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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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[Spaltenumbruch] Deutschland kein so grosser Mißbrauch zu be-
sorgen; als wo diese Ehren-Maale noch neu/
oder zum minsten ungemein wären. Der
Barde antwortete: Er hätte auf die wunder-
lichen Würckungen der Seulen schlechtes Ab-
sehen; als welche entweder betrüglichen Aber-
glauben zum Grunde hätten/ oder doch eben so
wol/ als die Reden und Weissagungen der stum-
men Steine von Zauberey herrührten. Sin-
temal: daß die Wahrsagungen der Dreyfüsse
und anderer beredsamen Seulen von denen
in selbte aufsteigenden Dünsten der Erde her-
rühren solten/ ein eiteler Wahn etlicher Welt-
weisen wäre. Gleiche Bewandnüs hätte es
mit ihrer Krafft Regen zu verschaffen. Die-
ses aber wäre freylich wol der eigentliche Zweck
aller Gedächtnüs-Maale: daß sie nicht alleine
derer verstorbenen Thaten verewigen/ sondern
fürnemlich die Lebenden wol anweisen solten.
Außer diesem wären sie abscheuliche Gräber
der Lebenden/ und ihr Andencken ein unnö-
thiger Götzen-Dienst. Beydes aber zu wür-
cken/ nemlich die Verdienste der Todten wider
die Vergessenheit zu schützen/ und die Nach-
kommen in ihren Fuß-Pfad zu leiten/ wären
der Barden geistige Lieder geschickter/ als die
todten Steine; oder auch das so genennte
Sterck-Kraut; von welchem der Aberglaube
tichtete: daß wer darmit sich besalbte/ der
Menschen Gunst und einen Ruhms-vollen
Nahmen erlangte. Diese drückten zum höch-
sten die Aehnligkeit des Leibes; jene aber auch
die Eigenschafften der Seelen aus. Und es
möchte Euphranor wie er wolte seinen ge-
machten Paris heraus streichen: daß er in selb-
tem zugleich als ein Richter der Götter/ als
ein Liebhaber Helenens/ und als ein Erleger
Achillens wäre gebildet gewest. Es möchte
ihm das Volck zu Chio einbilden: daß das
Antlitz ihrer marmelnen Diana sich denen in
Tempel kommenden traurig/ denen hinaus-
[Spaltenumbruch] gehenden freudig zeige. Es möchte die Kunst
sich bereden: daß sie ihre Marmel lebhafft/ ihr
Ertzt lachend machen/ und mit Helffenbeine
die Gemüths - Regungen ausdrücken könte;
so wäre doch dis gegen der Seelen ihrer Ge-
sänge ein bloßer Schatten. Welches der
Künstler Demetrius wol verstanden; daher er
sein Minerven-Bild derogestalt gegossen hätte:
daß die Drachen des Gorgons-Kopffes auf
ihrem Schilde zu den darbey gespielten Säi-
tenspiele stets einen annehmlichen Widerschall
gegeben; also sein Kunst-Bild sich hätte mit
der Anmuth des Gethönes behelffen; und
die schwartze Memnons-Seule zu Thebe von
denen Strahlen der Sonne/ als der allersüsse-
sten Leyer des Himmels/ den annehmlichen
Klang entlehnen müssen. Deutschland brach
bey diesen Worten ein: Sie nehme für bekandt
an: daß die Säitenspiele zur Vollkommen-
heit der Ehren-Bilder Beytrag thäten.
Weil nun die Tichter-Kunst die Seele der
Säitenspiele wäre; und die Barden so wenig
für verächtlich hielten ihre Lobgesänge auf
Baum-Rinden/ als die Sibyllen ihre Weissa-
gungen auf Palmen-Blätter zu schreiben; so
solten sie den Marmel dieser Herrmanns-
Seule nicht geringer/ als das leicht verfau-
lende Laub und Rinde schätzen/ und derogestalt
den Ruhm ihres Helden in diesem harten
Steine unausleschlich/ diese Seule aber durch
ihre unvergängliche Getichte auch nach ihrer
Einäscherung ewig machen. Sie wäre er-
bötig nach dem Beyspiele Achillens/ für den
besten Tichter einen güldenen Dreyfuß zum
Preiß aufzusetzen. Sintemal freylich nach-
gegeben werden müste: daß die herrlichsten
Seulen ohne Zuthat einer gelehrten Hand
stumme und unerkenntliche Götzen wären;
und wie die Spitz-Seulen in Egypten weder
ihre Uhrheber noch ihr Absehen zu eröfnen
wüsten. Die Kunst bot sich mit ihren Riesen

zu

Neuntes Buch
[Spaltenumbruch] Deutſchland kein ſo groſſer Mißbrauch zu be-
ſorgen; als wo dieſe Ehren-Maale noch neu/
oder zum minſten ungemein waͤren. Der
Barde antwortete: Er haͤtte auf die wunder-
lichen Wuͤrckungen der Seulen ſchlechtes Ab-
ſehen; als welche entweder betruͤglichen Aber-
glauben zum Grunde haͤtten/ oder doch eben ſo
wol/ als die Reden und Weiſſagungen der ſtum-
men Steine von Zauberey herruͤhrten. Sin-
temal: daß die Wahrſagungen der Dreyfuͤſſe
und anderer beredſamen Seulen von denen
in ſelbte aufſteigenden Duͤnſten der Erde her-
ruͤhren ſolten/ ein eiteler Wahn etlicher Welt-
weiſen waͤre. Gleiche Bewandnuͤs haͤtte es
mit ihrer Krafft Regen zu verſchaffen. Die-
ſes aber waͤre freylich wol der eigentliche Zweck
aller Gedaͤchtnuͤs-Maale: daß ſie nicht alleine
derer verſtorbenen Thaten verewigen/ ſondern
fuͤrnemlich die Lebenden wol anweiſen ſolten.
