Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
ber wie die Schlangen mit ihrer Haut dieSchwachheiten des Alters abstreiffen könte. Die menschliche Vermessenheit aber bildete ihr ins- gemein noch eine Last voll Kräffte zu haben für/ wenn sie kaum noch ein Loth besässe. Daher könten ihrer so viel keine Erlassung der Arbeit von ihnen selbst erlangen/ die ihnen gleich die Freyheit des Alters und die Gesetze des Va- terlands enträumten. Die Ehrsucht lobte ih- nen für eine grössere Süßigkeit ein an der Kette liegen und andere anbellen mögen/ als seiner Freyheit geniessen/ und keine Sclaven in seiner Gewalt haben. Dahero sicher ein überirrdischer Triebzu seyn schien Purpur und Scharlach von sich werffen/ und sich mit Haar und geringer Wol- le decken/ seine Augen von dem Schimmer der schütternden Diamanten und Rubine abziehen/ und auff die Asche der Todtengräber werffen. Rhemetalces setzte bey: er hielte dafür/ die Göt- ter hätten das Hertz in den menschlichen Leib zu einem Uhrwerck gesetzt/ welches mit iedem Schlage den Menschen unauffhörlich seiner Sterbligkeit erinnern solte. Und die/ welche sich über Behertzigung ihrer Eitelkeit erlustigten/ kämen ihm für wie die Schatzgräber/ welche sich erfreueten/ wenn sie auff die Scherben der zer- brochenen Todten-Töpffe kommen. Jn War- heit/ sagte Zeno. Denn beyde sind dem gesuch- ten Schatze sehr nahe/ diese dem Jrrdischen/ je- ne der Entbürdung ihrer in dem Siechhause ihrer krancken Glieder angepflöckten Seele. Es ist nicht ohne/ sagte Marcomir/ daß die Hoffnung dieser Entbürdung ein grosser Trost der Elenden/ und ihre Seufftzer alleine nach dem Tode als dem Hafen aller Bekümmer- niß gerichtet seyn. Aber unsern in fast unver- änderlichem Glücke lebenden Marcomir muß etwas grössers als die mehrmahls kleinmüthige Begierde zu sterben zu seiner Entschlüssung be- wegt haben. Wer wolte gläuben/ daß ihrer so viel/ welche in blühenden Jahren/ im Uberflusse des Vermögens/ bey unerschöpfften Kräfften/ [Spaltenumbruch] im Angesichte des sie anlachenden Glückes/ sich der weltlichen Ergetzligkeiten darum entschla- gen solten/ weil sie in den abscheulichen Tod so verliebt wären/ daß sie den süssen Genüß des Lebens für ein Gespenste ansehen/ und für der lockenden Wollust einen Eckel haben solten? Dannenhero die wahre Ursache schwerlich in den Scherben der stinckenden Todten-Töpffe/ sondern vielmehr in was himmlischem zu suchen sey. Denn nach dem zwar unser Leib aus der Erde/ unsere Seele aber/ nach der meisten Weisen Meinung/ aus dem Gestirne oder viel- mehr/ wie wir Deutschen glauben/ von GOtt seinen Ursprung hat; hegt sie gegen diesem ih- rem Brunnen eine nicht geringere Neigung/ als die Sonnenwende gegen die Sonne/ die A- fricanischen Ziegen gegen dem Hunds- und der Magnet gegen dem Nördlichen Angel-Serne/ wenn anders diese heilige Regung nicht durch irrdische Verleitung/ wie der Magnet durch Knobloch/ entkräfftet wird. Dieses wäre die Liebe GOttes/ welche die Seele so vergnügte/ daß ihr alle andere Wollust zu Wermuth/ alle andere Pracht zu Staube würde. Alle andere Gestirne verschwinden für der Sonne der Gott- heit/ welche