Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Drittes Buch [Spaltenumbruch]
Eitelkeit verfinstert werden. Die Tugend al-leine sey/ die uns nicht nur nach dem Tode vere- wige/ sondern auch im Leben aus augenscheinli- chem Verderben reisse. Ja sie glaube festiglich/ daß die Gefahr für der Tapfferkeit schichtern werde/ daß der sonst unverschämte Tod für Helden ent- weder furchtsam oder ehrerbietig sey/ und das Glücke selbst der Tugend den Schirm trage/ und einen Schild fürhalte; Sonst wäre Hercu- les nicht den Schlangen/ Käyser Julius dem Ungewitter/ Alexander den Spiessen so vielmal entronnen/ für dem grossen Mithridates nicht das Gifft unkräfftig worden/ und die Pfeile für seine Füsse gefallen. Unter diese Reihe wä- re nun auch Fürst Zeno zu rechnen/ daher solte sie seinethalben mehr die Götter durch An- dacht gewinnen/ als durch Ungedult erherben. Ach! fieng die Königin Dynamis an/ so muß ich die unver gleichliche Fürstin Erato auch unter die Zahl der Götter setzen/ und ihr den Tempel des Esculapius einweihen. Denn an ihrem Fin- ger hänget der Lebens-Faden meines Sohnes/ welchen ihre Gewogenheit als eine gütige Klo- tho länger spinnen/ ihre Unhold aber/ als eine unerbittliche Atropos im Augenblicke zerreissen kan. Erato wuste nicht alsofort dieses Rätzel auszulegen. Denn ob zwar der Königin Erzeh- lung ein grosses Licht gab/ warum die Natur sie und Arsinoen zu einer verwechselten Gewogen- heit gezogen/ und Arsinoe bey Entblössung ihrer Brüste so grosse Veränderung gefühlet hatte/ so war ihr doch verborgen/ dz Dynamis diese Heim- ligkeit von ihrem fast schon sterbenden Sohne ausgespüret hatte. Dahero konte sie nicht anders/ als gegen der Königin sich heraus lassen: die Wohlthaten/ die sie genossen/ wären von einem so grossen Masse/ daß ihre Danckbarkeit sie nim- mermehr ausschöpffen könte. Ausser dem Ver- pflichteten die Verdienste ihres Sohnes die gantze Welt für seine Erhaltung zu sorgen; also wünschte sie auch mit ihrem Verlust selbtem zu helffen/ erwartete also nur den Befehl von der- [Spaltenumbruch] selben/ welche ihrer Schwachheit ein so grosses Ding zutraute. Alleine die Hoffnung wäre meist eine grosse Verfälscherin der Warheit/ in dem die Einbildung sich stets mit dem Verlan- gen vermählte/ und geringe Kräfften nach dem Masse des genommenen Absehens urtheilete. Die Königin antwortete ihr: Es ist wahr/ daß sich Vollkommenheiten leichter in Gedancken abbilden/ als im Werck erreichen lassen; aber ich wil ihr/ schönste Erato/ nicht allein das Wunder- werck und die Würckung ihrer Vollkommen- heit/ sondern auch ihr Vermögen einen Ster- benden lebendig zu machen so klar zeigen/ daß sie das erste wird mit Augen sehen können/ im