Außer dieſem waͤren ſie abſcheuliche Graͤber
der Lebenden/ und ihr Andencken ein unnoͤ-
thiger Goͤtzen-Dienſt. Beydes aber zu wuͤr-
cken/ nemlich die Verdienſte der Todten wider
die Vergeſſenheit zu ſchuͤtzen/ und die Nach-
kommen in ihren Fuß-Pfad zu leiten/ waͤren
der Barden geiſtige Lieder geſchickter/ als die
todten Steine; oder auch das ſo genennte
Sterck-Kraut; von welchem der Aberglaube
tichtete: daß wer darmit ſich beſalbte/ der
Menſchen Gunſt und einen Ruhms-vollen
Nahmen erlangte. Dieſe druͤckten zum hoͤch-
ſten die Aehnligkeit des Leibes; jene aber auch
die Eigenſchafften der Seelen aus. Und es
moͤchte Euphranor wie er wolte ſeinen ge-
machten Paris heraus ſtreichen: daß er in ſelb-
tem zugleich als ein Richter der Goͤtter/ als
ein Liebhaber Helenens/ und als ein Erleger
Achillens waͤre gebildet geweſt. Es moͤchte
ihm das Volck zu Chio einbilden: daß das
Antlitz ihrer marmelnen Diana ſich denen in
Tempel kommenden traurig/ denen hinaus-
[Spaltenumbruch] gehenden freudig zeige. Es moͤchte die Kunſt
ſich bereden: daß ſie ihre Marmel lebhafft/ ihr
Ertzt lachend machen/ und mit Helffenbeine
die Gemuͤths - Regungen ausdruͤcken koͤnte;
ſo waͤre doch dis gegen der Seelen ihrer Ge-
ſaͤnge ein bloßer Schatten. Welches der
Kuͤnſtler Demetrius wol verſtanden; daher er
ſein Minerven-Bild deꝛogeſtalt gegoſſen haͤtte:
daß die Drachen des Gorgons-Kopffes auf
ihrem Schilde zu den darbey geſpielten Saͤi-
tenſpiele ſtets einen annehmlichen Widerſchall
gegeben; alſo ſein Kunſt-Bild ſich haͤtte mit
der Anmuth des Gethoͤnes behelffen; und
die ſchwartze Memnons-Seule zu Thebe von
denen Strahlen der Sonne/ als der allerſuͤſſe-
ſten Leyer des Himmels/ den annehmlichen
Klang entlehnen muͤſſen. Deutſchland brach
bey dieſen Worten ein: Sie nehme fuͤr bekandt
an: daß die Saͤitenſpiele zur Vollkommen-
heit der Ehren-Bilder Beytrag thaͤten.
