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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Ergäntzung des Schiffbruchs schwache Weiber
und zarte Mädgen erkiese. Zwar hätte die Für-
stin Erato alle Tugenden der Männer/ und kei-
ne Schwachheiten des weiblichen Geschlechts
an sich/ also/ daß sie länger als Semiramis ihr
Geschlechte würde verborgen halten können; a-
ber ihre Redligkeit vertrüge keine Larve/ ihre
Vollkommenheit dörffte keinen falschen Schein/
und sie wüste/ daß wie die zum Schein ange-
nommenen Tugenden schädlicher/ als die öffent-
lichen Laster/ also auch die Verstellungen seines
Geschlechtes Kennzeichen eigenen Mißtrau-
ens und verdächtige Bländungen der Arglist
wären. Mit diesem nachdrücklichen Einhalt
brachte es Artafernes bey denen ohne dis geneig-
ten Armeniern unschwer dahin/ daß sie die un-
vergleichliche Erato für eine rechtmäßige
Stuel-Erbin ihres Vaters Artaxias/ und für
eine Königin Armeniens erklärten/ ihr auch auf
der Wahlstatt/ als der Schau-Bühne ihrer
Wunderwercke die Krone auffsetzten. Massen
denn Ariobarzanes/ oder nunmehr Polemon
solche ihr als ein rechtmäßiges Erbtheil eigen-
beweglich abtrat. Nachdem zumahl die Göt-
ter ihm so unverhofft die Pontischen Königrei-
che zugeworffen hatten. Wiewohl kurtz hier-
auff die Meden/ nachdem sie vernahmen/ daß A-
riobarzanes nicht des Artavasdes Enckel/ son-
dern ein Fremder wäre/ und ein Geschrey aus-
kam/ daß er auff dem Rückwege nach Sinope
bey Durchschwemmung eines Flusses ertrun-
cken wäre/ sich seiner Herrschafft entschütteten/
und aus blosser Begierde der Neuigkeit sich lie-
ber einem Römischen Landvogte zum Sclaven
machen/ als eines tugendhafften Königs Unter-
thanen bleiben wolten. Hingegen ward die
Königin Erato zu Artaxata mit unbeschreibli-
chem Frohlocken des Volckes angenommen.
Als Salonine über dieser Erzehlung ein wenig
Athem holete/ fing die Fürstin Jsmene an:
Wenn ich am Ariobarzanes die unvermeidliche
[Spaltenumbruch] Entleibung seines Vaters Polemon/ am Pole-
mon die vergebliche Vorsorge diß zu vermeiden/
was ihm so vielmahl war geweissaget worden; an
der Fürstin Erato die ihr fast nie geträumte Er-
höhung bey mir erwege/ werde ich gleichsam wi-
der Willen zu glauben gezwungen/ daß der
Mensch nicht seines Glücks Schmied sey/ noch
daß sein Beginnen und desselbten Ausschläge ih-
ren Hang von seinem freyen Willen/ sondern
dieser einen unveränderlichen Zwang/ und al-
le Begebenheiten ihre Bewegung und Ge-
wichte von dem Verhängnisse habe. Denn ich
glaube nicht/ daß iemand unter uns noch so vor-
sichtig/ als Polemon ihm seinen Sohn vom Lei-
be gehalten; daß iemand unbarmhertziger/ als
Dynamis gegen ihr Kind gewest; daß einige un-
ter uns die ohne Meldung der Ursache geschehe-
ne Verweigerung seiner Braut unempstndli-
cher/ als Ariobarzanes/ auffgenommen/ oder sich