ohne Verwendung einigen Blicks der Mensch sein Lebetage anzuschauen geschaf- fen wäre. Diese Liebe wäre der Geist des Le- bens/ und ohne sie das von andern Reitzungen lodernde Hertz kalt und todt. Sie wäre das Feuer des Weyrauchs und der Opffer/ ohne welches jener die Lufft stinckend machte/ diese sie mit Rauche schwärtzten/ und die Erde mit Blu- te besudelten. Ja weil die Liebe den Liebenden mit dem Geliebten gäntzlich vereinbarte/ so er- langte sie mit der Umarmung Gottes das Be- sitzthum aller seiner unbegreifflichen Reichthü- mer. Seine Gemeinschafft theilte ihr alles mit und verwandelte alles böse in das Beste. Das Armuth wäre ihr Reichthum/ die Kranck- heiten gäben ihr Stärcke/ das Gifft dien- te ihr zur Artzney und der Tod zur Unsterblig- keit/ S 2
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
ber wie die Schlangen mit ihrer Haut dieSchwachheiten des Alters abſtreiffen koͤnte. Die menſchliche Vermeſſenheit aber bildete ihr ins- gemein noch eine Laſt voll Kraͤffte zu haben fuͤr/ wenn ſie kaum noch ein Loth beſaͤſſe. Daher koͤnten ihrer ſo viel keine Erlaſſung der Arbeit von ihnen ſelbſt erlangen/ die ihnen gleich die Freyheit des Alters und die Geſetze des Va- terlands entraͤumten. Die Ehrſucht lobte ih- nen fuͤr eine groͤſſere Suͤßigkeit ein an der Kette liegen und andere anbellen moͤgen/ als ſeiner Freyheit genieſſen/ und keine Sclaven in ſeiner Gewalt haben. Dahero ſicher ein uͤberirrdiſcher Triebzu ſeyn ſchien Purpur und Scharlach von ſich werffẽ/ und ſich mit Haar und geringer Wol- le decken/ ſeine Augen von dem Schimmer der ſchuͤtternden Diamanten und Rubine abziehen/ und auff die Aſche der Todtengraͤber werffen. Rhemetalces ſetzte bey: er hielte dafuͤr/ die Goͤt- ter haͤtten das Hertz in den menſchlichen Leib zu einem Uhrwerck geſetzt/ welches mit iedem Schlage den Menſchen unauffhoͤrlich ſeiner Sterbligkeit erinnern ſolte. Und die/ welche ſich uͤber Behertzigung ihrer Eitelkeit erluſtigten/ kaͤmen ihm fuͤr wie die Schatzgraͤber/ welche ſich erfreueten/ wenn ſie auff die Scherben der zer- brochenen Todten-Toͤpffe kommen. Jn War- heit/ ſagte Zeno. Denn beyde ſind dem geſuch- ten Schatze ſehr nahe/ dieſe dem Jrrdiſchen/ je- ne der Entbuͤrdung ihrer in dem Siechhauſe ihrer krancken Glieder angepfloͤckten Seele. Es iſt nicht ohne/ ſagte Marcomir/ daß die Hoffnung dieſer Entbuͤrdung ein groſſer Troſt der Elenden/ und ihre Seufftzer alleine nach dem Tode als dem Hafen aller Bekuͤmmer- niß gerichtet ſeyn. Aber unſern in faſt unver- aͤnderlichem Gluͤcke lebenden Marcomir muß etwas groͤſſers als die mehrmahls kleinmuͤthige Begierde zu ſterben zu ſeiner Entſchluͤſſung be- wegt haben. Wer wolte glaͤuben/ daß ihrer ſo viel/ welche in bluͤhenden Jahren/ im Uberfluſſe des Vermoͤgens/ bey unerſchoͤpfften Kraͤfften/ [Spaltenumbruch] im Angeſichte des ſie anlachenden Gluͤckes/ ſich der weltlichen Ergetzligkeiten darum entſchla- gen ſolten/ weil ſie in den abſcheulichen Tod ſo verliebt waͤren/ daß ſie den ſuͤſſen Genuͤß des Lebens fuͤr ein Geſpenſte anſehen/ und fuͤr der lockenden Wolluſt einen Eckel haben ſolten? Dannenhero die wahre Urſache ſchwerlich in