Weil nun die Tichter-Kunſt die Seele der
Saͤitenſpiele waͤre; und die Barden ſo wenig
fuͤr veraͤchtlich hielten ihre Lobgeſaͤnge auf
Baum-Rinden/ als die Sibyllen ihre Weiſſa-
gungen auf Palmen-Blaͤtter zu ſchreiben; ſo
ſolten ſie den Marmel dieſer Herrmanns-
Seule nicht geringer/ als das leicht verfau-
lende Laub und Rinde ſchaͤtzen/ und derogeſtalt
den Ruhm ihres Helden in dieſem harten
Steine unausleſchlich/ dieſe Seule aber durch
ihre unvergaͤngliche Getichte auch nach ihrer
Einaͤſcherung ewig machen. Sie waͤre er-
boͤtig nach dem Beyſpiele Achillens/ fuͤr den
beſten Tichter einen guͤldenen Dreyfuß zum
Preiß aufzuſetzen. Sintemal freylich nach-
gegeben werden muͤſte: daß die herrlichſten
Seulen ohne Zuthat einer gelehrten Hand
ſtumme und unerkenntliche Goͤtzen waͤren;
und wie die Spitz-Seulen in Egypten weder
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wuͤſten. Die Kunſt bot ſich mit ihren Rieſen

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[1422[1424]/1490] Neuntes Buch Deutſchland kein ſo groſſer Mißbrauch zu be- ſorgen; als wo dieſe Ehren-Maale noch neu/ oder zum minſten ungemein waͤren. Der Barde antwortete: Er haͤtte auf die wunder- lichen Wuͤrckungen der Seulen ſchlechtes Ab- ſehen; als welche entweder betruͤglichen Aber- glauben zum Grunde haͤtten/ oder doch eben ſo wol/ als die Reden und Weiſſagungen der ſtum- men Steine von Zauberey herruͤhrten. Sin- temal: daß die Wahrſagungen der Dreyfuͤſſe und anderer beredſamen Seulen von denen in ſelbte aufſteigenden Duͤnſten der Erde her- ruͤhren ſolten/ ein eiteler Wahn etlicher Welt- weiſen waͤre. Gleiche Bewandnuͤs haͤtte es mit ihrer Krafft Regen zu verſchaffen. Die- ſes aber waͤre freylich wol der eigentliche Zweck aller Gedaͤchtnuͤs-Maale: daß ſie nicht alleine derer verſtorbenen Thaten verewigen/ ſondern fuͤrnemlich die Lebenden wol anweiſen ſolten. Außer dieſem waͤren ſie abſcheuliche Graͤber der Lebenden/ und ihr Andencken ein unnoͤ- thiger Goͤtzen-Dienſt. Beydes aber zu wuͤr- cken/ nemlich die Verdienſte der Todten wider die Vergeſſenheit zu ſchuͤtzen/ und die Nach- kommen in ihren Fuß-Pfad zu leiten/ waͤren der Barden geiſtige Lieder geſchickter/ als die todten Steine; oder auch das ſo genennte Sterck-Kraut; von welchem der Aberglaube tichtete: daß wer darmit ſich beſalbte/ der Menſchen Gunſt und einen Ruhms-vollen Nahmen erlangte. Dieſe druͤckten zum hoͤch- ſten die Aehnligkeit des Leibes; jene aber auch die Eigenſchafften der Seelen aus. Und es moͤchte Euphranor wie er wolte ſeinen ge- machten Paris heraus ſtreichen: daß er in ſelb- tem zugleich als ein Richter der Goͤtter/ als ein Liebhaber Helenens/ und als ein Erleger Achillens waͤre gebildet geweſt. Es moͤchte ihm das Volck zu Chio einbilden: daß das Antlitz ihrer marmelnen Diana ſich denen in Tempel kommenden traurig/ denen hinaus- gehenden freudig zeige. Es moͤchte die Kunſt ſich bereden: daß ſie ihre Marmel lebhafft/ ihr Ertzt lachend machen/ und mit Helffenbeine die Gemuͤths - Regungen ausdruͤcken koͤnte; ſo waͤre doch dis gegen der Seelen ihrer Ge- ſaͤnge ein bloßer Schatten. Welches der Kuͤnſtler Demetrius wol verſtanden; daher er ſein Minerven-Bild deꝛogeſtalt gegoſſen haͤtte: daß die Drachen des Gorgons-Kopffes auf ihrem Schilde zu den darbey geſpielten Saͤi- tenſpiele ſtets einen annehmlichen Widerſchall gegeben; alſo ſein Kunſt-Bild ſich haͤtte mit der Anmuth des Gethoͤnes behelffen; und die ſchwartze Memnons-Seule zu Thebe von denen Strahlen der Sonne/ als der allerſuͤſſe- ſten Leyer des Himmels/ den annehmlichen Klang entlehnen muͤſſen. Deutſchland brach bey dieſen Worten ein: Sie nehme fuͤr bekandt an: daß die Saͤitenſpiele zur Vollkommen- heit der Ehren-Bilder Beytrag thaͤten. Weil nun die Tichter-Kunſt die Seele der Saͤitenſpiele waͤre; und die Barden ſo wenig fuͤr veraͤchtlich hielten ihre Lobgeſaͤnge auf Baum-Rinden/ als die Sibyllen ihre Weiſſa- gungen auf Palmen-Blaͤtter zu ſchreiben; ſo ſolten ſie den Marmel dieſer Herrmanns- Seule nicht geringer/ als das leicht verfau- lende Laub und Rinde ſchaͤtzen/ und derogeſtalt den Ruhm ihres Helden in dieſem harten Steine unausleſchlich/ dieſe Seule aber durch ihre unvergaͤngliche Getichte auch nach ihrer Einaͤſcherung ewig machen. Sie waͤre er- boͤtig nach dem Beyſpiele Achillens/ fuͤr den beſten Tichter einen guͤldenen Dreyfuß zum Preiß aufzuſetzen. Sintemal freylich nach- gegeben werden muͤſte: daß die herrlichſten Seulen ohne Zuthat einer gelehrten Hand ſtumme und unerkenntliche Goͤtzen waͤren; und wie die Spitz-Seulen in Egypten weder ihre Uhrheber noch ihr Abſehen zu eroͤfnen wuͤſten. Die Kunſt bot ſich mit ihren Rieſen zu

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1422[1424]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1490>, abgerufen am 23.11.2024.