zu einem Vergleiche friedlicher geschickt hätte/
als das Verhängniß die Schlange schickte die
geschlossene Eintracht zu zerbeissen. Welch Bey-
spiel aber nicht nur alleine diese Meinung be-
glaubiget/ sondern sie sind unzehlbar; also musten
die doch so vorfichtigen Dorienser wider Willen
den Codrus umbringen/ und der sich doch für die-
sem ihm wahrgesagten Laster nach Rhodis flüch-
tende Althaemenes seinen ihm nachkommenden
Vater den König in Creta tödten. Salonine ant-
wortete: Manche Zufälle haben freylich wohl
den Schein/ als wenn sie von einer Nothwen-
digkeit des Verhängnisses herrührten/ in dem
die darwider angewehrten klügsten Anstalten
nichts fruchten/ die allermeisten aber zeigten
schier augenscheinlich/ daß sie nur ungefehr ge-
schehen/ daß Gott/ welcher insgemein als die
erste Ursache aller andern das Verhängniß
selbst wäre/ sich um die irrdischen Dinge zu be-
kümmern ihm allzu verkleinerlich hielte/ indem
sonst die Boßhafften nicht Schoos-Kinder/
die Frommen aber Verwürfflinge des blinden

Glücks

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Ergaͤntzung des Schiffbruchs ſchwache Weiber
und zarte Maͤdgen erkieſe. Zwar haͤtte die Fuͤr-
ſtin Erato alle Tugenden der Maͤnner/ und kei-
ne Schwachheiten des weiblichen Geſchlechts
an ſich/ alſo/ daß ſie laͤnger als Semiramis ihr
Geſchlechte wuͤrde verborgen halten koͤnnen; a-
ber ihre Redligkeit vertruͤge keine Larve/ ihre
Vollkom̃enheit doͤrffte keinen falſchen Schein/
und ſie wuͤſte/ daß wie die zum Schein ange-
nommenen Tugenden ſchaͤdlicher/ als die oͤffent-
lichen Laſter/ alſo auch die Verſtellungen ſeines
Geſchlechtes Kennzeichen eigenen Mißtrau-
ens und verdaͤchtige Blaͤndungen der Argliſt
waͤren. Mit dieſem nachdruͤcklichen Einhalt
brachte es Aꝛtafernes bey denen ohne dis geneig-
ten Armeniern unſchwer dahin/ daß ſie die un-
vergleichliche Erato fuͤr eine rechtmaͤßige
Stuel-Erbin ihres Vaters Artaxias/ und fuͤr
eine Koͤnigin Armeniens erklaͤrten/ ihr auch auf
der Wahlſtatt/ als der Schau-Buͤhne ihrer
Wunderwercke die Krone auffſetzten. Maſſen
denn Ariobarzanes/ oder nunmehr Polemon
ſolche ihr als ein rechtmaͤßiges Erbtheil eigen-
beweglich abtrat. Nachdem zumahl die Goͤt-
ter ihm ſo unverhofft die Pontiſchen Koͤnigrei-
che zugeworffen hatten. Wiewohl kurtz hier-
auff die Meden/ nachdem ſie vernahmen/ daß A-
riobarzanes nicht des Artavasdes Enckel/ ſon-
dern ein Fremder waͤre/ und ein Geſchrey aus-
kam/ daß er auff dem Ruͤckwege nach Sinope
bey Durchſchwemmung eines Fluſſes ertrun-
cken waͤre/ ſich ſeiner Herrſchafft entſchuͤtteten/
und aus bloſſer Begierde der Neuigkeit ſich lie-
ber einem Roͤmiſchen Landvogte zum Sclaven
machen/ als eines tugendhafften Koͤnigs Unter-
thanen bleiben wolten. Hingegen ward die
Koͤnigin Erato zu Artaxata mit unbeſchreibli-
chem Frohlocken des Volckes angenommen.