den Scherben der ſtinckenden Todten-Toͤpffe/ ſondern vielmehr in was himmliſchem zu ſuchen ſey. Denn nach dem zwar unſer Leib aus der Erde/ unſere Seele aber/ nach der meiſten Weiſen Meinung/ aus dem Geſtirne oder viel- mehr/ wie wir Deutſchen glauben/ von GOtt ſeinen Urſprung hat; hegt ſie gegen dieſem ih- rem Brunnen eine nicht geringere Neigung/ als die Sonnenwende gegen die Sonne/ die A- fricaniſchen Ziegen gegen dem Hunds- und der Magnet gegen dem Noͤrdlichen Angel-Serne/ wenn anders dieſe heilige Regung nicht durch irrdiſche Verleitung/ wie der Magnet durch Knobloch/ entkraͤfftet wird. Dieſes waͤre die Liebe GOttes/ welche die Seele ſo vergnuͤgte/ daß ihr alle andere Wolluſt zu Wermuth/ alle andere Pracht zu Staube wuͤrde. Alle andere Geſtirne verſchwinden fuͤr der Sonne deꝛ Gott- heit/ welche ohne Verwendung einigen Blicks der Menſch ſein Lebetage anzuſchauen geſchaf- fen waͤre. Dieſe Liebe waͤre der Geiſt des Le- bens/ und ohne ſie das von andern Reitzungen lodernde Hertz kalt und todt. Sie waͤre das Feuer des Weyrauchs und der Opffer/ ohne welches jener die Lufft ſtinckend machte/ dieſe ſie mit Rauche ſchwaͤrtzten/ und die Erde mit Blu- te beſudelten. Ja weil die Liebe den Liebenden mit dem Geliebten gaͤntzlich vereinbarte/ ſo er- langte ſie mit der Umarmung Gottes das Be- ſitzthum aller ſeiner unbegreifflichen Reichthuͤ- mer. Seine Gemeinſchafft theilte ihr alles mit und verwandelte alles boͤſe in das Beſte. Das Armuth waͤre ihr Reichthum/ die Kranck- heiten gaͤben ihr Staͤrcke/ das Gifft dien- te ihr zur Artzney und der Tod zur Unſterblig- keit/ S 2
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Arminius und Thußnelda.
ber wie die Schlangen mit ihrer Haut die
Schwachheiten des Alters abſtreiffen koͤnte. Die
menſchliche Vermeſſenheit aber bildete ihr ins-
gemein noch eine Laſt voll Kraͤffte zu haben fuͤr/
wenn ſie kaum noch ein Loth beſaͤſſe. Daher
koͤnten ihrer ſo viel keine Erlaſſung der Arbeit
von ihnen ſelbſt erlangen/ die ihnen gleich die
Freyheit des Alters und die Geſetze des Va-
terlands entraͤumten. Die Ehrſucht lobte ih-
nen fuͤr eine groͤſſere Suͤßigkeit ein an der Kette
liegen und andere anbellen moͤgen/ als ſeiner
Freyheit genieſſen/ und keine Sclaven in ſeiner
Gewalt haben. Dahero ſicher ein uͤberirrdiſcher
Triebzu ſeyn ſchien Purpur und Scharlach von
ſich werffẽ/ und ſich mit Haar und geringer Wol-
le decken/ ſeine Augen von dem Schimmer der
ſchuͤtternden Diamanten und Rubine abziehen/
und auff die Aſche der Todtengraͤber werffen.
Rhemetalces ſetzte bey: er hielte dafuͤr/ die Goͤt-
ter haͤtten das Hertz in den menſchlichen Leib zu
einem Uhrwerck geſetzt/ welches mit iedem
Schlage den Menſchen unauffhoͤrlich ſeiner
Sterbligkeit erinnern ſolte. Und die/ welche ſich
uͤber Behertzigung ihrer Eitelkeit erluſtigten/
kaͤmen ihm fuͤr wie die Schatzgraͤber/ welche ſich
erfreueten/ wenn ſie auff die Scherben der zer-
brochenen Todten-Toͤpffe kommen. Jn War-
heit/ ſagte Zeno. Denn beyde ſind dem geſuch-
ten Schatze ſehr nahe/ dieſe dem Jrrdiſchen/ je-
ne der Entbuͤrdung ihrer in dem Siechhauſe
ihrer krancken Glieder angepfloͤckten Seele.