letz- ten aber sich überwiesen erkennen müssen. Hier- mit nahm Dynamis die Erato mit der Hand und führte sie für des Zeno Bette/ welcher denn alsofort seine Farbe und Pulß zu verändern/ und weil die Zunge zu schwach oder zu ver- schämt war/ mit den Augen das Leiden seiner Seele auszusprechen anfing. Hiemit hob die Königin wehmüthig an: Siehet sie nun/ voll- kommenste Erato/ daß die Wunden meines nun fast die Seele ausblasenden Sohnes von ihrer Verletzung herrühren? Daß ihre Tugen- den anfangs mit einer unzertrennlichen Freund- schafft sein Hertz gewonnen/ ihre unver gleichliche Schönheit aber selbtes durch die Liebe in ein un- auslöschliches Feuer versetzt hat? Wie schwach Fürst Zeno gleich war/ so erholte er sich doch gleich als aus einem Traume/ also daß seine zit- ternde Lippen nach einem tieffen Seuffzer diese Worte abliessen: Jhr Götter! hat Dynamis das Geheimniß meines Geschlechts/ ihr aber meine allen Menschen verschwiegene Flamme des Hertzens ans Licht gebracht? Wormit durch das erste unser Haus in Schrecken oder Zerrüt- tung versetzet/ durch das letztere aber der Welt wissend werde/ daß Zeno von der Hand der unschuldigen Erato getödtet sey. Welches Ge- heimniß ich/ um eine solche Göttin nicht zu belei- digen/ so gerne mit in das Grab genommen hätte/ so ger-
Drittes Buch [Spaltenumbruch]
Eitelkeit verfinſtert werden. Die Tugend al-leine ſey/ die uns nicht nur nach dem Tode vere- wige/ ſondern auch im Leben aus augenſcheinli- chem Verderbẽ reiſſe. Ja ſie glaube feſtiglich/ daß die Gefahr fuͤr der Tapfferkeit ſchichtern werde/ daß der ſonſt unverſchaͤmte Tod fuͤr Helden ent- weder furchtſam oder ehrerbietig ſey/ und das Gluͤcke ſelbſt der Tugend den Schirm trage/ und einen Schild fuͤrhalte; Sonſt waͤre Hercu- les nicht den Schlangen/ Kaͤyſer Julius dem Ungewitter/ Alexander den Spieſſen ſo vielmal entronnen/ fuͤr dem groſſen Mithridates nicht das Gifft unkraͤfftig worden/ und die Pfeile fuͤr ſeine Fuͤſſe gefallen. Unter dieſe Reihe waͤ- re nun auch Fuͤrſt Zeno zu rechnen/ daher ſolte ſie ſeinethalben mehr die Goͤtter durch An- dacht gewinnen/ als durch Ungedult erherben. Ach! fieng die Koͤnigin Dynamis an/ ſo muß ich die unver gleichliche Fuͤrſtin Erato auch unter die Zahl der Goͤtter ſetzen/ und ihr den Tempel des Eſculapius einweihen. Denn an ihrem Fin- ger haͤnget der Lebens-Faden meines Sohnes/ welchen ihre Gewogenheit als eine guͤtige Klo- tho laͤnger ſpinnen/ ihre Unhold aber/ als eine unerbittliche Atropos im Augenblicke zerreiſſen kan. Erato wuſte nicht alſofort dieſes Raͤtzel auszulegen. Denn ob zwar der Koͤnigin Erzeh- lung ein groſſes Licht gab/ warum die Natur ſie und Arſinoen zu einer verwechſelten Gewogen- heit gezogen/ und Arſinoe bey Entbloͤſſung ihrer Bruͤſte ſo groſſe Veraͤnderung gefuͤhlet hatte/ ſo waꝛ ihr doch verborgen/ dz Dynamis dieſe Heim- ligkeit von ihrem faſt ſchon ſterbenden Sohne ausgeſpuͤꝛet hatte. Daheꝛo konte ſie nicht anders/ als gegen der Koͤnigin ſich heraus laſſen: die Wohlthaten/ die ſie genoſſen/ waͤren von einem ſo groſſen Maſſe/ daß ihre Danckbarkeit ſie nim- mermehr ausſchoͤpffen koͤnte. Auſſer dem Ver- pflichteten die Verdienſte ihres Sohnes die gantze Welt fuͤr ſeine Erhaltung zu ſorgen; alſo wuͤnſchte ſie auch mit ihrem Verluſt ſelbtem zu helffen/ erwartete alſo nur den Befehl von der- [Spaltenumbruch] ſelben/ welche ihrer Schwachheit ein ſo groſſes Ding zutraute. Alleine die Hoffnung waͤre meiſt eine groſſe Verfaͤlſcherin der Warheit/ in dem die Einbildung ſich ſtets mit dem Verlan- gen vermaͤhlte/ und geringe Kraͤfften nach dem Maſſe des genommenen Abſehens urtheilete. Die Koͤnigin antwortete ihr: Es iſt wahr/ daß ſich Vollkommenheiten leichter in Gedancken abbilden/ als im Werck erreichen laſſen; aber ich wil ihr/ ſchoͤnſte Erato/ nicht allein das Wunder- werck und die Wuͤrckung ihrer Vollkommen- heit/ ſondern auch ihr Vermoͤgen einen Ster- benden lebendig zu machen ſo klar zeigen/ daß ſie das erſte wird mit Augen ſehen koͤnnen/ im letz- ten aber ſich uͤberwieſen erkennen muͤſſen. Hier- mit nahm Dynamis die Erato mit der Hand und fuͤhrte ſie fuͤr des Zeno Bette/ welcher denn alſofort ſeine Farbe und Pulß zu veraͤndern/ und weil die Zunge zu ſchwach oder zu ver- ſchaͤmt war/ mit den Augen das Leiden ſeiner Seele auszuſprechen anfing. Hiemit hob die Koͤnigin wehmuͤthig an: Siehet ſie nun/ voll- kommenſte Erato/ daß die Wunden meines nun faſt die Seele ausblaſenden Sohnes von ihrer Verletzung herruͤhren? Daß ihre Tugen- den anfangs mit einer unzertreñlichen Freund- ſchafft ſein Hertz gewonnen/ ihre unver gleichliche Schoͤnheit aber ſelbtes durch die Liebe in ein un- ausloͤſchliches Feuer verſetzt hat? Wie ſchwach Fuͤrſt Zeno gleich war/ ſo erholte er ſich doch gleich als aus einem Traume/ alſo daß ſeine zit- ternde Lippen nach einem tieffen Seuffzer dieſe Worte ablieſſen: Jhr Goͤtter! hat Dynamis das Geheimniß meines Geſchlechts/ ihr aber meine allen Menſchen verſchwiegene Flamme des Hertzens ans Licht gebracht? Wormit durch das erſte unſer Haus in Schrecken oder Zerruͤt- tung verſetzet/ durch das letztere aber der Welt wiſſend werde/ daß Zeno von der Hand der unſchuldigen Erato getoͤdtet ſey. Welches Ge- heimniß ich/ um eine ſolche Goͤttin nicht zu belei- digen/ ſo gerne mit in das Grab genom̃en haͤtte/ ſo ger-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0324" n="272"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drittes