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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] befestigte. Gleichwohl würde für fünf Jahren
hier niemand erlassen und loßgesagt. Daher
sie denn auch so viel Zeit darinnen angewehret/
wiewohl sie bekennen müste: daß der vollkom-
menste Mensch sein Lebtage über Erlernung
dieser einigen Tugend genung zu thun hätte/
welche so sehr viel in sich begrieffe/ und ein so
weites Gebiete als die Klugheit hätte; denn ob
sie zwar eigentlich von andern Tugenden noch
unterschieden/ dennoch gleichsam aller übrigen
Seele wäre. Sintemal wie keine Tieffsinnig-
keit das Buch der Natur seiner unzehlbaren
Geheimnüsse halber auszugrübeln vermöchte;
also wäre das Gemüthe des Menschen ein
Meer voller Krümmen/ Klippen/ Sandbän-
cke und Strudeln: daß kein Weiser noch dar-
über eine richtige See-Karte gefertiget; kein
Bleymaß seine Tieffen ergründet/ kein Mensch
mit dem Kompasse seiner Klugheit alle Verirr-
oder Vergehungen zu vermeiden vermocht
hätte.

Dieser meiner Unvollkommenheit ungeach-
tet/ fuhr die weise Asblaste fort/ versetzte man
mich wider meinen Willen in die dritte Schule;
darinnen einem die tieffsten Geheimnüsse entde-
cket werden; theils wie Gott/ welcher doch aus der
Natur nur unvollkommen und als ein Schat-
ten erkennet wird/ sich selbst viel heller offenbaret
habe; theils wie der Mensch zur Wissen-
schafft künftiger Dinge gelangen könne.
Von beyden etwas gemein zu machen wird der
Anwesenden hohe Bescheidenheit nichts verlan-
gen/ welche wohl wissen: daß mir und meines
gleichen die Lippen durch ein Siegel angelobter
Verschwiegenheit verschlossen sind; welche man
unsers Heiligthums Verfassungen so viel weni-
ger verargen kan/ weil auch die Natur ihr bestes
Ertzt in die Tieffen der Berge/ ihre Perlen in
den Abgrund des Meeres verbirgt/ und der
Himmel seine wenigste Sternen/ Gott aber
selbst sich niemals sehen läst. So haben auch
die Egyptier von denen Göttlichen Geheim-
[Spaltenumbruch] nüssen in einer ungemeinen Sprache/ oder nur
durch Rätzel geredet. Sie haben zu derselben
Verbergung eine absondere Schrifft aus sel-
tzam-gestellten Vögeln/ Schlangen und an-
dern Thieren erfunden/ und darmit ihre kostba-
re Tempel und Spitz-Säulen bemahlet/ hier-
durch aber mehr des Volckes gespottet/ als die
Einfalt unterwiesen; wie sie denn auch solches
selbst zu bedeuten für ihre Heiligthümer das
unauslegliche Wunder-Bild setzen; welches
vorwerts einen Löwen/ übrigens einen Men-
schen mit Greiffen-Flügeln und Adlers-Klau-
en fürbildete; und über ihre Jsis schrieben: daß
kein Sterblicher ihr den Schleyer noch nicht
aufgedeckt hätte. Eben so haben die Griechen die-
se Geheimnüsse hinter den Schatten der Getich-
te versteckt; Pythagoras nur die Schalen seiner
Wissenschafftendenen Lehrlingen fürgeworffen/ den
Kern für sich behalten/ Orpheus diese Weißheit
mit dem Klange seiner Seiten verhüllet/ und
von denen/ welchen er was offenbaret/ einen
Eyd solches mit ins Grab zu nehmen abgehei-
schen. Plato hat in seinen Gesprächen durch
Verblümungen seine Gedancken verwirrt; daß
sie weniger zu verstehen sind/ als wenn er sie auff
tausend von den Winden durch einander gewe-
hete Blätter verzeichnet hätte. Aristoteles lehrte
bey fest verschlossener Thüre/ und bedeckte alle
Schlüsse gleich als wie mit einem Nebel. Ja alle
Weisen/ wenn sie von dem Göttlichen Erkentnüß
ihre Gedancken eröffnen sollen/ machen es/ wie der-
selbe Meerfisch/ der wenn er die Nachstellung ei-
nigen Netzes mercket/ mit einer von sich gelasse-
nen Tinte das Wasser trübet. Was für Wun-
der wird nicht von denen Wahrsagungen der
Sibyllen zu Rom gemacht/ in welche nie-
mand/ als der oberste Priester sehen darff? Wie
viel hat eine kluge Frau für den Augen des
Numa verbrennet; und der Käyser August
nach der Zeit sie schier gar aus den Händen der
Welt gerissen? Jch versichere sie aber: daß al-
les dis/ was in diesen Blättern/ und in den

