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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] so gerne die Sonne/ wenn sie zu Golde gehet/
ihren Untergang mit Wolcken verhüllet. E-
rato gerieth über dieser Begebenheit in solche
Verwirrung/ daß ihre Beredsamkeit nicht ein
Wort/ weniger so viel/ als der Sterbende zu
reden wuste. Jhre Verwirrung verwandel-
te sich in tieffe Seufzer. Denn diese sind al-
leine der Liebe stumme Sprache/ wie die Blässe
ihre eigentliche Farbe. Schmertz und Trau-
rigkeit aber wird von ihr nur zu ihren Dollmet-
schern entlehnet. Massen denn die Unglück-
seligen niemals seuffzen/ als wenn sie an den
Verlust dessen dencken/ was sie geliebt haben.
So bald sich die Lippen/ wordurch ihr bedräng-
tes Hertze die innerliche Hitze ausgelassen und
die frische Lufft zu desselben Abkühlung an sich
gezogen hatte/ schlossen/ liessen die mitleidentli-
chen Augen einen reichen Thau der Thränen
von sich fallen/ um hierdurch gleichsam das äng-
stige Hertze zu erleichtern. Denn wie die von
der anbrechenden Morgenröthe verursachte
Dämmerung sich bey der über unserm Augen-
Ziel empor zeigenden Sonnen in hellen Tag
verwandelt; also ward der Erato vorige Ge-
wogenheit durch das ihr aufgesteckte Licht von
des Fürsten Geschlechte numehr zu einer war-
hafften Liebe. So sehr nun die Schamhaff-
tigkeit ihres Geschlechtes ihr verbot solche also-
fort mercken zu lassen; so sehr lag ihr der er-
bärmliche Zustand des Fürsten/ und die Gefahr
seines Lebens an/ durch eine unbarmhertzige
Vorstellung ihm das Licht nicht vollends aus-
zuleschen. Die bekümmerte Dynamis nahm
diese Veränderung für eine Enteuserung ihrer
Zuneigung an/ deßwegen wolte sie durch eine
feurige Zuredung einer kaltsinnigen Entschlüs-
sung zuvor kommen; kehrte sich dahero mit die-
sen Worten zu ihr: Holdseligste Erato/ sie sie-
het allhier die Gewalt der Liebe/ daß ihre Fackel
die Ketten eigener Wolfarth/ die Garne des
Glückes/ ja die Leib und Seele zusammen
knüpfenden Fädeme verbrennen können. Jn
[Spaltenumbruch] ihrer Gütigkeit liegt es nun zu zeigen/ daß die
Liebe zwar so starck als der Tod/ aber nicht des
Todes Liebhaberin sey; ja daß die ungewaffne-
te Liebe Gifft/ Eisen und allen Werckzeug des
Todes zu zermalmen vermöge. Sie erweise/
daß ihre Hände gesund machen können/ was ih-
re Augen gekräncket/ daß ihre Freundligkeit
heile/ was ihre Schönheit verwundet/ ja daß sie
mit einem süssen Blicke zwey Wunderwercke
auszuüben vermöge; nehmlich einen todten
Verliebten lebendig/ und eine verzweiffelnde
Mutter glückselig machen. Der Erato brach
über diesen Worten und denen darauf sich er-
giessenden Mutter-Thränen das Hertze/ und
bezwang sie/ daß sie dem Fürsten auf ihre Ge-
walt die Hand drückte. Denn nach dem die
Vereinbarung der Seelen der einige Zweck
der Liebe/ wie die Ruhe die Endursache aller
Bewegungen ist; so bemühen sich auch die eu-
sersten Glieder solcher Seelen-Vereinbarung
behülfflich zu seyn. Weßwegen die Weltwei-
sen die Liebe gar nachdencklich mit einem Ban-
