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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Neuntes Buch
[Spaltenumbruch] nur in sich die Vernunfft würcken/ sondern sie
selbst legten mit Hand an das Werck/ und be-
förderten die Geburt der Tugend/ nichts min-
der/ als die andern Gestirne nebst der Sonne/
die Fruchtbarkeit der Erde. Sie eigneten de-
nen Tugenden einen herrlichen Nachdruck/ wie
das Haus des gestirnten Löwen/ oder der Hunds-
stern/ der Sonnen-Hitze eine mehrere Krafft zu.
Sintemal die Tugenden so wenig/ als die Sternen
alle einerley Grösse oder Glantz hätten; und ihr
Mittel-Maaß eben so wenig verhinderte: daß
eine Tugend die andere absteche; als daß unter
zweyen Diamanten einer Grösse dieser von je-
nem verdüstert würde. Aus diesem Ursprun-
ge rührten die ungemeinen Helden-Thaten/
weil die Begierde der Ehren die Unmögligkeit
gleichsam bemeistern lehrte; und die Eiversucht
über frembden Gedächtnüß-Säulen auch in
gefrornen Gemüthern den Schwefel der Groß-
müthigkeit brennend machte. Die Liebe wäre
nicht nur ein Leit-Stern der Weißheit/ sondern
eine Erfinderin vieler Wissenschaften. Die
Vegierde und Hoffnung habe die Einöden be-
wohnet/ die Meere wegbar/ die Winde zahm/
alle Arbeit leichte/ die Erde fruchtbar/ die Welt
schön/ das Leben behäglich gemacht. Der
Zorn und die Furcht dienten der Tugend für
eine Leibwache/ ohne welche sie iedermann zur
Eule machen/ und als einen Bovist oder Erd-
Schwamm mit Füssen treten würde. Ja wenn sie
sich aller dieser natürlichen Waffen und Kräffte
enteuserte/ wäre der Mensch ein helffenbeinern
Bild ohne Fühle/ die Tugend aber bey nahe selbst
eine Ohnmacht der Seele/ und eine Entfal-
lung aller innerlichen Gemüths- Kräfften.
Mit einem Worte: Diese Neigungen wären
wilde Stämme/ welche für sich selbst dienliche
iedoch etwas rauhe und herbe Früchte trü-
gen. Wenn aber die Vernunfft auf selbte die
Zweige der Tugend pfropfte; würden die
Früchte mehr/ als hundertfach verbessert.
Endlich diente zu Behauptung ihrer Meynung
[Spaltenumbruch] dieser unwiderlegliche Satz: daß Gott/ welche[r]
doch die unbegreiffliche Grund-Säule/ und
der Mittel-Punct der Natur/ auf welcher alles
erschaffene ruhete/ ja alles in sich selbst in höchster
Vollkommenheit/ und derogestalt wie auser aller
Veränderungen/ also auch ohne unsere Ge-
müths-Regungen wäre/ dennoch durch seine
allgemeine Macht alle Wercke unserer Nei-
gungen/ wiewohl sonder die mindeste Bewe-
gung auszuüben sich nicht enteuserte/ wenn er
die Frommen mit den Fittigen seiner Barm-
hertzigkeit deckte/ über den Fehltritten der Jrren-
den Mitleiden hätte/ für die ihn liebenden Wa-
che hielte/ denen Schlangen das Gifft/ dem
Feuer die Gewalt zu brennen benähme/ den
Winden einen Zaum/ und den Wellen ein Ge-
biß anlegte; und wenn für seiner gegen die Bö-
sen ausbrechenden Rache/ und der in den Wol-
cken krachenden Donner-Stimme die Zedern
sich splitterten/ die Gebürge rauchten/ die Erde
bebte/ und die Felsen sich zermalmeten.

Diese Rede beseelte sie mit so beweglicher Ge-
berdung/ und die ihr aus den Augen blickende
Andacht gab ihren Gründen einen so wichtigen
Nachdruck: daß niemand unter der Versamm-
lung ihr einiges Wort mehr entgegen zu setzen
sich erkühnte. Die das Ebentheuer ihrer
Dahinkunft zu erfahren höchst-begierige Thuß-
nelde aber gab durch ihre Nachfrage/ wie viel
Jahre sie in dieser andern Schule hätte aushal-
ten müssen? gleichwohl zum Verfolg ihrer
Erzehlung Anlaß. Diesemnach denn Asbla-
ste aufs freundlichste nachtrug: Man hätte
in derselben zwar nur die einige Kunst der Mäs-
sigung zu begreiffen/ und nichts zu lernen/ als
daß man die schrecklichen Dinge nicht fürchtete/
in die annehmlichen sich nicht zu sehr verliebte/
und also zwischen einer wilden Unart und der
Verzärtelung das rechte Mittel treffe; als
wordurch ein Mensch mit sich selbst einen voll-
kommenen Friede stiftete/ und die Ruhe des Ge-
müthes den einigen Ancker der Glückseligkeit

befe-

Neuntes Buch
[Spaltenumbruch] nur in ſich die Vernunfft wuͤrcken/ ſondern ſie
ſelbſt legten mit Hand an das Werck/ und be-
foͤrderten die Geburt der Tugend/ nichts min-
der/ als die andern Geſtirne nebſt der Sonne/
die Fruchtbarkeit der Erde. Sie eigneten de-
nen Tugenden einen herrlichen Nachdruck/ wie
das Haus des geſtirnten Loͤwen/ oder der Hunds-
ſtern/ der Sonnen-Hitze eine mehrere Krafft zu.
Sintemal die Tugendẽ ſo wenig/ als die Sternẽ
alle einerley Groͤſſe oder Glantz haͤtten; und ihr
Mittel-Maaß eben ſo wenig verhinderte: daß
eine Tugend die andere abſteche; als daß unter
zweyen Diamanten einer Groͤſſe dieſer von je-
nem verduͤſtert wuͤrde. Aus dieſem Urſprun-
ge ruͤhrten die ungemeinen Helden-Thaten/
weil die Begierde der Ehren die Unmoͤgligkeit
gleichſam bemeiſtern lehrte; und die Eiverſucht
uͤber frembden Gedaͤchtnuͤß-Saͤulen auch in
gefrornen Gemuͤthern den Schwefel der Groß-
muͤthigkeit brennend machte. Die Liebe waͤre
nicht nur ein Leit-Stern der Weißheit/ ſondern
eine Erfinderin vieler Wiſſenſchaften. Die
Vegierde und Hoffnung habe die Einoͤden be-
wohnet/ die Meere wegbar/ die Winde zahm/
alle Arbeit leichte/ die Erde fruchtbar/ die Welt
ſchoͤn/ das Leben behaͤglich gemacht. Der
Zorn und die Furcht dienten der Tugend fuͤr
eine Leibwache/ ohne welche ſie iedermann zur
Eule machen/ und als einen Boviſt oder Erd-
Schwam̃ mit Fuͤſſen treten wuͤrde. Ja wenn ſie
ſich aller dieſer natuͤrlichen Waffen und Kraͤffte
enteuſerte/ waͤre der Menſch ein helffenbeinern
Bild ohne Fuͤhle/ die Tugend abeꝛ bey nahe ſelbſt
eine Ohnmacht der Seele/ und eine Entfal-
lung aller innerlichen Gemuͤths- Kraͤfften.
Mit einem Worte: Dieſe Neigungen waͤren
wilde Staͤmme/ welche fuͤr ſich ſelbſt dienliche
iedoch etwas rauhe und herbe Fruͤchte truͤ-
gen. Wenn aber die Vernunfft auf ſelbte die
Zweige der Tugend pfropfte; wuͤrden die
Fruͤchte mehr/ als hundertfach verbeſſert.
Endlich diente zu Behauptung ihrer Meynung
[Spaltenumbruch] dieſer unwiderlegliche Satz: daß Gott/ welche[ꝛ]
doch die unbegreiffliche Grund-Saͤule/ und
der Mittel-Punct der Natur/ auf welcher alles
erſchaffene ruhete/ ja alles in ſich ſelbſt in hoͤchſter
Vollkommenheit/ und deꝛogeſtalt wie auſer aller
Veraͤnderungen/ alſo auch ohne unſere Ge-
muͤths-Regungen waͤre/ dennoch durch ſeine
allgemeine Macht alle Wercke unſerer Nei-
gungen/ wiewohl ſonder die mindeſte Bewe-
gung auszuuͤben ſich nicht enteuſerte/ wenn er
die Frommen mit den Fittigen ſeiner Barm-
hertzigkeit deckte/ uͤber den Fehltritten der Jrren-
den Mitleiden haͤtte/ fuͤr die ihn liebenden Wa-
che hielte/ denen Schlangen das Gifft/ dem
Feuer die Gewalt zu brennen benaͤhme/ den
Winden einen Zaum/ und den Wellen ein Ge-
biß anlegte; und wenn fuͤr ſeiner gegen die Boͤ-
ſen ausbrechenden Rache/ und der in den Wol-
cken krachenden Donner-Stimme die Zedern
ſich ſplitterten/ die Gebuͤrge rauchten/ die Erde
bebte/ und die Felſen ſich zermalmeten.

Dieſe Rede beſeelte ſie mit ſo beweglicher Ge-
berdung/ und die ihr aus den Augen blickende
Andacht gab ihren Gruͤnden einen ſo wichtigen
Nachdruck: daß niemand unter der Verſam̃-
lung ihr einiges Wort mehr entgegen zu ſetzen
ſich erkuͤhnte. Die das Ebentheuer ihrer
Dahinkunft zu erfahꝛen hoͤchſt-begierige Thuß-
nelde aber gab durch ihre Nachfrage/ wie viel
Jahre ſie in dieſer andern Schule haͤtte aushal-
ten muͤſſen? gleichwohl zum Verfolg ihrer
Erzehlung Anlaß. Dieſemnach denn Asbla-
ſte aufs freundlichſte nachtrug: Man haͤtte
in derſelben zwar nur die einige Kunſt der Maͤſ-
ſigung zu begreiffen/ und nichts zu lernen/ als
daß man die ſchrecklichen Dinge nicht fuͤrchtete/
in die annehmlichen ſich nicht zu ſehr verliebte/
und alſo zwiſchen einer wilden Unart und der
Verzaͤrtelung das rechte Mittel treffe; als
wordurch ein Menſch mit ſich ſelbſt einen voll-
kommenen Friede ſtiftete/ und die Ruhe des Ge-
muͤthes den einigen Ancker der Gluͤckſeligkeit

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[1350[1352]/1418] Neuntes Buch nur in ſich die Vernunfft wuͤrcken/ ſondern ſie ſelbſt legten mit Hand an das Werck/ und be- foͤrderten die Geburt der Tugend/ nichts min- der/ als die andern Geſtirne nebſt der Sonne/ die Fruchtbarkeit der Erde. Sie eigneten de- nen Tugenden einen herrlichen Nachdruck/ wie das Haus des geſtirnten Loͤwen/ oder der Hunds- ſtern/ der Sonnen-Hitze eine mehrere Krafft zu. Sintemal die Tugendẽ ſo wenig/ als die Sternẽ alle einerley Groͤſſe oder Glantz haͤtten; und ihr Mittel-Maaß eben ſo wenig verhinderte: daß eine Tugend die andere abſteche; als daß unter zweyen Diamanten einer Groͤſſe dieſer von je- nem verduͤſtert wuͤrde. Aus dieſem Urſprun- ge ruͤhrten die ungemeinen Helden-Thaten/ weil die Begierde der Ehren die Unmoͤgligkeit gleichſam bemeiſtern lehrte; und die Eiverſucht uͤber frembden Gedaͤchtnuͤß-Saͤulen auch in gefrornen Gemuͤthern den Schwefel der Groß- muͤthigkeit brennend machte. Die Liebe waͤre nicht nur ein Leit-Stern der Weißheit/ ſondern eine Erfinderin vieler Wiſſenſchaften. Die Vegierde und Hoffnung habe die Einoͤden be- wohnet/ die Meere wegbar/ die Winde zahm/ alle Arbeit leichte/ die Erde fruchtbar/ die Welt ſchoͤn/ das Leben behaͤglich gemacht. Der Zorn und die Furcht dienten der Tugend fuͤr eine Leibwache/ ohne welche ſie iedermann zur Eule machen/ und als einen Boviſt oder Erd- Schwam̃ mit Fuͤſſen treten wuͤrde. Ja wenn ſie ſich aller dieſer natuͤrlichen Waffen und Kraͤffte enteuſerte/ waͤre der Menſch ein helffenbeinern Bild ohne Fuͤhle/ die Tugend abeꝛ bey nahe ſelbſt eine Ohnmacht der Seele/ und eine Entfal- lung aller innerlichen Gemuͤths- Kraͤfften. Mit einem Worte: Dieſe Neigungen waͤren wilde Staͤmme/ welche fuͤr ſich ſelbſt dienliche iedoch etwas rauhe und herbe Fruͤchte truͤ- gen. Wenn aber die Vernunfft auf ſelbte die Zweige der Tugend pfropfte; wuͤrden die Fruͤchte mehr/ als hundertfach verbeſſert. Endlich diente zu Behauptung ihrer Meynung dieſer unwiderlegliche Satz: daß Gott/ welcheꝛ doch die unbegreiffliche Grund-Saͤule/ und der Mittel-Punct der Natur/ auf welcher alles erſchaffene ruhete/ ja alles in ſich ſelbſt in hoͤchſter Vollkommenheit/ und deꝛogeſtalt wie auſer aller Veraͤnderungen/ alſo auch ohne unſere Ge- muͤths-Regungen waͤre/ dennoch durch ſeine allgemeine Macht alle Wercke unſerer Nei- gungen/ wiewohl ſonder die mindeſte Bewe- gung auszuuͤben ſich nicht enteuſerte/ wenn er die Frommen mit den Fittigen ſeiner Barm- hertzigkeit deckte/ uͤber den Fehltritten der Jrren- den Mitleiden haͤtte/ fuͤr die ihn liebenden Wa- che hielte/ denen Schlangen das Gifft/ dem Feuer die Gewalt zu brennen benaͤhme/ den Winden einen Zaum/ und den Wellen ein Ge- biß anlegte; und wenn fuͤr ſeiner gegen die Boͤ- ſen ausbrechenden Rache/ und der in den Wol- cken krachenden Donner-Stimme die Zedern ſich ſplitterten/ die Gebuͤrge rauchten/ die Erde bebte/ und die Felſen ſich zermalmeten. Dieſe Rede beſeelte ſie mit ſo beweglicher Ge- berdung/ und die ihr aus den Augen blickende Andacht gab ihren Gruͤnden einen ſo wichtigen Nachdruck: daß niemand unter der Verſam̃- lung ihr einiges Wort mehr entgegen zu ſetzen ſich erkuͤhnte. Die das Ebentheuer ihrer Dahinkunft zu erfahꝛen hoͤchſt-begierige Thuß- nelde aber gab durch ihre Nachfrage/ wie viel Jahre ſie in dieſer andern Schule haͤtte aushal- ten muͤſſen? gleichwohl zum Verfolg ihrer Erzehlung Anlaß. Dieſemnach denn Asbla- ſte aufs freundlichſte nachtrug: Man haͤtte in derſelben zwar nur die einige Kunſt der Maͤſ- ſigung zu begreiffen/ und nichts zu lernen/ als daß man die ſchrecklichen Dinge nicht fuͤrchtete/ in die annehmlichen ſich nicht zu ſehr verliebte/ und alſo zwiſchen einer wilden Unart und der Verzaͤrtelung das rechte Mittel treffe; als wordurch ein Menſch mit ſich ſelbſt einen voll- kommenen Friede ſtiftete/ und die Ruhe des Ge- muͤthes den einigen Ancker der Gluͤckſeligkeit befe-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1350[1352]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1418>, abgerufen am 27.11.2024.