Es iſt nicht ohne/ ſagte Marcomir/ daß die
Hoffnung dieſer Entbuͤrdung ein groſſer Troſt
der Elenden/ und ihre Seufftzer alleine nach
dem Tode als dem Hafen aller Bekuͤmmer-
niß gerichtet ſeyn. Aber unſern in faſt unver-
aͤnderlichem Gluͤcke lebenden Marcomir muß
etwas groͤſſers als die mehrmahls kleinmuͤthige
Begierde zu ſterben zu ſeiner Entſchluͤſſung be-
wegt haben. Wer wolte glaͤuben/ daß ihrer ſo
viel/ welche in bluͤhenden Jahren/ im Uberfluſſe
des Vermoͤgens/ bey unerſchoͤpfften Kraͤfften/
im Angeſichte des ſie anlachenden Gluͤckes/ ſich
der weltlichen Ergetzligkeiten darum entſchla-
gen ſolten/ weil ſie in den abſcheulichen Tod ſo
verliebt waͤren/ daß ſie den ſuͤſſen Genuͤß des
Lebens fuͤr ein Geſpenſte anſehen/ und fuͤr der
lockenden Wolluſt einen Eckel haben ſolten?
Dannenhero die wahre Urſache ſchwerlich in
den Scherben der ſtinckenden Todten-Toͤpffe/
ſondern vielmehr in was himmliſchem zu ſuchen
ſey. Denn nach dem zwar unſer Leib aus der
Erde/ unſere Seele aber/ nach der meiſten
Weiſen Meinung/ aus dem Geſtirne oder viel-
mehr/ wie wir Deutſchen glauben/ von GOtt
ſeinen Urſprung hat; hegt ſie gegen dieſem ih-
rem Brunnen eine nicht geringere Neigung/
als die Sonnenwende gegen die Sonne/ die A-
fricaniſchen Ziegen gegen dem Hunds- und der
Magnet gegen dem Noͤrdlichen Angel-Serne/
wenn anders dieſe heilige Regung nicht durch
irrdiſche Verleitung/ wie der Magnet durch
Knobloch/ entkraͤfftet wird. Dieſes waͤre die
Liebe GOttes/ welche die Seele ſo vergnuͤgte/
daß ihr alle andere Wolluſt zu Wermuth/ alle
andere Pracht zu Staube wuͤrde. Alle andere
Geſtirne verſchwinden fuͤr der Sonne deꝛ Gott-
heit/ welche ohne Verwendung einigen Blicks
der Menſch ſein Lebetage anzuſchauen geſchaf-
fen waͤre. Dieſe Liebe waͤre der Geiſt des Le-
bens/ und ohne ſie das von andern Reitzungen
lodernde Hertz kalt und todt. Sie waͤre das
Feuer des Weyrauchs und der Opffer/ ohne
welches jener die Lufft ſtinckend machte/ dieſe ſie
mit Rauche ſchwaͤrtzten/ und die Erde mit Blu-
te beſudelten. Ja weil die Liebe den Liebenden
mit dem Geliebten gaͤntzlich vereinbarte/ ſo er-
langte ſie mit der Umarmung Gottes das Be-
ſitzthum aller ſeiner unbegreifflichen Reichthuͤ-
mer. Seine Gemeinſchafft theilte ihr alles
mit und verwandelte alles boͤſe in das Beſte.
Das Armuth waͤre ihr Reichthum/ die Kranck-
heiten gaͤben ihr Staͤrcke/ das Gifft dien-
te ihr zur Artzney und der Tod zur Unſterblig-
keit/
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/189>, abgerufen am 16.07.2024. |