de in der Hand ab gebildet haben. Erato deu-
tete durch diese Vermählung der Hände an/ daß
sie so gar ihren Leib gerne mit des Fürsten zu-
sammen schmeltzen wolte/ wormit sie mit ihm
den Brand seiner Kranckheit fühlen/ oder ihm
erleichtern möchte. Sintemahl auch nur auf-
richtige Freundschafft eine Gemeinschafft so
wohl des Glück-als Unglücks hat. Theseus
setzt dem Pirithous alle seine Siegs-Kräntze
auf/ ja die Hölle weiß sie nicht von einander zu
trennen. Bias fühlet so empfindlich die Be-
raubung seines Vaterlandes/ ungeachtet er für
sich die Entsetzung irrdischer Güter für keinen
Verlust hält; er empfindet seiner Bürger
Schiffbruch auf festem Lande; die Ketten/ wel-
che seine Freunde in Schenckeln schleppen/
fässeln ihn im Gemüthe und in der Seele. Mit
dieser umschloß der Fürst hingegen noch enger
seine geliebte Erato/ weil seine Glieder hierzu
zu ohnmächtig waren/ machte sich also der

Son-
Erster Theil. M m

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ſo gerne die Sonne/ wenn ſie zu Golde gehet/
ihren Untergang mit Wolcken verhuͤllet. E-
rato gerieth uͤber dieſer Begebenheit in ſolche
Verwirrung/ daß ihre Beredſamkeit nicht ein
Wort/ weniger ſo viel/ als der Sterbende zu
reden wuſte. Jhre Verwirrung verwandel-
te ſich in tieffe Seufzer. Denn dieſe ſind al-
leine der Liebe ſtumme Sprache/ wie die Blaͤſſe
ihre eigentliche Farbe. Schmertz und Trau-
rigkeit aber wird von ihr nur zu ihren Dollmet-
ſchern entlehnet. Maſſen denn die Ungluͤck-
ſeligen niemals ſeuffzen/ als wenn ſie an den
Verluſt deſſen dencken/ was ſie geliebt haben.
So bald ſich die Lippen/ wordurch ihr bedraͤng-
tes Hertze die innerliche Hitze ausgelaſſen und
die friſche Lufft zu deſſelben Abkuͤhlung an ſich
gezogen hatte/ ſchloſſen/ lieſſen die mitleidentli-
chen Augen einen reichen Thau der Thraͤnen
von ſich fallen/ um hierdurch gleichſam das aͤng-
ſtige Hertze zu erleichtern. Denn wie die von
der anbrechenden Morgenroͤthe verurſachte
Daͤmmerung ſich bey der uͤber unſerm Augen-
Ziel empor zeigenden Sonnen in hellen Tag
verwandelt; alſo ward der Erato vorige Ge-
wogenheit durch das ihr aufgeſteckte Licht von
des Fuͤrſten Geſchlechte numehr zu einer war-
hafften Liebe. So ſehr nun die Schamhaff-
tigkeit ihres Geſchlechtes ihr verbot ſolche alſo-
fort mercken zu laſſen; ſo ſehr lag ihr der er-
baͤrmliche Zuſtand des Fuͤrſten/ und die Gefahr
ſeines Lebens an/ durch eine unbarmhertzige
Vorſtellung ihm das Licht nicht vollends aus-
zuleſchen. Die bekuͤmmerte Dynamis nahm
dieſe Veraͤnderung fuͤr eine Enteuſerung ihrer
Zuneigung an/ deßwegen wolte ſie durch eine
feurige Zuredung einer kaltſinnigen Entſchluͤſ-
ſung zuvor kommen; kehrte ſich dahero mit die-
ſen Worten zu ihr: Holdſeligſte Erato/ ſie ſie-
het allhier die Gewalt der Liebe/ daß ihre Fackel
die Ketten eigener Wolfarth/ die Garne des
Gluͤckes/ ja die Leib und Seele zuſammen
knuͤpfenden Faͤdeme verbrennen koͤnnen. Jn
[Spaltenumbruch] ihrer Guͤtigkeit liegt es nun zu zeigen/ daß die
Liebe zwar ſo ſtarck als der Tod/ aber nicht des
Todes Liebhaberin ſey; ja daß die ungewaffne-
te Liebe Gifft/ Eiſen und allen Werckzeug des
Todes zu zermalmen vermoͤge. Sie erweiſe/
daß ihre Haͤnde geſund machen koͤnnen/ was ih-
re Augen gekraͤncket/ daß ihre Freundligkeit
heile/ was ihre Schoͤnheit verwundet/ ja daß ſie
mit einem ſuͤſſen Blicke zwey Wunderwercke
auszuuͤben vermoͤge; nehmlich einen todten
Verliebten lebendig/ und eine verzweiffelnde
Mutter gluͤckſelig machen. Der Erato brach
uͤber dieſen Worten und denen darauf ſich er-
gieſſenden Mutter-Thraͤnen das Hertze/ und
bezwang ſie/ daß ſie dem Fuͤrſten auf ihre Ge-
walt die Hand druͤckte. Denn nach dem die
Vereinbarung der Seelen der einige Zweck
der Liebe/ wie die Ruhe die Endurſache aller
Bewegungen iſt; ſo bemuͤhen ſich auch die eu-
ſerſten Glieder ſolcher Seelen-Vereinbarung
behuͤlfflich zu ſeyn. Weßwegen die Weltwei-
ſen die Liebe gar nachdencklich mit einem Ban-
de in der Hand ab gebildet haben. Erato deu-
tete durch dieſe Vermaͤhlung der Haͤnde an/ daß
ſie ſo gar ihren Leib gerne mit des Fuͤrſten zu-
ſammen ſchmeltzen wolte/ wormit ſie mit ihm
den Brand ſeiner Kranckheit fuͤhlen/ oder ihm
erleichtern moͤchte. Sintemahl auch nur auf-
richtige Freundſchafft eine Gemeinſchafft ſo
wohl des Gluͤck-als Ungluͤcks hat. Theſeus
ſetzt dem Pirithous alle ſeine Siegs-Kraͤntze
auf/ ja die Hoͤlle weiß ſie nicht von einander zu
trennen. Bias fuͤhlet ſo empfindlich die Be-
raubung ſeines Vaterlandes/ ungeachtet er fuͤr
ſich die Entſetzung irrdiſcher Guͤter fuͤr keinen
Verluſt haͤlt; er empfindet ſeiner Buͤrger
Schiffbruch auf feſtem Lande; die Ketten/ wel-
che ſeine Freunde in Schenckeln ſchleppen/
faͤſſeln ihn im Gemuͤthe und in der Seele. Mit
dieſer umſchloß der Fuͤrſt hingegen noch enger
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zu ohnmaͤchtig waren/ machte ſich alſo der

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Erſter Theil. M m
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[273/0325] Arminius und Thußnelda. ſo gerne die Sonne/ wenn ſie zu Golde gehet/ ihren Untergang mit Wolcken verhuͤllet. E- rato gerieth uͤber dieſer Begebenheit in ſolche Verwirrung/ daß ihre Beredſamkeit nicht ein Wort/ weniger ſo viel/ als der Sterbende zu reden wuſte. Jhre Verwirrung verwandel- te ſich in tieffe Seufzer. Denn dieſe ſind al- leine der Liebe ſtumme Sprache/ wie die Blaͤſſe ihre eigentliche Farbe. Schmertz und Trau- rigkeit aber wird von ihr nur zu ihren Dollmet- ſchern entlehnet. Maſſen denn die Ungluͤck- ſeligen niemals ſeuffzen/ als wenn ſie an den Verluſt deſſen dencken/ was ſie geliebt haben. So bald ſich die Lippen/ wordurch ihr bedraͤng- tes Hertze die innerliche Hitze ausgelaſſen und die friſche Lufft zu deſſelben Abkuͤhlung an ſich gezogen hatte/ ſchloſſen/ lieſſen die mitleidentli- chen Augen einen reichen Thau der Thraͤnen von ſich fallen/ um hierdurch gleichſam das aͤng- ſtige Hertze zu erleichtern. Denn wie die von der anbrechenden Morgenroͤthe verurſachte Daͤmmerung ſich bey der uͤber unſerm Augen- Ziel empor zeigenden Sonnen in hellen Tag verwandelt; alſo ward der Erato vorige Ge- wogenheit durch das ihr aufgeſteckte Licht von des Fuͤrſten Geſchlechte numehr zu einer war- hafften Liebe. So ſehr nun die Schamhaff- tigkeit ihres Geſchlechtes ihr verbot ſolche alſo- fort mercken zu laſſen; ſo ſehr lag ihr der er- baͤrmliche Zuſtand des Fuͤrſten/ und die Gefahr ſeines Lebens an/ durch eine unbarmhertzige Vorſtellung ihm das Licht nicht vollends aus- zuleſchen. Die bekuͤmmerte Dynamis nahm dieſe Veraͤnderung fuͤr eine Enteuſerung ihrer Zuneigung an/ deßwegen wolte ſie durch eine feurige Zuredung einer kaltſinnigen Entſchluͤſ- ſung zuvor kommen; kehrte ſich dahero mit die- ſen Worten zu ihr: Holdſeligſte Erato/ ſie ſie- het allhier die Gewalt der Liebe/ daß ihre Fackel die Ketten eigener Wolfarth/ die Garne des Gluͤckes/ ja die Leib und Seele zuſammen knuͤpfenden Faͤdeme verbrennen koͤnnen. Jn ihrer Guͤtigkeit liegt es nun zu zeigen/ daß die Liebe zwar ſo ſtarck als der Tod/ aber nicht des Todes Liebhaberin ſey; ja daß die ungewaffne- te Liebe Gifft/ Eiſen und allen Werckzeug des Todes zu zermalmen vermoͤge. Sie erweiſe/ daß ihre Haͤnde geſund machen koͤnnen/ was ih- re Augen gekraͤncket/ daß ihre Freundligkeit heile/ was ihre Schoͤnheit verwundet/ ja daß ſie mit einem ſuͤſſen Blicke zwey Wunderwercke auszuuͤben vermoͤge; nehmlich einen todten Verliebten lebendig/ und eine verzweiffelnde Mutter gluͤckſelig machen. Der Erato brach uͤber dieſen Worten und denen darauf ſich er- gieſſenden Mutter-Thraͤnen das Hertze/ und bezwang ſie/ daß ſie dem Fuͤrſten auf ihre Ge- walt die Hand druͤckte. Denn nach dem die Vereinbarung der Seelen der einige Zweck der Liebe/ wie die Ruhe die Endurſache aller Bewegungen iſt; ſo bemuͤhen ſich auch die eu- ſerſten Glieder ſolcher Seelen-Vereinbarung behuͤlfflich zu ſeyn. Weßwegen die Weltwei- ſen die Liebe gar nachdencklich mit einem Ban- de in der Hand ab gebildet haben. Erato deu- tete durch dieſe Vermaͤhlung der Haͤnde an/ daß ſie ſo gar ihren Leib gerne mit des Fuͤrſten zu- ſammen ſchmeltzen wolte/ wormit ſie mit ihm den Brand ſeiner Kranckheit fuͤhlen/ oder ihm erleichtern moͤchte. Sintemahl auch nur auf- richtige Freundſchafft eine Gemeinſchafft ſo wohl des Gluͤck-als Ungluͤcks hat. Theſeus ſetzt dem Pirithous alle ſeine Siegs-Kraͤntze auf/ ja die Hoͤlle weiß ſie nicht von einander zu trennen. Bias fuͤhlet ſo empfindlich die Be- raubung ſeines Vaterlandes/ ungeachtet er fuͤr ſich die Entſetzung irrdiſcher Guͤter fuͤr keinen Verluſt haͤlt; er empfindet ſeiner Buͤrger Schiffbruch auf feſtem Lande; die Ketten/ wel- che ſeine Freunde in Schenckeln ſchleppen/ faͤſſeln ihn im Gemuͤthe und in der Seele. Mit dieſer umſchloß der Fuͤrſt hingegen noch enger ſeine geliebte Erato/ weil ſeine Glieder hierzu zu ohnmaͤchtig waren/ machte ſich alſo der Son- Erſter Theil. M m

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/325>, abgerufen am 08.05.2024.