Buch</hi></fw><lb/><cb/> Eitelkeit verfinſtert werden. Die Tugend al-<lb/> leine ſey/ die uns nicht nur nach dem Tode vere-<lb/> wige/ ſondern auch im Leben aus augenſcheinli-<lb/> chem Verderbẽ reiſſe. Ja ſie glaube feſtiglich/ daß<lb/> die Gefahr fuͤr der Tapfferkeit ſchichtern werde/<lb/> daß der ſonſt unverſchaͤmte Tod fuͤr Helden ent-<lb/> weder furchtſam oder ehrerbietig ſey/ und das<lb/> Gluͤcke ſelbſt der Tugend den Schirm trage/<lb/> und einen Schild fuͤrhalte; Sonſt waͤre Hercu-<lb/> les nicht den Schlangen/ Kaͤyſer Julius dem<lb/> Ungewitter/ Alexander den Spieſſen ſo vielmal<lb/> entronnen/ fuͤr dem groſſen Mithridates nicht<lb/> das Gifft unkraͤfftig worden/ und die Pfeile fuͤr<lb/> ſeine Fuͤſſe gefallen. Unter dieſe Reihe waͤ-<lb/> re nun auch Fuͤrſt Zeno zu rechnen/ daher<lb/> ſolte ſie ſeinethalben mehr die Goͤtter durch An-<lb/> dacht gewinnen/ als durch Ungedult erherben.<lb/> Ach! fieng die Koͤnigin Dynamis an/ ſo muß ich<lb/> die unver gleichliche Fuͤrſtin Erato auch unter die<lb/> Zahl der Goͤtter ſetzen/ und ihr den Tempel des<lb/> Eſculapius einweihen. Denn an ihrem Fin-<lb/> ger haͤnget der Lebens-Faden meines Sohnes/<lb/> welchen ihre Gewogenheit als eine guͤtige Klo-<lb/> tho laͤnger ſpinnen/ ihre Unhold aber/ als eine<lb/> unerbittliche Atropos im Augenblicke zerreiſſen<lb/> kan. Erato wuſte nicht alſofort dieſes Raͤtzel<lb/> auszulegen. Denn ob zwar der Koͤnigin Erzeh-<lb/> lung ein groſſes Licht gab/ warum die Natur ſie<lb/> und Arſinoen zu einer verwechſelten Gewogen-<lb/> heit gezogen/ und Arſinoe bey Entbloͤſſung ihrer<lb/> Bruͤſte ſo groſſe Veraͤnderung gefuͤhlet hatte/ ſo<lb/> waꝛ ihr doch verborgen/ dz Dynamis dieſe Heim-<lb/> ligkeit von ihrem faſt ſchon ſterbenden Sohne<lb/> ausgeſpuͤꝛet hatte. Daheꝛo konte ſie nicht anders/<lb/> als gegen der Koͤnigin ſich heraus laſſen: die<lb/> Wohlthaten/ die ſie genoſſen/ waͤren von einem<lb/> ſo groſſen Maſſe/ daß ihre Danckbarkeit ſie nim-<lb/> mermehr ausſchoͤpffen koͤnte. Auſſer dem Ver-<lb/> pflichteten die Verdienſte ihres Sohnes die<lb/> gantze Welt fuͤr ſeine <choice><sic>Erhaltnng</sic><corr>Erhaltung</corr></choice> zu ſorgen; alſo<lb/> wuͤnſchte ſie auch mit ihrem Verluſt ſelbtem zu<lb/> helffen/ erwartete alſo nur den Befehl von der-<lb/><cb/> ſelben/ welche ihrer Schwachheit ein ſo groſſes<lb/> Ding zutraute. Alleine die Hoffnung waͤre<lb/> meiſt eine groſſe Verfaͤlſcherin der Warheit/ in<lb/> dem die Einbildung ſich ſtets mit dem Verlan-<lb/> gen vermaͤhlte/ und geringe Kraͤfften nach dem<lb/> Maſſe des genommenen Abſehens urtheilete.