Steinen

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] befeſtigte. Gleichwohl wuͤrde fuͤr fuͤnf Jahren
hier niemand erlaſſen und loßgeſagt. Daher
ſie denn auch ſo viel Zeit darinnen angewehret/
wiewohl ſie bekennen muͤſte: daß der vollkom-
menſte Menſch ſein Lebtage uͤber Erlernung
dieſer einigen Tugend genung zu thun haͤtte/
welche ſo ſehr viel in ſich begrieffe/ und ein ſo
weites Gebiete als die Klugheit haͤtte; denn ob
ſie zwar eigentlich von andern Tugenden noch
unterſchieden/ dennoch gleichſam aller uͤbrigen
Seele waͤre. Sintemal wie keine Tieffſinnig-
keit das Buch der Natur ſeiner unzehlbaren
Geheimnuͤſſe halber auszugruͤbeln vermoͤchte;
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Meer voller Kruͤmmen/ Klippen/ Sandbaͤn-
cke und Strudeln: daß kein Weiſer noch dar-
uͤber eine richtige See-Karte gefertiget; kein
Bleymaß ſeine Tieffen ergruͤndet/ kein Menſch
mit dem Kompaſſe ſeiner Klugheit alle Verirr-
oder Vergehungen zu vermeiden vermocht
haͤtte.

Dieſer meiner Unvollkommenheit ungeach-
tet/ fuhr die weiſe Asblaſte fort/ verſetzte man
mich wider meinen Willen in die dritte Schule;
darinnen einem die tieffſten Geheimnuͤſſe entde-
cket werdẽ; theils wie Gott/ welcher doch aus der
Natur nur unvollkommen und als ein Schat-
ten erkennet wird/ ſich ſelbſt viel heller offenbaret
habe; theils wie der Menſch zur Wiſſen-
ſchafft kuͤnftiger Dinge gelangen koͤnne.
Von beyden etwas gemein zu machen wird der
Anweſenden hohe Beſcheidenheit nichts verlan-
gen/ welche wohl wiſſen: daß mir und meines
gleichen die Lippen durch ein Siegel angelobter
Verſchwiegenheit verſchloſſen ſind; welche man
unſers Heiligthums Verfaſſungen ſo viel weni-
ger verargen kan/ weil auch die Natur ihr beſtes
Ertzt in die Tieffen der Berge/ ihre Perlen in
den Abgrund des Meeres verbirgt/ und der
Himmel ſeine wenigſte Sternen/ Gott aber
ſelbſt ſich niemals ſehen laͤſt. So haben auch
die Egyptier von denen Goͤttlichen Geheim-
[Spaltenumbruch] nuͤſſen in einer ungemeinen Sprache/ oder nur
durch Raͤtzel geredet. Sie haben zu derſelben
Verbergung eine abſondere Schrifft aus ſel-
tzam-geſtellten Voͤgeln/ Schlangen und an-
dern Thieren erfunden/ und darmit ihre koſtba-
re Tempel und Spitz-Saͤulen bemahlet/ hier-
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Einfalt unterwieſen; wie ſie denn auch ſolches
ſelbſt zu bedeuten fuͤr ihre Heiligthuͤmer das
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ſe Geheimnuͤſſe hinter den Schatten der Getich-
te verſteckt; Pythagoras nur die Schalen ſeiner
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Kern fuͤr ſich behalten/ Orpheus dieſe Weißheit
mit dem Klange ſeiner Seiten verhuͤllet/ und
von denen/ welchen er was offenbaret/ einen
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ſchen. Plato hat in ſeinen Geſpraͤchen durch
Verbluͤmungen ſeine Gedancken verwirꝛt; daß
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tauſend von den Winden durch einander gewe-
hete Blaͤtter verzeichnet haͤtte. Ariſtoteles lehrte
bey feſt verſchloſſener Thuͤre/ und bedeckte alle
Schluͤſſe gleich als wie mit einem Nebel. Ja alle
Weiſen/ weñ ſie von dem Goͤttlichen Erkentnuͤß
ihꝛe Gedancken eꝛoͤffnen ſollen/ machẽ es/ wie deꝛ-
ſelbe Meerfiſch/ der wenn er die Nachſtellung ei-
nigen Netzes mercket/ mit einer von ſich gelaſſe-
nen Tinte das Waſſer truͤbet. Was fuͤr Wun-
der wird nicht von denen Wahrſagungen der
Sibyllen zu Rom gemacht/ in welche nie-
mand/ als der oberſte Prieſter ſehen darff? Wie
viel hat eine kluge Frau fuͤr den Augen des
Numa verbrennet; und der Kaͤyſer Auguſt
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[1351[1353]/1419] Arminius und Thußnelda. befeſtigte. Gleichwohl wuͤrde fuͤr fuͤnf Jahren hier niemand erlaſſen und loßgeſagt. Daher ſie denn auch ſo viel Zeit darinnen angewehret/ wiewohl ſie bekennen muͤſte: daß der vollkom- menſte Menſch ſein Lebtage uͤber Erlernung dieſer einigen Tugend genung zu thun haͤtte/ welche ſo ſehr viel in ſich begrieffe/ und ein ſo weites Gebiete als die Klugheit haͤtte; denn ob ſie zwar eigentlich von andern Tugenden noch unterſchieden/ dennoch gleichſam aller uͤbrigen Seele waͤre. Sintemal wie keine Tieffſinnig- keit das Buch der Natur ſeiner unzehlbaren Geheimnuͤſſe halber auszugruͤbeln vermoͤchte; alſo waͤre das Gemuͤthe des Menſchen ein Meer voller Kruͤmmen/ Klippen/ Sandbaͤn- cke und Strudeln: daß kein Weiſer noch dar- uͤber eine richtige See-Karte gefertiget; kein Bleymaß ſeine Tieffen ergruͤndet/ kein Menſch mit dem Kompaſſe ſeiner Klugheit alle Verirr- oder Vergehungen zu vermeiden vermocht haͤtte. Dieſer meiner Unvollkommenheit ungeach- tet/ fuhr die weiſe Asblaſte fort/ verſetzte man mich wider meinen Willen in die dritte Schule; darinnen einem die tieffſten Geheimnuͤſſe entde- cket werdẽ; theils wie Gott/ welcher doch aus der Natur nur unvollkommen und als ein Schat- ten erkennet wird/ ſich ſelbſt viel heller offenbaret habe; theils wie der Menſch zur Wiſſen- ſchafft kuͤnftiger Dinge gelangen koͤnne. Von beyden etwas gemein zu machen wird der Anweſenden hohe Beſcheidenheit nichts verlan- gen/ welche wohl wiſſen: daß mir und meines gleichen die Lippen durch ein Siegel angelobter Verſchwiegenheit verſchloſſen ſind; welche man unſers Heiligthums Verfaſſungen ſo viel weni- ger verargen kan/ weil auch die Natur ihr beſtes Ertzt in die Tieffen der Berge/ ihre Perlen in den Abgrund des Meeres verbirgt/ und der Himmel ſeine wenigſte Sternen/ Gott aber ſelbſt ſich niemals ſehen laͤſt. So haben auch die Egyptier von denen Goͤttlichen Geheim- nuͤſſen in einer ungemeinen Sprache/ oder nur durch Raͤtzel geredet. Sie haben zu derſelben Verbergung eine abſondere Schrifft aus ſel- tzam-geſtellten Voͤgeln/ Schlangen und an- dern Thieren erfunden/ und darmit ihre koſtba- re Tempel und Spitz-Saͤulen bemahlet/ hier- durch aber mehr des Volckes geſpottet/ als die Einfalt unterwieſen; wie ſie denn auch ſolches ſelbſt zu bedeuten fuͤr ihre Heiligthuͤmer das unauslegliche Wunder-Bild ſetzen; welches vorwerts einen Loͤwen/ uͤbrigens einen Men- ſchen mit Greiffen-Fluͤgeln und Adlers-Klau- en fuͤrbildete; und uͤber ihre Jſis ſchrieben: daß kein Sterblicher ihr den Schleyer noch nicht aufgedeckt haͤtte. Eben ſo haben die Griechẽ die- ſe Geheimnuͤſſe hinter den Schatten der Getich- te verſteckt; Pythagoras nur die Schalen ſeiner Wiſſenſchafftẽdenẽ Lehrlingẽ fuͤrgeworffen/ den Kern fuͤr ſich behalten/ Orpheus dieſe Weißheit mit dem Klange ſeiner Seiten verhuͤllet/ und von denen/ welchen er was offenbaret/ einen Eyd ſolches mit ins Grab zu nehmen abgehei- ſchen. Plato hat in ſeinen Geſpraͤchen durch Verbluͤmungen ſeine Gedancken verwirꝛt; daß ſie weniger zu verſtehen ſind/ als wenn er ſie auff tauſend von den Winden durch einander gewe- hete Blaͤtter verzeichnet haͤtte. Ariſtoteles lehrte bey feſt verſchloſſener Thuͤre/ und bedeckte alle Schluͤſſe gleich als wie mit einem Nebel. Ja alle Weiſen/ weñ ſie von dem Goͤttlichen Erkentnuͤß ihꝛe Gedancken eꝛoͤffnen ſollen/ machẽ es/ wie deꝛ- ſelbe Meerfiſch/ der wenn er die Nachſtellung ei- nigen Netzes mercket/ mit einer von ſich gelaſſe- nen Tinte das Waſſer truͤbet. Was fuͤr Wun- der wird nicht von denen Wahrſagungen der Sibyllen zu Rom gemacht/ in welche nie- mand/ als der oberſte Prieſter ſehen darff? Wie viel hat eine kluge Frau fuͤr den Augen des Numa verbrennet; und der Kaͤyſer Auguſt nach der Zeit ſie ſchier gar aus den Haͤnden der Welt geriſſen? Jch verſichere ſie aber: daß al- les dis/ was in dieſen Blaͤttern/ und in den Steinen

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1351[1353]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1419>, abgerufen am 23.11.2024.