der an- dern

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/378>, abgerufen am 22.11.2024.