<lb/> Die Koͤnigin antwortete ihr: Es iſt wahr/ daß<lb/> ſich Vollkommenheiten leichter in Gedancken<lb/> abbilden/ als im Werck erreichen laſſen; aber ich<lb/> wil ihr/ ſchoͤnſte Erato/ nicht allein das Wunder-<lb/> werck und die Wuͤrckung ihrer Vollkommen-<lb/> heit/ ſondern auch ihr Vermoͤgen einen Ster-<lb/> benden lebendig zu machen ſo klar zeigen/ daß ſie<lb/> das erſte wird mit Augen ſehen koͤnnen/ im letz-<lb/> ten aber ſich uͤberwieſen erkennen muͤſſen. Hier-<lb/> mit nahm Dynamis die Erato mit der Hand<lb/> und fuͤhrte ſie fuͤr des Zeno Bette/ welcher denn<lb/> alſofort ſeine Farbe und Pulß zu veraͤndern/<lb/> und weil die Zunge zu ſchwach oder zu ver-<lb/> ſchaͤmt war/ mit den Augen das Leiden ſeiner<lb/> Seele auszuſprechen anfing. Hiemit hob die<lb/> Koͤnigin wehmuͤthig an: Siehet ſie nun/ voll-<lb/> kommenſte Erato/ daß die Wunden meines<lb/> nun faſt die Seele ausblaſenden Sohnes von<lb/> ihrer Verletzung herruͤhren? Daß ihre Tugen-<lb/> den anfangs mit einer unzertreñlichen Freund-<lb/> ſchafft ſein Hertz gewonnen/ ihre unver gleichliche<lb/> Schoͤnheit aber ſelbtes durch die Liebe in ein un-<lb/> ausloͤſchliches Feuer verſetzt hat? Wie ſchwach<lb/> Fuͤrſt Zeno gleich war/ ſo erholte er ſich doch<lb/> gleich als aus einem Traume/ alſo daß ſeine zit-<lb/> ternde Lippen nach einem tieffen Seuffzer dieſe<lb/> Worte ablieſſen: Jhr Goͤtter! hat Dynamis<lb/> das Geheimniß meines Geſchlechts/ ihr aber<lb/> meine allen Menſchen verſchwiegene Flamme<lb/> des Hertzens ans Licht gebracht? Wormit durch<lb/> das erſte unſer Haus in Schrecken oder Zerruͤt-<lb/> tung verſetzet/ durch das letztere aber der Welt<lb/> wiſſend werde/ daß Zeno von der Hand der<lb/> unſchuldigen Erato getoͤdtet ſey. Welches Ge-<lb/> heimniß ich/ um eine ſolche Goͤttin nicht zu belei-<lb/> digen/ ſo gerne mit in das Grab genom̃en haͤtte/<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſo ger-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [272/0324]
Drittes Buch
Eitelkeit verfinſtert werden. Die Tugend al-
leine ſey/ die uns nicht nur nach dem Tode vere-
wige/ ſondern auch im Leben aus augenſcheinli-
chem Verderbẽ reiſſe. Ja ſie glaube feſtiglich/ daß
die Gefahr fuͤr der Tapfferkeit ſchichtern werde/
daß der ſonſt unverſchaͤmte Tod fuͤr Helden ent-
weder furchtſam oder ehrerbietig ſey/ und das
Gluͤcke ſelbſt der Tugend den Schirm trage/
und einen Schild fuͤrhalte; Sonſt waͤre Hercu-
les nicht den Schlangen/ Kaͤyſer Julius dem
Ungewitter/ Alexander den Spieſſen ſo vielmal
entronnen/ fuͤr dem groſſen Mithridates nicht
das Gifft unkraͤfftig worden/ und die Pfeile fuͤr
ſeine Fuͤſſe gefallen. Unter dieſe Reihe waͤ-
re nun auch Fuͤrſt Zeno zu rechnen/ daher
ſolte ſie ſeinethalben mehr die Goͤtter durch An-
dacht gewinnen/ als durch Ungedult erherben.