Als Salonine uͤber dieſer Erzehlung ein wenig
Athem holete/ fing die Fuͤrſtin Jſmene an:
Wenn ich am Ariobarzanes die unvermeidliche
[Spaltenumbruch] Entleibung ſeines Vaters Polemon/ am Pole-
mon die vergebliche Vorſorge diß zu vermeiden/
was ihm ſo vielmahl war geweiſſaget worden; an
der Fuͤrſtin Erato die ihr faſt nie getraͤumte Er-
hoͤhung bey mir erwege/ werde ich gleichſam wi-
der Willen zu glauben gezwungen/ daß der
Menſch nicht ſeines Gluͤcks Schmied ſey/ noch
daß ſein Begiñen und deſſelbten Ausſchlaͤge ih-
ren Hang von ſeinem freyen Willen/ ſondern
dieſer einen unveraͤnderlichen Zwang/ und al-
le Begebenheiten ihre Bewegung und Ge-
wichte von dem Verhaͤngniſſe habe. Denn ich
glaube nicht/ daß iemand unter uns noch ſo vor-
ſichtig/ als Polemon ihm ſeinen Sohn vom Lei-
be gehalten; daß iemand unbarmhertziger/ als
Dynamis gegen ihr Kind geweſt; daß einige un-
ter uns die ohne Meldung der Urſache geſchehe-
ne Verweigerung ſeiner Braut unempſtndli-
cher/ als Ariobarzanes/ auffgenommen/ oder ſich
zu einem Vergleiche friedlicher geſchickt haͤtte/
als das Verhaͤngniß die Schlange ſchickte die
geſchloſſene Eintracht zu zerbeiſſen. Welch Bey-
ſpiel aber nicht nur alleine dieſe Meinung be-
glaubiget/ ſondern ſie ſind unzehlbar; alſo muſten
die doch ſo vorfichtigen Dorienſer wider Willen
den Codrus umbringen/ und der ſich doch fuͤr die-
ſem ihm wahrgeſagten Laſter nach Rhodis fluͤch-
tende Althaemenes ſeinen ihm nachkommenden
Vateꝛ den Koͤnig in Creta toͤdten. Salonine ant-
wortete: Manche Zufaͤlle haben freylich wohl
den Schein/ als wenn ſie von einer Nothwen-
digkeit des Verhaͤngniſſes herruͤhrten/ in dem
die darwider angewehrten kluͤgſten Anſtalten
nichts fruchten/ die allermeiſten aber zeigten
ſchier augenſcheinlich/ daß ſie nur ungefehr ge-
ſchehen/ daß Gott/ welcher insgemein als die
erſte Urſache aller andern das Verhaͤngniß
ſelbſt waͤre/ ſich um die irrdiſchen Dinge zu be-
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ſonſt die Boßhafften nicht Schoos-Kinder/
die Frommen aber Verwuͤrfflinge des blinden

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[295/0347] Arminius und Thußnelda. Ergaͤntzung des Schiffbruchs ſchwache Weiber und zarte Maͤdgen erkieſe. Zwar haͤtte die Fuͤr- ſtin Erato alle Tugenden der Maͤnner/ und kei- ne Schwachheiten des weiblichen Geſchlechts an ſich/ alſo/ daß ſie laͤnger als Semiramis ihr Geſchlechte wuͤrde verborgen halten koͤnnen; a- ber ihre Redligkeit vertruͤge keine Larve/ ihre Vollkom̃enheit doͤrffte keinen falſchen Schein/ und ſie wuͤſte/ daß wie die zum Schein ange- nommenen Tugenden ſchaͤdlicher/ als die oͤffent- lichen Laſter/ alſo auch die Verſtellungen ſeines Geſchlechtes Kennzeichen eigenen Mißtrau- ens und verdaͤchtige Blaͤndungen der Argliſt waͤren. Mit dieſem nachdruͤcklichen Einhalt brachte es Aꝛtafernes bey denen ohne dis geneig- ten Armeniern unſchwer dahin/ daß ſie die un- vergleichliche Erato fuͤr eine rechtmaͤßige Stuel-Erbin ihres Vaters Artaxias/ und fuͤr eine Koͤnigin Armeniens erklaͤrten/ ihr auch auf der Wahlſtatt/ als der Schau-Buͤhne ihrer Wunderwercke die Krone auffſetzten. Maſſen denn Ariobarzanes/ oder nunmehr Polemon ſolche ihr als ein rechtmaͤßiges Erbtheil eigen- beweglich abtrat. Nachdem zumahl die Goͤt- ter ihm ſo unverhofft die Pontiſchen Koͤnigrei- che zugeworffen hatten. Wiewohl kurtz hier- auff die Meden/ nachdem ſie vernahmen/ daß A- riobarzanes nicht des Artavasdes Enckel/ ſon- dern ein Fremder waͤre/ und ein Geſchrey aus- kam/ daß er auff dem Ruͤckwege nach Sinope bey Durchſchwemmung eines Fluſſes ertrun- cken waͤre/ ſich ſeiner Herrſchafft entſchuͤtteten/ und aus bloſſer Begierde der Neuigkeit ſich lie- ber einem Roͤmiſchen Landvogte zum Sclaven machen/ als eines tugendhafften Koͤnigs Unter- thanen bleiben wolten. Hingegen ward die Koͤnigin Erato zu Artaxata mit unbeſchreibli- chem Frohlocken des Volckes angenommen. Als Salonine uͤber dieſer Erzehlung ein wenig Athem holete/ fing die Fuͤrſtin Jſmene an: Wenn ich am Ariobarzanes die unvermeidliche Entleibung ſeines Vaters Polemon/ am Pole- mon die vergebliche Vorſorge diß zu vermeiden/ was ihm ſo vielmahl war geweiſſaget worden; an der Fuͤrſtin Erato die ihr faſt nie getraͤumte Er- hoͤhung bey mir erwege/ werde ich gleichſam wi- der Willen zu glauben gezwungen/ daß der Menſch nicht ſeines Gluͤcks Schmied ſey/ noch daß ſein Begiñen und deſſelbten Ausſchlaͤge ih- ren Hang von ſeinem freyen Willen/ ſondern dieſer einen unveraͤnderlichen Zwang/ und al- le Begebenheiten ihre Bewegung und Ge- wichte von dem Verhaͤngniſſe habe. Denn ich glaube nicht/ daß iemand unter uns noch ſo vor- ſichtig/ als Polemon ihm ſeinen Sohn vom Lei- be gehalten; daß iemand unbarmhertziger/ als Dynamis gegen ihr Kind geweſt; daß einige un- ter uns die ohne Meldung der Urſache geſchehe- ne Verweigerung ſeiner Braut unempſtndli- cher/ als Ariobarzanes/ auffgenommen/ oder ſich zu einem Vergleiche friedlicher geſchickt haͤtte/ als das Verhaͤngniß die Schlange ſchickte die geſchloſſene Eintracht zu zerbeiſſen. Welch Bey- ſpiel aber nicht nur alleine dieſe Meinung be- glaubiget/ ſondern ſie ſind unzehlbar; alſo muſten die doch ſo vorfichtigen Dorienſer wider Willen den Codrus umbringen/ und der ſich doch fuͤr die- ſem ihm wahrgeſagten Laſter nach Rhodis fluͤch- tende Althaemenes ſeinen ihm nachkommenden Vateꝛ den Koͤnig in Creta toͤdten. Salonine ant- wortete: Manche Zufaͤlle haben freylich wohl den Schein/ als wenn ſie von einer Nothwen- digkeit des Verhaͤngniſſes herruͤhrten/ in dem die darwider angewehrten kluͤgſten Anſtalten nichts fruchten/ die allermeiſten aber zeigten ſchier augenſcheinlich/ daß ſie nur ungefehr ge- ſchehen/ daß Gott/ welcher insgemein als die erſte Urſache aller andern das Verhaͤngniß ſelbſt waͤre/ ſich um die irrdiſchen Dinge zu be- kuͤmmern ihm allzu verkleinerlich hielte/ indem ſonſt die Boßhafften nicht Schoos-Kinder/ die Frommen aber Verwuͤrfflinge des blinden Gluͤcks

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/347>, abgerufen am 22.11.2024.