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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Neuntes Buch
[Spaltenumbruch] kommen hätte; aber die männlichen Seelen
hätten für den weiblichen keinen Vorzug. Die-
se allein/ als der Sitz des Nachsinnens und der
Tugend/ hätten eigentlich nur mit der Weiß-
heit zu schaffen. Jene wären nicht mit meh-
rerm Geiste geflügelt; diesen klebte nicht mehr
Erde und Schlacke an; beyde rührten von ei-
nem Uhrsprung her. Jhre Feuchtigkeit hin-
derte ihr Geschlechte an nichts/ ja sie wäre als
ein denen Wissenschafften zu Einpregung der
Bilder in das Gedächtnüs dienender Talg
vielmehr beförderlich. Der Mohnde wäre
so schön und nutzbar als die feurigen Gestirne/
wiewol auch die feurigsten und die Sonne selbst
guten theils aus einem flüssenden Wesen/ und
nichts minder/ als die Erdkugel aus einem
Meere bestünden. Jhr wäre zwar nicht un-
bekandt: daß man sie beschuldigte: sie flatterten
mit ihren Gedancken all zu leicht und verän-
derlich; aber der Männer ihre wären auch an
keinen Nagel gehefftet; und den tieffsinnigen
Wissenschafften dienten mehr die Adlers-Flü-
gel/ als Schildkröten-Füsse. Ja da sie auch in
ein- oder dem andern einigen Gebrechen hät-
ten/ thäte ihnen die Weißheit/ als welche der
Vernunfft zu Hülffe kommt/ die Finsternüße
des Geistes erleuchtet/ und die Gemüther voll-
kommen macht/ so viel mehr von nöthen. Uber
diß dörffte man zu derselben Weißheit/ welche
eine Wegweiserin des Lebens/ und eine Mut-
ter der Tugend ist/ weder die Tieffsinnigkeit
hohen Verstandes/ noch das Vermögen aus-
bündiger Gliedmassen. Man träffe sie mehr-
mahls in Vollkommenheit bey der Einfalt/ und
in einem kriplichten Leibe an. Denn sie ver-
trüge sich mit beyderley Glücke/ und gäbe den
beyden Geschlechten so nöthigen Unterricht/
wie gute Begebungen ohne Schwindel; und
schlimme Zufälle wären sonder Ohnmacht zu
vertragen. Sie hätte zu ihrem Zwecke das
mangelhaffte zu verbessern/ die Unvergnügten
glückselig zu machen; und durch Dämpffung
hefftiger Regungen den Menschen vom Pöfel
[Spaltenumbruch] so weit zu entfernen/ als er an sich selbst vom
Vieh unterschieden zu seyn scheinet. König
Frotho begegnete seiner Schwester mit einer
besondern Höfligkeit; und entschuldigte: daß
er dem Frauenzimmer ihre Fähigkeit die Weiß-
heit zu begreiffen/ und den ihm daraus qvellen-
den Nutzen strittig gemacht; sondern nur: daß
sie nicht wie die Männer sich darinnen zu ver-
tieffen verbunden wären; verließ uns also beyde
in unser annehmlichen Einsamkeit/ fand auch
wie ich in der Unterweisung der Alironischen
Frauen/ also er durch Ehlichung Alvildens ei-
ner Sitonischen Fürstin seine gewünschte Ver-
gnügung.

Jch muste in dieser Schule die natürlichen
Dinge zu erforschen drey Jahr zubringen; aber
die Anmuth der Gesellschafft und die Lehrart/
welche einem alles gleichsam spielende bey-
brachte/ verkürtzte mir sie so sehr: daß sie mir we-
niger/ als drey Monate schienen; Denn ob ich
zwar vorher mich auch auf diese Geheimnüße
gelegt hatte; ward ich doch nunmehr inne: daß
meine Lehrmeister mir zwar viel gutes unter die
Hände gegeben/ aber nicht recht aus gearbeitet
hatten; und war zwischen beyden ein solcher
Unterscheid/ wie zwischen dem Marmel/ den
die Werck-Leute aus seinen Adern hauen/ und
dem/ der bereit durch die Hand des Bildhauers
gegangen. Allhier ward nichts gewiesen oder
iemand dessen überredet; was man nicht aus
den Eigenschafften der Dinge her nahm;
und dessen man gleichsam mit seinen fühlenden
Händen und sehenden Augen überwiesen ward.
Welches bey denen Lehrlingen nicht nur mehr
Beyfall erweckte/ sondern auch in ihrem Thun
mehr Nachdruck hatte. Denn die/ welche ihre
vermeinte Weißheit nur hinter das Alterthum
und ihrer Vor-Eltern Meinung verbergen/
sind wenig besser als die jenigen Priester/ die sich
in die holen Bilder ihrer Götter versteckten/
um den Wahn ihrer Wahrsagungen so viel
glaubhaffter zu machen.

Nach dieser Zeit kam ich zu der andern Staf-

fel/

Neuntes Buch
[Spaltenumbruch] kommen haͤtte; aber die maͤnnlichen Seelen
haͤtten fuͤr den weiblichen keinen Vorzug. Die-
ſe allein/ als der Sitz des Nachſinnens und der
Tugend/ haͤtten eigentlich nur mit der Weiß-
heit zu ſchaffen. Jene waͤren nicht mit meh-
rerm Geiſte gefluͤgelt; dieſen klebte nicht mehr
Erde und Schlacke an; beyde ruͤhrten von ei-
nem Uhrſprung her. Jhre Feuchtigkeit hin-
derte ihr Geſchlechte an nichts/ ja ſie waͤre als
ein denen Wiſſenſchafften zu Einpregung der
Bilder in das Gedaͤchtnuͤs dienender Talg
vielmehr befoͤrderlich. Der Mohnde waͤre
ſo ſchoͤn und nutzbar als die feurigen Geſtirne/
wiewol auch die feurigſten und die Sonne ſelbſt
guten theils aus einem fluͤſſenden Weſen/ und
nichts minder/ als die Erdkugel aus einem
Meere beſtuͤnden. Jhr waͤre zwar nicht un-
bekandt: daß man ſie beſchuldigte: ſie flatterten
mit ihren Gedancken all zu leicht und veraͤn-
derlich; aber der Maͤnner ihre waͤren auch an
keinen Nagel gehefftet; und den tieffſinnigen
Wiſſenſchafften dienten mehr die Adlers-Fluͤ-
gel/ als Schildkroͤten-Fuͤſſe. Ja da ſie auch in
ein- oder dem andern einigen Gebrechen haͤt-
ten/ thaͤte ihnen die Weißheit/ als welche der
Vernunfft zu Huͤlffe kommt/ die Finſternuͤße
des Geiſtes erleuchtet/ und die Gemuͤther voll-
kommen macht/ ſo viel mehr von noͤthen. Uber
diß doͤrffte man zu derſelben Weißheit/ welche
eine Wegweiſerin des Lebens/ und eine Mut-
ter der Tugend iſt/ weder die Tieffſinnigkeit
hohen Verſtandes/ noch das Vermoͤgen aus-
buͤndiger Gliedmaſſen. Man traͤffe ſie mehr-
mahls in Vollkommenheit bey der Einfalt/ und
in einem kriplichten Leibe an. Denn ſie ver-
truͤge ſich mit beyderley Gluͤcke/ und gaͤbe den
beyden Geſchlechten ſo noͤthigen Unterricht/
wie gute Begebungen ohne Schwindel; und
ſchlimme Zufaͤlle waͤren ſonder Ohnmacht zu
vertragen. Sie haͤtte zu ihrem Zwecke das
mangelhaffte zu verbeſſern/ die Unvergnuͤgten
gluͤckſelig zu machen; und durch Daͤmpffung
hefftiger Regungen den Menſchen vom Poͤfel
[Spaltenumbruch] ſo weit zu entfernen/ als er an ſich ſelbſt vom
Vieh unterſchieden zu ſeyn ſcheinet. Koͤnig
Frotho begegnete ſeiner Schweſter mit einer
beſondern Hoͤfligkeit; und entſchuldigte: daß
er dem Frauenzim̃er ihre Faͤhigkeit die Weiß-
heit zu begreiffen/ und den ihm daraus qvellen-
den Nutzen ſtrittig gemacht; ſondern nur: daß
ſie nicht wie die Maͤnner ſich darinnen zu ver-
tieffen verbunden waͤren; verließ uns alſo beyde
in unſer annehmlichen Einſamkeit/ fand auch
wie ich in der Unterweiſung der Alironiſchen
Frauen/ alſo er durch Ehlichung Alvildens ei-
ner Sitoniſchen Fuͤrſtin ſeine gewuͤnſchte Ver-
gnuͤgung.

Jch muſte in dieſer Schule die natuͤrlichen
Dinge zu erforſchen drey Jahr zubringen; aber
die Anmuth der Geſellſchafft und die Lehrart/
welche einem alles gleichſam ſpielende bey-
brachte/ verkuͤrtzte mir ſie ſo ſehr: daß ſie mir we-
niger/ als drey Monate ſchienen; Denn ob ich
zwar vorher mich auch auf dieſe Geheimnuͤße
gelegt hatte; ward ich doch nunmehr inne: daß
meine Lehrmeiſter mir zwar viel gutes unter die
Haͤnde gegeben/ aber nicht recht aus gearbeitet
hatten; und war zwiſchen beyden ein ſolcher
Unterſcheid/ wie zwiſchen dem Marmel/ den
die Werck-Leute aus ſeinen Adern hauen/ und
dem/ der bereit durch die Hand des Bildhauers
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iemand deſſen uͤberredet; was man nicht aus
den Eigenſchafften der Dinge her nahm;
und deſſen man gleichſam mit ſeinen fuͤhlenden
Haͤnden und ſehenden Augen uͤberwieſen ward.
Welches bey denen Lehrlingen nicht nur mehr
Beyfall erweckte/ ſondern auch in ihrem Thun
mehr Nachdruck hatte. Denn die/ welche ihre
vermeinte Weißheit nur hinter das Alterthum
und ihrer Vor-Eltern Meinung verbergen/
ſind wenig beſſer als die jenigen Prieſter/ die ſich
in die holen Bilder ihrer Goͤtter verſteckten/
um den Wahn ihrer Wahrſagungen ſo viel
glaubhaffter zu machen.

Nach dieſer Zeit kam ich zu der andern Staf-

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[1342[1344]/1410] Neuntes Buch kommen haͤtte; aber die maͤnnlichen Seelen haͤtten fuͤr den weiblichen keinen Vorzug. Die- ſe allein/ als der Sitz des Nachſinnens und der Tugend/ haͤtten eigentlich nur mit der Weiß- heit zu ſchaffen. Jene waͤren nicht mit meh- rerm Geiſte gefluͤgelt; dieſen klebte nicht mehr Erde und Schlacke an; beyde ruͤhrten von ei- nem Uhrſprung her. Jhre Feuchtigkeit hin- derte ihr Geſchlechte an nichts/ ja ſie waͤre als ein denen Wiſſenſchafften zu Einpregung der Bilder in das Gedaͤchtnuͤs dienender Talg vielmehr befoͤrderlich. Der Mohnde waͤre ſo ſchoͤn und nutzbar als die feurigen Geſtirne/ wiewol auch die feurigſten und die Sonne ſelbſt guten theils aus einem fluͤſſenden Weſen/ und nichts minder/ als die Erdkugel aus einem Meere beſtuͤnden. Jhr waͤre zwar nicht un- bekandt: daß man ſie beſchuldigte: ſie flatterten mit ihren Gedancken all zu leicht und veraͤn- derlich; aber der Maͤnner ihre waͤren auch an keinen Nagel gehefftet; und den tieffſinnigen Wiſſenſchafften dienten mehr die Adlers-Fluͤ- gel/ als Schildkroͤten-Fuͤſſe. Ja da ſie auch in ein- oder dem andern einigen Gebrechen haͤt- ten/ thaͤte ihnen die Weißheit/ als welche der Vernunfft zu Huͤlffe kommt/ die Finſternuͤße des Geiſtes erleuchtet/ und die Gemuͤther voll- kommen macht/ ſo viel mehr von noͤthen. Uber diß doͤrffte man zu derſelben Weißheit/ welche eine Wegweiſerin des Lebens/ und eine Mut- ter der Tugend iſt/ weder die Tieffſinnigkeit hohen Verſtandes/ noch das Vermoͤgen aus- buͤndiger Gliedmaſſen. Man traͤffe ſie mehr- mahls in Vollkommenheit bey der Einfalt/ und in einem kriplichten Leibe an. Denn ſie ver- truͤge ſich mit beyderley Gluͤcke/ und gaͤbe den beyden Geſchlechten ſo noͤthigen Unterricht/ wie gute Begebungen ohne Schwindel; und ſchlimme Zufaͤlle waͤren ſonder Ohnmacht zu vertragen. Sie haͤtte zu ihrem Zwecke das mangelhaffte zu verbeſſern/ die Unvergnuͤgten gluͤckſelig zu machen; und durch Daͤmpffung hefftiger Regungen den Menſchen vom Poͤfel ſo weit zu entfernen/ als er an ſich ſelbſt vom Vieh unterſchieden zu ſeyn ſcheinet. Koͤnig Frotho begegnete ſeiner Schweſter mit einer beſondern Hoͤfligkeit; und entſchuldigte: daß er dem Frauenzim̃er ihre Faͤhigkeit die Weiß- heit zu begreiffen/ und den ihm daraus qvellen- den Nutzen ſtrittig gemacht; ſondern nur: daß ſie nicht wie die Maͤnner ſich darinnen zu ver- tieffen verbunden waͤren; verließ uns alſo beyde in unſer annehmlichen Einſamkeit/ fand auch wie ich in der Unterweiſung der Alironiſchen Frauen/ alſo er durch Ehlichung Alvildens ei- ner Sitoniſchen Fuͤrſtin ſeine gewuͤnſchte Ver- gnuͤgung. Jch muſte in dieſer Schule die natuͤrlichen Dinge zu erforſchen drey Jahr zubringen; aber die Anmuth der Geſellſchafft und die Lehrart/ welche einem alles gleichſam ſpielende bey- brachte/ verkuͤrtzte mir ſie ſo ſehr: daß ſie mir we- niger/ als drey Monate ſchienen; Denn ob ich zwar vorher mich auch auf dieſe Geheimnuͤße gelegt hatte; ward ich doch nunmehr inne: daß meine Lehrmeiſter mir zwar viel gutes unter die Haͤnde gegeben/ aber nicht recht aus gearbeitet hatten; und war zwiſchen beyden ein ſolcher Unterſcheid/ wie zwiſchen dem Marmel/ den die Werck-Leute aus ſeinen Adern hauen/ und dem/ der bereit durch die Hand des Bildhauers gegangen. Allhier ward nichts gewieſen oder iemand deſſen uͤberredet; was man nicht aus den Eigenſchafften der Dinge her nahm; und deſſen man gleichſam mit ſeinen fuͤhlenden Haͤnden und ſehenden Augen uͤberwieſen ward. Welches bey denen Lehrlingen nicht nur mehr Beyfall erweckte/ ſondern auch in ihrem Thun mehr Nachdruck hatte. Denn die/ welche ihre vermeinte Weißheit nur hinter das Alterthum und ihrer Vor-Eltern Meinung verbergen/ ſind wenig beſſer als die jenigen Prieſter/ die ſich in die holen Bilder ihrer Goͤtter verſteckten/ um den Wahn ihrer Wahrſagungen ſo viel glaubhaffter zu machen. Nach dieſer Zeit kam ich zu der andern Staf- fel/

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1342[1344]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1410>, abgerufen am 06.05.2024.