Ach! fieng die Koͤnigin Dynamis an/ ſo muß ich
die unver gleichliche Fuͤrſtin Erato auch unter die
Zahl der Goͤtter ſetzen/ und ihr den Tempel des
Eſculapius einweihen. Denn an ihrem Fin-
ger haͤnget der Lebens-Faden meines Sohnes/
welchen ihre Gewogenheit als eine guͤtige Klo-
tho laͤnger ſpinnen/ ihre Unhold aber/ als eine
unerbittliche Atropos im Augenblicke zerreiſſen
kan. Erato wuſte nicht alſofort dieſes Raͤtzel
auszulegen. Denn ob zwar der Koͤnigin Erzeh-
lung ein groſſes Licht gab/ warum die Natur ſie
und Arſinoen zu einer verwechſelten Gewogen-
heit gezogen/ und Arſinoe bey Entbloͤſſung ihrer
Bruͤſte ſo groſſe Veraͤnderung gefuͤhlet hatte/ ſo
waꝛ ihr doch verborgen/ dz Dynamis dieſe Heim-
ligkeit von ihrem faſt ſchon ſterbenden Sohne
ausgeſpuͤꝛet hatte. Daheꝛo konte ſie nicht anders/
als gegen der Koͤnigin ſich heraus laſſen: die
Wohlthaten/ die ſie genoſſen/ waͤren von einem
ſo groſſen Maſſe/ daß ihre Danckbarkeit ſie nim-
mermehr ausſchoͤpffen koͤnte. Auſſer dem Ver-
pflichteten die Verdienſte ihres Sohnes die
gantze Welt fuͤr ſeine Erhaltung zu ſorgen; alſo
wuͤnſchte ſie auch mit ihrem Verluſt ſelbtem zu
helffen/ erwartete alſo nur den Befehl von der-
ſelben/ welche ihrer Schwachheit ein ſo groſſes
Ding zutraute. Alleine die Hoffnung waͤre
meiſt eine groſſe Verfaͤlſcherin der Warheit/ in
dem die Einbildung ſich ſtets mit dem Verlan-
gen vermaͤhlte/ und geringe Kraͤfften nach dem
Maſſe des genommenen Abſehens urtheilete.
Die Koͤnigin antwortete ihr: Es iſt wahr/ daß
ſich Vollkommenheiten leichter in Gedancken
abbilden/ als im Werck erreichen laſſen; aber ich
wil ihr/ ſchoͤnſte Erato/ nicht allein das Wunder-
werck und die Wuͤrckung ihrer Vollkommen-
heit/ ſondern auch ihr Vermoͤgen einen Ster-
benden lebendig zu machen ſo klar zeigen/ daß ſie
das erſte wird mit Augen ſehen koͤnnen/ im letz-
ten aber ſich uͤberwieſen erkennen muͤſſen. Hier-
mit nahm Dynamis die Erato mit der Hand
und fuͤhrte ſie fuͤr des Zeno Bette/ welcher denn
alſofort ſeine Farbe und Pulß zu veraͤndern/
und weil die Zunge zu ſchwach oder zu ver-
ſchaͤmt war/ mit den Augen das Leiden ſeiner
Seele auszuſprechen anfing. Hiemit hob die
Koͤnigin wehmuͤthig an: Siehet ſie nun/ voll-
kommenſte Erato/ daß die Wunden meines
nun faſt die Seele ausblaſenden Sohnes von
ihrer Verletzung herruͤhren? Daß ihre Tugen-
den anfangs mit einer unzertreñlichen Freund-
ſchafft ſein Hertz gewonnen/ ihre unver gleichliche
Schoͤnheit aber ſelbtes durch die Liebe in ein un-
ausloͤſchliches Feuer verſetzt hat? Wie ſchwach
Fuͤrſt Zeno gleich war/ ſo erholte er ſich doch
gleich als aus einem Traume/ alſo daß ſeine zit-
ternde Lippen nach einem tieffen Seuffzer dieſe
Worte ablieſſen: Jhr Goͤtter! hat Dynamis
das Geheimniß meines Geſchlechts/ ihr aber
meine allen Menſchen verſchwiegene Flamme
des Hertzens ans Licht gebracht? Wormit durch
das erſte unſer Haus in Schrecken oder Zerruͤt-
tung verſetzet/ durch das letztere aber der Welt
wiſſend werde/ daß Zeno von der Hand der
unſchuldigen Erato getoͤdtet ſey. Welches Ge-
heimniß ich/ um eine ſolche Goͤttin nicht zu belei-
digen/ ſo gerne mit in das Grab genom̃en haͤtte/
ſo ger-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |